Ficathon:
Dark Ficathon Fandom: original, Anarchist
Character: Bartolomej, Juuri, Adrijano
Genre: angst, drama, thriller
Rating: P-16
Warning: murder, poison, anxiety attack, overwhelming memories
Prompt: Spinning knot that is on my heart | Like a bit of light and a touch of dark von
tears_into_wine Seine kleine, wenn auch nicht sehr heile Welt brach in dem Augenblick zusammen, als er die ihm noch viel zu vertraute Stimme hörte - ganz egal wie viele Jahre es her sein mochte. Das ist unmöglich, redete er sich ein. Er kann nicht hier sein.
Inmitten von Menschen, deren Gesichter mit Masken verhüllt waren so wie sein eigenes auch, fühlte er sich plötzlich so klein und unbedeutend, dass ihm schlecht wurde und all der Schlaf, den er nicht gehabt hatte, über ihn hereinzubrechen drohte. Zumindest konnte er sich das verzehrende Gefühl nicht erklären, das sein Herz ins Bodenlose ziehen wollte. Ich habe mich verhört, dachte er und die Leiber um ihn herum drängten sich ihm mehr auf, als er ertragen konnte. Ich muss hier weg! Juuri zu finden, war nicht schwer. Er saß mit einigen hohen Tieren in der Loge - weit über ihren Köpfen, während er hier unten sein Werk beginnen sollte. Hier und da ein kleiner Stich. Du wirst die Opfer erkennen, ich muss dir zu ihnen nichts sagen, hatte Juuri ihm mitgeteilt, als er ihm einen Anzug und eine Maske ausgehändigt hatte. Alles in ihm hatte sich gegen dieses Outfit gesträubt, doch wenn es bedeutete, dass er töten durfte, war diese besondere Kluft ein geringes, schnell zu ignorierendes Übel. Doch als er sich durch die Tanzenden, Trinkenden und Lachenden schob, kam ihm der Anzug zu eng vor, die Luft zu dünn, um atmen zu können und selbst die Schuhe schienen sich durch seine Sohlen fressen zu wollen.
Eine Panikattacke …
Wie lange war das her?
Zu lange, um damit klar kommen zu können.
Juuri bemerkte sofort, dass etwas nicht stimmte, als Bartolomej an seiner Seite auftauchte, obwohl das beabsichtigte Chaos noch nicht ausgebrochen war.
»Entschuldigen Sie mich kurz«, teilte er den Menschen mit, die sich mit ihm das großzügige Sofa und den teuren Alkohol teilten, ehe er aufstand und sich mit seinem Begleiter ein paar Meter entfernte - unter dem wachsamen Blick seines Leibwächters, den er jedoch mit einer schlichten Geste beruhigte und auf Abstand hielt. »Was gibt es? Da unten ist noch keiner umgefallen. Du kannst unmöglich schon alle erwischt haben.«
»Ich … kann nicht hier bleiben«, murmelte Bartolomej. Diese paar Worte waren schon mehr, als Juuri in den letzten Wochen von ihm gehört hatte. Es sorgte dennoch nicht dafür, dass er sich damit zufrieden gab. Sein Gesicht wurde hart und er kam dem größeren Mann noch ein Stück näher, die Gefahr bewusst ignorierend.
»Was soll das heißen? Du gehst, wenn ich es dir sage.« Wegen der Maske konnte der Russe nicht erkennen, was sich auf Bartos' Gesicht abspielte und der Drang, sie ihm vom Gesicht zu reißen, wurde fast übermächtig, doch das wagte er dann doch nicht. Das Eis, auf das er sich begab, war dünn genug. Einbrechen wollte er nicht. »Erkläre es mir.«
»… kann ich nicht.«
Bartolomejs Haltung war eine andere. Er wirkte nicht erhaben wie sonst. Nicht so riesig und bedrohlich. Juuris Augen verengten sich und er machte einen weiteren Schritt auf seinen Assassinen zu. Er konnte den gepressten Atem hören, trotz der lauten Musik. »Erkläre dich gefälligst! Du stellst mich bloß, ist dir das klar?«
»… ja.«
»Warum tust du es dann?« Als er darauf keine Antwort bekam, schüttelte er den Kopf und wandte sich ab. »Reiß dich zusammen, geh wieder hinunter und erledigte deinen verdammten Job! So kenne ich dich gar nicht. Vielleicht habe ich doch den falschen Mann ausgewählt, um die Drecksarbeit für mich zu machen. Du weißt, dass auf dich das Gefängnis wartet, wenn du nicht tust, was ich dir befehle. Wenn du das willst - gut. Geh und mach dich unglücklich. Ich habe keine Zeit für deine Probleme. Ist mir neu, dass du überhaupt welche hast …«
