Originalgeschichte.
Zusammenfassung: Jo glaubt seinen Traummann gefunden zu haben: gutaussehend, reich und gut im Bett. Und er scheint seine Gefühle zu erwidern. Einziges Problem: Robert ist gut zwanzig Jahre älter als er, hat eine Frau und zwei Kinder...
Warnungen: Yaoi, M/M, 18+
2 Monate später
Am liebsten hätte ich mein Handy gegen die Wand gepfeffert, so sauer war ich. Ich konnte die Leier einfach nicht mehr hören.
Seine Frau wurde langsam immer misstrauischer. Er musste vorsichtig sein. Es wäre besser, noch bis zum Wochenende zu warten. Also bis zum nächsten, nicht bis zu diesem. Ja, wir hatten uns bereits seit fünf Tagen nicht gesehen, aber wenn er nicht aufpassen würde, würden wir uns möglicherweise überhaupt nicht mehr sehen können. Ich solle seine Situation doch versuchen zu verstehen. Er könne es einfach nicht riskieren.
Bla bla bla.
Tränen der Wut stiegen mir in die Augen, als ich mich entkräftet aufs Sofa fallen ließ. Meine ganze Energie schien mir in dem Streitgespräch eben abhanden gekommen zu sein. Dabei hatte ich mich so gefreut, nach den endlosen fünf Tagen wieder seine Stimme zu hören. Ich hatte mir schon wieder alle möglichen absurden Szenarien ausgemalt- er habe mich vergessen, habe beschlossen, den Kontakt zu mir abzubrechen, seine Frau hätte irgendetwas herausgefunden und so weiter. Wie jedes Mal. So erleichtert ich auch war, endlich mit ihm zu sprechen, so erbarmungslos krachte die Realität wieder auf mich herein als er entschuldigend erklärte, er habe sich nur kurz melden wollen, damit ich mir keine Sorgen mache. Treffen könne er sich diese Woche aber nicht mehr, das wäre zu leichtsinnig.
Gewiss, das hatte seine Gründe, und ich war nicht ganz unschuldig. Wir waren ziemlich unvorsichtig gewesen und das zahlte sich nun aus.
Vor zwei Wochen war ich bei ihm gewesen, seine Frau war zusammen mit einer Freundin zu einem Spa-Wochenende gefahren und sein Sohn war über Nacht auf einer Party, was laut Robert bedeutete, dass er nicht vor dem Morgengrauen zurück sein würde.
Alles war gut gelaufen, wir hatten uns einen Film angesehen, jede Menge Wein getrunken und Sex auf dem Teppich im Wohnzimmer gehabt.
Als ich jedoch am nächsten Tag meinen Personalausweis gesucht hatte, hatte ich gemerkt, dass er mir wohl aus der Hosentasche gefallen war. Nachdem ich eine Weile mit mir gerungen hatte, hatte ich mich doch trotz Roberts Bitte, dies möglichst nicht zu tun, dazu entschlossen, ihn auf dem Handy anzurufen.
Er war ganz aufgelöst gewesen, hatte mir berichtet, seine Frau hätte meinen Perso beim Putzen gefunden. Einen Moment lang war mir ganz anders geworden, ich hatte unsere kleine, unstete Welt schon in ihren Grundfesten zusammenstürzen sehen, als er mich beruhigt hatte. Er habe eine einigermaßen plausible Ausrede gefunden, dass es womöglich ein Freund ihres Sohnes gewesen war oder irgend so etwas.
Dennoch, wenn Misstrauen einmal geweckt war, hatte er gemeint, solle man es nicht schüren. Wir müssten von nun an ganz, ganz vorsichtig sein.
„In Ordnung“ hatte ich entgegnet und seitdem war unsere ohnehin schon klammheimliche Beziehung noch verlogener, noch vertuschter geworden, Robert noch ängstlicher und unsere Treffen noch seltener.
Natürlich ging mir das alles gegen den Strich, aber es war immer noch besser, als ihn nicht mehr zu sehen, redete ich mir zumindest ein.
Obwohl die Zeit vergangen war, hatte dies nichts an meinem Empfinden ihm gegenüber geändert. Noch immer versetzte er mich gleichermaßen in Ekstase und ich konnte nicht genug von ihm kriegen, ganz gleich wie widrig die Umstände auch waren. Immer noch sehnte ich unsere Treffen herbei und der ganze schale Rest meines Lebens wurde neben ihnen unwichtig und banal. Immer noch konzentrierte sich mein Leben auf ihn und das Wenige, das wir hatten.
Paul beschwichtigte ich damit, dass ich mich gelegentlich doch opferte, mit ihm auf die Piste zu gehen, ab und an hatte ich ihm zuliebe sogar einen Typen abgeschleppt. Natürlich hielt sich meine Begeisterung dafür nach wie vor in Grenzen, aber immerhin musste ich mir so nicht ständig blöde Kommentare anhören und konnte meine Beziehung mit Robert weiterführen, als wäre es das Normalste der Welt.
So ging alles seinen Lauf, mit wenigen Höhen und vielen Tiefen.
Gerade war wieder einer dieser Tiefpunkte und ich hatte mich noch nicht ganz davon erholt. Bis zum übernächsten Wochenende. Das waren noch... eineinhalb Wochen. Fünf endlose Tage hatte ich schon hinter mir. Verdammt, wieso konnte ich mich auch einfach nicht daran gewöhnen, ohne hin zu sein?
Immerhin hatte inzwischen die Uni wieder angefangen und ich war nicht mehr ganz so unausgelastet. Ich hatte sogar eine Methode entdeckt, mir so viel Arbeit aufzuhalsen, dass ich einfach keine Zeit mehr hatte, an ihn zu denken.
Was natürlich auch nicht immer so effektiv funktionierte, wie ich es mir gewünscht hätte.
Seufzend griff ich nach dem Telefon. Paul jetzt anzurufen war zwar nur eine mäßig gute Idee, aber ich musste mich ja irgendwo ausheulen.
„Hey“ begrüßte er mich. „Was gibt’s?“
Ich merkte schon an seinem Tonfall, dass er etwas Derartiges erwartete. Schließlich rief ich in letzter Zeit hauptsächlich wegen Robert an, was mir in diesem Moment einmal wieder bewusst wurde.
„Ach nichts. Bin irgendwie grad mal wieder genervt.“
„Hat er dich abserviert, hm?“
„Was? Nein.“
„Aber er hat keine Zeit mehr für dich diese Woche?“
Ich zögerte ein wenig, das zuzugeben, obwohl er genaugenommen genau ins Schwarze getroffen hatte. „Na ja..“ meinte ich schließlich. „Nächste Woche auch nicht.“
„Ach du meine Güte“ seufzte Paul. „Ich würde dir ja gerne eine Anstandspredigt halten, aber... oh man, das ist scheiße. Magst du vorbeikommen?“
„Hm, ok.“ Ehrlich gesagt hatte ich auf dieses Angebot gehofft. Es schien mir mittlerweile unerträglich, alleine zu Hause zu sitzen und Liebeskummer zu schieben.
„Alles klar, Süßer, dann werf ich mal ne Pizza in den Ofen, falls du noch nicht gegessen hast?“
„Nein, hab ich nicht.“
„Gut, schon so gut wie erledigt. Bis gleich. Kommst du mit der Straßenbahn?“
„Wie sonst?“
Paul lachte kurz. „Ok, lass den Kopf nicht hängen. Wir sehen uns ja gleich.“
„Danke“ entgegnete ich noch ein wenig demütig. Ich rechnete es ihm hoch an, dass er mich jedes Mal in meinen depressiven Phasen ertrug und sich mein endloses Geheule so geduldig anhörte. Schließlich hätte er ja auch konsequent sein können und bestimmen, dass wenn ich so dumm wäre, eine solch unbedachte Affäre einzugehen, ich auch alleine mit den Problemen fertig werden müsse, vor allem, wenn ich nicht auf seine Ratschläge hörte. Stattdessen war er nach der ganzen Zeit immer für mich da. Tatsächlich hatte ich das Gefühl, dass es ihm fast ein wenig Spaß machte, die Kummerkastentante zu spielen. Irgendwie schien er eine Art unterdrückten Mutterinstinkt zu haben, den er an mir auslebte.
„Nichts zu danken“ entgegnete er nonchalant. „Komm einfach und dann kriegst du ein wenig Paul-Power.“
Ich musste wieder lachen, dann verabschiedeten wir uns und ich legte auf. So schnell ich konnte warf ich mich in akzeptable Klamotten, stylte mir ein wenig die Haare, dass man mir meine latente Depression nicht ansah und legte sogar einen Hauch Parfum auf. Das alles waren schließlich Grundprinzipien. Mit den Haaren hatte ich am meisten Ärger, da sie sich gerade jetzt weigerten, so fransig ins Gesicht zu fallen, wie ich sie haben wollte.
