Ficathon:
like the whisper of the windFandom: The Walking Dead
Characters: Daryl, Merle [Brother Complex] & Neal [oc]
Rating: P-16 Slash
Prompt:
I know things will get better von
tears_into_wineAnmerkung: Alles andere als eine fluffige Umsetzung. Durch die Länge leider geteilt.
VI
Die Nacht war kälter als die vorangegangen. Merle hatte sich bereits schlafen gelegt und sich dabei in sämtliche Sachen gehüllt, die sie bei sich trugen. Daryl saß mit Neal noch am Feuer, starrte in die Flammen und rieb sich stetig die Hände aneinander.
»Bald wird es zu kalt sein, um draußen zu schlafen«, murmelte Neal nur, der seine Hände an den Mund hob und hinein hauchte, ehe er sie wieder dem Feuer entgegen streckte. Sie sollten es größer machen. Aber je mehr Flammen es gab, desto leichter waren sie zu finden - nicht nur für die Untoten. Sie waren vorsichtiger geworden, jetzt da sie der Stadt näher kamen. Hier waren nicht nur die Beißer unterwegs. Schon zwei Mal waren sie auf Gruppierungen getroffen. Von der Ersten hatten sie sich fernhalten können. Mit der Zweiten und Kleineren waren sie aneinandergeraten. Es hatte Tote gegeben. Aber es war ihnen möglich gewesen, Munition und ein paar Konserven zu ergattern. Unschöne Situationen. Umso beruhigender war es, jetzt einfach so hier sitzen zu können.
»Vermutlich. Aber es ist auch nicht mehr weit bis Atlanta. Dann kannst du dir Häuser suchen, in denen du übernachten kannst.«
»Du redest, als würdet ihr danach wirklich einfach weiterziehen. Ist das wirklich das, was ihr wollt?«
»Merle will es so ... und ich lasse meinen Bruder nicht allein.«
»Obwohl er dich behandelt wie Dreck?«
Neal blickte flüchtig hinter Daryl - dorthin, wo der ehemalige Soldat lag und schlief.
»Er ist eben so. Er ist nicht gut darin, Gefühle zu zeigen. Wir hatten es nie leicht. Das hat uns hart werden lassen. Er beschimpft mich und mir ist es egal. So läuft das bei uns.«
»Du könntest bei mir bleiben. Wenn wir in Atlanta sind, meine ich. Du bist nicht verpflichtet dazu, ihm immer nur hinterherzulaufen.«
Daryl runzelte die Stirn, wandte sich dann langsam Neal zu und schüttelte leicht den Kopf. »Du hast keine Familie mehr. Wie kannst du das sagen? Er ist alles, was ich noch habe.«
»Dann überzeuge ihn davon, auch in Atlanta zu bleiben. Ihr müsst nicht ... immer nur draußen sein. Ihr könnt auch Ruhe finden.«
»Dafür sind wir nicht gemacht. Wo wir auftauchen, gibt es Ärger.«
Neal lächelte leicht und blickte dann wieder ins Feuer. »Mir habt ihr nicht sonderlich viel Ärger gemacht.«
»Du bist auch nur Einer. Bei einer größeren Gruppe wird es schon schwieriger.«
»Wenn du meinst.«
Daryl nickte und sie schwiegen für einige Zeit.
»Nun ... ich bin müde. Ich denke, es geht in Ordnung, wenn du die erste Wache übernimmst, oder? Wecke mich einfach in drei Stunden.«
Neal machte sich daran aufzustehen, aber dann hielt er doch noch einmal inne, blickte Daryl an und lächelte dann leicht. »Du bist wirklich in Ordnung, Daryl. Es ist schade, dass du dein Potenzial verschwendest, indem du bei ihm bleibst.«
Mit dem Daumen deutete der Blonde über seine Schulter, während abermals einige Haarsträhnen in sein Gesicht glitten. Daryl starrte sie an, dann die grünen Augen. Im Feuer sahen sie dunkel aus, aber er hatte sie am Tag gesehen und so ein sattes Grün war so selten, dass man es einfach in Erinnerung behielt.
»Es ... es ist egal, was du sagst oder tust«, murmelte er und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Du wirst uns nicht auseinanderbringen.«
»Das habe ich auch nicht vor. Ich sage es nur und dass du so darauf anspringst, zeigt nur, wie oft du selbst daran denken musst.«
Neal zwinkerte und dann ... dann war es nur eine flüchtige, nicht zu erwartende Handlung, die Daryls Weltbild auf den Kopf stellte. Eine so schnelle, kurze Berührung, dass er nicht zurückweichen konnte. Erst, als sich Neal aufrichtete und zu einem der Bäume ging, um sich dort zusammen zu rollen, hob der Armbrustschütze die Hand, wischte sich hastig über die Lippen und starrte mit riesigen Augen den nunmehr klein gewordenen Schemen an, der sich gerade von ihm entfernt hatte. Das durfte doch nicht wahr sein! Was bildete sich der Kerl ein?!
