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Nov 14, 2018 10:18


Fandom: Anarchist, original

Characters: Kyrill (Bullseye) & Killua

Genre: drama, angst, hurt/comfort

Rating: P-16 Slash

Warning: suicidal thoughts, slow physical decline, mention of blood, killing, dying, death and sex

Ich glaube, ich habe ihm nie gesagt, was er in mir auslöst, sobald ich ihn sehe, mit ihm rede oder ihn berühre. Ich war noch nie gut in solchen Dingen. Sie beginnen im Blut und sie enden im Blut. Dazwischen gibt es nichts. Scheinbar. Ich dachte das eine lange Zeit. Dann habe ich ihn getroffen. Und mit ihm mein Schicksal.

Man denkt über so einige Dinge nach, wenn man merkt, dass sich das Leben dem Ende neigt. Keine Fanfaren, kein lautes Getöse oder fremdes Blut an den Händen. Es ist anders, als ich es mir vorgestellt habe. Als ich … gehofft habe. Der Tod kommt nicht mit einem Schlag. Er kommt schleichend.

Es beginnt mit Albträumen. Sie sind anders. Ich bin nicht mehr in irgendwelchen Gebäuden eingesperrt. Ich renne. Ich renne durch die Stadt, durch den Wald, am Meer entlang, bis zu einer Klippe. Und diese Klippe führt ins Bodenlose, aber wenn ich mich umdrehe, gibt es keinen Weg zurück. Vielleicht … gab es ihn nie. Dreißig Jahre. Dreißig Jahre hat dieser manipulierte Körper durchgehalten. Bis heute habe ich nicht alles verstanden. Nicht alles gelernt. Aber eine Sache ist mir klar geworden. Ich mag ein Monster sein, aber da sind tatsächlich Menschen, die mich trotzdem lieben. Die mich akzeptieren. Es ist … kaum zu glauben.

»Deine Gedanken sind schon wieder ganz woanders, nicht wahr?«

Ich öffne die Augen und treffe das eine, blaue Auge mit der Intensität von zweien, wie es mich forschend beobachtet. Wie lange schon? Ich kann Kyrill nicht sagen, was mir durch den Kopf geht. Wie ich mich fühle. Was … passieren wird.

»Ich bin nur erledigt. Ein bisschen.«

»Das waren nur drei Runden«, murmelt er leise und lächelt vage. Er ahnt etwas. Vielleicht.

»Ich bin auch nicht mehr der Jüngste" lenke ich ein und streiche über die blonden Stoppeln auf seinem Kopf. Hier und da schimmert es silber. Der Jüngste ist er auch nicht mehr. Kyrill. Mein Kyrill.

»Wo lag der Rekord? Acht? Neun?«

Ich lache leise. »Dann hast du schlapp gemacht.«

»Nun … irgendwann geht es eben nicht mehr. Aber das ist hier auch nicht das Problem, nicht wahr? Woran denkst du?«

»An dich. Immer.«

Er lächelt zwar, aber kauft mir diese schönste aller indirekten Liebeserklärungen nicht ab. Schade. Ich habe mir mit ihr echt Mühe gegeben. »Ich liege hier gerade bei dir, wärme dich, kraule dir deine Eier. Ich wüsste, wenn deine Gedanken bei mir wären, denn dann würdest du mich ansehen und nicht so tun, als würdest du schon schlafen. Außerdem weiß ich, wie es aussieht, wenn du an mich denkst.«

Er grinst wissend, als seine Finger träge über meinen Schoß streichen. Schlaff. Es riecht noch nach uns und nach dem fruchtigen Gleitgel, das wir immer benutzen. Ich kann seinen Blick weiter auf mir spüren. Mein eigener hängt an der Decke. Da ist ein kleiner Fleck. Winzig. Aber er fällt an der makellosen Tapete auf. Genau wie ich immer überall aufgefallen bin. Ein schwarzer Fleck inmitten von Menschen, der die ganze Ordnung durcheinander bringt.

