Оруэлл в СССР. "Операция Гутенберг", или Как Оруэлл пошёл в народ

Feb 18, 2017 16:41

В проект по истории советской социологии войдёт и мой мемуар о том, как я сотрудничала с Отделом научного коммунизма ИНИОН АН СССР по изданию серии реферативных сборников, посвящённых анализу утопии и утопического сознания. Несколько авторов, среди них Виктория Чаликова, Леонид Седов, Лев Борисович Волков, сделали обзор классики утопической литературы с позиций 70-80-х гг. ХХ-го века. Среди избранных сочинений верхнюю строчку занимал роман "1984-й год" Дж. Оруэлла. Во время подготовки рефератов у нашей исследовательской группы не вполне легальным путем оказался в руках совершенно необходимый для работы текст запрещённого романа Оруэлла на русском языке. Надо сказать, что и сам этот перевод появился не вполне легальным путем, а точнее совсем нелегальным. Он был издан тиражом (не помню точно!) где-то около 500 экземпляров "для служебного пользования". То есть, политика цензуры, описанная в самом романе, уже в виде советской реальности приняла участие в его судьбе. Поимённая рассылка экземпляров "членам внутренней партии" была дословной инсценировкой самого романа, его воплощением в советской реальности. Моя подруга Вика Чаликова потеряла этот секретный экземпляр романа. Для нас, ради работы похитивших его из дома одного из получателей рассылки, это была катастрофа, последствия которой можно было сформулировать как "полной гибелью всерьёз".
Я не перевела пока текст с немецкого. Но многие мои френды смогут прочесть текст по-немецки, а для других со временем будет русская версия.
История эта появляется в немецкой прессе каждый юбилейный год оруэлловского романа: впервые в 1984, затем в 1994, в 2004 в 2014 и в последний раз в прошлом неюбилейном году.
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Larissa Lissjutkina. Die „Operation Gutenberg“. Persönliche Erinnerungen an „1984“.
Die antiken Philosophen haben gewusst, dass Bücher - ähnlich wie Menschen - ihr eigenes Schicksal haben. Bücher wie Menschen werden unter schmerzen geboren. Manchmal ist der offizielle nicht der richtige Vater. Bücher wie Menschen können früh sterben oder ein langes Leben haben. Beide sind manchmal gezwungen, ihr Dasein im Untergrund zu fristen.
Ich kenne ein Buch mit einer erstaunlichen Lebensgeschichte. Es soll, nehme ich an, in einem Regal einer Wohnung der Zwölfmillionenstadt Moskau stehen. Der Verfasser heiß eigentlich Eric Blair. Es ist der englische Schriftsteller George Orwell. Er veröffentlichte diesen Roman 1948 unter dem Titel „1984“; die zwei letzten Ziffern des Erscheinungsjahres vertauscht, ergaben den Titel: „1984“.
In der Sowjetunion hatte das Buch früher keine Lebenschance. Denn es zeichnet fiktiv das düstere Entwicklungsbild der englischen Gesellschaft, in der nach einer erfolgreichen Revolution eine Sowjetmacht errichtet wurde. Der illegale Besitz, ja das Lesen dieses Romans in der für Sowjetbürger fast unzulänglichen englischen Originalsprache wurde als Hochverrat bestraft.
Anfang der achtziger Jahre nährte sich langsam das im Titel des Buches genannte Datum, das Jahr 1984. Die Sowjetregierung reagierte darauf so: der „Progress“-Verlag druckte in der so genannten Weißen Reihe den Roman von Orwell auf Russisch in einer Auflage von 500 Exemplaren. Das Buch wurde unter völligem Ausschluss der Öffentlichkeit zur Verteilung an Menschen bestimmt, die zur Spitze der „Nomenklatur“ - oder mit Orwells Worten - zur „inneren Partei“ gehörten. Nach allen Regeln waren es Raubkopien, aber die „Nomenklatur“ lebte von Raub.