Er wollte aufspringen, dem Blonden mit einem Tritt zeigen, dass er nicht der Typ für solche üblen Scherze war, aber sein Körper war wie gelähmt. Er konnte sich einfach nicht rühren. Einbildung. Das war sicher nur eine Einbildung gewesen. Das konnte einfach nicht Neals Ernst sein.
Sie sprachen nicht darüber. Den ganzen Tag nicht. Und auch in der Nacht hielten sie sich voneinander fern. Daryl würde es nicht zugeben, aber dieser kurze Kuss hatte seine Weltanschauung aus den Verankerungen gerissen und nun spielten sein Verstand und sein Körper ein böses Spiel mit ihm. Sein Kopf machte ihm deutlich, dass er sich darauf nicht einlassen sollte, weil er allein besser dran war. Sein Körper aber war da ganz anderer Meinung. Nähe war in diesen Tagen ein seltenes Gut und aufgrund seines Charakters war sie schon vorher immer schwer zu bekommen gewesen. Es war nie so, dass er sich danach gesehnt hätte, aber ... ab und an etwas Zuneigung zu spüren, wusste selbst so ein kalter Bastard wie er sehr zu schätzen. Doch Neal war ein Mann. Daryl hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, ob er irgendetwas mochte. Manchmal war er sogar so weit gewesen, sich als völlig unromantisch und asexuell zu bezeichnen, weil da nie der Wunsch gewesen war, jemandem so nahe zu kommen, dass sich tatsächlich solche Handlungen anbahnten. Für Neal schien das kein Problem zu sein. Er tat es einfach und jetzt ... hatte Daryl die Misere. Hätte Merle das gesehen - sein konservativer, höchstgläubiger, allesfeindlicher Bruder - dann hätte das übel enden können. Dass Neal nicht darauf herumritt oder gar weitere Annäherungsversuche startete, beruhigte Daryl nur bedingt. Je mehr Zeit sie schwiegen und einander aus dem Weg gingen, desto stärker wurde das Verlangen in ihm, es noch einmal zu spüren.
Doch dieser Tag war voll mit unvorhersehbaren Geschehnissen. Sie trafen auf eine Gruppe von Bikern, die durch die Umgebung zogen und auf alles schossen, was sich bewegte, ob es nun Untote waren oder Menschen. Ihnen flogen die Kugeln um die Ohren und jeder Widerstand wurde im Keim erstickt, nachdem sie hinter einem Backsteingebäude Deckung suchten und nach und nach umringt wurden. Momente, in denen Daryl sich doch sicher war, dass es nicht verkehrt war, nur seinen Bruder um sich zu haben und niemanden sonst. Er begann die Menschen mehr und mehr zu hassen, weil die Apokalypse sie zu Monstern machte. Sie waren da keine Ausnahme, aber es selbst zu spüren, brachte das eigene Denken ziemlich in Bedrängnis.
»Sie werden nicht aufhören«, brummte Neal irgendwann, als er hinter der Mauer zusammensackte und sich den blutenden Arm hielt. »Scheiße.«
Merle schoss und Daryl kniete sich neben den Blonden, zog den Pullover tiefer und betrachtete den Streifschuss. Soweit er das einschätzen konnte, war die Wunde nicht lebensgefährlich, aber der Blutgeruch würde sich verbreiten und Untote anlocken, sobald sie aus dieser vertrackten Situation wieder raus waren.
»Du wirst es überstehen. Nur schießen wird schwierig. Gib mir die Schrotflinte!«
Neal händigte ihm die Waffe ohne Murren aus und lehnte sich weiter an die Wand, mit geschlossenen Augen. »Pass auf den Rückstoß auf. Der ist nicht ohne.«
»Das ist nicht das erste Mal, dass ich mit einer Waffe schieße.«
»Ich sag ja nur.« Neal ächzte leise, als er ein Lachen entließ, dass seinen Körper schüttelte und nur Schmerz verursachte. Daryl klopfte ihm noch einmal auf die Schulter, ehe er sich aufrichtete und hinter der Mauer hervorschaute. Die Reichweite der abgesägten Schrotflinte war nicht sonderlich gut, aber sie würde schon für einige Wunden sorgen, deswegen gab er sich kurz die Blöße, verließ die Deckung und entließ zwei Salven, die ihre Ziele trafen. Brüllend gingen zwei der Biker zu Boden und ein Dritter griff sich ins Gesicht. Eine Kugel hatte sein Auge erwischt. Blind schoss er weiter und traf niemanden von ihnen. Daryl wechselte auf seine Armbrust und während Merle ihm Feuerschutz gab, löschte er noch zwei weitere Leben aus.