»Killua … rede mit mir.«

Langsam klingt er besorgt und mein Herz spannt unangenehm, weil es so viel Sinn machen würde, ihm alles zu erzählen. Und gleichzeitig gar keinen. Er würde sich nur Sorgen machen und die kann er sich in seinem Job nicht leisten.

»Denkst du manchmal über den Tod nach?«, wähle ich einen Umweg, der mich hoffentlich vor genaueren Erläuterungen meinerseits bewahrt.

Er zögert mit der Antwort, wägt vermutlich ab, ob ich die Frage ernst meine oder ob es nur eine meiner Fangfragen ist, die dann wiederum zu Spielchen führen, die er schon immer gehasst hat, weil er sie ständig verliert oder aber aufgibt, wenn es ihm zu bunt wird. »Nun … das gehört zu meinem Job, schätze ich. Also … ja.«

»Ich meine nicht den Tod im Allgemeinen. Ich meine … deinen eigenen.«

»Auch an den denke ich. Berufsrisiko. Die Anarchisten haben sich nicht gerade viele Freunde gemacht und auch wenn wir mehr im Untergrund agieren, sind unsere Gesichter bekannt. Einmal zu falschen Zeit am falschen Ort und das war's.«

Ich schließe die Augen und streichle ihn weiter. So habe ich es auch nicht gemeint, aber ich bin zu müde, um noch weiter auszuholen, damit er auf den Weg findet, den ich hier eigentlich ein wenig zu umgehen versuche. Aber es bringt wohl nichts, es zu versuchen. Ein leises Seufzen findet den Weg aus meiner Kehle. Geräusche, die irgendwie kaum noch nach mir selbst klingen. In seiner Gegenwart geht das in Ordnung. »Ich habe zwanzig Jahre meines Lebens an nichts anderes gedacht. Nur an den Tod. Ans Sterben. Wie ich mich endlich von diesem elendigen Dasein befreien kann. Zwanzig Jahre …«

Es klingt nach einer langen Zeit. Wenn ich so darüber nachdenke, an wie viel von dieser Zeit ich mich überhaupt erinnern kann: die vielen Lücken dazwischen, die Blackouts, all die verdrängten Erlebnisse, die mich zu dem gemacht haben, was ich bin, diese zerstörerischen Fähigkeiten, die ich mir alle selbst aneignen musste, weil dieser Körper es verlangt hat und wie viel ich über mich selbst herausfinden musste, was andere während ihrer ersten Lebensjahre automatisch lernen, weil es zu ihrer Entwicklung gehört. Meine Gedanken sind ein einziger Knoten. Da sind noch viel mehr Dinge, die mir immer wieder durch den Kopf gehen. Jahrelang habe ich über sie nicht nachgedacht.

»Killua …« Seine warme Hand streicht über meine kühle Brust, legt sich an meinen Hals, dann an meine Wange. Ich folge der stummen Aufforderung, als er sich nach oben streckt und mir einen Kuss gibt. »Ich kann nur erahnen, wie hart es sein muss, so zu leben. Aber ich bin für dich da. Immer. Überall.«

»Das weiß ich, aber darum geht es nicht.«

»Worum dann?« Er stützt sich auf seinem Arm ab und sieht auf mich hinunter. Einer der wenigen Menschen, bei dem mich das nicht stört. »Was hast du?«

Jetzt klingt er wirklich besorgt. Das verrät seine Stimme, sein Blick, die Art wie er mich weiter streichelt. Beruhigend beinahe. Meine Augen haben angefangen zu brennen und langsam lösen sich die Tränen aus den Winkeln und genau das nimmt er noch schneller wahr, als ich selbst und noch ehe ich die Hand heben und sie wegwischen kann kommt mein Name stumm über seine Lippen. Wieder und wieder, dann nimmt er mich so fest in den Arm, wie es ihm in dieser Haltung möglich ist und der Damm bricht gänzlich.

Wann habe ich das letzte Mal geweint? Das sind immer Momente, die mit Panik einher gehen. Oder mit Verzweiflung. Gerade ist da nichts von alldem. Nur Liebe … nicht nur für ihn.

