Titel: Wie im Märchen
Autorin: Ich
Pairing: Thomas Müller/Holger Badstuber; past!others
Rating: PG-13
Disclaimer: Siehe mein Profil.
Summary: Die WM bringt viele Seiten an einem Menschen zu Tage. Holger bemerkt ziemlich schnell, dass er eine Entscheidung treffen muss, auf die eine oder andere Weise. Was wird das für ihn bedeuten und die Menschen, die er liebt?
Die zehnte SMS wollte Holger gar nicht mehr lesen; es stand ja ohnehin in jeder das gleiche, nur in anderen Worten.
Ruf mich bitte an!
Was ist denn eigentlich los?
Was ist passiert? Ich mach mir Sorgen.
Ich komm zu dir!
Oha, das war doch einmal etwas neues. Davon hatte Thomas bisher gar nichts erwähnt. Er blickte auf die Zeitanzeige. Die SMS war etwa eine Stunde alt. Wenn Thomas tatsächlich hätte kommen wollen, könnte er schon längst da sein.
Aber er wollte ihn ja sowieso nicht sehen. Oder etwa doch?
Unbewusst griff Holger sich an die Brust, dort wo der Schmerz am tiefsten saß. Nein, auf Thomas hatte er keine Lust. Der Schmerz, der ihn aufzufressen drohte, war von Thomas ausgelöst worden obwohl er nicht einmal im selben Raum gewesen war.
Was würde mit dem letzten kläglichen Rest von Holgers Verstand passieren, wenn Thomas tatsächlich wieder auftauchte?
Klar, sie würden sich noch früh genug wiedersehen, aber bis dahin brauchte er erst einmal eine Auszeit.
Er hatte erstaunlich gut geschlafen in seinem eigenen Bett, völlig ohne Träume von dem seltsamen Mann. Ute hatte ihm Frühstück gebracht, ansonsten aber vollkommen in Ruhe gelassen, was ihm nur recht sein konnte. Leider bemerkte seine Schwester meistens, wenn es ihm nicht gut ging und bohrte dann nach.
Ein Anruf.
Sein Herz tat auf einmal einen heftigen Satz, der seinen Atem stocken ließ. Mit zitternden Händen hob er das Ding vor sein Gesicht - und nahm ab.
"Mei, gehst du auch noch mal ran?" Bastis Stimme klang ein wenig genervt. "Ich hab's schon so oft probiert!"
"Ich hab's vorhin ausgehabt."
"Wärst du so nett und machst deine Haustür mal auf? Dann könnt ma nämlich wohin fahren."
"Ach so. Ja." Kraftlos schlurfte Holger den Gang entlang zur Tür. Irgendwie konnte Bastian verdammt überzeugend sein, wenn er wollte.
"Du siehst vielleicht aus. Du musst mal zum Friseur. Oder noch besser zum Schönheitschirurgen."
Basti hatte das als Scherz gemeint, aber scheinbar genügte ein Blick in Holgers Gesicht, um ihn verstummen zu lassen. Sah er denn so schrecklich aus?
"Du, Ute?" rief Bastian an Holger vorbei in den Gang. "Weißt du wo dein Bruderherz seine Badehose hat?"
Ute steckte den Kopf durch die Tür, eine Augenbraue hochgezogen.
"Bei der Hitze werdet's ihr ja wohl nicht auch noch schwimmen gehen wollen. Hat dir das Training in letzter Zeit nicht gereicht?"
"Jetzt sei halt net so."
"Aber er soll sich den Rücken eincremen. Da kriegt er leicht Sonnenbrand."
"Der is auch nimmer vier."
Holger war das alles im Prinzip vollkommen egal; wenn Ute und Basti unbedingt miteinander streiten wollten, gut. Er hatte hier ja scheinbar sowieso nichts zu entscheiden.
Ein paar Minuten später saßen sie auch schon in Bastians Auto und fuhren... irgendwohin.
Die Klimaanlage lief aufgrund des heißen Münchner Sommers auf vollen Touren, aber ansonsten war es vollkommen still. Basti sagte nichts und Holger fragte auch nichts. Sie fuhren irgendwohin. Das war alles, was sein Gehirn wissen musste.
Es konnte sich nicht mit Nebensächlichkeiten herumschlagen, wenn es doch so viel zu analysieren und zu denken hatte.
Die Häuser am Straßenrand bildeten eine beruhigende Kulisse, eine Art Tunnel, der seine Gedanken zumindest noch einigermaßen in normalen Bahnen hielt. An diese ordentlichen Linien konnte Holger sich klammern. Nein, wirklich über seine Probleme nachzudenken kam eigentlich gar nicht in Frage. Er würde dann einfach verrückt werden.