Irgendwann gab ich es auf und beschloss, dass es mir einfach egal sein würde, wie ich aussah. Ich krallte mir Geldbeutel, Hausschlüssel und Handy (falls Robert es sich doch noch anders überlegen würde) und ging zur Straßenbahn.
Paul wohnte nur drei Stationen von mir entfernt, eigentlich hätte ich die Strecke laufen können, aber heute fühlte ich mich körperlicher Ertüchtigung absolut nicht gewachsen. Er wohnte im dritten Stock einer Altbauwohnung, die er sich mit Dennis teilte, einem anderen Studenten. Er war einer der wenigen Heteros, die wirklich nicht das geringste Problem mit Schwulen hatten, und nicht nur so taten, als ob, während sie insgeheim jede Sekunde in ihrer Nähe befürchteten, man könne sie anfallen und vergewaltigen. Ich mochte Dennis und auch seine Freundin, die ironischerweise Denise hieß, und die ziemlich häufig vorbeikam. Die beiden witzelten die ganze Zeit darüber, dass sie eigentlich nur wegen ihrem Namen zusammenwaren und ihre Kinder eines Tages auch Dennis und Denise nennen würden.
Als ich klingelte und Paul mich zur Begrüßung fest drückte, war jedoch keine Spur von Dennis zu sehen. Paul schloss die Tür hinter mir und schob mich ins Wohnzimmer.
„Pizza dauert noch nen kleinen Moment, aber ich habe eine im Ofen. Setz dich. Magst du irgendwas? Bier? Was Hartes?“
„Bier wäre gut. Was Hartes vielleicht später... aber eigentlich habe ich morgen Uni, von dem her wäre es nicht so klug.“
„Ich dachte freitags hast du nichts?“
„Doch, natürlich. Tutorium und ein Seminar... das war aber schon immer so.“
Paul sank auf das Sofa und sah mich fragend an.
„Ich dachte, du hast Freitag frei, weil du dich donnerstags immer total abgeschossen hast. Früher, versteht sich.“
Er hatte sich angewöhnt, die Zeit vor Robert als „früher“ zu bezeichnen, als wäre sie schon Jahre her und er könne sich kaum noch daran erinnern. Ich wusste nicht, ob er das absichtlich tat, um mich unterschwellig zu ermahnen oder ob es ihm gar nicht bewusst war. Auf jeden Fall ließ mich diese Formulierung jedes Mal innerlich zusammenzucken.
„Ja, das war aber auch letztes Semester“ klärte ich ihn auf und setzte mich neben ihn aufs Sofa. Das Wohnzimmer war etwas, was mir am besten an der Wohnung gefiel. Nur wenige WGs hatten ein zusätzliches Aufenthaltszimmer. Paul und Dennis hatten es ziemlich gemütlich eingerichtet und hingen auch meistens dort herum, insofern sie zu Hause waren.
„Ach so. Na ja... wahrscheinlich würdest du dich unter anderen Umständen immer noch donnerstags abschießen.“
„Siehs doch mal so“ entgegnete ich mit einem schwachen Grinsen. „Immerhin ist mein Alkoholkonsum in den letzten Monaten rapide zurückgegangen.“
„Ja, aber um welchen Preis“ tötete Paul den halbherzigen Versuch eines Scherzes.
„Ach komm“ seufzte ich. „Reden wir über was anderes.“
„Wow, was ist denn mit dir los?“ fragte Paul mich verwundert mit hochgezogenen Augenbrauen. „Das aus deinem Mund?“
Ich zuckte nur mit den Achseln. Das war in der Tat eine neuere Entwicklung. In letzter Zeit stellte ich immer häufiger fest, dass mir das Thema nach einiger Zeit leid wurde. Vorher hatte ich mich stundenlang darüber auskotzen können, wie furchtbar das alles war und wie sehr ich unter Roberts Abwesenheit litt, aber nun schien sich nach einiger Zeit in meinem Hirn ein Schalter umzulegen. Der Schalter zur Resignation. Ein Teil von mir hatte begonnen, zu akzeptieren, dass es so war wie es war und sich nie ändern würde. Vielleicht war ich endlich dabei, abzustumpfen. Das hätte ich wirklich begrüßt.
„Ich seh mal nach der Pizza“ meinte Paul und machte sich auf den Weg in die Küche. „Magst du sie kross oder eher nicht so?“ rief er kurz darauf.
„Nicht so“ rief ich zurück. „Ich mag sie ein bisschen schlabbrig lieber.“
Er kam grinsend mit einem Teller Pizza aus der Küche und drückte sie mir zusammen mit Messer und Gabel in die Hand.
„Schlabbrige Pizza?“
Ich lachte. „Ich mag das nicht, wenn sie so braun und knusprig ist. Damit kannst du mich jagen. Total furchtbar.“
„Na ja, ich lasse meine noch ein bisschen drin“ entgegnete er und sah mir dabei zu, wie ich die Pizza in kleinere Teile zu zerschneiden begann.
„Sag mal... gibt es eigentlich eine Möglichkeit, deinen Robert mal kennenzulernen? Manchmal glaube ich, er ist nur ein Geist, den du dir einbildest.“
„Na das wäre ja mal was“ murmelte ich entrüstet, während ich die Pizza schnitt. „Ich bekomme ihn ja so schon kaum zu Gesicht... da habe ich kaum noch Zeit, ihn meinen Freunden herumzuzeigen.“
„Ja, aber ihr macht ja auch manchmal was, oder? Da könnten wir ja auch mal alle zusammen was unternehmen.“
„Paul, er ist über vierzig, da kann ich ihn doch nicht zu so nem Haufen durchgeknallter Jungs mitnehmen. Das wäre ja nur unangenehm.“
Er seufzte. „Es müssen ja nicht alle mitkommen. Aber ich und vielleicht Christoph oder so. Mit dem habe ich mich letztens unterhalten und wir haben festgestellt, dass wir, obwohl wir uns ständig einen halben Roman über den Typ anhören müssen, gar nicht wissen, wie er ist, wie er aussieht, wer er ist...“
Daher wehte also der Wind. Christoph, ein guter Freund von uns, hatte also mit Paul zusammen den Plan ausgeheckt. Fast war ich versucht, ein wenig sauer zu werden, doch dann bemerkte ich, dass er ja eigentlich recht hatte.
„Wir gehen eigentlich so gut wie gar nicht mehr weg“ versuchte ich mich also aus der Affäre zu ziehen. „Er hat immer Angst, dass ihn jemand sieht mit mir.“
„Oh man“ kam es matt von Paul. „Was macht ihr dann, wenn ihr euch seht?“
„Na ja...“
Ich ließ die Antwort unausgesprochen, er wusste sicher, was ich meinte. Das genervte Rollen seiner Augen, während ich mir das erste Stück Pizza in den Mund schob, bestätigte dies.
„Wenn ihr nur die ganze Zeit fickt kennst du ihn ja gar nicht.“
„Wir ficken nicht nur. Wir reden auch oft ziemlich lange... schauen Filme oder so. Eben alles zu Hause. Außerdem kenne ich ihn noch von vorher aus der Firma. Auf jeden Fall kenne ich ihn sicher besser als du deine ganzen Zweitagesbeziehungen.“
„Ja, aber denen renne ich ja auch nicht hinterher wie ein Geisteskranker“ gab Paul murmelnd zurück, als wäre er sich gar nicht sicher, ob er wolle, dass ich das hörte. „Na ja“ fügte er dann lauter hinzu. „Dann nimm ihn doch mal mit ins Odeon- da kennt er doch sicher keinen. Oder hat er irgendwelche schwulen Bekannten?“
Mein erster Impuls war, seine Idee als absolut hirnrissig zu verlachen. Doch als ich sie mir ein zweites Mal durch den Kopf wandern ließ, ging mir auf einmal auf, dass sie an sich gar nicht so schlecht war. Wenn es einen Ort gab, an dem wir vor Arbeitskollegen oder Familienmitgliedern seinerseits sicher waren, dann war es sicher ein Schwulenclub.
„Hm...“ entgegnete ich nachdenklich. „Ich weiß nicht, was er davon hält. Aber ich kann ihn ja mal fragen.“
„Tu das!“ erwiderte Paul eifrig. „Ich bin doch zu neugierig auf ihn.“
„Aber wehe, du hältst ihm eine Predigt oder machst ihm klar, dass er mich lieber abservieren soll oder so was“ ermahnte ich ihn. Paul würde ich so etwas beinahe zutrauen.
„Ach quatsch“ zerstreute er meine Sorgen. „Was denkst du denn von mir? Ich will nur mal den Mann treffen, der meinem besten Freund so den Kopf verdreht hat, dass er sich wie ein liebeskranker Vollidiot verhält. Der muss ja ganz besonders toll sein.“
Ich zuckte mit den Achseln und kaute auf meiner Pizza. „Erwarte nur nicht zu viel“ murmelte ich mit vollem Mund.