Es fällt schwer, aber ich bekomme ein paar Worte aus meiner zugeschnürten Kehle, ohne am Schluchzen zu ersticken. »Ich glaube, ich … bin an einem Punkt in meinem Leben angekommen, an dem ich … nicht mehr sterben will.«

Kyrill schluckt mehrmals und da sind so viele Emotionen und Gedanken, dass er es nicht mehr schafft, seinen Kopf vollkommen vor mir zu verschließen. Und was ich da sehe, sorgt nicht unbedingt dafür, dass meine Tränen verschwinden.

»Das ... ist doch etwas Gutes, oder?«

Ja, vielleicht. Aber es fühlt sich nicht so an. Überhaupt nicht. Jetzt, wo ich mich endlich akzeptiert zu haben scheine, gibt mein Körper auf. Dieser Körper, der in all den Jahren nicht der meine war und dem ich teilweise Dinge zugemutet habe, die kein anderer überleben würde, einfach um ihn zu spüren. Um mich … lebendig zu fühlen. Ich hebe meine Hand und wische mir über die Augen. »Ich weiß nicht.«

Woher auch? Ich habe das Gefühl, schwächer zu werden. Ich brauche immer mehr Blut. Es reicht nicht mehr so lang. Das kann nicht gut sein. Dann diese veränderten Träume. Und diese … Stille im Kopf. Er ist kaum noch zu hören. Ich fühle es nur. Spüre das Bedürfnis nach Blut, aber der Rausch bleibt aus. Und dann … will ich einfach aufhören damit. Mit allen Konsequenzen. Aber in anderen Momenten - solchen wie diesem hier - will ich alles andere, nur nicht aufgeben.

Ich weiß nicht, was ich will.

Leben … vermutlich.

»Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen und … alles verhindern. Alles, was dir zugestoßen ist. Die Schmerzen, das Leid. Aber … das haben dir vermutlich schon viele gesagt und nichts davon hat dir geholfen. Das … tut mir so leid.«

Ich seufze leise, lege die Hand in Kyrills Nacken und setze einen Kuss auf seine Stirn. "Ich liebe dich."

Und wieder schluckt er. Das Auge weitet sich. Der Mund steht offen. Lächelnd ziehe ich ihn näher und küsse ihn wieder. Länger. Tiefer. Dann drücke ich ihn auf das Laken hinunter und mache weiter, bis der Unglaube in seinem Gesicht verschwindet und er nach Worten sucht. Er findet sie nicht. Damit hat er nicht gerechnet, dabei wusste er es doch längst. Aber da ist noch etwas anderes. In dem Wirrwarr aus Gedanken, an dem er mich teilnehmen lässt, kristallisiert sich die Sorge deutlich heraus. Er spürt es. Er weiß, was ich damit sagen will. Und es gefällt ihm nicht.

»Killua, warum … sagst du das jetzt? Ich habe … darauf gewartet, ja, aber …«

»Ich liebe dich«, wiederhole ich nur und küsse ihn wieder. Da kommt der Widerstand, weil er sich nicht ablenken lassen will. Selbst da spüre ich, dass meine Stärke nachgelassen hat. Ich muss noch einmal raus. Muss mir jemanden suchen. Töten. Ein Biss am Handgelenk reicht nicht mehr aus.

»Ich … gehe jetzt«, sage ich leise und es kommt mir selbst wie ein Verrat an den wertvollen Worten vor, die mir eben über die Lippen gekommen sind und damit bin ich nicht allein. Unverständnis breitet sich in Kyrills Gesicht aus und trotzdem sieht er so wunderschön aus. So wie ich ihn kennengelernt habe. Ungezähmt, aber stets kontrolliert. Idealistisch.

»Warum sagst du mir, dass du mich liebst und willst dann gehen?«

»Ich brauche Blut.«

»Dann nimm es von mir.«

Ich lächle schwach. »Dann müsste ich dich töten.«

Er antwortet nicht sofort. Er starrt mich einfach nur an, dann neigt er den Kopf und entblößt seinen Hals. Ich kann sehen, wie seine Schlagader unter der Haut pocht. Ein viel zu verführerischer Anblick, aber ich gebe nicht nach.