Die Drohung kam an. Bartolomej war sich schließlich darüber im Klaren, dass er sich gerade nicht rational verhielt und bei allem, was ihm heilig war - er hatte selbst nicht gewusst, dass er auch so sein konnte. Das war ihm neu und verunsicherte ihn, was ebenfalls ein Gefühl war, das er schon sehr, sehr lange nicht mehr empfunden hatte. Er sah Juuri nach, der sich wieder zu seinen Gästen setzte und steuerte die Treppe an, um wieder nach unten zu gehen. Das Gift, das er den Betroffenen injiziert hatte, wirkte in etwa einer Stunde. Es schlich sich nur langsam durch die Blutbahn und wirkte erst im Hirn. Alles deutete auf einen Kreislaufzusammenbruch hin, bis der Körper sich nicht mehr daran erinnerte, wie man atmete. Er beobachtete die Opfer gern, aber nicht einmal die Vorfreude darauf lenkte ihn davon ab, dass er seine Stimme gehört hatte und durch die Masken nicht einmal sicher gehen konnte, dass es sich wirklich um ihn handelte. Das erste Mal seit langem verspürte Bartolomej das Bedürfnis, etwas zu trinken. Er wusste, dass er nur an die Bar gehen und den Drink auf Juuris Rechnung setzen musste, aber der Weg kam ihm endlos vor und noch immer war die Präsenz so vieler unterschiedlicher Menschen erdrückend. Sonst bewegte er sich wie selbstverständlich unter ihnen, genoss die verschiedenen Gerüche und Empfindungen oder verlor sich in Beobachtungen von Dingen, die er selbst niemals haben würde. Ein Schaudern ging durch seinen angespannten Körper, als er die Bar endlich erreichte und sich einen doppelten Whiskey bestellte. Er verzichtete darauf, nach einem Strohhalm zu fragen. Bei dem diffusen Licht würde niemand bemerken, wenn etwas daneben ging. Viel Zeit hatte er nicht. Es gab noch fünf Leute, die er in der Menge aufspüren und vergiften musste. Leider hatte Juuri ihm nicht gestattet, seine Messer mitzunehmen, dann wäre das alles nur eine Sache von Sekunden und die Ergebnisse wären weitaus ansehnlicher. Doch hier war diskretes Vorgehen gefragt und er wollte Juuri nur ungern enttäuschen. Der Knast war im Grunde die einzige Sache, die ihm eine subtile Angst einjagte, die sich nicht einmal körperlich zeigte, doch die ihm den Schlaf raubte, den er so schon kaum hatte. Doch auf der anderen Seite war das Töten das einzig Vertraute. Das, was ihm vertraut war, was er als richtig empfand. Es gab nichts anderes und nichts dazwischen. Handlung - Konsequenz. Er war nicht imstande dazu, da eine Verbindung herzustellen, doch war ihm der Knast als eines der möglichen Enden bewusst. Er betrachtete die klare, goldene Flüssigkeit, als der Barkeeper ihm das Glas unter die Nase schob. Bartolomej tat es nicht gern, doch er schob sich die Maske ein Stück nach oben, nahm das Glas in die Hand und wollte gerade einen Schluck nehmen, als abermals die bekannte Stimme an sein Ohr drang - viel näher als beim ersten Mal.
»Hey, ich brauch noch eine Runde Wodka. Fünf, bitte. Machen sie Zitronen rein! Oh … hey!«
Das Glas zwischen Bartolomejs Fingern zersprang. Der Barkeeper sprang auf und Adrijano wich zurück, ehe er wieder näher trat und nach seiner Hand greifen wollte, um die Blutung mit seinem Pullover abzudrücken. Der Geruch, dieses Gefühl. Es bestand kein Zweifel mehr. Bartos konnte sich nicht mehr rühren. Wie bei einem Film beobachtete er, wie der Barmann ein Geschirrtuch über den Tresen reichte und wie Adrijano es ergriff, um es auf die Wunde zu drücken. Bartolomej sollte seine Hand zurück ziehen und rennen … so schnell es nur ging. Der Boden hielt ihn an Ort und Stelle. Es konnte nur der verdammte Grund sein, auf dem er stand.