„Na ja, wir werden sehen... bisher fand ich deinen Geschmack eigentlich ganz gut.“
Er erhob sich. „Ich schau mal nach meiner Pizza.“ Mit großen Schritten verschwand er in der Küche und kam nach kurzem Herumwerkeln ebenfalls mit einem Teller daher, auf dem eine schon leicht an gekokelte Pizza lag.
Ich verzog das Gesicht. „Buah, wie kannst du die nur so essen?“
„Ey, die muss knusprig sein, nur so schmeckt sie“ gab Paul leicht entrüstet zurück und machte sich an die Vernichtung des vermeintlichen Prachtstücks.
„Sag mal“ murmelte er nach einer Weile, bevor er einen großen Brocken herunterschluckte. „Das ist jetzt vielleicht komisch, aber ich wollte dich das schon lange mal fragen... bist du eigentlich in den Typ verliebt?“
Ich verschluckte mich beinahe. Entgeistert starrte ich ihn an.
„In Robert?“
„Sag mal, wer sonst?“
Gut, meine Gegenfrage war mehr als überflüssig und eindeutig deshalb gestellt worden, um Zeit zu schinden. Die Frage hatte mich absolut unvorbereitet getroffen. Ich, verliebt? Ich war noch nie verliebt gewesen. Noch nicht ernsthaft. Ein paar kleine Schwärmereien hier und da, bestimmt. Doch verliebt? In Robert?
„Sag doch mal was“ kam es schließlich unsicher von Paul. „Du tust, als hätte ich dir eine total schwere Frage gestellt. Ist doch ganz einfach. Bist du verliebt oder nicht?“
„Ich... ich weiß es nicht“ kam es zögerlich von mir.
Nun starrte Paul mich an. „Wie? Wie kann man denn so was nicht wissen?“
Ich verdrehte genervt die Augen. „Sag mal, wenn du meine Antwort nicht akzeptierst, wieso fragst du dann?“
Er zuckte mit den Achseln. „Ich dachte, das weiß man.“
„Nein, ich eben nicht.“
Ich versuchte ihm, mit meinem Tonfall unmissverständlich zu verstehen zu geben, dass ich das Thema für beendet hielt. Doch mein Kopf arbeitete natürlich weiter.
Ich war absolut hin und weg von ihm, meine Gedanken waren beinahe ständig bei ihm. Jede Sekunde ohne ihn kam mir wie eine Qual vor, und kaum verließ er mich, wünschte ich mir schon wieder, ihn bei mir zu haben. Ich sagte meine Termine für ihn ab, versetzte meine Freunde, vernachlässigte mein Sozialleben. Er war zum Mittelpunkt meiner Gedankenwelt und meines Terminplans geworden, sogar Lehrveranstaltungen hatte ich für ihn schon ausfallen lassen. Mein Körper verzehrte sich nach ihm, wenn er bei mir war, konnte ich nur mühsam meine Finger von ihm lassen.
Bestimmt.
Doch hieß das, dass ich verliebt war?
„Ich... ich weiß doch selber nicht, was mit mir los ist“ begann ich dann doch wieder zögerlich. „Ich kenne mich so überhaupt nicht, ich war noch nie so.“
„Also ehrlich gesagt“ entgegnete Paul, „zeigst du alle Symptome für exzessive Verliebtheit, mein Lieber. Ich glaube, du kannst es nur nicht zugeben. Aber stell dir mal vor, das Gleiche wäre dir jetzt bei nem Typ passiert, der nicht verheiratet wäre und... vielleicht auch nicht sechsundvierzig wäre. Dann würdest du sicher sagen, dass du verliebt wärst. Es ist eben Ironie des Schicksals, dass es dir ausgerechnet bei einem Typ passiert, den du nicht haben kannst.“
„Weißt du“ seufzte ich und schob meinen halbleeren Teller weg, da mir der Hunger mittlerweile vergangen war. „Manchmal glaube ich, dass mir das bei einem Typ, der nicht so unerreichbar wäre, gar nicht passiert wäre. Vielleicht ist das gerade der Reiz des Ganzen- dass ich ihn niemals wirklich haben kann.“
Paul runzelte die Stirn und sagte einige Sekunden lang nichts.
„Dann wärst du aber ziemlich komisch.“
„Vielleicht bin ich das“ antwortete ich nur.
Wir schwiegen, bis Paul mit seiner Pizza fertig war. Eigentlich war ich ihm ziemlich dankbar, dass er nichts sagte und auch ich nicht reden musste. Die Gedanken rasten nur so durch meinen Kopf und ich war im Moment absolut nicht imstande, sie zu ordnen. Es war nicht so, dass ich mich mit dem Phänomen Robert noch nicht beschäftigt hatte, sonder lediglich, dass ich zu keinem Schluss kam. Die Faszination, die er auf mich ausübte, war für mich selbst unerklärlich.
Nach einer Weile wurde unser Schweigen plötzlich von einem Schlüssel im Schloss und munterem Geplapper unterbrochen.
„Das ist glaube ich Dennis“ informierte Paul mich. „Er hatte vorhin Handballtraining.“
Die Haustür öffnete sich und ich vernahm die Stimme von Dennis und eine andere, die auch einem Typ zu gehören schien.
„Man, so ein Vollspaten“ lachte Dennis laut. „Ich weiß echt nicht, was mit dem Typ los ist.“
„Ja, aber er wird uns auf jeden Fall noch eine Weile erhalten bleiben“ antwortete die andere Stimme.
Dann ging die Tür zum Wohnzimmer auf und Dennis steckte den Kopf herein. Er hatte lange blonde Locken, die zu seiner länglichen Kopfform irgendwie nicht passten. Mit kurzen Haaren sah er weitaus besser aus, aber in der Regel war er zu faul, um zum Friseur zu gehen. So trug er fast immer, wenn ich ihn sah, diese furchtbare Matte.
„Hey, ihr zwei“ begrüßte er uns und betrachtete uns verwundert. „Was passiert? Ihr guckt, als kämt ihr grade von ner Beerdigung.“
„Nichts“ rette Paul mich. „Jo ist ein bisschen im Stress wegen seiner Bachelorarbeit, die er grade schreiben muss.“
„Ach so.“ Dennis nickte und war offenbar zufrieden mit der Begründung. Er kam ins Zimmer und hinter ihm folgte der Typ, zu dem wohl die andere Stimme gehörte.
Ich hatten selten jemand gesehen, der so groß war, aber nicht in irgendeiner Weise schlaksig wirkte oder so, als käme er mit seinen langen Gliedmaßen nicht zurecht. Bei dem Exemplar jedoch, das hinter Dennis ins Wohnzimmer trat und sich auf einem Sessel niederließ, war beides nicht der Fall. Er war sicher eins neunzig, wirkte aber sehr sportlich und bewegte sich mit einer Eleganz, die für ein sportliches Dasein sprach. Sonst sah er eher unspektakulär aus, braune, relativ kurze Haare, die sich leicht kräuselten und sicher lockten, wenn er sie länger trug, und wache Augen, die im Raum umher huschten und dann an uns hängen blieben.
„Das ist Michi“ stellte Dennis vor. „Er ist mit mir im Handball.“
„Hey“ begrüßten wir ihn fast unison und er antwortete mit einem beiläufigen: „Hey... wer von euch ist jetzt der Mitbewohner?“
„Das ist Paul“ erklärte Dennis an dessen Stelle. „Und das ist Jo, sein Kumpel. Willst du ein Bier?“
„Gerne.“
Schüchternheit schien keines seiner Probleme zu sein, er schien sich sofort in seiner neuen Umgebung wohl zu fühlen. Er war wohl einer dieser übersicheren Typen und in meinem Zustand fühlte ich, dass ich es nur schwer würde ertragen können, mich mit ihm zu unterhalten.
Paul begann sofort, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, fragte ihn, wie lange er schon Handball spiele, wie es ihm im Team gefiel und so weiter und so fort. Belangloses Zeug. Ich lehnte mich zurück und hörte dem Gespräch passiv zu. Ich hatte absolut keinen Nerv für Smalltalk.
Dennis kam mit zwei Flaschen Bier aus der Küche zurück und reichte eine von beiden Michi.
„Hey, Jo, möchtest du vielleicht auch eins? Du siehst irgendwie so aus, als könntest du eines gebrauchen.“
Ich grinste ihn an, immerhin hatte er die Situation richtig erkannt. „Ja, gerne. Paul hat mir vorhin auch eins angeboten, aber irgendwie hat er verpeilt, mir dann auch eines zu geben.“
„Oh, sorry“ entschuldigte sich Paul. „Ist mir ganz entgangen vor lauter Pizza und... Bachelorarbeit.“
Als ich zu Michi sah, fiel mir auf einmal auf, dass er mich interessiert musterte, als hätte er auf einmal eine bahnbrechende Erkenntnis gehabt.