Gleichzeitig mit der parteiinternen Verteilung des Orwell-Romans wurde noch eine andere Aktion gestartet: zwei Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften, eine Historikerin und eine Soziologin, erhielten den Auftrag, Reaktionen im Westen auf das bevorstehende „Jubiläumsjahr 1984“ zu erforschen und zu analysieren: wie würde die Presse reagieren, wie die Politiker und Intellektuellen? Würden sie erklären, dass die Orwell’schen Voraussagen einer totalitären Diktatur sich in der Sowjetunion bewahrheitet hätten? Kurz, die kommunistische Partei wollte wissen, ob sie dort drüben auf diese weise „verleumdet“ würde.
Dieser Auftrag wurde meiner Freundin und mir zugeteilt. Die „feindlichen“ Zeitungen und Zeitschriften konnten wir in den großen Bibliotheken lesen, wo es so genannte Giftschränke mit besonderer Zugangserlaubnis gab. Aber für unsere Arbeit brauchten wir doch vor allem den Roman von Orwell selbst! Wir hatten schon eine gewisse Erfahrung im Auftreiben von verbotener Literatur, und so führten wir gleichsam eine „Massenumfrage“ bei Verwandten und guten Bekannten durch - aber niemand besaß das Buch des „Verräters“ Orwell. Ganz unerwartet kamen wir dann doch dazu: ein Exemplar der für die Bonzen bestimmten Auflage brachte uns eine Freundin, die kurz vorher bei einem „berechtigten Besitzer“ zu Besuch gewesen war. Ohne dem Hausherrn ein Wort zu sagen, hat sie das Buch einfach von dem Regal genommen und in ihre Handtasche gesteckt. Auf unsere besorgten Fragen erwiderte sie, er würde es nicht merken, als Staatsmann hatte er sowieso keine Zeit für Romane.
Umso größer war unser Entsetzen, als meine Mitarbeiterin wenige Tage danach das zum guten Zweck gestohlene Buch in einer Fleischerei liegen lies, in der es an diesem Tag ausnahmsweise tatsächlich noch Fleisch gab. Zuerst hatten wir noch Hoffnung, es zurückzubekommen - denn wer könnte damit schon etwas anfangen: der Metzger, oder aber einer der Rentner, die nach Fleisch Schlange standen? Vergebens. Wir konnten nur noch gelähmt spekulieren, wer als erster verhaftet werden würde: meine zerstreute Mitautorin, ich selbst, die Buch-Diebin oder ihr hoch stehender Bekannter mit dem Exemplar Nummer 007.
Unter größter Angst stellten wir unsere Analyse der westlichen Presse fertig. Sie wurde in einer besonderen Zeitschrift mit dem Vermerk „Nur für den Dienstgebrauch“ veröffentlicht. Meiner Freundin und mir wurde eine Prämie gewährt. Aber wir waren fix und fertig. Schließlich weihten wir unsere Bekannte, die das Buch besorgt hatte, ein. Nun konnten wir alle drei nicht schlafen. Sie beichtete endlich alles ihrem Mann, einem Maler. Er war ein optimistischer und erfindungsreicher Mensch, einer der „Helden“ sowjetischer Untergrund-Avantgarde. Er hatte zum Beispiel ein Hobby, sich immer eine Monatskarte für alle Moskauer Verkehrsmittel zu fälschen, obwohl er die echte für nur sechs Rubel hätte erstehen können. Aber, sagte er, wozu habe ich denn fünf Jahre lang die Kunst der Graphik an der Moskauer Kunstakademie studiert?
Als Erstes hat uns der Künstler mit allen schweren russischen Flüchen belegt, die jeder Übersetzung trotzen; und danach breitete sich unser Geheimnis wie ein Tintenfleck auf dem Tischtuch aus: nach ein Paar Tagen saßen wir bereits in einer „operativen Beratung“, an der nicht weniger als ein Dutzend Eingeweihte beteiligt waren. Wir bereiteten die „Operation Gutenberg“ vor: man musste ein Buch wie das verlorene besorgen und so schnell wie möglich auf einem Gerät kopieren, wie es nur die Staatssicherheit besaß. Die Freundin eines arbeitslosen Schauspielerfreundes arbeitete an einem dem KGB gehörenden Kopiergerät. Sie müsste es für uns missbrauchen, befreundete Aktivisten des „Samizdat“ müssten die Seiten binden, und die Titelseite müsste mit der Nummer 007 des verschwundenen Exemplars und mit einem sechseckigen Siegel - kurz „Mutter“ genannt - ausgestattet werden. Dann sollte die selbst gemachte Kopie stillschweigend wieder auf den alten Platz gestellt werden. „Und was machen wir, wenn das Original wieder auftaucht?“, fragte zynisch der avantgardistische Fahrscheinfälscher.
