Der Hängende Mann

Aug 13, 2018 16:35


Fandom: original

Character: Mikail

Genre: horror, gore

Rating: P-18

Warning: explizit, makaber, blood, dead body, gore, psychological, anxiety attack

Es ist lange her, dass er den Hängenden Mann gesehen hat. Damals war er noch ein Kind gewesen - gerade zehn Jahre alt. Bis heute hat er das Gefühl nicht vergessen, das der Anblick bei ihm ausgelöst hat: Eine lähmende Angst, die dafür gesorgt hat, dass er das Bett nicht verlassen und zu seinen Eltern laufen konnte, um sich bei ihnen zu verstecken. Er hat diese Gestalt angestarrt wie er es auch jetzt tut - gut achtzehn Jahre später. Vergessen hat er ihn nie, nur nicht mehr an ihn gedacht. Mit dem Alter kommt die Weisheit und mit ihr die Erkenntnis, dass es solche Dinge nicht geben kann … nicht geben darf. Und doch hängt er genau dort, wo er immer hing: Direkt vor seinem Bett, die Beine an der Decke festgebunden, den Körper in eine Art Leinen gewickelt, das vor Dreck und getrocknetem Blut trieft und weiter unten … der Kopf mit einem grinsenden Gesicht, der verkehrt herum auf dem Torso sitzt. Aus dem Stumpf des Halses tropft bereits geronnenes Blut auf den Boden, während die strähnigen, spärlichen Haare mit den schmalen Schultern verwachsen zu sein scheinen.

Mikail schließt die Augen. Albträume sind keine Seltenheit und das hier kann nicht real sein. Warum sollte der Hängende Mann nach so vielen Jahren wieder auftauchen? Und warum gerade hier? Damals ist er immer wieder erschienen und baumelte von der Decke, während er ihn hämisch angrinste, doch als er mit sechzehn Jahren von zu Hause ausgezogen ist, um seine Ausbildung zum Krankenpfleger zu beginnen, ist er ihn nachts nicht mehr besuchen gekommen, deswegen hat er gedacht, die Erscheinung habe sich auf das Haus beschränkt, in dem seine Familie damals gelebt hat und das seine Eltern auch jetzt noch bewohnen.

Als er die Augen wieder öffnet, sieht er ihn immer noch. Und wieder ist da die Paralyse von damals, die ihn sogar daran hindert, zu schreien oder den Körper neben seinem zu schütteln. Dabei hat ihm der Hängende Mann nie etwas getan. Da war immer nur dieses irre Grinsen, das permanente Tropfen des Blutes und das leise Reiben des Seils an den verkümmerten Füßen der Gestalt, mit denen sie an der Decke befestigt ist. Mikails Atem wird schneller und flacher. Es fühlt sich an, als würde ein schweres Gewicht auf seiner Brust sitzen, das ihn an jeder Bewegung hindert. Er kann sich nur umsehen, ein wenig mit den Fingern zucken, aber mehr ist da nicht. Die aufsteigende Panik engt seinen Brustkorb noch weiter ein. Er starrt hilfesuchend zur anderen Seite des Bettes, doch die nackte Brust des Anderen hebt und senkt sich langsam, die tiefen Atemzüge zeugen von zu festem Schlaf.

Verdammt …

Noch weniger Luft, noch stärkeres Zittern, weil er mit aller Kraft versucht, die Starre zu durchbrechen. Das Grinsen des Hängenden Mannes wird noch breiter. In den Augenschlitzen lodert etwas Dunkles, Diffuses - ähnlich einem schwarzen Nebel. Er beginnt sich auszubreiten, wabert zum Fußende des Bettes und kriecht von dort aus höher.

Nein … nein, nein, nein … verschwinde!

Mikails Mund ist zu einem stummen Schrei geöffnet und seine Augen sind so geweitet, dass nicht mehr viel fehlt, um sie einfach aus den Augenhöhlen fallen zu lassen. Doch plötzlich ist da ein leises Schmatzen neben ihm. Der schwarze Nebel hält in seiner Bewegung inne. Der Kerl, nach dessen Namen er nicht gefragt hat, dreht sich und grummelt etwas. Mehr als ein Ächzen bringt Mikail nicht zustande, um auf sich aufmerksam zu machen. Hilfesuchend starrt er den Anderen weiter an - den Hängenden Mann immer noch im Augenwinkel. Ist er näher gekommen? Sein Zittern und vermutlich auch der gequälte Laut erzielen letztlich aber die gewünschte Wirkung. Die Augenlider des Schlafenden beben etwas, dann blinzelt er und runzelt die Stirn.

»Hm … was ist denn los? Du zitterst ja wie Espenlaub. Hab ich dir die Decke geklaut?«

Der Kerl hat den ganzen Abend schon viel geredet. Dass er es auch im Halbschlaf tut, ist nur eine Erkenntnis am Rande. Mikail starrt ihn an und lässt seinen Blick dann zum Fußende des Bettes wandern, um dort auf die Gestalt aufmerksam zu machen. Er will etwas sagen, aber noch immer blockiert alles an und in ihm. Aber sein Wink wird verstanden. Sein Besuch dreht den Kopf in die Richtung und die Furche auf seiner dunklen Stirn wird noch tiefer.

