you never know

Sep 07, 2018 14:09


Fandom: Nachts, original
Characters: Nash & Johnny
Genre: drama, slice of life
Warning: death, grief

I.

Der Anruf erreichte mich kurz nach elf Uhr nachts.

Ich bin noch nicht im Bett gewesen. Natürlich nicht. Ich habe eine gefühlte Ewigkeit gebraucht, um mein Handy überhaupt zu finden, aber die ersten Worte haben genügt, um mich zurück in die Nüchternheit zu katapultieren.

Das ist jetzt drei Stunden her. Seit etwa vierzig Minuten ist keine Nachricht mehr von Johnny gekommen. Ich mache mir Sorgen. Die Jungs schlafen zum Glück, aber mit ihnen in ihren Zimmern und sonst niemandem im Haus wirkt dieses so groß und ich fühl mich verloren und schrecklich fehl am Platz. Wie ein Eindringling. Meine Finger wandern über das Display meines Handys, weil ich mit dem Gedanken spiele, Johnny anzurufen, um zu wissen, wie es nun um Sam steht, lasse es dann aber doch. Es ist ein seltsames Gefühl. Ich fühle mich leer. Sam und ich waren nie die dicksten Freunde. Nicht einmal … Freunde in dem Sinne. Man kann uns eher als Zweckgemeinschaft verstehen. Aber sie ist Johnnys Frau und die Mutter von Freddy und Adam. Wenn sie den Unfall, der sich so kurz vor dem Anruf meines besten Freundes ereignet hat, nicht überleben wird, was dann? Was … dann?

Im Minutentakt verschwinde ich auf der Terrasse, rauche eine nach der anderen und versuche mich mit Kaffee wach zu halten. Der Alkohol will, dass ich mich auf das Sofa lege und schlafe. Mein Körper ist vor lauter Aufregung aber in Alarmbereitschaft und seltsamerweise bringt mich die Mischung aus Whiskey und Adrenalin stets auch Hochtouren, auch wenn mir das hier nicht viel bringt. Nur auf und ab laufe ich, sehe immer wieder aus dem Fenster des unteren Flures, um zu schauen, ob Johnnys Wagen die Einfahrt hinaufgefahren kommt.

Nichts.

II.

Gegen vier Uhr wird der Flur erhellt. Ich öffne die Haustür, um Johnny entgegenzugehen und halte doch direkt inne, als er aussteigt. Ich sehe es. Er muss nichts sagen. Ich weiß, dass es passiert ist. Er schafft es nicht einmal, die paar Schritte bis zur Tür zu gehen, sondern hält sich an seinem Wagen fest, als würde sein Leben davon abhängen. Ich nähere mich ihm langsam und leise, lege eine Hand auf seine Schulter und drehe ihn zu mir um.

»Johnny …«

Unter der Brille sind die Wangen feucht. Hinter ihr die Augen gerötet, dann verschwindet das Gesicht an meiner Schulter, als ich ihn so fest an mich drücke, dass es fast schon weh tut. Er erwidert die Umarmung mit der Kraft, die er für das Gehen gerade nicht übrig gehabt hat.

»Sie … konnten die inneren Blutungen nicht stoppen …«

Ich habe einen Knoten in der Kehle. Scheiße … was sagt man in solchen Momenten? Wir beide hatten lange keine Todesfälle mehr in der Familie. In unserem Job gehört der Tod zum Alltag, aber das sind Leute, die wir nicht kennen. Wir haben keinen Bezug zu ihnen. Das ist in der eigenen Familie anders, da kann man noch so abgehärtet sein.

Meine Augen brennen. »Es … tut mir so leid, Johnny.«

»Ich … was … was mache ich denn jetzt?«

Ich schüttle den Kopf. Erst einmal nach drinnen. Ich nehme ihm den Autoschlüssel ab, schließe den Wagen ab und führe ihn dann zum Haus. Wie gut, dass die Jungs noch schlafen. Ich glaube, weder er noch ich wüssten, wie wir es ihnen erklären sollen. Sie sind noch so jung. Wie sollen sie das begreifen? Der Kloß in meinem Hals wird größer. Johnny ist schwer. Er riecht nach Schweiß und Desinfektionsmittel. Ein bisschen nach Blut und noch mehr nach Verzweiflung.

