Nov 30, 2008 18:50
Am dritten Tag kamen sie schließlich an; für alle außer Rei war es das erstmalige Erlebnis, den nördliche Kontinent Madeas zu betreten. Die Stimmung war getrübt und das Wetter schien die Negativität noch zu unterstützen; es war eisig kalt und selbst mit seiner Jacke fühlte Matt sich alles andere als wohl. Rei war still wie sonst noch nie und auch Zoé schien nicht so willensstark und motiviert zu sein wie sonst. Matt konnte es ihr wirklich nicht verübeln, denn schließlich dürfte es ihr nicht sonderlich gut gehen. Sie machte sich wohl ständig Sorgen und Gedanken über ihren Adoptivbruder. Amylia war die einzige, die umgänglich wie eh und je war, aber auch sie schwieg weitgehend, da die anderen alle nicht besonders zu Gesprächen aufgelegt waren. In Momenten wie diesen wünschte Matt sich Kane zurück und seine ungestüme Art. Gewiss hätte er darauf gepfiffen, was die anderen sagten oder dachten und sich wie immer laut über alles ausgelassen. "Wir müssen da lang", meinte Rei und ging auch schon in eine Richtung los, ohne wirklich auf die anderen zu warten. Er kannte sich hier offenbar aus und Matt wunderte sich kurz, wann der Junge wohl das letzte Mal hier gewesen war und warum. Sie waren in einem kleinen idyllischen Ort namens Quai und ihr Ziel, Odalis, lag angeblich nur einen Fußmarsch weit weg. Ein langer Fußmarsch würde es zwar werden, aber ihnen blieb keine andere Wahl, da Odalis weiter oben in dem Gebirge lag und selbst wenn sie wollten, hätten sie keine leistbaren Fahrzeuge gefunden, die durch den Schnee passieren konnten. "Odalis muss ganz schön abgeschnitten sein von dem Rest... wie liefern die denn dorthin, über den Luftweg? Ich frage mich, was das für einen Sinn macht, dort ein hochmodernes Krankenhaus zu bauen", bemerkte Matt fast zu sich selbst, denn es antwortete ihm niemand. Er konnte sich beleibe nicht vorstellen, dass das eiskalte Wetter da oben gut zur Genesung der Patienten beitragen würde... es war ihnen sicher nicht gestattet, das Krankenhaus zu verlassen. Wenn sie, dick vermummt in ihren Mänteln, schon hier froren, dann würde es hoch oben und noch weiter im Norden sicher kaum besser sein. Und was würden sie in einer Notsituation machen? Es würde ewig dauern, die Patienten zu evakuieren und wegzuschaffen. Matt war kein Pessimist, aber irgendwie fiel ihm nur ein Vorteil ein, ein Krankenhaus für schwierige Fälle hoch oben zu bauen: In diesem Fall war es genau die Isolation. Bei einer Firma wie Lucar, über die soviel gemunkelt wurde, würde es ihn nicht wundern, wenn sie diese Einsamkeit nutzten, um ihren Forschungen nachzugehen, die zweifelsohne teils schreckliche Tatsachen verbarg. Außerdem fiel es bei schwerkranken und komatösen Patienten nicht so sehr auf, wenn viele verstarben und nicht zurückkehrten. So betrachtet wäre es wirklich ein guter Schachzug und wenn sogar Matt das dachte, dann hatte es die um einiges vorsichtiger denkendene Zoé sicher auch schon in Betracht gezogen. Sie hatten sich nur ein wenig Proviant in Quai besorgt und als sie den Ort verließen, begann es gerade zu schneien. "Wow... ich habe es noch nie schneien sehen", flüsterte Amylia und hielt staunend ihre Hände auf, um Schneeflocken zu fangen, die auf ihren Handschuhen sofort schmelzten. Matt musste zugeben, dass der Schnee hier um einiges schöner war. In der Stadt hatte es nur selten geschneit und wenn doch, dann blieb er nie liegen oder aber er wurde grau und dreckig durch die ganzen Autos und Fußgänger.