Auf Lebende schießen - es fühlte sich vollkommen anders an und die Hemmungen waren größer, doch Neal war verletzt und Merle ebenfalls in Gefahr. Daryl durfte nicht zögern. Das war ihm bewusst. Trotzdem fühlte er sich beim dritten Schuss, der sich aus seiner Armbrust löste und sich in den Kopf eines Mannes bohrte, der kaum älter war als er, einfach nur furchtbar. Aber diese Biker hatten es darauf angelegt. Als sie nun sahen, wie ihre Mitglieder fielen, machten sie sich davon. Zwei Bikes ließen sie zurück. Das war das einzig Positive.
»Das lob ich mir«, frohlockte Merle sofort, als er der Staubwolke, die von den Flüchtenden hinterlassen wurde, nachsah und dann zu den Bikes ging. »Nicht so gut, wie das, was ich zuhause habe, aber besser als nichts.«
»Sehen wir zu, dass wir von hier wegkommen«, brummte Daryl nur und hob die zweite Maschine auf, nachdem er den Toten von ihr weggezogen hatte.
Auch Neal kam hinter der Deckung hervor und schluckte. »Haben wir alle in den Kopf getroffen?«
»Warum?«
»Keine Ahnung. Ich würde mich sicherer fühlen, wenn wir es tun würden.«
»Man kann sich nur infizieren, wenn man gebissen wurde, Bursche«, fuhr Merle ihn an, als er sich auf seine Trophäe setzte und sie startete. »Merk dir das!«
Neal blickte ihn voller Abscheu an, ehe er den Kopf schüttelte. »Wie ihr meint.«
Merle fuhr los, also blieb ihnen keine andere Alternative, als sich das zweite Motorrad zu teilen. Daryl setzte sich und ließ Platz für Neal, der sich hinter ihn setzte und die Arme um seine Taille legte. Daryl war nahe dran zu sagen, dass es genügte, wenn Neal nur seine Hüften anfasste, aber da war ein Knoten in seiner Zunge. Es spielte keine Rolle.
Sehr weit kamen sie mit den Benzinladungen nicht, aber Atlanta - so sagte ihnen ein Schild - war nur noch zwanzig Meilen entfernt. Eine Strecke, die man auch zu Fuß schaffen konnte. Siedlungen häuften sich, aber sie waren allesamt verlassen. Nur Horden von Untoten strömten durch sie, von denen sie sich fernhielten, auch wenn die Aussicht darauf, in einem Haus zu schlafen, sehr reizvoll war.
In der sich anbahnenden Dunkelheit war es schließlich Merle, der beschloss, dass sie sich ein Haus suchen mussten. Dicke Wolken hingen über ihren Köpfen und erste Regentropfen trafen sie. Im Falle eines starken Schauers konnten sie kein Feuer machen und würden ziemlich jämmerlich erfrieren. Der Gedanke gefiel ihnen allen nicht, deswegen räumten sie ein kleines Einfamilienhaus von verbliebenen Untoten frei und verbarrikadierten die Tür.
Sie fanden in den Schränken der Küche sogar noch die ein oder andere Dose. Hunde- und Katzenfutter. Nichts, was schmeckte, aber wenigstens den Magen füllte. Merle war derjenige, der das große Doppelbett im Schlafzimmer für sich beanspruchte und nur meinte, dass die anderen beiden schauen konnten, wo sie blieben. Es gab noch ein Kinderzimmer und eine ranzig aussehende Couch. Das Bett des Kindes war zu klein. Es blieb nur das Sofa. Weder Neal, noch Daryl waren scharf darauf, sich dort hinzulegen, aber einer musste in den sauren Apfel beißen, während der andere Wache hielt. Sie hatten sämtliche Vorhänge geschlossen, Kommoden vor die Tür im Eingangsbereich geschoben und auch die Hintertür zugestellt. Die Kellertür hatten sie zugeschlossen - für den Fall, dass dort unten durch irgendwelche Fenster Untote ins Innere des Hauses drangen. Die Leichen hatten sie rausgebracht. Vielleicht hielten sie andere Beißer fern. Alles war nur ein einziges Provisorium.