"Du bist vielleicht langweilig. Da mach ich schon mal so eine schöne Spazierfahrt mit dir und du sagst gar nix." Basti lenkte den Wagen auf die Autobahn, aber auch das entlockte Holger nicht mehr als ein leichtes Stirnrunzeln.
"Musst ja nicht."
"Wir fahren an einen tollen Ort, also schau mal a bisserl netter."
Holger sagte dazu lieber nichts. Was konnte Bastian ihm schon so tolles zeigen?
Er schloss die Augen, wollte nichts mehr sehen. Er registrierte nicht die Tatsache, dass sie auf eine Landstraße fuhren und auch nicht, dass sie sich immer weiter einem Ort näherten, der eigentlich schon lange vergessen war...
"Holger! Hey, wach auf!" Bastian stampfte genervt mit dem Fuß auf und blickte drohend auf Holger herab. Da bemerkte er erst, dass der Wagen bereits stand und seine Tür geöffnet waren.
"Wir sind... an einem Schloss."
"Das ist ein Haus, du Depp. Da hat mal der Poldi gewohnt."
Holger war noch niemals dort gewesen, aber immerhin wusste er jetzt, dass sie am Pilsensee waren.
Das Haus war groß und irgendwie schloßartig, aber eher modern gebaut. Der Garten wirkte verwildert, verwunschen beinahe, so als wäre schon lange niemand mehr hier gewesen - was vermutlich auch stimmte.
"Warum sind wir denn hier?" flüsterte Holger; es wäre ihm falsch vorgekommen hier laut zu sprechen.
"Das gehört halt mir, das Haus."
Ohne eine Antwort abzuwarten ging Bastian am Haus vorbei, durch den Garten. Holger folgte ihm stumm bis sie an den Bootssteg kamen. Es gab dort nur ein kleines Ruderboot, das vermutlich eher als Dekoration gedacht gewesen war, damals als noch Leute hier gewohnt hatten. Der Anblick des halbvermoderten Holzes gab Holger einen kleinen Stich ins Herz - so schnell konnte es gehen...
"Du weißt vermutlich, warum wir hier sind." Bastian ließ seine Beine über den Steg baumeln, aber seine Stimme war ernst.
Da verstand Holger und es tat ihm leid, dass er vorhin nicht mehr Interesse gezeigt hatte. Bastian wollte ihm einen Einblick in seine Seele gewähren, den vermutlich noch nie jemand vor ihm bekommen hatte.
"Lukas war... er ist der einzige Mann, den ich jemals geliebt habe." Bastian atmete tief ein und blickte hinaus auf den See. "Am Anfang wollte er nicht und eigentlich wollte ich auch nicht. Es war ein Kampf und... ich weiß nicht. Es ist halt irgendwie passiert.
Am nächsten morgen hat er mich nicht mehr angesehen. Aber wir haben es in der Nacht trotzdem wieder gemacht."
Bastian sprach nicht leise, aber so monoton, dass Holger sich fragte, wie lange er gebraucht hatte, um sich diese kleine Ansprache zurechtzulegen. Und was war da zwischen den Zeilen? Dieser Schmerz und die Furcht, die die beiden gepackt haben mussten, kannte Holger nur zu gut. Es musste fürchterlich gewesen sein, weil sie ja eigentlich beide Freundinnen gehabt hatten.
Er wollte Bastian trösten, aber er sprach schon weiter.
"Bei Bayern war's dann noch schlimmer. Wir haben uns ja dauernd gesehen. Und wir wollten uns dauernd, aber das sollte ja schließlich niemand wissen. Ich hab's halt verdrängt. Der Lukas hat das nicht geschafft. Der musste ja immer so verdammt offen sein!" Hinter dem vordergründigen Zorn spürte Holger eine Trauer, die ihm selbst beinahe die Tränen in die Augen trieb.
"Und irgendwann hat er's wirklich nicht mehr geschafft. Da musste er weg. Heim nach Köln. Ich wollt das nicht und es war hier, genau hier, wo er mir gesagt, dass er das nicht kann. Was sollte er denn mit einer Beziehung, die er geheim halten muss? Und überhaupt, er muss ja unbedingt Kinder haben. Kann ich ihm vielleicht welche machen?
Ich hab ihm gesagt, dass mir das alles egal ist. Die Medien und überhaupt, die können mich alle mal. Dann spiel ich halt nimmer, weil ich mit ihm zusammen sein wollte."
Holger wusste, was das für ein Opfer bedeutet hätte. Bastian musste das gar nicht mehr extra aussprechen. Dass er so etwas für Lukas hatte tun wollen...
"Aber das wollt er nicht. Ihm war der Fußball wichtiger. Oder zumindest hat er das gesagt.
Da war ich so sauer... ich hab den so richtig hergewatscht, das kannst mir glauben. Aber gewehrt hat er sich nicht. Auch später nicht."