III.

Als wir uns im Wohnzimmer auf das Sofa sinken lassen, bricht der Damm. Seine hart aufrecht erhaltene Selbstbeherrschung fällt wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Ich drücke ihn noch mehr an mich. Vielleicht weil ich seine Tränen und sein Schluchzen ersticken will, weil ich nicht will, dass seine Kinder wach werden und verpeilt die Treppe hinunterkommen, nur um dann zu sehen, dass ihr Vater weint und ihre Mutter noch nicht nach Hause gekommen ist.

Dass sie nie wieder nach Hause kommen wird.

IV.

Als nur noch trockenes Husten und viel zu schnelle Atemzüge über Johnnys Lippen kommen, wird es am Horizont schon heller. Ich bin schrecklich müde, aber das ist nichts im Vergleich zum Zustand meines Freundes. Die dunklen Augen sind verkrustet, das ganze Gesicht schrecklich feucht und gerötet. Ich fasse einen Entschluss. Es dauert nicht mehr lange, bis seine zwei Söhne zur Tagesmutter und in die Schule müssen.

»Du solltest dich hinlegen. Ich kann mich um Adam und Freddy kümmern. Wir … sollten es ihnen nicht sofort sagen. Du siehst schrecklich aus. Und morgen ist Samstag. Ich … weiß nicht.«

Er antwortet nicht. So blass hat er noch nie ausgesehen. Der Anblick ist befremdlich. Am liebsten würde ich mich da oben direkt neben ihn legen, um ihn weiter festzuhalten, aber damit ist uns beiden nicht geholfen. Einer muss den Überblick behalten. Und das wird an mir hängen bleiben. Ich helfe ihm dabei aufzustehen, führe ihn die Treppe hoch zu seinem Schlafzimmer, ziehe ihn sogar aus, bis ich ihn in zwei Decken wickle und noch ein bisschen neben ihm sitzen bleibe, bis die Erschöpfung ihren Tribut fordert und ihn einschlafen lässt - unruhig, aber tief genug, um mein Gehen nicht zu bemerken.

V.

Ich bin … müde.

Aber ich schaffe es, Adam und Freddy fertig zu machen. Adam wird ausnahmsweise von seiner Tagesmutter abgeholt, weil ich noch nicht wieder Auto fahren kann (und ja … auf der Fahrt hierher hat mich das nicht gejuckt, aber mit einem Kind an meiner Seite ist das einfach nicht drin). Für Freddy fährt der Schulbus vor und sammelt ihn ein. Ob ich die Lunchbox anständig gefüllt habe, bleibt abzuwarten, aber mir fällt ein Stein von Herzen, als die beiden aus dem Haus sind, ich die Rollläden runterziehen und endlich nach oben gehen kann. Ich werde Johnny nicht sagen, dass Freddy nicht nur einmal nach Sam gefragt hat und ich fast spüren konnte, dass er es weiß. Ich hoffe, dem ist nicht so.

VI.

Johnny wird wach, als ich mich zu ihm lege.

»Nash«, krächzt er und fängt direkt wieder an zu weinen. Ich habe ihn noch nie in diesem Zustand gesehen und merke schnell, dass ich nicht weiß, wie ich mit ihm umgehen soll. Ich drücke ihn an mich, streiche ihm durch die schwarzen Haare, in der Hoffnung, dass ihn das beruhigt. Es dauert, aber es scheint zu helfen. Sein Atem ist abgehackt, sein Herzschlag viel zu schnell.

»Ruh dich noch etwas aus, Johnny«, hauche ich leise. Ich sollte unseren Boss anrufen. Und Johnnys Eltern. Sams Eltern. Aber die sind vielleicht schon informiert. Ja … sicher hat das Krankenhaus das übernommen.