So wie das meiste, wenn man nur noch auf Überleben aus war ... und nicht auf Luxus. Der existierte nicht mehr. Die Dusche im Bad funktionierte nicht. Allerdings war das Wasser, das aus dem Wasserhahn des Waschbeckens kam, halbwegs klar. Das war schon mehr Komfort, als sie in den letzten Wochen gehabt hatten. Wie lange es allerdings noch reichen würde, war fraglich.
VII
»Merle schnarcht so laut, dass es mich nicht wundern würde, wenn wir diese Nacht noch überrannt werden.«
Daryl ließ von dem Wasser ab, dass er in das Waschbecken gelassen hatte. Er trug nur noch seine Hose. Der Rest war frei. Das war alles, woran er gerade denken konnte und ehe er seine Blöße bedecken konnte, hatte Neal schon gesehen, was er noch nie jemand anderem gezeigt hatte - nicht einmal Merle. »Scheiße ... diese Narben.«
Neal trat ins Bad, schloss die Tür und Daryl drängte seinen Rücken an die Duschkabinenwand, doch der Blonde war schonungslos. Er griff nach seinem Oberarm, drehte ihn herum und musterte die Narben, die von dem Kerzenlicht im Raum noch sichtbarer wurden. »Wer war das? Merle?«
Daryl senkte den Blick, schüttelte den Kopf und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber verdammt - er war niemandem hier irgendwelche Erklärungen schuldig! Harsch machte er sich von dem Griff los und griff nach seinem Shirt, um es sich überzuziehen. Dann musste er sich eben später gründlich waschen. Vielleicht hätte er nicht seinen Haaren den Vorzug geben sollen. Allerdings hatten die sich am schmierigsten angefühlt. Man gewöhnte sich daran, aber wenn man schon mal sauberes Wasser zur Verfügung hatte, dann sollte man das auch nutzen.
»Das geht dich nichts an«, presste er schließlich hervor und wollte sich an Neal vorbeidrängen, aber der stellte sich vor die Tür und versperrte so den Weg nach draußen.
»Es bringt überhaupt nichts, wenn du immer nur alles in dich hineinfrisst, Daryl«, erklärte Neal und die Stimmlage gefiel dem in die Ecke Gedrängten nicht. Sie klang so, als hätte Neal irgendwelche krummen Dinge vor.
»Ich fresse es nicht in mich hinein. Die gehören der Vergangenheit an. Nichts, worüber man noch reden muss.«
»Es gibt andere Dinge, über die wir reden sollten ...«
»Ich wüsste nicht, welche.« In Daryls Hals bildete sich ein Kloß, den er nicht herunterschlucken konnte. In diesem Moment fühlte er sich seltsam ausgeliefert und es war ein Gefühl, dass ihn zu sehr an seine Vergangenheit erinnerte. Ihm wurde heiß und kalt gleichzeitig. Neals Bild vor ihm verschwamm ein wenig.
»Siehst du ... genau das meine ich«, hörte er die Stimme des Blonden aus weiter Ferne und er schüttelte nur den Kopf.
»Lass mich in Ruhe.«
»Nein. Du brauchst mich. Und ich brauche dich. Du hast es gemerkt, oder? Du hast es genossen, nicht immer nur das Gerede von deinem Bruder zu ertragen. Komm mit mir nach Atlanta und bleibe bei mir.«
»Das kann ich nicht.«
»Warum nicht?«
Daryl schüttelte vehementer den Kopf. »Das habe ich dir bereits gesagt. Ich werde Merle nicht zurücklassen. Und du ... du bist ein Störfaktor. Ich musste mir nie über irgendwelche Dinge den Kopf zerbrechen, aber seit du da bist, tue ich das ständig.«
»Hat dich der Kuss so aus dem Takt gebracht?«
»Ja, verdammt! Welchen Typen würde das nicht so gehen?«
»Liegt es wirklich daran? Du hättest mich schlagen können, als ich geschlafen habe. Oder erschießen.«
Nein. So löste man derlei Probleme nicht. Das wusste selbst Daryl. In diesen schweren Zeiten war es natürlich einfach, den Abzug zu drücken, aber bei Neal. Nein. Er wollte es sich gar nicht vorstellen, den anderen auf diese Art und Weise loszuwerden. Und er wollte auch nicht, dass Merle es tat. Schließlich war die Initiative, dass Neal bleiben konnte, von ihm ausgegangen. Er war derjenige, der sich selbst in die Nesseln gesetzt hatte.
»Heutzutage kann man sich nichts aussuchen. Aber ... daran liegt es nicht. Ich mochte Männer schon vorher und du bist das Sinnbild eines attraktiven Mannes.«
Daryl hing fast ein Lachen quer. Attraktiv ... er ... mit den Narben, den strähnigen Haaren und schlechter werdenden Zähnen. Natürlich nahm Neal als Homosexueller, was er kriegen konnte. Aber das musste nicht andersherum gelten.