„Sag mal, haben wir uns irgendwo schon mal gesehen?“ fragte er mich aus heiterem Himmel. „Du kommst mir irgendwie bekannt vor.“
Ich runzelte die Stirn. Wenn ich eines mit Sicherheit sagen konnte, dann, dass ich ihn sicher noch nicht vorher gesehen hatte. „Nicht, dass ich wüsste“ antwortete ich also.
„Hm, kann auch sein, dass ich dich irgendwie verwechsele“ meinte er nachdenklich und zuckte ein wenig mit den Achseln.
„Wahrscheinlich“ sagte ich nur und damit war das Thema für mich abgeschlossen. Inzwischen hatte Dennis auch mir eine Flasche Bier gereicht und ich nahm mir vor, sofort zu gehen, wenn ich sie fertig getrunken hatte.
„Was machst du denn so?“ fragte Paul Michi schließlich. „Studierst du auch?“
„Nein, ich mache jetzt Abi.“
Ich betrachtete ihn erstaunt. Er sah gar nicht wie ein Oberstufler aus, ich hätte ihn auf alle Fälle für einen Student gehalten. Wobei das ja manchmal schwer zu sagen war.
„Was?“ meinte auch Paul verwundert. „Hätte ich gar nicht gedacht.“
Er grinste. „Ja, höre ich oft. Nur, weil ich groß bin, heißt das nicht, dass ich auch alt bin.“
„Es kommt ja auf das geistige Alter an“ warf Dennis ein. „Und Michi ist auf jeden Fall sehr reif. Ganz erwachsen.“
Michi grinste auf seinen ironischen Unterton hin. „Jaja, das sagt der Richtige. Ich hab dich schon betrunken gesehen, also kannst du mir nichts mehr erzählen von wegen reif und erwachsen.“
Daraufhin begannen uns die beiden, mit ihren Trinkgeschichten zu belustigen und sich während dem Erzählen darüber halb tot zu lachen. Ich lachte anstandshalber an Stellen, die mir halbwegs lustig erschienen und trank dabei mein Bier so schnell, dass mir schlecht wurde. Als sie mit den Saufgeschichten fertig waren, begannen sich alle bis auf mich über Schule und Uni zu unterhalten. Ich erfuhr, dass Michi Sportabi machen würde, dass er Englisch absolut zum Kotzen fand, aber schon einsehe, es lernen zu müssen, dass Paul und Dennis damals beide Mathe gehasst hatten und sich irgendwie mit relativ wenig Aufwand durchs Abi gemogelt hatten, ließ weitere nur sekundär wichtigen Informationen an mir herunter rieseln und beobachtete die drei dabei, wie sie sich über dieses oder jenes aufregten oder amüsierten.
„Alles klar?“ fragte Paul mich irgendwann. „Du sagst ja gar nichts.“
Ich zuckte nur mit den Achseln. „Ne, schon in Ordnung. Bin nur müde, ich glaube ich gehe jetzt dann heim.“
„Schon?“ meinte Dennis entrüstet. „Dabei bist du nur noch voll selten hier.“
Ich machte ein entschuldigendes Gesicht. „Ja, ist gerade ein wenig stressig. Wenn der ganze Unikram fertig ist, dann komme ich wieder öfter.“
„Hey, wenn du magst, können wir auch in mein Zimmer gehen“ sagte Paul alarmiert. Offenbar erkannte er, was das Problem war.
„Nein, nein, schon gut.“ Ich schüttelte den Kopf. „Ich bin einfach irgendwie fertig. Am besten gehe ich jetzt heim und penn ein bisschen.“
„Gut, wie du willst“ entgegnete er skeptisch und erhob sich dann zusammen mit mir, um mich zur Tür zu bringen. Ich winkte den beiden anderen kurz zu und verließ den Raum mit einem knappen: „Bis dann.“
„Hey, ist das wirklich ok?“ fragte mich Paul leise, als wir im Flur standen und ich meine Schuhe anzog.
„Ja, keine Sorge. Ich hab nur nicht so Bock auf Leute grade. Du und Dennis, das wär schon ok... aber irgendwie ist mir grad nicht so nach Reden.“
„Sorry, ich dachte, es würde dir gut tun, ein bisschen unter Leuten zu sein... ruf an, wenn du irgendwas brauchst.“
Ich nickte, umarmte ihn kurz zum Abschied und schloss dann die Tür hinter mir.
...
Er runzelte die Stirn, aber das überraschte mich nicht, denn ich hatte schon erwartet, dass er nicht begeistert sein würde.
„In was für einen Club denn?“
„Er heißt Odeon. Wir gehen schon lange da hin, um... du weißt schon.“
„Hm?“
„Na, jemand abzuschleppen für die Nacht.“
„Und da kommen wirklich nur Schwule hin?“
„Na ja, fast“ grinste ich und schlang die Arme um ihn. Ich hatte ihn vermisst. Es war über zwei Wochen her, dass wir uns gesehen hatten, so lange wie noch nie. „Ab und zu kommen auch ein paar Heteros, klar. Aber ich denke niemand, den du kennst. Also riskanter, als zum Chinesen zu gehen, um etwas zu essen zu kaufen, ist es nicht.“
Er strich mir sanft mit den Fingern durchs Haar und ich ließ sogar zu, dass er mir die Frisur zerstörte. Ein breites Grinsen lag auf meinem Gesicht und ich presste mich glücklich an ihn. Er fühlte sich so gut an.
„Ich überlege es mir“ sagte er schließlich nach einem Moment, um mich dann innig zu küssen, so dass mir schwindelig wurde. Einen kurzen Augenblick ließ ich mich fallen, dann kam mir auf einmal in den Sinn, dass es möglicherweise ein Ablenkungsmanöver war.
„Aber wirklich!“ ermahnte ich ihn. „Weißt du... ich möchte einfach mal mit dir wohin gehen. Wir verkriechen uns immer in diesem Zimmer hier... ich möchte der Welt zeigen, dass wir zusammen sind, auch, wenn es nur ein kleiner Teil der Welt ist.“
Er lachte kurz und presste mich kurz an sich. „Du hast recht“ flüsterte er in mein Ohr und küsste mein Haar darüber. „Ich würde auch so gerne mit dir herumspazieren... Hand in Hand... das wäre toll.“
Seine Stimme dabei klang verträumt und zärtlich und die Schmetterlinge in meinem Bauch begannen wieder, wild umherzuflattern.
Wir lagen zusammen in seinem Bett, schweißgebadet, nach überwältigendem Sex. Er hatte mich beinahe umgehauen. So scharf waren wir nach der langen Zeit ohne einander gewesen, dass wir uns zunächst nicht einmal mehr die Kleider ausgezogen hatten. Er hatte mir die Hose heruntergerissen und mich kniend von hinten genommen, ich war gekommen wie selten zuvor.
Dann hatten wir uns langsam entkleidet und dann noch einmal miteinander geschlafen, diesmal zärtlicher und länger. Seine sanften Hände hatten mich fast in den Wahnsinn getrieben, er hatte mich gestreichelt und geküsst, bis ich ein wimmerndes, bettelndes Bündel unter ihm gewesen war, und ihn angefleht hatte, mich endlich zu nehmen.
Nun genossen wir die ruhige Trägheit, die uns nach der zweiten Runde Sex befallen hatte, liebkosten unsere nackte Haut und küssten uns hin und wieder innig. Es war so schön, einfach nur in seinen Armen zu liegen und seinen Geruch in mir aufzunehmen, so schön wie alles mit ihm.
Das Fenster stand weit geöffnet und ich hörte von draußen den weit entfernten Verkehrslärm, schwatzende Fußgänger und das Gezwitscher der Vögel. Es wehte schon ziemlich kühle Abendluft herein, aber es tat gut, es kühlte meinen erhitzten Körper und mein erhitztes Gemüt.
Meine Finger wanderten über seinen Hals bis zu dem kaum merklichen Flaum auf seiner Brust, durch den ich fasziniert hindurch fuhr. Ich selbst war an dieser Stelle absolut unbehaart, deswegen hatte mir Brusthaar bei Männern immer gefallen.
„Ich habe dich vermisst“ murmelte er und ich sah ihn überrascht an. Es war selten, dass er solche Dinge offen äußerte, obwohl ich es natürlich in seinen Gesten schon bemerkt hatte.
„Ich dich auch“ antwortete ich wahrheitsgemäß. „Ich habe an fast nichts anderes gedacht. Versprich mir, dass es nicht so lange dauert, bis wir uns das nächste Mal sehen.“
„Das kann ich dir nicht versprechen“ sagte er und in seiner Stimme schwang Bedauern mit. „Aber heute haben wir immerhin die ganze Nacht zusammen, und morgen früh. Wir können frühstücken und ich hole Brötchen. Wie hört sich das an?“
„Das ist toll“ seufzte ich begeistert. Allein der Gedanke, heute mit ihm einzuschlafen und morgen früh mit ihm aufzuwachen, war überwältigend. Seine Tochter hatte eine Ballettaufführung, zu der seine Frau gefahren war und seinen Sohn genötigt hatte, mitzukommen, da Robert sich mit viel Arbeit rausgeredet hatte und sie nicht alleine hatte fahren wollen. Das bedeutete, wir hatten das Haus bis morgen früh für uns, da die Aufführung irgendwo in der Pampa war und sich seine holde Gattin daher für die Nacht in einem Hotel einquartiert hatte.