Sie gingen ungefähr eine halbe Stunde durch die ebene Gegend, bevor es anfing, steiler zu werden. Es war schwierig für Matt, sich vorzustellen, wie sie vor drei Tagen noch in der Hitze Maricruz' gewesen waren und am Strand ausgelassen gespielt hatten. Jetzt strich ihm der eisige Wind durch das Gesicht und er stellte so kurz nach ihrer Ankunft bereits fest, dass diese Gegend hier ihm bisher am wenigsten gefiel. Natürlich hatte die schneeweiße Landschaft etwas für sich, aber sein Wetter war es jedenfalls nicht. Ironischerweise war Rei wiederum in Maricruz der einzige gewesen, der nicht besonders viel Spaß gehabt hatte, jetzt, wenn Matt darüber nachdachte... Er war die ganze Zeit alleine im Schatten gesessen und hatte ausgesehen, als würde er nicht wirklich zu ihnen und nach Maricruz gehören. Hier jedoch... hier passte er gut hinein mit seinem weißen Haar und der kalten Aura, die er seit geraumer Zeit mit sich trug. Es verging mindestens eine weitere halbe Stunde und sie froren alle mittlerweile, als Rei plötzlich mitten in einem Tal stehenblieb. "Was ist los? Wir sind doch noch nicht da oder?", fragte Matt und ging zu dem anderen nach vorne. Rei war stets mit einigen Metern Abstand vor ihnen hergeschritten und hatte den Weg angegeben, doch jetzt sah er mit einem blanken Ausdruck auf den Schnee vor seinen Füßen, war offenbar tief in Gedanken versunken. Er hob seinen Blick zu den Bergen, die sie ringsum umgaben und ließ ihn zu Matt wandern, schwieg allerdings noch immer. Inzwischen waren auch Zoé und Amylia nähergetreten und sahen den Albino fragend an. "Matt", begann er schließlich leise und der Blonde hatte ein ungutes Gefühl. Er ahnte, dass nichts Gutes kommen konnte. Bevor jedoch ein anderes Wort kam, stieß Rei Amylia plötzlich um; ein Schrei hallte durch die Gegend und geschockt sah Matt, wie sich in Amylias Bauchgegend Blut ausbreitete. "Geht in Deckung", meinte Rei und wie in Panik sah sich Matt um. Es war hier weit und breit nicht einmal ein Baum, hinter dem sie sich verstecken könnten! Bis auf den kleinen Gebirgsfluss, der hier vorbeilief, schien nichts besonderes zu sein. Die Zeit verging und bis auf Amylias japsendes Atmen und das Plätschern von Wasser war nichts zu hören und kein weiterer Schuss kam. Matt eilte zu ihrer Seite, an der auch schon Zoé kniete. Sie presste gegen die Wunde und begann, sie mit dem Erste Hilfe Koffer zu verarzten. "Der Schuss hat sie zum Glück nur gestriffen", sagte sie gestresst, als sie die Bandage festmachte. Während Matt sich besorgt an Amylia wandte, stand Zoé auf und ging schnurstracks auf Rei los. Sie packte ihn am Kragen und fragte wütend: "Woher wusstest du, dass dieser Schuss kommen würde?! Niemand dürfte wissen, wann und wie wir gehen würden! Warum würde ein Fremder auf uns schiessen? Was ist hier los, Rei?!"
Rei riss sich mit Gewalt los und schlug Zoés Hand weg. "Fass mich nicht an", sagte er kalt, antwortete aber auf keine ihrer Fragen. "Wir sollten sie erst einmal zu einem Arzt bringen", unterbrach Matt die eisige Stille, noch immer beschäftigt damit, sich um Amylia zu kümmern. Er hob sie vorsichtig hoch und trug sie als wäre sie eine Braut, die man über die Schwelle brachte. "Kommt schon, beeilen wir uns", forderte er sie auf, als sich beide nicht rührten. Er konnte richtig sehen, wie erwartungsvoll Zoé ihn ansah und herausforderte, dass er etwas zu Rei sagte. Und er hätte gelogen, wenn er behauptet hätte, keine Angst zu haben und nicht vollkommen erstaunt über den Weißhaarigen zu sein... nur hatten sie dafür jetzt keine Zeit; sie mussten weg von hier, bevor sie erneut angegriffen wurden und Amylias Verletzung hatte Priorität. Sie gingen los, aber viele Schritte kamen sie nicht weit, als jemand vor ihnen auftauchte. Erstaunt öffnete Matts Mund sich wie von selbst. "Joshua?"