Black List 26

Nov 30, 2008 00:49

"Das Meer ist wirklich bezaubernd... sogar bei Nacht", stellte Matt fest, als er auf dem Hafen stand und sich selbst davon überzeugen konnte. Die zu Tag noch azurblauen Wellen waren in einem bedrohlich schwarzen Ton gefärbt, aber das tat ihrer Schönheit nicht zum Abbruch. "Ja, ich kann noch immer nicht genug davon bekommen, es anzusehen... obwohl ich es jeden Tag zu Gesicht bekomme", stimmte Amylia verträumt zu. Das Passagierschiff, das Zoé für sie gebucht hatte, stand bereits seit geraumer Zeit im Hafen und wartete nur darauf, dass die letzten Gäste an Bord gingen. Matt sah sich mittlerweile unruhig um; Rei hatte ihn vorhin angerufen und den Ort, sowie Zeit ihrer Abreise erfahren. Also warum brauchte er nur so lang? Auf das Drängen Zoés hin stieg er schließlich mit Amylia an Bord, aber nicht ohne noch einmal Ausschau zu halten. Gerade, als ihm dämmerte, dass Rei womöglich wirklich nicht rechtzeitig erscheinen würde, war ein hellhaariger Kopf zu sehen - und der dazugehörige Junge rannte wie um sein Leben auf das Schiff zu. "Da ist er! Hey! Hey, Kapitän! Wartet noch einen Moment!", rief Matt ungeachtet dessen, dass die einzigen, die seine Worte hörten, seine beiden Reisegefährtinnen und irgendwelche anderen Passagiere waren. Mehr als zuckende Schultern und meckerndes Getuschel erhielt er nicht als Reaktion, aber das war ihm momentan völlig egal, denn seine ganze Aufmerksamkeit war auf Rei gerichtet, der in letzter Sekunde auf das Schiff sprang. "Du hast mir ganz schön Sorgen bereitet!", sagte Matt und knuffte den anderen in die Schulter. "Jaja, du mich auch", gab Rei japsend zurück und brachte den Blonden damit zum Grinsen. Wie in guten alten Zeiten, als sie noch zu zweit unterwegs waren... apropos Ex-Zweisamkeit! Der fragende Blick Amylias entging Matt nicht und er reagierte schnell: "Amylia, du hast Rei kurz am Strand gesehen... vielleicht erinnerst du dich nicht so gut. Er gehört jedenfalls zu uns, ich habe ihn nur darum gebeten, Kane nach Hause zu begleiten. Und wo wir schon davon sprechen... wie lief es eigentlich?" Damit klinkten sie sich in die Erzählungen à la "Was ist inzwischen bei den anderen passiert?" ein - und Amylia klinkte sich ganz subtil aus, um mit Zoé zu plaudern - , etwas, das im Laufe der Reise fast zur Gewohnheit wurde. Rei erzählte ziemlich spärlich und ließ die emotionalen Details aus. Lediglich die wichtigen Fakten ließ er rüberwandern; dass sie einen Berg besteigen mussten, um Kräuter für Kanes kranken Vater zu holen und er darum länger gebraucht hatte. Matt war sichtlich geschockt darüber, nichts über den ernsthaften Zustand des Familienoberhauptes gehört zu haben und Rei hatte das dumpfe Gefühl, dass er versucht hätte, mit jedem erdenklichen Mittel - in diesem Fall vermutlich mit Geld - zu helfen, hätte Kane ihn darauf angesprochen. Und genau deswegen hatte es der stolze Sturkopf wohl für sich behalten...

Das Schiff legte los und Reis Knie schwabbelten gefährlich herum, bevor er sich plötzlich die Handfläche vor den Mund schlug. "Rei! Alles okay? Sag bloß, du bist... seekrank?" Besorgt rieb Matt dem jüngeren über den Rücken. "Urk... keine Ahnung, ich bin zum ersten Mal auf einem Schi-", presste Rei hervor, bevor er sich erneut den Mund hielt und zur Reling lief. Kurz darauf waren würgende Geräusche zu hören, die Matt das Gesicht verziehen ließen. Das würde wohl eine lange Schifffahrt werden... zumindest für einen von ihnen!

