northern lights

Dec 31, 2020 14:25



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Feuerwerkfunken ertrinken im Ozean.

Du sitzt im Schneiderschnitz auf der Motorhaube eines Autos, das nicht dir gehört, und die Kälte des Metalls beißt sich durch den Stoff deiner Kleidung, verbeißt sich in der Winterkälte der Nacht, mit einer Intensität, die deine Gedanken mit Nostalgie tränkt. Hinter euch liegen Dünen und weite Felder, hinter euch liegt die ganze Welt, hinter euch verglühen Feuerwerke am Horizont, geklebt an die Stadtlichtflecken, die in der Ferne in der Nacht schweben, aber für heute Nacht kannst du das alles zur Seite schieben, beinahe vergessen. Heute Nacht ist das Zwischenstadium deiner Existenz in Ordnung, Küste zwischen Ozean und dem Rest der Welt. Lässt eine Wunderkerze in deiner Hand abbrennen, die Funken auf den sandigen Boden spuckt, während über euch mehr Feuerwerk den Himmel blau und rot und weiß färbt, Signalfeuer ohne Bedeutung, bis du ihm eine Bedeutung gibst, und dein Blut würde lieber einen Stift halten als eine Wunderkerze, aber für diese eine Nacht kannst du Dinge einfach existieren lassen, bis sie sich selbst eine Bedeutung schreiben, oder bis sie es nicht tun. Ausnahmsweise klebt verblasste Asche an deinen Fingerkuppen anstatt Tinte, ausnahmsweise liegt deine Tasche auf dem Rücksitz des Autos, zugeklappte Buchdeckel, während sich die Explosionen mit dem Wellenrauschen vermischen. Dazwischen Stille, so tiefschwarz wie Tinte. Du kannst diese Stille atmen wie Luft, nicht wie schmutzige Großstadtluft, nicht der Art von Luft, die nach Wodka oder nach Desinfektionsmittel schmeckt und brennt, nicht Zwischenraumluft und nicht Ozeanluft, sondern irgendetwas dazwischen. Mitternachtsluft, klar genug, um sich selbst darin zu finden, nicht klar genug, als das es dir nicht wieder durch die Finger gleitet, aber das ist in Ordnung, weil du es für Momente wie diesen tust, für Nachtspaziergänge und Balkonabende und Bahnhofsmorgende, stechende Klarheit gefolgt von ausgewaschenem Sonnenlicht.

Heute brauchst du das Sonnenlicht noch nicht, weil die Nacht noch nicht zu Ende ist. Nur das Jahr ist es, nur das Jahr brennt zwischen euch und dem Feuerwerk aus, und du fragst dich, wo das nächste Jahr dich hinführen wird. Die Frage fühlt sich ozeantief und euphorisch zugleich an, und du erlaubst sie dir, ohne dir irgendwas dazu auszumalen, weil du weiße Seiten gerne wertschätzt. Weil du die Antwort immer noch finden kannst, irgendwo zwischen Tankstellen und Hotels und Bibliotheken und Gärten, irgendwo zwischen hier und da. Irgendwo zwischen dem Feuerwerk von heute und dem nebelverhangenen Sonnenaufgang morgen, irgendwo zwischen deiner heruntergebrannten Wunderkerze und dem Stimmengewirr am Strand.
Irgendwo zwischen Wegbegleitern, weil du das Wort Freunde zu tief in deinem Blut verkettet hast und es sich in deine Handfläche brennt, wenn du die Finger darum schließt, irgendwo zwischen Wegbegleitern und diesem unsauberen, chaotischen Weg, dem du schöne Handschrift geben kannst, morgen, wenn keine Feuerwerkfunken mehr im Ozean ertrinken. Heute atmest du einfach nur aus.

*

Zugrattern in der Nacht.

Manchmal vergisst du, das auch an Silvester noch Züge fahren, aber das Feuerwerk verwischt vor den beschlagenen Zugfenstern. Du hast die Finger zwischen die Seiten deines Notizbuches geklemmt, der Einband durchzogen von Rissen. Aus deinen Kopfhörern dringt Musik und du fährst den haarfeinen Riss in deinem Handybildschirm mit den Fingern nach, vorsichtig, während The Front Bottoms von einer Emotion singen, die sich genauso scharfkantig anfühlt wie Liebe für dich klingt. Die Szene ist durchzogen von Einsamkeit, weil das Zugabteil leer ist und der Zug irgendwo ins Nirgendwo fährt, weil du es auch nicht so wirklich weißt, aber die Einsamkeit ist noch nicht bei dir angekommen. Du zeichnest Kreise auf die Polster der Sitze, starrst an die Zugdecke, auf deine ausgebleichten blauen Chucks, während ihr Tunnel und Felder passiert, während deine Playlist, die nicht so wirklich dir gehört, zu Ende geht und wieder von vorne beginnt. Die Uhr auf deinem Handy zeigt 00:02 an, und du lehnst den Kopf an die Scheibe, bis du das Zugrattern in den Knochen spürst.

Du bleibst sitzen, bis die Einsamkeit dich doch einholt, brichst sie in Stücke und flechtest sie in deine Rüstung ein, aber du bist nicht mehr so gut darin, wie du es mal warst, und der Gedanke zersplittert mit der Winterluft. Du verfütterst ihn an die Bahngleise. Siehst stattdessen den Feuerwerken dabei zu, wie sie Neuanfang an den Himmel schreiben und dann verblassen, von dem Sonnenaufgang überschrieben werden, zu hellweißen Wintermorgenden, wie dunkle Wälder zu schneebedeckten Wiesen werden, raureifüberzogenen Dächer von vereinzelten Häusern.
Der Schnee knirscht unter den Sohlen deiner Schuhe, als der Zug dich an einem Bahnhof ausspuckt. Gelbes Fahrplanpapier wellt sich hinter Plastikscheiben, über die der Raureif auch gekrochen ist, und als du darüber streichst, fressen sich deine Fingerabdrücke in das Eis. Der nächste Zug in die nächste Stadt fährt am Nachmittag, der einzige Zug, der hier an Neujahr fährt, also beschließt du einfach, die Entscheidung zu akzeptieren. Folgst den Schneelinien durch die schlafenden Häuser, der Feuerwerksmüll, Überbleibsel der letzten Nacht, Fußnoten von Neuanfang, der zerknüllt auf dem Asphalt zurückbleibt. Der Brunnen auf dem Dorfplatz ist gefroren, Centstücke am Grund unter klarem Eis, Stasis.

Du setzt dich auf den Brunnenrand. Irgendwo in der Ferne zwitschern Vögel, dumpf, als hätte der Winter sie vergessen und ausgeklammert. Alle Feuerwerksfunken sind ausgeglüht und verloschen, und der Morgen schlingt mit erschreckender Klarheit seine Arme um dich. Du bist nicht sentimental genug, um dich an den Ozean zurückzuwünschen, aber ein Teil von dir tut es trotzdem. Du fragst dich, wo dieses Jahr dich hinführen wird, und die Frage fühlt sich kristallklar und scharfkantig an, weil du sie manchmal in den falschen Momenten stellst.
Irgendwo geht die Sonne auf, auch wenn sie hier schon aufgegangen ist. Du atmest aus, und dein Atem ist eine Imitation von Feuerwerksrauch, blasse Nebelwolken in der Luft. Irgendwo geht das Jahr zu Ende, obwohl es hier schon zu Ende gegangen ist.
Du atmest aus.
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