»Wie … soll ich das denn alles schaffen?«, bringt der verletzliche Mann in meinen Armen mit brüchiger Stimme hervor. »Ich … kann das nicht.«

»Doch, du schaffst das«, sage ich leise und drücke ihn noch mehr. Mir tun langsam die Arme weh davon, aber ich denke nicht daran, ihn auch nur für eine Sekunde loszulassen. »Du hast bis jetzt alles auf die Reihe gekriegt. Selbst den ganzen Mist mit mir.«

»Ich … muss so viele Leute anrufen.« Er scheint meine Worte nicht gehört zu haben. Er redet einfach weiter. »Ich muss mich um die Bestattung kümmern. Die Beerdigung organisieren. Wie sage ich es den Kleinen? Wie?«

»Johnny …«

»Ich schaff das nicht allein …«

Ich seufze leise und spüre wieder das Brennen in meinen eigenen Augen. »Du bist nicht allein. Ich bin für dich da, Johnny. Wir schaffen das. Vertrau mir. Wir kriegen das hin. Alles.«

»Ich … weiß nicht. Ich weiß gar nichts.«

»Ruh dich aus«, sage ich noch einmal, lasse ihn meinen eigenen Herzschlag hören, als ich seinen Kopf gegen meine Brust drücke. »Ich lasse mir etwas einfallen. Vielleicht können die Jungs erst einmal zu deinen Eltern. Oder zu meinen. Die freuen sich sicher auch mal über Gesellschaft. Dann kannst du alles ordnen und dann … dann fällt uns schon eine Möglichkeit ein, wie wir es ihnen möglichst schonend beibringen.«

Hoffentlich. Auch da spielt jede Routine aus dem Job keine Rolle mehr. Das lässt sich nicht vergleichen. Zu viele Gefühle, die im Spiel sind. So viele Variablen, die man alle auf dem Schirm haben muss. Zweifel, die ich ihm nicht zeigen kann. Vor allem nicht jetzt. Er sagt auch nichts darauf, sondern krallt sich an mich. Seine ganze Welt ist ins Schwanken geraten, vermutlich sogar in Scherben zersprungen. Ich kann nicht einmal erahnen, wie er sich fühlen muss. Wie viel Leid kann ein einzelner Mensch ertragen, bis er daran zerbricht?

Ich schließe die Augen ebenfalls und rutsche etwas tiefer, um näher bei ihm zu liegen, weil mir plötzlich bewusst wird, wie viel Kraft es ihn gekostet haben muss, über diese ganze Sache mit mir hinwegzukommen - damals, auch wenn sich das kaum vergleichen lässt. Und jetzt hat er Sam verloren. Die Frau, die immer zwischen uns gestanden hat. Meine Kehle wird trocken. Ich sollte den Gedanken nicht weiter verfolgen und bin froh, dass mich der Schlaf nicht so lange warten lässt wie meinen besten Freund.

VII.

Die Befürchtung, mir würde mein schwarzer Anzug nicht mehr passen, den ich das letzte Mal bei der Hochzeit von meiner Mutter und Dean getragen habe, erfüllt sich nicht. Er sitzt noch immer wie angegossen. Nur ein schwarzes Hemd habe ich nicht wirklich und ein weißes kommt mir fehl am Platz vor. Johnny wird mir eins leihen müssen. Das ist die erste Nacht gewesen, die ich wieder bei mir zu Hause verbracht habe. Die letzte Woche bin ich bei Johnny und den Jungs gewesen. Adam hat es am schlimmsten aufgenommen. Er hat ununterbrochen geweint, auch nachts, und brauchte immer jemanden, der neben ihm sitzt und ihn in den Schlaf streichelt. Auch Freddy hat viele Tränen vergossen und dann darauf bestanden, bei seinem Vater zu schlafen - auf der Bettseite seiner Mutter, auch wenn ich die Bettwäsche gewechselt und gewaschen habe. Dass ich mal einen größeren Haushalt als meinen eigenen auf die Reihe bekommen würde, hätte ich nie gedacht, aber es klappt. Johnnys Mum ist auch oft da und hilft, wo sie kann. Sie hat auch viele andere Dinge organisiert. Die Gäste, die heute zur Beerdigung kommen werden, hat sie eingeladen und sie hat auch das Restaurant für danach reserviert.