Dennoch überwog in seinem Inneren mehr und mehr die Hitze. Daryl konnte und wollte sich das nicht erklären, aber Neal war näher gekommen und der Weg zur Tür war frei. Schnell drängte er sich an dem anderen vorbei und verließ das Bad, ehe diese Situation noch mehr eskalieren konnte, als sie es schon getan hatte.
Als Daryl unten auf dem Sofa saß und Neal ihm nicht folgte, beruhigte sich sein aufgewühltes Gemüt langsam und rationale Gedanken waren wieder möglich. Wie um alles in der Welt hatte er Neal gezeigt, dass er irgendwie ... Interesse hatte? Er hatte sich verhalten wie immer. Gut. Er hatte sich einige Male für das neuste Mitglied ihrer Gruppe eingesetzt, aber das war doch kein Grund, um ... Okay ... vielleicht waren einige Blicke etwas länger gewesen. Vielleicht hatte die kurze Lehrstunde beim Bogenschießen irgendetwas ausgelöst. Jetzt im Nachhinein kamen ihm tatsächlich einige Ideen, aber das war doch alles nicht wegen dem Vorhaben passiert, Neal näher zu kommen. Das war vollkommen irre. Vor allem in ihrer Situation. Vor allem mit Merle an ihrer Seite.
Merle ...
Daryl war froh, dass sein Bruder über den Zeitraum der gemeinsamen Zeit, rein gar nichts bemerkt zu haben schien. Vermutlich war er die ganze Zeit über so sehr mit den gegenseitigen Sticheleien zugegen gewesen, dass er auf Daryl gar nicht mehr geachtet hatte. Vielleicht war sein kleiner Bruder für ihn tatsächlich so unwichtig. Der Gedanke schmerzte. Daryl strich sich durch die getrockneten Haare, zog die Beine auf das Sofa und legte die Arme um seine Knie. Er verbarg sein Gesicht und genoss diesen kurzen Augenblick, den er für sich hatte. Da waren wieder viele Zweifel. Und gleichzeitig so viele verwirrende Gefühle. Merle gegenüber, aber vor allem Neue und Fremde, die einzig und allein Neal verursacht hatte.
Neal, der ihn geküsst hatte und es vermutlich ein weiteres Mal gewagt hätte - oben im Badezimmer. Ihm wurde wärmer bei der Vorstellung. Scheiße ... es gab keinen Platz für solche Dinge! Er wollte sich an niemanden binden. Es reichte aus, dass er absolut abhängig von seinem Bruder war. Es sollte niemand sonst so eine Rolle in seinem Leben einnehmen. Er kam gerade mit der Welt und sich selbst zurecht. Manchmal sogar mit seinem Bruder. Aber nicht mit diesem Fremden, der wie aus dem Nichts aufgetaucht und geblieben war.
Er würde nicht in Atlanta bleiben. Er würde mit Merle weiterziehen. Es war besser so.
Und wie auf Befehl, hörte er Neals Schritte auf der Treppe und vielleicht sollte er so tun, als würde er schlafen, aber der Moment war vorbei. Der Blonde hatte ihn bereits gesehen, kam dem Sofa näher und ließ sich neben ihm nieder.
»Es tut mir leid. Ich bin schon immer ziemlich aufdringlich gewesen«, fing der Blonde an und Daryl wollte einfach abwinken, rührte sich jedoch nicht. Neal sprach einfach weiter, ohne ihn anzusehen. »Ich habe solange nicht mehr mit anderen Menschen zu tun gehabt, dass ich wohl vergessen habe, wie das richtig geht. Ich dachte, du ... du hast Signale gesendet. Ich habe sie fehlinterpretiert. Es ... tut mir leid.«
»Das muss es nicht«, gab Daryl leise zu. »Es ... es ist nur so befremdlich. Aber vermutlich ... ist das einfach der Lauf der Dinge. In Atlanta werde ich trotzdem nicht bleiben, sofern es Merle nicht will. Daran wird sich nichts ändern.«
Neal sagte dazu nichts, sondern spielte nur mit seinen Händen, ehe er nickte. »Das verstehe ich. Aber dann ... habe ich noch eine Bitte. Sehr weit ist es bis dahin ja nicht mehr.«
»Keine Bitten«, murmelte Daryl. Er war klug genug, um zu wissen, wohin das führen würde. Und das wollte er nicht. Er wollte sich nicht verlieren und vor Augen gehalten bekommen, wie wichtig ihm dieser Mann in den letzten Tagen geworden war. Das schaffte sein Hirn auch von allein ganz gut. Neal aber war hartnäckig. Immer.