Ihre Reise auf dem Meer würde einige Tage dauern und Matt gähnte, denn es war schon spät. Nur war sein Kopf so gefüllt mit Gedanken und Sensationen und er wollte sich nicht schlafen legen. Vermutlich hätte er ohnehin seine Schwierigkeiten gehabt, abzuschalten. So stand er also auch als die meisten Passagiere bereits in ihre Kabinen gegangen waren noch auf dem Deck und sah auf den Ozean hinaus. Er lehnte mit den Armen auf der Reling und ließ sich den Fahrtwind durch das Gesicht streichen. "Über was denkst du nach?", fragte eine Stimme und Amylia trat langsam näher, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Sie gesellte sich zu Matt und stellte sich neben diesen, während er überlegte, was er antworten sollte. "Über... alles. Es ist soviel passiert in den letzten Tagen." Er hielt kurz inne und sah sie an. "Ich muss ehrlich sagen... es wundert mich, dass du wirklich mitgekommen bist. Ich meine, ich freue mich natürlich sehr, aber kann ich dich fragen, was dich dazu bewegt hat? Keiner hätte es dir verübelt, wenn du nicht zugesagt hättest... vor allem, nach dem, was du in dem Restaurant mitgekriegt hast." Allein über den Vorfall nachzudenken war Matt ein wenig unangenehm. Er war nicht sauer auf Zoé oder dergleichen, aber sie hatten seitdem noch immer kaum geredet und der Frieden beruhte anscheinend nicht auf Gegenseitigkeit. Amylia sah abgelenkt aus: Sie wischte sich gedankenverloren eine ihrer Locken hinter das Ohr und betrachtete die Wellen. "Hmm... gute Frage. Ich hätte mich auch nicht für eine der Personen gehalten, die von einem Tag auf den anderen alles stehen und liegen lässt und sich auf eine Reise begibt", begann sie überlegt. "Ich wollte schon immer mal Abenteuer erleben, aber ich bin mein Leben lang nicht von Maricruz weggekommen. Meine Eltern sind nette Menschen und ich bin wohlbehütet aufgewachsen, aber manchmal komme ich mir ein wenig überbeschützt vor. Ich glaube... ich glaube, ich habe dich dafür bewundert, dass du mit wildfremden Menschen reist und so schnell Vertrauen fassen kannst. Ich habe wohl gedacht... dass das eine Person ist, der ich auch gerne vertrauen würde." Amylia wandte sich ihm nun langsam zu. Matt war völlig baff. Er hatte dank seiner Laufbahn viel mit den verschiedensten Leuten zu tun gehabt, darunter natürlich zahlreiche Mädchen und Frauen, die alle auf ihre Weise besonders gewesen waren. Ihm war es jedoch nie wirklich ernst gewesen und bei dem einzigen Mädchen, das sein Interesse auch behalten hatte, hatte es sich um eine einseitige Jugendliebe gehandelt. Doch hier in diesem Moment dachte er sich... ja, es war anders mit Amylia. Sie schien nicht nur an der Oberfläche zu glänzen wie die meisten, sondern auch im Inneren interessant zu sein. Soviele Aspekte schienen verborgen zu sein und darauf zu warten, entdeckt zu werden; genau wie sie die Welt entdecken wollte.