Immerhin, das war eine angemessene Entschädigung für die lange, qualvolle Abstinenz. Sicherlich war ich Paul und den anderen unendlich auf die Nerven gegangen und in Selbstmitleid versunken. Nun fühlte ich mich aber so lebendig wie nie zuvor, mit Roberts starken Armen fest um mich gewickelt. Ich fand es immer noch äußerst seltsam, in seinem Ehebett Sex zu haben, aber im Grunde war es mir egal, zumindest redete ich mir das ein.
„Und jetzt, was machen wir mit dem angefangenen Abend?“ fragte er und vergrub die Nase in meinem Haar. „Hast du Hunger?“
„Nein“ log ich. „Bleiben wir einfach so liegen, die ganze Zeit.“
Er lachte. „Das wäre doch ein bisschen langweilig auf die Dauer. Sollen wir einen Film gucken?“
Ich seufzte tief. „Ok, weil du es bist. Hast du noch Wein?“
„Einen ganzen Keller voll. Was für einen willst du denn?“
„Keine Ahnung... hol einfach irgendeinen. Ich kenne mich mit Wein überhaupt nicht aus, aber ich mag ihn. Er schmeckt nach dir.“
„Nach mir?“ Wieder bebte seine Brust vor Lachen. „Also gut. Lässt du mich aufstehen?“
Widerwillig gab ich seinen großen Körper frei und rollte mich faul auf dem Bett herum während er aufstand und sich Unterhose und Jogginghose überstreifte. Es war wirklich seltsam, hier zu sein. Auf dem Nachttisch standen Fotos seiner Kinder und Bilder ihrer Hochzeit, an der Wand hingen seltsame abstrakte Malereien und überall lagen Frauenkleider und BHs herum. Einerseits fand ich das alles natürlich furchtbar, aber irgendwie törnte es mich auch an. Es gab mir einen perversen Kick und natürlich eine gewisse Genugtuung, die ich selber nicht verstand. Was bewies ich denn damit? Seine Familie war immer noch Nummer eins, egal, wie hart er mich vor ihrem Bild vögelte.
„Kommst du?“ fragte er und gab mir einen Klaps auf den nackten Hintern, da ich mich auf den Bauch gedreht und er somit freien Zugang hatte.
„Hm“ nuschelte ich ins Kissen. „Hol erst mal den Wein.“
„Ich habe welchen in der Küche.“
Seufzend drehte ich mich herum und sah ihn an. Er stand da in seiner vollen Pracht, sein freier Oberkörper mit den harten Muskeln, von denen ich genau wusste, wie sie sich anfühlten. Herausfordernd streckte ich den Fuß aus und legte ihn auf seinen Schritt, wobei ich leicht begann, diesen zu massieren.
„Du siehst gut aus“ grinste ich zu ihm herauf.
Er gab ein gedämpftes Stöhnen von sich und ich musste all meine Willenskraft aufwenden, um nicht gleich wieder hart zu werden.
„Gönn dem alten Sack eine kleine Pause“ protestierte er und trat einen Schritt zurück, so dass mein Fuß ihn nicht mehr erreichen konnte.
„Na gut“ entgegnete ich kapitulierend und hüpfte aus dem Bett, um mir meine achtlos zu Boden geworfene Boxershort zu angeln und überzustreifen. Dann folgte ich Robert in die Küche, wo er zwei Weingläser aus einem Regal angelte und auf die Ablage stellte.
„Lieber spanischen oder kalifornischen?“
Ich zuckte mit den Achseln. „Ich habe doch keine Ahnung von Wein... mach eben spanisch, das klingt gut.“
Er grinste und angelte nach einer Flasche, die auf der Ablage über dem Kühlschrank stand. Es war verdammt sexy, wie er hier herumlief, so lässig und nur mit Jogginghose. Zudem gab es mir ein vertrautes Gefühl, als würden wir zusammen wohnen und einfach ganz normal den Abend zusammen verbringen. Diese Vorstellung fand ich so wunderschön, dass ich das Gefühl hatte, zu zerspringen. Natürlich hätte ich ihn nie gebeten, seine Familie zu verlassen, aber in diesem Moment war ich kurz davor.
Mit geübten Griffen öffnete er die Flasche mit dem Korkenzieher und goss uns beiden einen Schluck ein, bevor er mir mein Glas reichte.
„Auf den gelungenen Abend“ sagte er mit einem spitzbübischen Lächeln und wir stießen an.
„Und nun?“ fragte ich. „Film?“
Er nickte, dann stellte er sein Glas ab, griff nach meiner Hand und zog mich an sich.
Ich ließ dies willenlos geschehen, ebenso, dass er mich fest an seinen Körper presste. Ergeben legte ich meinen Kopf auf seine Schulter und spürte seine nackte Haut auf meiner. Jetzt gehörte er, zumindest für eine sehr kurze Zeit, nur mir.
„Schön, dass du da bist“ hörte ich es sanft und geflüstert an meinem Ohr. Ich legte meine Arme um ihn und wusste wieder einmal, warum ich so lange auf ihn gewartet hatte. Und warum ich weiterhin so lange warten würde.
Wir sahen den Film eng umschlungen auf dem Sofa sitzend, flüsterten uns hin und wieder Kommentare dazu oder kleine Liebkosungen zu. Ich verfiel in eine angenehme Trance, ließ mich von den Dialogen berieseln und spürte Roberts warme Haut und seine trägen Streicheleinheiten.
Schließlich war der Film zu Ende und unser Wein leer. Robert veränderte seine Position nicht und schien darauf zu warten, dass ich etwas sagte oder tat.
„Gehen wir ins Bett?“ flüsterte ich schließlich und sah über meine Schulter zu ihm hoch.
Er nickte langsam und schob mich dann sanft von sich.
Ich erhob mich und streckte meine Hände zu ihm aus, um ihn zu mir hoch zu ziehen. Mit einem Ruck stand er auf und wir gingen schweigend nebeneinander ins Schlafzimmer, wo wieder die scheinbare Allgegenwärtigkeit seiner Frau vorherrschte. Doch es war mir egal, nun war ich hier alleine mit Robert und ich war derjenige, an den er dachte und mit dem er schlafen würde.
Es war noch nicht spät, gerade elf Uhr, aber ich war schon so müde, als hätte ich die halbe Nacht durchgetanzt. Nicht, dass ich mich noch an das letzte Mal erinnern konnte, als ich das getan hatte. Gähnend sank ich auf die Matratze. „Hast du eine Zahnbürste?“ fragte ich leicht benommen, während ich ihn beobachtete, wie er in das kleine Bad, in das eine direkte Tür vom Schlafzimmer aus führte, verschwand.
„Hm... ich glaube schon, aber du musst sie morgen unbedingt mitnehmen“ meinte er. „Komm her.“
Ich folgte ihm ins Badezimmer und er reichte mir eine verpackte Zahnbürste aus dem Schränkchen. Zufrieden packte ich sie aus und begann, parallel zu ihm meine Zähne zu putzen. Solche kleinen Nebensächlichkeiten machten mir ungeheuer fröhlich.
Als wir fertig waren, legten wir uns ins Bett und machten das Licht aus. Es war immer noch ein leichter Lärm von der Straße zu hören, da wir das Fenster noch nicht geschlossen hatten. Obwohl er ziemlich außerhalb wohnte, schien noch einiges los zu sein draußen.
Er zog mich wieder an sich, scheinbar konnte er ebenso wenig von mir genug bekommen wie ich von ihm.
Ich sagte nichts, begann nur, ihn zu küssen. Sein Mund begann sofort, meinen zu verschlingen, forsch und stürmisch. An seinen Küssen spürte ich immer genau, was er wollte, ob es nur spielerisch war, beiläufig, zärtlich, ob er nur Kuscheln wollte oder auf etwas anderes aus war.
Ehe ich es mir versah, stöhnte ich gegen seine Lippen, auch, weil seine Hände begonnen hatten, über meine Haut zu wandern und mich an meinen empfindlichen Stellen zu reizen. Das waren meine Seiten sowie mein Nacken, und wenn er mich ins Ohrläppchen biss, wie er es jetzt leicht tat, dann jagten unkontrollierte Schauer durch meinen Körper und ich konnte nicht verhindern, dass ich erzitterte.
Er wusste genau, wie er mit mir umgehen musste, wo er mich berühren musste mit dieser sanften Grobheit, die mir den Atem nahm. Alles in mir schrie nach ihm und mein Körper stand in Flammen, so sehr sehnte ich mich nach seinen Berührungen, die nie genug waren, von denen ich immer mehr wollte und immer mehr.