Eine starke Frau.

Ich fahre erst zu Johnny, ehe wir beide die Jungs bei meinen Eltern abholen. Sie haben sich sofort bereit erklärt, die zwei aufzunehmen.

Johnny ist noch nicht sonderlich weit gekommen. Er hat zwar seine Anzughose an, doch das Hemd ist noch nicht zugeknöpft, die Krawatte hängt noch lose um seinen Hals, die Haare stehen in alle Richtungen. So finde ich ihn in der Küche, mit einer Tasse Kaffee in der Hand und eine Whiskeyflasche anstarrend, die vor ihm auf der Arbeitsplatte steht. Wortlos nehme ich sie an mich und räume sie in den Schrank zurück, bis ich mich neben ihm anlehne und ihn schweigend ansehe, dann seufze ich leise.

»Lass mich dir helfen.« Er richtet sich zwar auf, sagt aber nichts weiter. Einen Knopf nach dem anderen schließe ich und binde ihm schließlich die Krawatte. Ich schaff es nicht, ihm in die Augen zu sehen. Sicher ist er schon wieder kurz vor einem Zusammenbruch. Von denen hatte er so einige in den letzten Tagen. Einer der Gründe, warum ich die ganze Zeit hier geblieben bin. »Hast du noch so ein schwarzes Hemd? Ich habe zu Hause keins gefunden und das Weiße hier kommt mir irgendwie … blöd vor.«

»Ich habe noch ein Dunkelblaues. Das kann ich dir geben«, antwortet Johnny leise. »Ich … muss eh noch mal hoch. Ich muss das Sakko noch holen. Ich … muss …«

Ich schüttle leicht den Kopf und umarme ihn. »Schon gut. Ganz ruhig.«

Ich spüre das Nicken an meiner Schulter und seine Arme, die sich viel zu fest um mich legen.

VIII.

Die Stille ist bedrückend. Hier und da ein Schluchzen. Die Jungs sind tapfer, auch wenn sie genauso blass sind wie ihr Vater. Ich bleibe die ganze Zeit in Johnnys Nähe, sehe die Leute, die kommen, ihn umarmen und ihr Beileid bekunden. Er macht das gut. Er ist stärker als er selbst geglaubt hat. Auch der Chief und einige Kollegen sind gekommen. Judy hält ihn besonders lang im Arm. Dann Rory, von dem auch ich eine feste Umarmung bekomme, weil er weiß, dass mich das alles sehr viel weniger kalt lässt, als ich alle glauben lassen will. Und er liegt nicht falsch damit.

Denn was werde ich tun? Was kann ich tun, ohne dass es wie ein Verrat an Sam wirkt oder aus mir einen Egoisten macht? Ich habe alles Mögliche getan, um Johnny in seiner Not zu unterstützen, aber was wird danach sein? Ein leises Stimmchen in meinem Hinterkopf flüstert immer wieder, wie gelegen mir das doch eigentlich kommt und ich hasse mich dafür, dass ich ihr überhaupt zuhöre.

IX.

Adam ist in meinen Armen eingeschlafen. Er hat mich nicht mehr losgelassen, seit ich ihn vom Auto ins Haus getragen habe, auch wenn er sich die meiste Zeit im Halbschlaf befunden hat. Johnny hat Freddy schon ins Bett gebracht und ist wohl noch bei ihm. Ich sitze mit dem Jüngsten auf dem Sofa und streichle ihm durch das blonde Haar. Das Haar seiner Mutter, genau wie die blauen Augen, während Freddy ganz nach seinem Vater kommt. Ich bin immer noch schrecklich müde und würde am liebsten direkt hier schlafen, mit dem kleinen, warmen Körper an meinem. Aber er muss ins Bett. Und zusammen haben wir keinen Platz auf der Couch, wenn ich irgendwann mal liegen will. Sie ist nicht breit genug.