»Ganz schön fester Griff. Habe ich Sie erschreckt? Das war nicht meine Absicht.«
Es war vierzehn Jahre, drei Monate und zwanzig Tage her, dass er diese Stimme zum letzten Mal gehört hatte - eingehüllt in nasse Bandagen, benebelt von den Schmerzen und dem Morphium. Er war sich nicht einmal darüber im Klaren gewesen, dass er die Tage gezählt hatte. Unbewusst. Seine Kehle war trocken, seine Lippen unter der Maske noch spröder und kribbelnder als sonst. Hastig hob er die unverletzte Hand und schob sich die Maske wieder tiefer. Die Narben waren zu prägnant, auch wenn er nicht glaubte, dass Adrijano ihn wiedererkennen würde. Das war unmöglich. Der Andere hatte nie etwas bemerkt. Für ihn war er nur ein Junge gewesen, den er schwerverletzt in den Toiletten gefunden hatte und dem er geholfen hatte - so wie jetzt aus. Das schien in dem Kroaten so drin zu stecken.
»Warte kurz …« Die Worte ließen ihn zusammen zucken und der Film endete. Er zog seine Hand mit einem Ruck zurück und schüttelte den Kopf, was den Anderen irritiert die Schultern heben ließ - sein Smartphone in der Hand. »Ich wollte nur nach Splittern suchen. Nicht, dass ich die noch tiefer hinein drücke …«
Bartolomej zog sich zurück und brummte etwas Unverständliches, ehe er sich umdrehte und in Richtung der Toiletten verschwand. Da waren noch immer fünf zu tötende Menschen und er war sich sicher, dass Juuri ihn seit dem Gespräch im Auge behalten hatte. Das hier durfte er nicht sehen! Deswegen brauchte er kaltes Wasser. Er musste sich zusammen reißen. Was machte sein alter Bekannter überhaupt hier? Was fiel dem Mistkerl ein - nach all den Jahren? Er schien mit Freunden hier zu sein, schließlich hatte er eine Runde Wodka bestellt. Machte er hier Urlaub? War er so wie er nach Russland ausgewandert? So viele Fragen, die er den Schemen im Spiegel stellte, als er sich vor einem Waschbecken positioniert hatte und seine Reflexion nur aus dem Augenwinkel heraus wahrnahm, weil er auf sein eigenes Blut starrte, das in das weiße Becken floss. Seine Hände waren von der oberen Hälfte seines Körpers als einzige Stellen nicht mit dem kochenden Wasser in Berührung gekommen. Er spürte das leichte Ziehen, als er die Wunde unter den laufenden Wasserhahn hielt. Und dann hörte er die Tür.
»Hey, Mann … hau doch nicht einfach ab! Das muss sich doch jemand ansehen.«
Im Licht war es schlimmer. Doch das war noch nicht das Ende. Es kam, als sich Adrijano die Maske vom Gesicht zog. Dunkle, kurze Haare, dieselben hellbraunen Augen wie damals, ein leichter Bartschatten. Größer, etwas breiter. Ein Ring am Finger - verheiratet. Bartolomej wurde in der Zeit zurück katapultiert. Er erinnerte sich an das Mädchen, das Adrijano hinter der Schule geküsst hatte und unwillkürlich fragte er sich, ob sie nun die Frau des Anderen war. Vielleicht war die Verlobung noch frisch und Adrijano verbrachte hier die letzte Zeit als freier Mann. Wie nannte man das? Warum dachte er überhaupt darüber nach? Bartolomej ertappte sich dabei, dass er den Anderen mit seinem Blick regelrecht auffraß und Adrijano sah aus, als hätte er gerade eine Frage gestellt. Bartolomej hatte sie nicht gehört. Als Bewegung in den viel zu vertrauten Körper kam, wich er direkt zurück, was Adrijano innehalten ließ.
»Was ist denn los? Ich will nur helfen, wirklich. Sie müssen sich vor mir nicht fürchten.«
Furcht …
Nein - das war es nicht, was Bartolomejs Körper erfüllte. Es waren alte, schmerzhafte Erinnerungen, Gefühle. Sie waren ihm fremd geworden. Wie sollte er sich verhalten? Was sollte er sagen? Was konnte er sagen, ohne sich mit seiner verwaschenen Stimme lächerlich zu machen?