Wieder fiel ich, fiel und fiel, und nur das sanfte Geflüster an meinem Ohr hielt mich noch davon ab, mich gänzlich aufzugeben. Starke Arme hielten mich fest und es gab nur noch ihn, die Welt löste sich auf und zerstob in tausend Splittern, als ich schließlich der vollkommenen Lust erlag.
„Ich schlafe nicht mehr mit ihr“ murmelte er hinterher, als unser Atem wieder abgeebbt war und wir träge schon in den Schlaf hinüberglitten.
„Was?“ entgegnete ich, trotz meiner Müdigkeit auf einmal hellwach.
„Seit wir darüber geredet haben neulich... ich kann es einfach nicht mehr. Ich schlafe mit ihr und denke an dich und gleichzeitig bin ich mir bewusst, wie dumm das ist, wie absolut niederträchtig, was für ein schlechter Ehemann ich bin. Seitdem geht es nicht mehr, ich habe sie nicht mehr angefasst.“
Er presste mich in der Dunkelheit an sich, ich hörte seinen gleichmäßigen, tiefen Atem einige Minuten lang und fürchtete schon, er sei eingeschlafen. Ich wagte nicht, etwas zu entgegnen, zu ungeheuerlich erschien mir dieses Geständnis.
„Ich weiß gar nicht mehr was ich tue“ kam es dann plötzlich erneut von ihm. „Sie wird natürlich misstrauisch und fragt, was los ist. Es ist einfach so furchtbar, wenn ich es mir bewusst mache... ich betrüge sie, obwohl sie eine wunderbare Person ist und nichts falsch gemacht hat, ich betrüge dich, obwohl du noch so jung bist und ich... so viel für dich fühle. Das ist alles so ein Chaos. Wenn ich bei ihr bin, denke ich an dich und gleichzeitig hasse ich mich selbst dafür...“
Auf einmal merkte ich, dass seine Wangen feucht waren. Ein Schreck durchfuhr mich, als mir bewusst wurde, wie er wirklich fühlen musste. Diese ganze Zerrissenheit, die ich empfand, noch dazu die Pflicht, ein guter Familienvater und Ehemann zu sein, sich nichts anmerken zu lassen, jeden Morgen aufs Neue aufzustehen und mit diesem Bewusstsein zu leben, nicht das zu tun, was man eigentlich sollte.
„Hey...“ flüsterte ich und strich mit einem Finger die Tränen weg, doch kaum hatte ich das getan, spürte ich unter meinen Fingerspitzen neue herunterrollen.
„Ich bin egoistisch“ flüsterte er mit einer bitteren Bestimmtheit, „ich tue das alles, weil ich zu feige bin, mich für eine Seite zu entscheiden. Beides würde bedeuten, etwas zu verlieren, was mir wichtig ist und... ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich weiß es einfach nicht.“
„Du musst dich nicht entscheiden“ flüsterte ich zurück und küsste ihn sanft auf seine Lippen, die zitterten. „Ich bleibe bei dir, das weißt du doch. Du musst sie nicht verlassen, ich werde trotzdem bei dir bleiben.“
Er lachte und es hörte sich trotzig an, beinahe zynisch.
„Weißt du, da ist man sechsundvierzig Jahre alt und denkt, man hat alles im Griff. Alles läuft wunderbar und man spielt sich vor, dass man glücklich ist. Und dann, plötzlich, merkt man, dass man sich das ganze Leben lang selbst belogen hat, dass man nicht gemerkt hat oder nicht merken wollte, wie man eigentlich hätte leben sollen. Und dann ist es zu spät...“
Seine Finger wanderten wieder durch mein Haar, spielten sanft damit und er küsste mich lange und innig.
„Du bleibst bei mir, sagst du“ flüsterte er mit einem Lächeln. „Du sagst das, weil du keine Ahnung hast. Aber wie lange wirst du das aushalten... wir werden nie ein Paar sein, Jo, wir werden nie eine Beziehung haben. Alles, was wir haben können, ist das hier. Heimlichtuerei, Verstecken... natürlich ist es wunderschön. Aber wie lange wird dir das genug sein? Ich kann es dir nicht verübeln, aber eines Tages wirst du feststellen, dass das nicht ausreicht. Dass du mehr willst. Und dann...“
Ich hörte sein Seufzen, schwer und unheilvoll lag es in der Luft und ich spürte, wie sich diese Schwere auf meine Seele zu übertragen schien.
Seine Lippen küssten sanft meine Augenlider, die ich geschlossen hatte.
„Ich will nur, dass du weißt, dass ich dich nicht aufhalten werden, wenn du gehen willst“ sagte er leise. Ich schüttelte den Kopf.
„Ich werde nicht gehen“ sagte ich.
Er entgegnete nichts mehr, aber ich merkte, wie er in der Dunkelheit lächelte. Dieser tiefe Friede, der mich zuvor überkommen hatte, kam mir auf einmal so trügerisch vor. Auf einmal spürte ich, dass etwas aufgetaucht war, etwas, das bisher auch dagewesen war, ich aber nicht gesehen hatte. Oder nicht hatte sehen wollen. Es war die furchtbare Gewissheit, dass unsere Gemeinsamkeit irgendwann einmal ein Ende haben würde, in wie ferner Zukunft, dass wusste ich nicht, aber es würde kommen, unabänderlich.
Der Gedanke schnürte mir die Brust zusammen und auf einmal hätte ich nur noch weinen können, denn obwohl ich mich so sicher fühlte in seinen Armen, während ich in den Schlaf driftete, so spürte ich doch, dass es zu viele Fragen gab, auf die ich keine Antwort hatte.
Ich erwachte nach einer unruhigen Nacht, in der ich immer wieder seltsame wirre Träume gehabt hatte, an die ich mich nicht mehr erinnern konnte. Immer wieder war ich aus dem Schlaf geschreckt und hatte mich in Roberts Armen wiedergefunden, er hatte mich an sich gezogen und beruhigende Worte gemurmelt und ich war in den Schlaf zurück gedriftet, nur um einige Zeit später erneut unruhig zu erwachen.
Nun, als ich die Augen aufschlug, hatte ich das Gefühl, nur wenige Minuten geschlafen zu haben, auch, wenn mir die Anzeige auf dem Digitalwecker sagte, dass es schon acht Uhr war und von draußen die Sonne grell herein schien. Ich wusste sofort, dass ich nicht mehr würde einschlafen können und begann, mich träge zu strecken und meine Muskeln wieder in Betrieb zu nehmen.
Robert schlief noch und ich betrachtete sein ruhiges Gesicht, die geschlossenen Augen, die leicht gerunzelte Stirn, der halbgeöffnete Mund, durch den der Atem gleichmäßig kam und ging. Sein Haar hing ihm leicht wirr ins Gesicht und zum ersten Mal fielen mir untrügliche Zeichen des Alters auf- die raue Haut, die leichten Fältchen in seinen Augenwinkeln, die ersten grauen Strähnen in seinem noch dichten Haar. Ich musste an etwas denken, was er mir vor einiger Zeit gesagt hatte: „du bist jetzt dreiundzwanzig... wenn du vierzig bist, dann bin ich dreiundsechzig...“
Ich hatte geantwortet, dass das doch gar nicht so alt sei heutzutage, doch nun merkte ich, dass es doch einen riesigen Unterschied machte. Er war doppelt so alt wie ich, dreiundzwanzig Jahre lebte er schon länger auf dieser Erde, das war so lange wie mein gesamtes Leben. Eine Zeitspanne, von der ich keine Ahnung hatte und die mein Wahrnehmungsvermögen überstieg.
Von einer plötzlichen Angst und Beklemmung befallen strichen meine Finger sanft eine verirrte Strähne aus seiner Stirn, fuhren sanft seine Züge nach, die Augen, die Lippen, verweilten etwas länger bei den Einkerbungen, die langsam in seinen Mundwinkeln sichtbar wurden.
Die Berührungen holten ihn wohl aus dem Tiefschlaf. Langsam begann sein Gesicht, sich zu bewegen, die Augen blinzelten leicht gegen die Sonne, die auf ihn schien und ich lächelte, während ich ihm zusah, wie er langsam zurückkehrte aus einer anderen Welt. Seine Augen öffneten sich gänzlich, wobei er sie noch mit der Hand gegen das Licht abschirmte und ich sah ihm dabei zu, wie er mich erkannte, das Zimmer erkannte, alles wieder erkannte.
„Morgen“ flüsterte ich und gab ihm einen sanften Kuss auf den Mund.
Ein Lächeln schlich sich in seine Züge und auf einmal war das Alter wieder vergessen, die Fältchen schienen zu ihm zu gehören, Ausdruck seiner Freude zu sein, und nichts anderes.