Doch die Bitte, die letztlich über seine Lippen kam, war nicht die, die Daryl erwartet hatte. »Kannst du dich vorher noch um meinen Arm kümmern? Ich habe ein wenig Verbandszeug einstecken, aber allein lässt sich das dumm machen.«
Okay. Idioten fielen manchmal einfach vom Himmel. Oder aber man wurde im Laufe der Zeit zu einem. Daryl zählte sich zu Letzteren. »Klar ... natürlich. Tut mir leid, dass noch keiner von uns darauf gekommen ist.«
»Von Merle kann ich sowas auch nicht verlangen.«
Daryl nickte langsam. »Ja, aber von mir. Gehen wir ins Bad zurück. Das Wasser hast du sicher im Waschbecken gelassen, oder?«
Neal nickte und folgte dem Braunhaarigen nach oben. Sie fanden ein paar Lappen im Schrank neben der Dusche. Neal zog sich den Pullover und das Shirt darunter aus, ehe er sich auf die Toilette setzte, während Daryl die Kerze näher schob und sich die Wunde ansah. Gereinigt hatte sie der andere schon notdürftig. Daryl tauchte den Lappen in das kalte Wasser und wusch die Verletzung richtig aus, bemüht darum, sich auf nur auf sie zu konzentrieren. Eine Kugel konnte er nicht erkennen, aber etwas anderes fiel ihm auf.
»Sieht entzündet aus«, murmelte er leise und beugte sich etwas tiefer hinunter. Neal folgte seinem Blick und zuckte mit den Schultern.
»Es tut nicht übermäßig weh. Ich denke, für so eine Art von Verletzung, habe ich adäquate Schmerzen.«
»Hm ... wie du meinst.«
Sie würden sehen, ob ein Verband es besser machte.
Als Daryl die Wunde ausreichend gereinigt hatte und frisches Wundwasser das auch von innen übernahm, ließ er sich von Neal Verbandszeug reichen. Eine Kompresse und zwei Mullbinden. Nicht viel, aber es war mehr, als Merle und er besaßen. Vorsichtig legte Daryl die Unterlage auf die Wunde und machte sich dann daran, den Verband um den Oberarm zu wickeln. Den zu heben fiel Neal sichtlich schwer. Das Gesicht war verzogen, er atmete gepresst und hatte die Augen geschlossen. Doch als Daryl fertig war, regte sich der andere wieder und seine Augen wurden groß, als er auf das Resultat blickte. »Wow. Sieht gut aus. Danke.«
Neal stand auf und zog sich sein Shirt wieder an, dann folgte der Pullover. Daryl sah dabei zu, nickte nur vor sich hin und schluckte abermals. Sein Hals war trocken. Jetzt waren sie wieder in dem verdammten Bad und wieder war ihm ungewöhnlich warm. Bei der Kälte draußen sollte das nicht so sein, dessen war er sich sicher. Das ließ keinen Zweifel mehr daran zu, dass Neal Schuld daran war.
Und der ging nicht.
Er blieb, sah Daryl an und es war so leicht zu erkennen, wie es hinter der Stirn des Älteren arbeitete. Neal wusste, dass er es vielleicht übertrieb. Er wusste, dass ihm - nachdem, was er gesehen hatte - nicht zustand, dem anderen näher zu kommen, aber verdammt ... alles in ihm schrie danach, es dennoch zu tun.
Langsam drehte er sich ganz zu dem kleineren Mann um, hob die Hand und strich ein paar wirre, dunkle Strähnen aus dem Gesicht, ehe sich seine Finger an Daryls Wange legten.
»Wovor hast du solche Angst?«, hauchte er leise. »Ich bin nicht derjenige, der dir das da auf deinem Rücken angetan hat. Und ich bin nicht Merle. Wegen ihm zweifelst du, oder? Er ist ein sehr religiöser Mensch. Und die meisten Fanatiker dahingehend können auch mit gleichgeschlechtlicher Liebe nichts anfangen.«
»Das ist keine Liebe«, brummte Daryl kaum verständlich und drehte sein Gesicht aus der Berührung, doch die Hand wanderte in seinen Nacken, hielt ihn fest und der Größere kam noch näher.
»Dann ist sie es eben nicht. Es ändert nichts.«
Dann küsste Neal Daryl. Nicht kurz und flüchtig, wie beim ersten Mal, sondern fester, drängender. Daryls Hände pressten sich an die breite Brust, stemmten sich gegen diese, aber der Griff war fest, das Beben real und Daryl bekam weiche Knie. Er wusste nicht, wie er reagieren sollte und versuchte, zu protestieren, aber alles, was er damit erreichte, war, dass sich Neals Zunge frech in seine Mundhöhle begab und nach seiner tastete.