»Komm, Champ. Ab ins Bett.«

Er brummelt etwas, das ich nicht verstehe. Mittlerweile ist er fast fünf. Freddy ist sieben. Wie die Zeit vergeht. Adam will nicht mehr die Bälle holen, wenn wir sie werfen. Verständlich. Kinder wachsen so schrecklich schnell und mir wird bewusst, dass ich sie gern um mich habe. Wenn man schon selbst keine hat und womöglich nie haben wird, ist das Patenonkeldasein eine ganz gute Alternative. Ich krieg ihn irgendwie dazu, sich die Zähne zu putzen und sich auszuziehen, auch wenn er die Augen gar nicht mehr aufmacht und eher wie ein Zombie von A nach B schleicht. Es war ein langer Tag für uns alle.

Er besteht trotzdem darauf, dass ich noch ein bisschen bleibe und ich verstehe sogar ein paar Worte in dem Gebrabbel.

Bleibst du jetzt immer hier?

Ich fahre durch die weichen Haare und warte darauf, dass er einschläft. Den Schatten im Türrahmen sehe ich erst, als ich den Raum verlassen will.

»Er schläft«, sage ich leise, als ich an Johnny vorbei trete. Die Situation erinnert mich an die vor zwei Jahren, als alles zwischen uns so komisch geworden ist. Doch nach der ganzen Sache in Maine ist es besser geworden. Sehr viel besser. Johnny war regelmäßig bei mir und ich bei ihm. Sam hat sich mehr oder weniger damit arrangiert. Sie hat es wohl mehr wegen der Kinder zugelassen. Die beiden lieben mich, auch wenn ich nicht verstehe, wieso.

»Frederik auch. Ich hoffe, das bleibt den Rest der Nacht so. Lust auf ein Bier?«

Immer.

X.

Im Fernsehen brennt das virtuelle Feuer, das immer nebenher läuft, weil das Einbauen eines Kamins nie möglich gewesen ist. Irgendwelche Richtlinien, die keiner so richtig verstehen kann. Vermutlich, weil das Haus dreigeschössig ist. Interessiert mich auch nicht. Mit dem Bier in der Hand sinke ich mehr ins Sofa und starre in die flackernden Flammen, die wunderbar beruhigen und schläfrig machen. Nur ab und an schaue ich zu Johnny, um wach zu bleiben. Es lässt sich schwer erkennen, ob er noch wach ist, doch dann spiegeln sich die Flammen flüchtig in seinen Augen. Auch er sieht ins Feuer, hat die Brille abgenommen und massiert sich ständig die Nasenwurzel, als würde das Verhindern, dass er noch mehr Tränen lässt. Seine Wangen sind bereits feucht. Mehr machen keinen Unterschied mehr.

Ich rücke etwas näher an ihn heran und wische sanft mit dem Daumen über die nassen Stellen, ehe ich sanft lächle. »Das hast du gut gemacht heute.«

Seine Lider senken sich und er seufzt leise. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich es durchstehe. Das habe ich dir zu verdanken. Alles. Und … ich habe mich noch nicht einmal richtig bei dir bedankt.«

Macht ihm das so sehr zu schaffen? Das war doch alles selbstverständlich und das sage ich ihm auch. Da dreht er den Kopf, sieht mich nachdenklich an und schweigt eine ganze Weile, ehe er weiterspricht: »Danke, Nash. Für alles.«

»Dafür brauchst du dich nicht bedanken«, sage ich leise und versuche seinen Blick zu erwidern, aber er ist so intensiv, dass ich es nicht kann, den Kopf senke und meine Finger anschaue, die mit dem Etikett der Bierflasche spielen. »Ich habe es gern gemacht.«

»Ich weiß. Ohne dich wäre ich verloren gewesen. Ich hätte gar nicht gewusst, wo ich anfangen soll. Ich … ich bin so froh, dass du an meiner Seite warst.«

Das war ich immer, denke ich, aber ich spreche es nicht aus.

XI.

Nach gut einer Stunde beugt er sich zu mir und küsst mich. Es ist eine federleichte, sehr flüchtige Berührung, die damit endet, dass er seine Stirn an meine lehnt und irgendetwas sagt, dass ich wegen dem lauten Rauschen meines eigenen Blutes gar nicht verstehen kann. Mein Herz rast, in meinen Ohren dröhnt ein Düsenjet.