»Warum … bist du hier?«
Adrijano hob verwirrt die Augenbrauen, dann neigte er den Kopf ein wenig. »Kennen wir uns?«
Bartolomej wollte sich die Maske vom Gesicht reißen. Er wollte es wirklich, aber die sich öffnende Tür offenbarte seinen Vorgesetzten und der sah alles andere als erfreut aus. »Schon gut, ich kümmere mich um ihn. Er ist mit mir hier.«
Der Dunkelhaarige drehte sich verwirrt zu dem Mittfünfziger um. Juuri - elegant wie eh und je - trat an ihm vorbei, betrachtete Bartolomej eingehend und nickte ihm dann zu. »Komm mit.«
Bartolomej schüttelte die verletzte Hand aus und folgte dem Älteren ohne noch ein weiteres Wort zu Adrijano zu sagen. Er sah ihn nicht einmal an, als er an ihm vorbei ging. Juuri war wütend. Bartos spürte das mit jeder Faser seines Körpers. Sekunden später inmitten der Menge schrie jemand. Die Musik wurde leiser, der Raum heller. Juuri steuerte den Ausgang an und Bartolomej folgte ihm, während sich Unruhe unter den Feiernden ausbreitete. Auch als sie in den schwarzen Wagen stiegen und sich Juuris heutiger Leibwächter hinter das Lenkrad schwang, wurde kein Wort gesprochen. Bartos saß auf der Rückbank und starrte auf seine Hände hinunter.
Er hatte versagt.
Und das fühlte sich noch viel schlimmer an als all das, was die Begegnung mit Adrijano wieder hervorgeholt hatte. Fünf Menschen. Er hatte es nicht zu Ende gebracht.
Die Stadt zog an ihnen vorbei, bis sie Juuris Anwesen erreichten und ausstiegen. Bartolomej folgte, schlich hinter den anderen beiden Männern her wie ein Gespenst, bis sie im Keller waren und er an seinem Boss vorbei ging, um seinen gläsernen Käfig zu betreten. Die Tür knallte lauter hinter ihm zu als sonst und auch, dass der Grauhaarige nicht ging, war neu. Juuri umkreiste die Vorrichtung, die Bartolomej unter Verschluss hielt, bis sie einander gegenüberstanden - nur auf verschiedenen Ebenen.
»Wer war das?«, kam direkt die Frage, auf die sich Bartolomej mental schon vorbereitet hatte. Es war ihm nur zuwider, so viel sprechen zu müssen. Juuri wusste das ganz genau, doch egal, wohin sich der Eingesperrte auch wendete - er folgte ihm. »Nimm die Maske ab und sag mir, wer das gewesen ist!«
Bartolomej verzog das Gesicht, hob die Hand, zerrte sich die Maske vom Gesicht und warf sie gegen die durchsichtige Wand. Wie gern hätte er den Mafiosi damit getroffen. »Das geht dich nichts an!«
Lauter als sonst. Seine Stimmbänder vibrierten bei der plötzlichen Überlastung. Sofort bereute Bartos diese Worte. Ein Grinsen schlich sich auf Juuris harte Gesichtszüge und mit wenigen Schritten stand der Russe direkt vor dem Glas. »Er ist dir wichtig. Dass so jemand überhaupt existiert …«
Handflächen pressten sich weiß gegen das Glas, als Bartolomej spürte, dass ihm die Situation entglitt. Er trat auf die Maske zu seinen Füßen. Nichts, wovon sich Juuri beeindrucken ließ. Allzu schnell sollte er Bartolomej nicht mehr aus seiner Zelle lassen. Das wäre sein sicherer Tod. Doch die Umstände hatten sich geändert und dieses Übel würde sich nicht vermeiden lassen.
»Es geht mich sehr wohl etwas an, denn du wirst morgen nach diesem Kerl suchen und ihn töten. Ich kann es mir nicht leisten, dass du dich ablenken lässt. Ich hätte nicht gedacht, dass das einmal zu einem Problem werden würde.«
»Verlange das nicht von mir …«
»Du wirst ja richtig gesprächig. Erzähl mir von ihm. Kennst du ihn von früher?«
Bartolomej zog sich von der Wand zurück und schüttelte den Kopf. Er würde dazu kein Sterbenswörtchen sagen. Sollte Juuri sein Schweigen interpretieren wie er wollte. Seine Gedanken entglitten ihm langsam. Adrijano töten - das konnte er nicht. Dieser Mensch hatte ihn damals gerettet. Er war der Einzige gewesen, dem er nicht egal gewesen war. Der für ihn einstehen wollte. Daran hatte sich nach all den Jahren nichts geändert - das wusste er nun. Und doch hatte er den Fehler gemacht und sich vor Juuri bloß gestellt. Damit hatte der andere mehr als das Gefängnis gegen ihn in der Hand.
»Wie auch immer. Du wirst ihn erledigen, damit du wieder klar siehst. Ich werde dir nur einmal diese zweite Chance geben.«
Juuri wandte sich ab, marschierte aus dem Raum, wie er es immer tat. Und plötzlich fügte sich Bartolomejs kleine, nicht sonderlich heile Welt wieder zusammen. Anders als zuvor. Das war der Augenblick, in welchem er sich vorstellte, wie Juuri zucken und schließlich ersticken würde, wenn er eine Ladung seines VR abbekam.