Das war zu viel.
Viel zu viel.
Daryl zog den Kopf weg, fühlte, wie sich Panik seiner Brust bemächtigte, während Neals Atem noch seine Wange streifte. Unruhig und hastig.
»Verzeih ...«
Daryl schüttelte den Kopf, versuchte, seine eigene Atmung unter Kontrolle zu bringen, und scheiterte grandios dabei. Diese Nähe war nichts für ihn. Aber Neal schien sie so sehr zu brauchen. Was sollte er tun? Er ... hatte nie gelernt, eigene Entscheidungen zu treffen.
»Es ... soll sich gut anfühlen, oder nicht?«, fragte er schließlich und langsam sah er Neal wieder an. »Das tut es nicht. Ich kriege einfach nur Panik davon. Es ... es bringt mir nichts.«
»Wurdest du missbraucht?«
Daryl schloss die Augen und schüttelte leicht den Kopf. »Nein ... also ... ich erinnere mich nicht daran. Aber an die Schläge kann ich mich erinnern. Mein Vater ... war ein Trinker und sehr gewalttätig. Erst war Merle dran, dann ich.«
»Das ... tut mir leid.«
»Ich dachte, es gehört der Vergangenheit an, aber ... ich merke, dass ... dass es wohl immer präsent sein wird, sobald ... du ... nun ja. Du weißt schon.«
Neal nickte langsam und ging etwas auf Abstand, ließ sich auf dem Toilettensitz nieder und strich sich seufzend durch die langen Haare.
»Dann bin ich wirklich ein Idiot, hm? Vielleicht ist es tatsächlich besser, wenn sich unsere Wege in Atlanta trennen. Ich weiß nicht, wie lange ich das kann.«
»Was?«
»So zu tun, als wäre zwischen uns nichts.«
»Da ... da ist ...« Daryl brach mitten im Satz ab. Er wollte sagen, dass da nichts war, aber ... das wäre eine Lüge.
»Hm?«
»Ich ... habe dich gern. Ich meine. Es tat gut, nach so langer Zeit an der Seite von Merle wieder mit jemand anderem zu reden. Und wir verstehen uns gut. Aber mehr ... ist es, glaube ich, nicht.«
»Glaubst du? Willst du es nicht herausfinden?«
»Auf diese Weise - nein. Nein, ich glaube nicht.«
»Würdest du es, wenn ... diese Dinge damals nicht geschehen wären?«
»Wer ... fragt denn sowas? Woher soll ich das wissen?«
»Dann hättest du keine Angst vor mir.«
»Die habe ich nicht!«
»Ach wirklich?«
»Nein, ich habe vor gar nichts Angst.«
Daryl war am Limit, was seine Erklärungen anging. Je länger sie hier so nahe beinander standen, desto schwerer wurde es, überhaupt welche zu finden, um zu verhindern, dass noch mehr passierte. Seine Angst war eine gute Ausrede, aber sie würde einen sehr eindringlichen Mann, wie Neal einer war, nicht auf ewig auf Abstand halten. Zumal er noch immer blöde Signale sendete. Sein Zögern, sein Stottern.
Sie würden beide nicht mehr so lang zusammen sein. Vielleicht war das hier die letzte, gemeinsame Nacht.
Vielleicht ... sollte er über seinen Schatten springen, Neal geben, was er wollte und ihn dann vergessen. Es war wohl leichter, das zu tun, wenn er mehr Abscheu als Zuneigung für diesen Mann empfand.
Langsam wanderte sein Blick zu den grünen Augen hinauf. Neal sah ihn noch immer unverwandt an. Eindringlich. In Daryl ging etwas kaputt. Vielleicht eine Mauer. Vielleicht sein Herz. Irgendetwas fiel dumpf zu Boden und blieb geschlagen liegen.
»Ich werde dich dafür hassen, aber das macht den Abschied leichter, nicht wahr?«
»Vielleicht ...«
Neal lächelte leicht, überbrückte die Distanz ein weiteres Mal und spürte zum ersten Mal eine Erwiderung. Sie war ungeschickt, etwas plump, aber mehr, als er hätte erwarten können. Hitze quoll zwischen ihnen empor, hüllte sie ein. Er drängte den Kleineren an die Duschkabine, schob die bebenden Hände über Daryls Kopf und pinnte ihn so fest. Mit einer Hand hielt er sie dort oben, wanderte mit der anderen über Daryls magere Brust und unter das Shirt. Die Haut war an manchen Stellen rau, warm, lebendig. Es war so lange her ...