Als er dann das Bier beiseite stellt und noch näher rückt, um mich an der Taille zu sich zu ziehen, kehre ich ins Hier und Jetzt zurück und weiß, dass ich ihn aufhalten sollte, doch der Kuss, der folgt, ist zu tief und zu warm und zu gut, um das direkt umsetzen zu können. Meine Finger finden keinen richtigen Halt. Wollen sie auch nicht. Das hier … ist nicht richtig. Im Grunde war es das nie, wegen ihr, doch wieder meldet sich das leise Stimmchen im Hinterkopf und dieses Mal … ignoriere ich es.

»Johnny …«, murmle ich in den Kuss hinein und schaffe es endlich, ihn wegzuschieben. »Du solltest dich auch hinlegen. Es war ein langer Tag und … ohne dir Vorwürfe zu machen, aber ich glaube, du weißt gerade nicht mehr, was du tust.«

Sein Gesichtsausdruck verrät mir nicht, ob er versteht, was ich meine oder nicht. Er sagt auch nichts weiter dazu, sondern nickt nur langsam, leert sein Bier und steht auf, um die leere Flasche in die Küche zu bringen. Ich mache es mir bereits auf dem Sofa gemütlich, als ich seine Stimme noch einmal höre. Sehr leise. Vielleicht auch etwas unsicher.

»Du musst nicht auf dem Sofa schlafen.«

XII.

Meine Vernunft ist zu nichts zu gebrauchen. Das muss ich zugeben, als ich die Stufen nach oben hinter mir gelassen habe und vor dem Schlafzimmer stehe. Meine Finger schweben vor der Klinke und überbrücken den Abstand nicht. Wieso bin ich hier hoch gekommen? Warum … sage ich ihm nicht einfach, dass ich es problematisch finde, wenn wir uns jetzt wieder näher kommen, auch wenn das alles ist, was ich jemals wollte?

Die Tür öffnet sich, als ich mich abwenden und wieder nach unten gehen will. Johnny muss hinter ihr gestanden und gelauscht haben.

»Nash …«

»Das ist nicht in Ordnung«, sage ich sofort, ohne ihn anzusehen. Können die Knirpse nicht wach werden und mich retten?

Seine Finger legen sich warm um mein Handgelenk. Ich gebe dem Zug nach, die Tür schließt sich und seine Lippen treffen meine. Das ist nicht gut, aber … es fühlt sich gut an. Ich schließe die Augen und sinke an ihn. Nackte, warme Haut. Ich will seinen Namen noch einmal sagen und gehen, aber ich schaffe es nicht. Und ich fühle mich schrecklich deswegen.

XIII.

Die Jungs sind eher wach als wir. Sie kommen kuscheln, ohne auch nur einen Moment irritiert davon zu sein, dass ihr Vater und ihr Patenonkel zusammen in einem Bett schlafen und das auch noch nackt. Es stört sie nicht. Irgendwie macht mich das glücklich. Und während sie wieder einschlafen, eng an uns gekuschelt, sehe ich über ihre Köpfe hinweg in die dunkelblauen Augen, die mich genauso intensiv mustern.

Was auch immer das bedeuten soll: Es ist okay.

Für den Moment ist es das. Nachdenken zu so früher Stunde ist Gift für den Rest des Tages, wie auch immer der aussehen soll. Also grinse ich nur doof, schließe die Augen und lausche den vielen Atemzügen, die sich mit meinen eigenen mischen. Den Moment genießen. Sie sind vergänglich. Das lernt man schnell, wenn man sich immer wieder so dumm anstellt wie ich. Ich kann nicht einmal sinnvolle Entscheidungen treffen. So wie jetzt auch. Ich liege hier, obwohl es Sams Platz gewesen ist. Und ich fühle mich weniger schlecht als noch in der vorangegangen Nacht.

Was stimmt nur nicht mit mir?

original character: johnny, original character: nash, genre: drama, format: oneshot, genre: slice of life, warning: death

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