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Am zweiten Tag ihrer Reise auf dem Meer sprach ihn Zoé schließlich an. Sie tat so, als ob nichts gewesen wäre. Matt wusste nicht, ob sie ihm verziehen hatte oder aber womöglich eingesehen hatte, eine Grenze überschritten zu haben. Es war ihm eigentlich gleich, solange sie wieder auf guter Basis miteinander kommunizieren konnten. Er war gerade in seinere Kajüte, die er sich mit Rei teilte, während Amylia und Zoé in der Nähe untergebracht waren. Soviel Zeit auf einem Schiff zu verbringen konnte auch langweilig sein, weswegen er sich ein Buch von Amylia ausgeborgt hatte. Es war ein Liebesroman, nicht unbedingt die Art von Lektüre, die Matt sich normalerweise kaufen würde. Dann wiederum las er sowieso nicht besonders viel und dieses Werk war überraschenderweise ergreifend und spannend. Er war gerade in die Szene vertieft, in der das Mädchen ihrem Liebhaber das Herz brach, als es an der Tür klopfte und Zoé eintrat. "Hey", sagte Zoé. Er entgegnete ihr dasselbe, Im ersten Moment dachte Matt, sie war nur hergekommen, um ihm etwas wichtiges mitzuteilen, aber da dem wohl nicht so war, fügte er nach einem Moment hinzu: "Komm doch rein, setz dich." Er pattete auf den Platz neben sich auf der Bettkante und legte das Buch beiseite, darauf bedacht, unbedingt das Lesezeichen an die richtige Stelle einzulegen. Zoé hob dezent die Augenbraue, als ihr Blick auf den Titel des Romans fiel - "Von Liebe und Leidenschaft" - , kommentierte aber nichts. Matt überlegte kurz, ob er versuchen sollte, etwas Smalltalk zu führen, doch es kam ihm in dem Moment unpassend vor. Entgegen seiner Erwartungen handelte es sich um keine unangenehme Stille, sondern ein friedliches Beisammensein - angesichts der Tatsache, dass sie einfach in die Kajüte gekommen war ohne viel zu sagen, eigentlich ein wenig paradox. "Ah", machte Matt plötzlich, da ihm etwas einfiel, das er schon seit längerem fragen wollte. "Zoé!" Er wandte sich so energisch an sie, dass diese die Augen skeptisch weitete. "Lawrence... Der Vampir Lawrence. Ich wundere mich schon die ganze Zeit... wie kommt es, dass er zwei Elemente hatte? Und dann ist er gleichzeitig noch ein Vampir! Ich dachte, Bestia und Phasma wären voneinander getrennte Gruppen", sprach Matt und genau in dem Moment, in dem Zoé antworten wollte, öffnete sich die Tür erneut und Rei trat ein. "Naja, es gibt bestimmte Sonderfälle. Du weißt doch sicher, wie man Tiere kreuzen kann. So ähnlich läuft das bei Bestia und Phasma ab. Es können Mischungen entstehen. Aber ich denke, bei Lawrence war es einfach dieser Fall: Er war ursprünglich ein Phasma. Immerhin erschien er trotz seines Daseins als Vampir mehr Magie zu benutzen, nicht wahr? Sein Partner hatte mehr die typischen tierischen Eigenschaften; er konnte Fledermäuse rufen und sich in eine Blutlache verwandeln. Ich glaube, Lawrence wurde einfach als Mensch von einem Vampir gebissen und anschließend zu einem gemacht. Aber wie er zwei Elemente beherrschen konnte, ist mir auch ein Rätsel..." Sie zog nachdenklich eine Schnute und sah dann zu Rei, der an der Tür erstarrt war. "Weißt du vielleicht was darüber, Rei?" Matt stellte etwas verwundert fest, dass Rei betreten wegsah. "Nein...", murmelte der, aber sein ganzes Bild sagte etwas anderes aus. "Ich hätte dich eigentlich für einen besseren Lügner gehalten mit deinem Pokerface und allem", bemerkte Matt, sein Lächeln betonte; er meinte es nicht böse. Rei empfand es aber nicht als besonders lustig, er setzte sich schweigend auf das Stockbett, allerdings oben auf seinen eigenen Platz. Matt und Zoé sahen sich fragend an, als Rei begann zu sprechen. "Es... handelt sich womöglich um Lucar Corp." Matt runzelte die Stirn. Er kannte den Firmennamen; in der Stadt war es für ihre Pharmazie sehr bekannt gewesen, obwohl es in letzter Zeit Gerüchte gab... "Lucar Corp... haben sie nicht vor kurzem einen Skandal verursacht? Es kam heraus, dass einge ihrer Testobjekte, sei es nun Tier oder Mensch, unschöne... Mutationen widerfahren waren", überlegte Matt. "Genau die. Es ist gut möglich, dass sie jemandem mit einer magischen Begabung ein zusätzliches Element hinzufügen konnten", kam von oben und Zoé sah alarmiert aus. "Das Krankenhaus, in dem mein Bruder sich befindet, gehört soweit ich weiß auch zur Firma Lucar!", stieß sie aus und Matt sah sie überrascht an. "Lucar hat verschiedene Zweige auf der ganzen Welt ausgebreitet, vorwiegend aber im Kontinent Madeas. Und in Odalis ist der Hauptsitz", erklärte Rei. "Du... wusstest das alles die ganze Zeit? Warum hast du mir nichts davon gesagt?" Reis Beine erschienen über ihnen; sie baumelten herunter, bevor der Junge ganz hinuntersprang. "Hätte es einen Unterschied gemacht? Wir wären sowieso nicht viel schneller dorthin gelangt. Du hast die Juwelen doch. Tausch sie gegen die Sicherheit deines Bruders ein und du musst keine Angst haben, dass sie ihn womöglich heimlich als Testperson benutzen. Meine Reise endet jedenfalls in Odalis", sagte Rei und hatte den beiden dabei den Rücken zugewandt. Er verließ den Raum und Matt starrte noch lange auf die Tür und versuchte dabei, das alles zu verdauen. Rei hatte also ebenfalls Geschäfte in Odalis? Er wusste ja, dass der Junge relativ kühl war, aber eine solche Kälte wie eben hatte er ihn noch nie ausstrahlen sehen... und er konnte nicht anders als Mitleid für Zoé zu empfinden, die verständlicherweise geschockt und erschüttert war.
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