„Morgen“ brummte er zurück und strich mir sanft auf die Wange. Ich wusste bereits, dass er ein wenig morgenmuffelig war und es lange brauchte, bis man ernsthaft etwas mit ihm anfangen konnte. Deshalb ließ ich ihm Zeit, wartete eine Weile, bis er mich an sich zog, nackt, wie wir beide noch waren. Ich spürte seinen harten Schwanz an meinem Oberschenkel.
„Aha, hat da jemand eine Morgenlatte“ neckte ich ihn und knabberte sanft an seiner Unterlippe.
„Nein, die kam erst, nachdem ich aufgewacht bin“ murmelte er grinsend, während seine Hand über meine Wirbelsäule nach unten glitt und sich fest um meinen Po legte. Ich lachte.
„Wir können nachher gerne noch ein paar Mal ficken“ flüsterte ich ihm verheißungsvoll ins Ohr. „Aber erst will ich was frühstücken. Ich brauche mein Frühstück, sonst ist bei mir nichts los.“
Er seufzte. „Ja, stimmt, das habe ich ganz vergessen... ich habe dir ja Brötchen versprochen, nicht...“
Ich nickte eifrig. „Ja... ich freue mich schon die ganze Zeit darauf, mit dir frühstücken zu können. Wie ein Ehepaar.“ Bei diesen Worten musste ich kichern. Die Vorstellung, wir könnten zusammen leben, würden zusammen frühstücken und jede Nacht zusammen einschlafen, war gleichzeitig dermaßen absurd und wunderschön, dass sie mich absolut begeisterte.
Er lachte ebenfalls. „Dann muss ich mich jetzt wohl zum Bäcker bewegen...“
„Ja, das musst du“ sagte ich und gab ihm einen lauten Schmatz auf die Wange.
Mit einem lauten Ächzen wälzte er sich herum, schob die Decke nach unten und streckte sich mit einem Gähnen.
„Auf, alter Mann“ drängte ich ihn und stupste ihn etwas mit dem Fuß an.
„Wird bloß nicht frech, sonst kannst du deine Brötchen selber holen“ entgegnete er gespielt empört, was mir ein Lachen entlockte. Oh man. Vielleicht war ich wirklich verliebt.
Er erhob sich und ging zum Schrank, um sich frische Unterwäsche herauszunehmen.
„Eigentlich hätte ich eine Dusche nötig“ seufzte er, „ich habe gestern ja ziemlich geschwitzt.“
Ich nickte. „Ich auch... Das machen wir dann nach dem Frühstück. Zusammen.“
Ein strahlendes Lächeln erhellte seine Züge. Langsam angelte er seine Jeans von einem Stuhl in der Ecke und nahm dann noch ein T-Shirt aus einer Schublade. Schwarz stand ihm ausgesprochen gut, stellte ich mal wieder fest. Ich stand unglaublich drauf, wenn er enge, schwarze T-Shirts trug, das betonte seine kräftige Statur und machte ihn unglaublich sexy.
„Also, ich geh dann mal kurz runter“ sagte er.
„Gut, dann bis gleich.“
Er verschwand durch die Türe und kurz darauf hörte ich die schwere Wohnungstür ins Schloss fallen.
Ich war noch nie zuvor alleine in seiner Wohnung gewesen, nun beschlich mich beinahe ein Gefühl der unguten Vorahnung. Nun gab es nur noch mich und um mich die ganzen ständigen Denkmäler seines Familienlebens, die Fotos, die Zeichnungen, die Kunstdrucke. In einem Anflug von Faszination erhob ich mich, bekleidete mich mit Boxershorts und T-Shirt und begann dann, durch die leere Wohnung zu wandern. Ich ertappte mich dabei, wie ich Spuren nach seinem täglichen Leben suchte- Bücher, CDs, Filme, Fotoalben. In seinem Büro herrschte das reinste Chaos und auch hier zierte ein gerahmtes Bild seiner Frau vor schätzungsweise zwanzig Jahren die Wand. Im Wohnzimmer griff ich willkürlich nach einem der Alben, auf dem mit Edding geschrieben „1993“ stand, blätterte nur halbherzig interessiert hindurch. Seine Tochter war wohl noch nicht geboren gewesen, denn es war nur ein kleines Kind auf den Fotos zu sehen, ein Junge. Mir fiel auf, dass ich nicht einmal seinen Namen kannte und so sehr ich auch suchte, stand er nirgends. Robert hatte ihn mehrere Male erwähnt, aber irgendetwas in meinem Unterbewusstsein hatte sich geweigert, ihn sich zu merken. Im Fotoalbum hatten sie die Bilder lediglich eingeklebt und hier und da mit einem Datum versehen. Ich fand keinerlei Hinweis auf die Anlässe, zu denen die Fotos gemacht worden waren, manche verrieten festlichen Hintergrund, doch andere suggerierten nur schnöden Alltag.
Seine Frau war ziemlich hübsch gewesen und sah auf den Bildern sehr jung aus, eigentlich wirkte sie zu jung um bereits ein Kind zu haben. Ihre Augen waren groß und schienen eine gewisse Unsicherheit auszustrahlen, als wäre sie noch nicht hundertprozentig von ihrer Rolle als Mutter überzeugt. Ich sah auch Robert auf den Bildern, der stolze Vater, um viele Jahre jünger als heute. Es war beinahe skurril, ihn so zu sehen, hatte ich mir doch so oft ausgemalt, wie er wohl vor vielen Jahren ausgesehen hatte. Seltsamerweise wirkte er auf mich, als wäre er schon immer so gewesen, wie er jetzt war, als wäre er nie jung und unsicher gewesen, niemals naiv, niemals unerfahren. Nun sah ich ihn als jungen Mann, nicht allzu viel älter als ich- seine Haare etwas länger als heute, die Falten noch nicht zu sehen- nur sein spitzbübisches, selbstbewusstes Grinsen, das hatte er damals schon gehabt. Er hatte schon damals gut ausgesehen und wäre mir sicher aufgefallen.
Plötzlich erschien es mir fast voyeuristisch, diese Bilder zu betrachten. Dies war ein Teil von Robert, so spürte ich, der mir nicht bestimmt war, zu sehen. Außerdem tat es weh, nur weh. Beinahe wütend klappte ich das Album zu und stellte es ins Regal zurück, als hätte es plötzlich Feuer gefangen.
In diesem Moment hörte ich auch schon Schritte auf der Treppe und ich ging schnell zum Sofa, um mich fallenzulassen, als hätte ich schon die ganze Zeit dort gesessen. Als Robert zur Tür hereinkam, schaute ich gelangweilt aus dem Fenster, als habe ich die ganze Zeit über nichts anderes getan.
Er wirkte gut gelaunt und summte vor sich hin, als er in die Küche ging und mir bedeutete, ihm zu folgen. In der Küche stand ein kleiner Tisch und, außer zu besonderen Anlässen, aßen sie immer dort und nicht im Esszimmer.
Ich half ihm, Tassen und Teller auf den Tisch zu stellen, und während er Kaffee kochte, holte ich Butter und Marmelade aus dem Kühlschrank. Beim unserem letzten gemeinsamen Frühstück, das gefühlte Jahre her war, hatten wir festgestellt, dass wir beide beim Frühstück eine Vorliebe für Süßes hatten und Wurst und Käse absolut scheußlich fanden.
„Möchtest du Orangensaft?“ fragte Robert dann. Ich schüttelte den Kopf.
„Neee... nur Kaffee.“
Er stellte die Kanne auf den Tisch und bedeutete mir dann, mich hinzusetzen.
Mein Blick fiel auf die Uhr über dem Tisch, es war bereits halb neun.
Fröhlich setzte ich mich auf den Stuhl und sah zu, wie er mir Kaffee eingoss.
„Danke für die Brötchen“ sagte ich und lächelte ihm zu. Dieses war wieder einer dieser kostbaren Momente, in denen ich mit der Welt, so wie sie war, absolut im Reinen war.
Er schenkte sich selbst auch ein und angelte sich ein Brötchen aus dem Korb.
„Bitte... greif zu.“
Ich wollte mir gerade ein Croissant nehmen, als ich auf einmal etwas hörte, was mir das Blut in den Adern gefrieren ließ- ein Schlüssel im Türschloss.
Ein Blick in Roberts Augen genügte und ich wusste, dass ich nur eine Möglichkeit hatte. Ich rannte, wie ich noch nie gerannt war, durchs Wohnzimmer und nach hinten ins Schlafzimmer, wo ich meine Kleider aufsammelte und ins Bad verschwand.
Mein Herz wummerte gegen meine Brust und ich hörte auf die Geräusche aus der Wohnung, während ich mit zitternden Händen begann, meine Kleider anzuziehen. Oh Gott, das durfte nicht wahr sein. Mein Hirn war komplett leer und ich konnte nicht mehr, als angestrengt den Worten zu lauschen, die gedämpft zu mir drangen.