»Was wohl dein Vormund dazu sagen wird?«

»Anton weiß, dass ich für dich sterben würde. Es gefällt ihm nicht, aber es ist nicht seine Entscheidung.«

Er sagt das mit solch einer Überzeugung, dass es mir das Herz zerreißt. Das soll er nicht. Niemand, der mir wichtig ist, soll für mich sterben. Nicht einmal, wenn derjenige das will. Mischa hat das auch schon viel zu oft gesagt.

Widerwillig löse ich mich von ihm, setze mich auf und blinzle. Da ist jedes Mal dieser flüchtige, dunkle Schleier vor den Augen. Beim Hinsetzen. Vor allem aber beim Aufstehen. Er verschwindet nach ein paar Sekunden, aber manchmal können gerade die entscheidend sein, auch wenn lange niemand mehr hinter mir her gewesen ist. Einer der Vorteile, wenn man mit einer Organisation zusammenarbeitet, die potentielle Gefahren ohne zu zögern ausschaltet, schon bevor sie überhaupt auftauchen. Doch es ändert nichts daran, dass es ein Alarmsignal ist. Eines, das ich zu gern ignorieren will, aber es kommt immer wieder … und schrillt immer lauter. Kyrills Arme, die sich nur ein paar Augenblicke später um meinen Oberkörper schließen, hindern mich daran, ganz aufzustehen.

»Bitte geh nicht …«, haucht er warm gegen meine Schulter.

»Warum nicht?«

»Weil ich jetzt Angst habe, dass du nicht mehr zurückkommst.«

Das ist so lächerlich. Und so wahr. Ich weiß nicht, ob ich weinen oder darüber lachen soll. Vermutlich tue ich längst beides und bekomme es nicht einmal mit.

»Weißt du«, sage ich schließlich leise und streiche über seine Unterarme. Seine Venen treten ein bisschen hervor, so fest umarmt er mich. »Ich habe dir nie gesagt, was es in mir auslöst, wenn ich dich sehe, mit dir rede oder dich berühre. Ich wollte, dass du weißt, wie viel du mir bedeutest, falls …!"

»Sag es nicht …«, unterbricht er mich sofort und presst sein Gesicht gegen meine Schultern. Ich nicke nur, will es auch nicht aussprechen und selbst hören. So sitzen wir eine ganze Weile da, bis ich meine Gedanken sortiert habe, nicht mehr so jämmerlich schniefe und das Einzige vorschlage, das als Kompromiss in Frage kommt.

»Wenn du mich nicht allein gehen lassen willst, dann komm mit. Auch wenn es kein schöner Anblick wird. Ich töte nicht versteckt hinter einem Gewehr oder einer Pistole. Ich … töte mit Händen und Zähnen. Ich töte, ohne auf die Hintergründe der Opfer Rücksicht zu nehmen … oder ihre Lebensumstände. Und ich töte ohne Reue.«

»Ich weiß«, haucht er, denn eigentlich will er es nicht sehen und noch weniger kann er es gegenüber sich selbst rechtfertigen. Aber er würde es tun, nur um bei mir zu sein und sicher zu gehen, dass ich mit ihm zurück komme. »Es gehört zu dir, wie alles andere auch. Ich komme mit.«

Alles beginnt mit Blut und endet mit Blut.

Er hat mich nie jemanden töten sehen. Während eines Auftrages schon, inmitten vieler Menschen. Aber nie das direkte Verlangen nach Blut und wie ich dem nachgebe. Wenn er das aushält, dann kennt er alle Seiten von mir. Dann ist er mir so nahe, wie nur sehr wenige andere vor ihm. Und ich habe keine Worte dafür, wie viel Liebe ich für ihn empfinde. Gerade jetzt - in diesem Augenblick. Und als wir uns anziehen, trotz der späten Stunde und den wilden Augenblicken vorher, wächst sie noch mehr. Ich küsse ihn, bevor wir gehen und vielleicht ist es ein Versprechen, dass wir gemeinsam zurückkehren. Vielleicht ist es auch ein Abschied. Ich spreche nichts davon aus. Noch gehören die meisten meiner Gedanken mir, auch wenn er manchmal schon zu viel von ihnen erahnen kann.

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