Holger wollte das nicht hören. Nein, das wollte er einfach gar nicht wissen, aber Bastians Stimme war unerbittlich.
"Und danach war es einfach vorbei. Und ich hab ihn gehasst. Aber er mich nicht und dafür hab ich ihn nur mehr gehasst.
Und jetzt frag ich dich, Holger, willst du das? Willst du's wirklich so weit kommen lassen? Das wird nämlich nie passieren, was du dir wünschst. Der Thomas wird sich nicht magischerweise von der Lisa trennen und eure Verlobung in der Bild bekanntgeben. Das ist kein verdammtes Märchen und das muss dir ein für allemal klarwerden oder du machst es nicht mehr lang im Fußball."
Sie blickten beide auf den See hinaus. Es war ein heißer Tag, aber das Wasser wirkte trotzdem grau. Holger wollte weg hier, wollte dieses verwunschene Haus und all seine Erinnerungen nicht mehr länger ertragen.
"Aber vielleicht geht es auch anders," würgte er schließlich hervor, nur um überhaupt etwas zu sagen. "Vielleicht muss es ja nicht so sein. Und überhaupt... so war es ja gar nicht."
Und vielleicht war es gerade die bedrückende Atmosphäre, die Holger schließlich dazu brachte, Bastian alles zu erzählen. Von Thomas und dem Mann aus seinem Traum und der Lüge und überhaupt.
"Mannomann," meinte Bastian am Ende nur. "Schöne Scheiße."
Holger nickte.
"Aber mal ganz ehrlich, so wie du mir das erzählt hast... ich weiß nicht. Es hat nicht so geklungen als hätt er dich nur ins Bett kriegen wollen. Das hätt er einfacher haben können."
"Warum hat er dann gelogen?"
"Es gibt nur einen Weg, um das rauszufinden."
"Leg sofort das Handy weg! Tus weg!"
"Na was denn? Man wird ja wohl noch mal telefonieren dürfen!" Bastian grinste. "Wir müssen uns eh noch absprechen, was wir dem guten Philipp zur Hochzeit schenken wollen."
Wie Bastian von trübsinnig auf total bescheuert so schnell umschalten konnte, würde Holger auf ewig ein Rätsel bleiben. Aber die Erinnerung an Philipps nahende Hochzeit verbesserte seine ganz persönliche Laune nicht besonders.
"Ich geh da nicht hin."
"Irgendwann siehst ihn ja doch wieder und auf der Hochzeit ist immerhin viel los, da wird er eh keine Zeit zum reden haben."
"Ich mag aber nicht."
Bastian rollte die Augen, sagte aber nichts. Auch das Handy ließ er sinken. Dann sprang er plötzlich auf und rannte mit dem Ding davon. Holger wusste, dass es keinen Sinn hatte Bastian zu verfolgen, wenn er eine seiner Launen hatte.
Wenig später bog Bastian wieder um die Ecke, in ein Gespräch vertieft.
"Ja, was sollen wir denen denn schenken? Hm, ja vielleicht weiß die Sarah was. Ja, ja den hab ich gesehen. Nein, dem geht's gut, der sitzt hier grad. Magst mit ihm reden?"
Holger wollte Bastian ermorden. Und es gab hier so viele hervorragende Mordwerkzeuge - einen See, zum Beispiel, und schwere, spitzige Steine. Trotzdem griff er nach dem Handy, er hatte es ja doch von Anfang an gewollt. Es war wie beim Kitzeln; einerseits wehrte man sich dagegen, andererseits gefiel es einem doch so gut, dass man gar nicht wollte, dass es aufhörte.
"Holger?" Thomas' Stimme klang rauh und auf gewisse Weise verschaffte das Holger etwas Befriedigung. "Holger, wir müssen uns sehen. Wir müssen darüber reden. Das ist doch alles..."
"Ich glaub wir schenken ihnen was für die Küche oder so. Das kann man immer brauchen. Außerdem haben die ja eigentlich eh schon alles."
Was plapperte er denn da für einen Blödsinn? So etwas hatte er ja überhaupt gar nicht sagen wollen!
"Holger, bitte. Wo seid ihr denn? Vielleicht kann ich da ja auch hinkommen und dann reden wir drüber."
"Ich muss aufhören. Ist ja nicht mein Handy."
Thomas' Stimme tat wieder weh in seiner Brust, so weh. Und er wusste ja auch gar nicht, was er sagen sollte. Er kam sich vor wie ein kleiner, bescheuerter Junge. Ein richtiger Vollidiot. Er drückte Thomas weg und Bastian schien schon irgendwas geahnt zu haben, denn plötzlich lagen da seine Arme um Holger und so standen sie dann, zwei, die auf einmal gar nichts mehr hatten außer einander.