Es war eine tiefe Männerstimme, die ich neben Roberts vernahm, aber die wenigen Worte, die ich ausmachen konnte, ergaben zusammen keinen Sinn. Ich wusste, dass ich keine Wahl hatte, also trat ich, sobald meine Jeans und mein Hemd einigermaßen saßen, aus dem Zimmer. Zum Glück hatte ich daran gedacht, meine Schuhe anzuziehen, denn auf einmal kam mir eine einigermaßen plausibel erscheinende Idee.
Mein Herzschlag flachte nicht ab, im Gegenteil, je näher ich der Küche kam, desto heftiger schien es zu schlagen und ich fürchtete, mein Brustkorb könne dem nicht mehr standhalten. Und als ich den Raum betrat, empfing mich noch eine weitere Überraschung.
Neben Robert stand ein großer junger Mann, nicht viel jünger als ich. Ich wusste sofort, dass es sein Sohn war, aber als er sich umdrehte, traf mich fast der Schlag.
„Hey“ murmelte er verwundert und ich sah vermutlich nicht anders aus. Vor mit stand ein Typ, riesig groß und mit dunklen, kurzen, leicht gewellten Haaren, und es dauerte nur wenige Sekunden, bis ich einordnen konnte, woher ich ihn kannte.
Es war Michi, Dennis‘ Handballkollege, den ich vor einiger Zeit nur kennengelernt hatte. Dessen Babyfotos ich eben noch im Fotoalbum im Wohnzimmer bewundert hatte. Michi, Roberts Sohn. Offensichtlich.
„Hey... Michi, oder?“ begrüßte ich ihn und hatte meine Sprache immer noch nicht gänzlich wiedergefunden.
„Ihr... ihr kennt euch?“ kam es verwirrt von Robert. Ich sah zu ihm. Er sah nicht gut aus, er war ganz blass und wirkte irgendwie zusammengefallen. Seine Augen huschten nervös zwischen Michi und mir hin und her.
„Du bist... ähm... Jo, oder?“ murmelte Michi und die Verblüfftheit schien ihm direkt ins Gesicht geschrieben. Doch immerhin noch kein Misstrauen oder beginnende Erkenntnis. Das musste ich ausnutzen.
„Ja. Er spielt mit dem Mitbewohner meines Freundes Handball“ fügte ich an Robert gewandt erklärend hinzu.
„Was machst du denn hier?“
„Du bist der Sohn von Herr Nowak?“ begann ich meine festgelegte Ausrede. „Das ist ja lustig... ich habe bei deinem Vater Praktikum gemacht, letztes Semester.“
Ich fragte mich, woher ich die stoische Ruhe nahm, mit der ich das alles aussprach, als wäre es das Normalste der Welt, dem Sohn meines Liebhabers zu erklären, was ich in dessen Wohnung machte. Wahrscheinlich war all mein Adrenalin schon aufgebraucht worden. Kurz fing ich Roberts Blick auf, der mich unsicher und alarmiert beobachtete, als hätte er Angst, ich könne etwas unglaublich Dummes sagen.
Michi nickte kurz und langsam schien es in seinen Kopf zu sickern, dass irgendetwas Seltsames war an der Tatsache, dass ich in dieser Wohnung war, am frühen Morgen, zusammen mit seinem Vater.
„Ich brauche kurzfristig einen Praktikumsbericht für eine Bewerbung und da dein Vater nie Zeit hat, muss ich ihn Samstag früh nerven“ meinte ich und lächelte ihm entschuldigend zu.
„Er ist nur zu höflich zu sagen, dass ich es ewig verpennt habe“ kam es bestätigend von Robert, dem der Groschen wohl gefallen war. „Es war so viel los in der Firma... na ja, da es gewissermaßen meine Schuld ist und Johannes mich heute Morgen ganz verzweifelt angerufen hat, habe ich gemeint, er soll doch vorbeikommen.“
„Aha“ entgegnete Michi nur und sah mich immer noch erstaunt an.
„Was machst du eigentlich schon hier?“
„Mama hat mich genervt, also hab ich den Zug genommen“ entgegnete Michi, ließ mich aber immer noch nicht aus den Augen. In seinem Blick blitzte auf einmal etwas auf, das mich alarmierte.
„Willst du einen Kaffee? Ich habe Johannes gerade einen angeboten.“
„Nein“ sagte Michi nur. „Ich geh mal duschen.“
„In Ordnung“ meinte Robert erstaunt.
„Also, machs gut, Jo. Vielleicht sieht man sich mal wieder“ murmelte Michi und er schlurfte an mir vorbei aus dem Zimmer. Nun hatte er doch etwas Schlaksiges an sich, vielleicht lag es auch an den niedrigen Räumen.
„Ciao“ sagte ich.
Robert und ich warteten einige Minuten, bis wir das Rauschen des Wassers vernahmen, bevor wir zu sprechen begannen. Vorher wagten wir beide es nicht, auch nur einen Ton von uns zu geben.
„Verdammt, das war knapp“ keuchte Robert nur und schloss die Augen. „Ich habe gedacht, es ist vorbei.“
„Ich auch“ gab ich zu. Ich fühlte mich matt und erledigt, als hätte ich einen Marathonlauf hinter mir. Auf einmal wurde ich von der Realität erschlagen, die ich den ganzen Morgen lang so wunderbar ausgeblendet hatte. „Ich gehe jetzt besser“ sagte ich schließlich nach einigen weiteren Minuten Stille.
Robert nickte nur und sah mich entschuldigend an.
„Ich wusste nicht, dass er schon so früh kommt.“
„Das weiß ich auch“ fauchte ich ihn an. Auf einmal war ich wütend auf ihn, obwohl ich ja wusste, dass er nichts dafür konnte. Es war eine hilflose Wut, die aus dem Wunsch heraus entsprang, irgendjemand die Schuld zu geben. Wortlos ging ich nach draußen und warf mir meine Jacke über.
„Schau diesmal gut, ob nicht noch irgendwas von mir rumliegt“ ermahnte ich ihn. Dann überkam mich doch der altbekannte Abschiedsschmerz und ich warf mich ihm um den Hals, seufzte tief.
„Überlegs dir wegen dem Odeon und ruf mich an“ flüstere und gab ihm einen flüchtigen Kuss, in dem ich seine Angst spürte, Michi könnte jeden Moment in den Raum platzen. Dann ging ich aus der Wohnung. Kurz bevor ich die Tür hinter mir schloss, erhaschte ich noch einen Blick auf Robert, wie er dastand, mit sehnsüchtigem Blick, in dem eine Trauer lag, die ich bisher noch nie gesehen hatte. Schnellen Schrittes lief ich los und mir war bewusst, dass mich dieses Bild nie wieder loslassen würde.
Und als ich durch die Straßen zur S-Bahn Haltestelle lief, überkam mich etwas mit einer derartigen Wucht, dass mir auf einmal die Tränen in Strömen übers Gesicht liefen. Zum ersten Mal seit wir zusammen waren hörte ich in mir eine Stimme, die mir sagte, dass ich mich auf dem Weg befand, der mich von ihm wegführte, ob ich wollte oder nicht. Dass unser Abschied bereits begonnen hatte, auch wenn er noch nicht greifbar war.
Diese Erkenntnis traf mich so unvorbereitet, dass ich sie nicht anders beantworten konnte, als eine ungeheure Verzweiflung zu empfinden. Ich fühlte, dass der Lauf der Dinge bereits vorgeschrieben war und ich nichts daran würde ändern können, absolut nichts. Er gehörte nicht zu mir, sein Weg hatte lediglich den meinen gekreuzt und würde ebenso unerbittlich wieder davon wegführen. Ich war machtlos dagegen.
Die Straßenbahn kam und ich fühlte die Blicke der Leute auf mir, während mir die Tränen ungehemmt übers Gesicht liefen. Dabei dachte ich an einen Spruch, den ich einmal gelesen hatte, an dessen Verfasser ich mich aber nicht erinnern konnte: „Geld allein macht nicht glücklich, aber es ist schöner, in einem Taxi zu weinen als in der U-Bahn.“
Es war ein strahlend blauer Morgen, die Leute flanierten durch die Stadt, tranken Kaffees an der frischen Luft und bewunderten Straßenkünstler, die wie bunte Clowns bemalt waren. Ich fühlte mich so alleine wie nie zuvor und nun auf einmal verstand ich die Worte, die Robert mir am Abend zuvor gesagt hatte-
Wir werden nie ein Paar sein, Jo, wir werden nie eine Beziehung haben. Alles, was wir haben können, ist das hier. Heimlichtuerei, Verstecken... natürlich ist es wunderschön. Aber wie lange wird dir das genug sein?
Es war mir im Grunde jetzt schon nicht genug. Dennoch spürte ich in mir diesen zerreißenden Schmerz und mir war bewusst dass ich ihn trotz allem noch nicht gehen lassen konnte, noch nicht.