In Daryls Kopf drehte sich alles und kam letztlich zum Erliegen, als sich Neals Bein zwischen seine drängte und den Druck erhöhte. Er rang nach Luft, die er nicht hatte, drückte sich dem Fordernden mehr entgegen und ... hörte plötzlich das Krachen der Badtür.
»Ich muss pissen, also raus hier!«, knurrte Merle, der noch nicht sah, dass nicht nur einer seiner Begleiter bei Kerzenschein irgendwelche Geschäfte verrichtete. Daryls Körper verkrampfte sich. Neal löste sich von ihm, als hätte er sich die Finger verbrannt, aber es war zu spät. Merles Blick war schneller gewesen, die Erkenntnis raste in seinen Kopf, der Rest ... nur ein hastiger, viel zu schlechter Film, der vor Daryls Augen ablief, ohne dass er wusste, wie er eingreifen konnte ... sollte ...
Er konnte sich nicht regen.
Merle griff nach Neal, schleuderte ihn in Richtung des Waschbeckens. Der Kopf des Blonden krachte gegen die Armatur. Blut benetzte die früher vielleicht mal blütenweiße Keramik. Eine zu lange Lähmung. Daryls Bruder zerrte ihn weiter, hinaus auf den Flur, schubste ihn und war über ihm. Er schlug zu. Hart, immer wieder. Neals Sicht verschwamm, seine Hände griffen ins Leere und als er Knochen knirschen hörte, wurde alles schwarz. Und Merle schlug immer noch. Daryl hörte die Geräusche im Bad und endlich löste sich die Schockstarre, die von ihm Besitz ergriffen hatte. Er stürmte nach draußen, griff nach den breiten Schultern seines Bruders und zerrte ihn von dem Schwerverletzten herunter.
Er sah, dass es zu spät war. Aber er ließ nicht zu, dass das Entsetzen ihn abermals in einen handlungsunfähigen Zustand versetzte. Er zerrte Merle noch ein wenig weiter weg, richtete sich dann auf und wollte seinen Bruder am liebsten treten, aber stattdessen huschte er zu Neal, kniete sich neben ihn und betrachtete den zertrümmerten Kopf.
Und er realisierte, dass er diesen Kerl tatsächlich gemocht hatte.
Mehr als das.
In ihm zerriss etwas.
Und Merle war Schuld daran. Merle, der ... der ...
Sein Bruder hatte sich längst auf die Beine zurückgekämpft und tat etwas, das er, seit sie wieder zusammen waren, nicht mehr getan hatte. Er schlug Daryl. Er schlug ihn so fest, dass sein Bruder auf dem Boden aufschlug, bunte Lichter sah und davon robbte - den Geschmack seines eigenen Blutes auf der Zunge, auf die er sich gebissen hatte.
»Du, eine Schwuchtel?! Das kannst du knicken, kleiner Bruder! Das lass ich nicht zu! Das ist doch krank! Du bist krank! Ich prügel diese Scheiße aus dir heraus!«
Er nahm es wörtlich.
Das hatte er immer - genau wie ihr Vater.
Daryl wehrte sich nicht. Er sah Neal da liegen. Sein Blut sickerte langsam in die Dielen. Merle schrie weiter, aber die Worte ergaben keinen Sinn mehr. Daryls Gedanken wurden zu einem sich zu schnell drehendem Karussell. Ihm wurde schlecht davon. Von den Schlägen, von dem Bild, das Neal abgab und das er nie wieder vergessen würde. Er wusste, dass es falsch gewesen war, jemanden an sich heranzulassen. Niemand würde an seiner Seite bleiben.
Nur Merle.
Merle, der gerade die Scheiße aus ihm herausprügelte, weil sich das, was er gesehen hatte, nicht mit seinen Prinzipien vereinbaren ließ.
Merle, der zeigte, dass es ihm doch nicht egal war, was sein Bruder machte.
Aber in diesem Moment, als alles nur noch aus Schmerz bestand, verlor Daryl etwas, das er niemals wiederfinden würde. Er hatte dafür keinen Namen, aber er spürte, wie es sich auflöste.
Und Leere zurückließ.
Eine Leere, die alles relativ machte.
Er hatte geglaubt, es könnte nicht mehr schlimmer werden. Doch offensichtlich gab es für das Grauen keine Obergrenze.
Kurz war da Hoffnung gewesen.
Kurz hatte er sich besser gefühlt. Irgendwie geerdet.
Jetzt war da nichts mehr.
Und würde nie mehr sein.