»Was ist denn da? Mach einfach die Augen zu und schlaf weiter …«

»Siehst … du ihn denn nicht?«, presst Mikail hervor und seine Stimme hat keinerlei Klang, ist viel zu hochfrequent dafür, dass er im Grunde eine doch eher tiefere Tonlage hat.

»Ich sehe nichts«, brummt der Kerl und die schlechte Laune, die das Aufwachen mit sich gebracht hat, zeigt sich immer deutlicher, vor allem dann als mehr Bewegung in ihn kommt. »Willst du mich verarschen?«

»… nein. Gott … sieh doch hin … bitte …«

Widerwillig wird seiner Bitte Folge geleistet, aber das Ergebnis bleibt dasselbe. »Da ist nichts. Dude … es ist mitten in der Nacht! Das ist mir echt zu dumm.«

Kurzerhand schwingt der Namenlose die Beine aus dem Bett und steht auf, ehe er direkt durch den Hängenden Mann hindurch geht, um sich seine Klamotten zu suchen. Mikail bringt keine Silbe mehr hervor. Nur der flehende Blick bleibt. Lass mich nicht allein hier. Doch der Andere sieht erst wieder zu ihm, als er schon fast an der Wohnungstür ist. »War ganz nett, aber für so einen Scheiß bin ich echt zu alt. Mach's gut.«

Die Tür fällt ins Schloss und mit dem Klang wird das Grinsen des Hängenden noch breiter. Bis zu beiden Ohren - da, wo sie einst gewesen waren - reicht es nun und der Mund ist soweit geöffnet, dass schmale Reihen vieler spitzer Zähne zum Vorschein kommen.

e R I n N E r E d I c H

Mikail schließt die Augen. Verschwinde! Verschwinde! Du bist nicht da! Und dieses innerliche Mantra geht einher mit Stimmen aus der Vergangenheit. Als seine Eltern noch nachgesehen haben, was er gemeint hat, nur um ihm zu versichern, dass da nichts im Schrank ist, nichts unter dem Bett und auch nichts, was von der Decke hängt. Das Ganze ging bis zu dem Stadium, an dem sie ihn nur noch genervt zurück ins Bett geschickt haben, wenn er vor dem Schlafen zu ihnen gekommen ist, weil er nicht allein in seinem Zimmer liegen wollte. Zum Schluss hat er immer genau das zu hören bekommen, was sein One Night Stand eben auch gesagt hat. Bist du nicht langsam zu alt für solche Hirngespinste? Man ist nie zu alt für etwas, das sich mit solcher Intensität aufdrängt, dass es einem den Atem raubt und es sich anfühlt, als würden die Rippen dem Gewicht nicht mehr lange standhalten können. Langsam kommt auch die Kälte. Sie erreicht seine Zehen, wandert an seinen Füßen und Unterschenkeln hinauf, kratzt und beißt sich den Weg höher, bis zu seinem Bauch und seiner Brust. In ihr knirscht es leise. Das ist der Moment, in dem Mikail die Augen wieder aufreißt und nur noch Schwärze sieht.

Eiskalte, undurchdringliche Finsternis und plötzlich … ist da nichts mehr um ihn herum und nichts mehr unter ihm.

-

Es war längst zu spät, um noch pünktlich nach Hause zu kommen. Mikail hatte es wieder nicht geschafft, seinem Freiheitsdrang zu widerstehen. Er war so weit von seinem Haus weg wie noch nie zuvor, aber er hatte sich den Weg gemerkt - so gut war sein Gedächtnis. Er liebte es hier draußen. Der Wind in den zahlreichen Bäumen, die Ferne zu anderen Städten, sodass ihr Lärm die Idylle hier nicht stören konnte und das Gefühl, völlig allein mit seinen Gedanken zu sein. Er erdachte sich verborgene Burgen, in denen verwunschene Prinzessinnen lebten, die nie jemand zu Gesicht bekommen hatte und die doch nur auf die richtigen Menschen warteten, um von dem Fluch befreit zu werden. Oder Zauberer, die in diesen versteckten Gemäuern allerlei Unfug trieben. Manchmal waren da auch Schlachten und feuerspuckende Drachen suchten den blauen Himmel heim, um alles zu zerstören, was sich in ihren scharfen, glühenden Blick drängte. Seine Eltern mochten diese Vorstellungen nicht. Sie waren der Meinung, für einen gerade mal Zehnjährigen hatte er zu viel Phantasie und zu wenig Bezug zur Realität. Dabei konnte er doch nichts dafür, dass diese aufgedrängte Wirklichkeit so langweilig war, dass er sich lieber in seine Traumwelten flüchtete. Irgendwann hatten sie sogar aufgehört, ihm Bücher zu kaufen, weil er sie inhalierte wie die Luft zum Atmen. Mikail fand es ungerecht. Er mochte die Welten, die er sich ausdachte, viel lieber als die, in der er leben musste.