Ungefähr eine Woche lang hat die ganze „Orwell-Mannschaft“ nach einem zweiten „Progress“-Buch gesucht, das wir für unseren Plan brauchten. Gefunden hat es - wie konnte es anders sein - die gleiche Freundin, die uns auch das erste Buch gebracht hat. Eines Abends saßen wir, die Bande von Staatsfeinde und Verschwörer, an einem Küchentisch und betrachteten ein kleines weißes Büchlein mit den Zahlen „1984“ auf dem Cover; es sah aus wie selbst gemacht. Bis zu frühen Morgen lasen wir eine wahrhaftige Geschichte von George Orwell vor, die in der Wirklichkeit, leider, mit unserem Land und mit jedem von uns passierte. In der Morgendämmerung hat der arbeitslose Schauspieler das Buch unter seinen Pullover gesteckt und entfernte sich in Richtung der KGB-Zentrale, wo seine Freundin schon um 7 Uhr morgens ihre Schicht antrat.
Gegen 6 Uhr abends des gleichen Tages waren wir mit dem Sortieren von Blättern beschäftigt, die im „Wespennest“ des Feindes liebevoll und sorgfältig hergestellt wurden. Als Entgelt für ihre Bemühungen wollte die Freundin des Schauspielers ein Exemplar für sich haben. Übrigens, hatte sie weder Angst noch Ehrfurcht gegenüber ihrer „Firma“ gezeigt: „Alles gelogen und erfunden, was der Allmacht der Staatssicherheit betrifft. In der Tat ist auch da alles verfault. Ist es nicht der beste Beweis?“ - und sie zeigte auf die kopierten Blätter des Orwell-Romans.
Für das Cover konnten wir ein echtes weißes Papier vom „Progress“-Verlag bekommen, das auch für das Original verwendet wurde. Natürlich haben die erfahrenen „Selbstverleger“, die für uns das Buch gebunden haben, jede Menge weiterer Kopien von unserem Exemplar gezogen. Die Nachfrage war groß, die Preise hoch und die „Samizdat“-Profis wussten genau, wie man mit dem Verbotenen Geld verdient. So ist Georg Orwell unter das Volk gekommen.
Man konnte unser selbst gebasteltes Buch vom echten kaum unterscheiden. Besonders kunstvoll wurden die Geheimnummer 007 und das Siegel des Giftschrankes gefälscht - unser Avantgardist hatte nicht umsonst die Schulbank der Kunstakademie gedruckt.
Ein Paar Jahre später konnte man beobachten, wie die „feindlichen“ Bücher aus den Giftschränken entlassen und in die normalen Bibliotheksregale gestellt wurden. Die sechseckigen „Geheimsiegel“ hat man dabei einfach durchgestrichen oder mit dem weißen Papier zugeklebt. Noch ein Jahr verging, und der besagte „Progress“-Verlag hat eine neue Orwell-Auflage herausgebracht; jetzt konnte man das „gefährliche“ Werk an jeder Ecke kaufen.
Was aus unserem selbst gemachten Buch geworden ist, wissen wir nicht. Wurde es von jemandem je gelesen? Steht es immer noch in dem Regal, in das es unsere Freundin heimlich gesteckt hat? Ist sein Besitzer noch am Leben?
Schade, dass es keinen Gutenberg-Preis für bestes selbst gemachtes Buch gibt. Ich denke, wir hätten ihn verdient.

КУЛЬТУРА, ИСТОРИЯ, МЕМУАР, ЛИТЕРАТУРА, ПОЛИТИКА, КНИГИ, ЯЗЫК

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