Doch bei all der regen Vorstellungskraft und der Freiheit, die er sich gerade nahm, weil er so oder so Hausarrest bekommen würde, egal ob er direkt den Heimweg antrat oder noch etwas hier im Wald blieb: Er hatte sich nie einen Hängenden Mann ausgedacht.

Der Wind bewegte den Körper an der wuchtigen Eiche leicht hin und her. Das Seil knarzte ein wenig mit jeder Bewegung. Er trat näher an den Aufgehängten heran, musterte ihn teils neugierig, teils erschrocken. Wieso sollte sich sein Kopf so etwas ausdenken? Da waren ihm die Drachen lieber, auch wenn sie gefährlich waren. Als sein Fuß gegen einen Stein stieß, sah er nach unten, überlegte kurz und nahm ihn dann in die Hand. Mikail warf ihn kurz nach oben, fing ihn wieder auf und holte schließlich aus, um ihn in Richtung des Hängenden zu werfen. Er traf, aber kein Laut kam über die farblosen Lippen. Das bleiche, eingefallene Gesicht zuckte nicht einmal.

»Wieso hängst du denn hier so herum?«

Er war auch gern allein, aber er bewegte sich wenigstens und hing nicht so einsam mitten im Nirgendwo herum. Das komische Gefühl, das ihn beschlich, ignorierte er, als er der Gestalt noch näher kam. Der Wind legte sich und das leichte Baumeln hörte auf. Nicht einmal Vögel vertrieben durch ihr Gezwitscher die Stille, die sich ausbreitete wie ein wabernder Nebel in den frühen Morgenstunden. Mikails kleine Finger streckten sich nach dem Körper aus und berührten ihn. Noch immer folgte keine Regung, also stieß er ihn kräftiger an. Dass das Seil über ihren Köpfen bereits sehr ausgefranst und spröde war, sah er nicht. Einmal in Schwingung versetzt, hörte der Schweigende nicht auf, hin und her zu pendeln. Nein … im Gegenteil. Es schien, als würden die Bewegungen immer stärker werden. Mit geweiteten Augen wich der Junge zurück, dabei sagte ihm eine leise Stimme im Hinterkopf, dass er den Anderen festhalten und so wieder zum Stillstand bringen sollte, doch plötzlich traute er sich das nicht mehr. Immer lauter knarzte das Seil, aber es riss nicht. Dennoch fiel der Körper und mit ihm der Kopf, der sich von ihm getrennt hatte. Mit einem Aufschrei stolperte Mikail rückwärts.

Er hatte doch nichts kaputt machen wollen!

Immer tiefer kroch die Sonne. Die letzten, roten Strahlen drängten sich unheilvoll zwischen den Baumstämmen hindurch und plötzlich wusste er, dass er nicht mehr hier sein sollte. Mikail rappelte sich auf, drehte sich auf dem Absatz um und rannte im Laufschritt zurück nach Hause. Er hatte etwas Schlimmes getan und verstand nicht einmal genau, was da eben passiert war und was er gesehen hatte.

Er wusste nur, dass er niemandem davon erzählen durfte.

-

Erst Nächte später hat er ihn zum ersten Mal wiedergesehen. Nicht, weil er zurück in den Wald gegangen ist, um nachzusehen, ob der Körper noch immer auf dem Boden liegt. Nein. Direkt in seinem Zimmer, vor seinem Bett. So wie jetzt, als sich der schwarze Nebel langsam von ihm zurückzieht und auch das Gewicht von Mikails Brust weicht. Stumme Tränen trocknen an seinen Ohren und der Haut darüber. Ein Wimmern bahnt sich seinen Weg an die Oberfläche und ein starkes Zittern signalisiert seinem Körper, dass er sich wieder bewegen kann. Mikail setzt sich mit einem Ruck auf, vergräbt das Gesicht in den Händen und ihm ist danach, sich die Augen auszukratzen, weil er nicht wahrhaben will, was er eben gesehen hat … und noch immer sieht.

Der Körper baumelt wie damals im Wind. Das Grinsen ist einem stoischen Schrei gewichen, den er nicht hören kann.

»Was willst du von mir!?«, brüllt er, obwohl er sich gleichzeitig die Hände auf die Ohren presst und die Augen wieder fest geschlossen hat, feucht und brennend von den Erinnerungen, all den Zweifeln und Selbstvorwürfen. Er bekommt nur ein Geräusch als Antwort. Derselbe reißende, aber doch dumpfe Laut von damals, als der Hals des Toten den Schwingungen nachgeben hat. Mikail rammt sich die Fingernägel in die Ohren, zieht die Beine an den Körper und macht sich so klein wie möglich. Doch die Stimme, die folgt, verursacht kein Echo im Raum.

Nein.

Sie ist direkt in seinem Kopf und obwohl er nicht hinsieht, kann er das Grinsen vor seinem Inneren Auge sehen, mit den scharfen Zähnen und den glimmenden Augenschlitzen.

e R l I e G t N o C H I m M e R d O r T …

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