The 24th of December

Dec 24, 2017 17:46


Adventskalendertürchen: 24/24

Fandom: original, PhobiaAU

Characters: Killua & Dominik

Genre: drama, angst

Rating: P-16

Note: I've wanted to write this AU for such a long time now and finally did it. I like the idea of these both meeting again after some years have passed. Hope you will like it and happy christmas to my squad. I love all of you. ♥

Es ist schwarz. Diese Nacht. Ganz ohne Mond, ganz ohne Sterne. Selbst die Straßenlaternen spenden kein Licht. Nicht, dass ich es bräuchte. Es reflektiert mein Innerstes viel zu gut. Ich kann mich nicht daran erinnern, was mich hergebracht hat oder was genau ich hier will. Ich bin ruhelos, seit ich hier angekommen bin und das liegt nicht unbedingt an den neuen Herausforderungen, welche die Anarchisten immer wieder für mich bereithalten. Es ist nicht die Tatsache, dass Bullseye mehr für mich empfindet, als er sollte und ich es ihm nicht einmal übel nehmen kann, weil es mir genauso geht.

Da ist noch etwas Anderes, wofür ich keine Worte finde.

Etwas … zieht an mir. So lässt sich das tiefe Gefühl beschreiben, das mich tagsüber nur schlecht schlafen lässt und dafür sorgt, dass ich jede Nacht auf der Straße verbringe und … suche. Ich weiß nur nicht, nach was. Es ist nicht einmal ein greifbarer Schemen von etwas. Keine Erinnerung, die sich aufdrängt und mich führt. Was ich empfinde, ist diffuser. Ich würde es ignorieren, wenn es sich nicht seltsam … vertraut anfühlen würde. Selbst Olga und Bullseye bemerken, dass ich abgelenkt bin. Letzterer stellt vermehrt Fragen, die ich ihm gern beantworten würde, aber ich kenne die Antworten nicht.

Hier draußen - hinter dem letzten Ring Moskaus - sind die Viertel kleiner, Häuser liegen weiter auseinander, Fuchs und Hase sagen sich Gute Nacht und jedes Licht wird von der Finsternis verschlungen. Ganz mein Humor, aber ich lache nicht. Hier sind die Menschen arm, leben von dem, was sie mit ihren Höfen in der Stadt an den Mann bringen können, während die Regierung sie hier draußen vollkommen vergisst. Vierzig Meilen vom Stadtkern entfernt. Vom Lärm. Von den mehr als 15 Mio. Menschen, die tagtäglich durch die Straßen ziehen. Vom Dreck. Dem Gestank. Ich weiß nicht, warum ich diese Stadt trotzdem liebe, aber es spielt auch keine Rolle. Ihre Lebendigkeit liegt hinter mir. Vor mir scheint alles tot zu sein. Alle Häuser, die ich entdecke, sind längst dunkel. Die meisten schlafen. Es ist auch schon spät und … mir ist immer noch nicht eingefallen, warum ich hier bin. Ich bin gelaufen. Weiter und weiter.

Und nun …

Der eisige Wind lässt mich erschaudern. Ich sollte nicht stehenbleiben. Die Kälte kriecht mir an den Waden hinauf. Ich bewege mich weiter durch die einzige Straße, die durch diese winzige Randortschaft führt. Sie zieht sich mehrere Kilometer. Immer wieder taucht ein Haus am Rand auf, die Straße wird schmaler, ist kaputt und hätte ich diese Augen nicht, dann würde ich die Hand vor Augen nicht mehr sehen. Es wundert mich nicht, dass niemand mehr draußen ist.

Ich irre mich und das passiert nur äußerst selten. Meistens passiert das bei Menschen, die … innerlich leer oder so komplex sind, dass ich sie kaum wahrnehmen kann, weil so viele unterschiedliche Eindrücke gegeneinander wirken und sich manchmal gegenseitig aufheben. Manche Menschen trainieren das - so wie die Leute, die ich erst vor Kurzem kennengelernt habe. Bei anderen ist es von Natur aus so. Allerdings habe ich erst zwei Menschen getroffen, bei denen das so gewesen ist. Einer davon ist tot. Der Andere ist mein ständiger Begleiter und die einzige Konstante in meinem Leben - Mischa. Es ist eine Schaukel, die sich einsam in der Dunkelheit bewegt. Ich höre das leise Quietschen eher als sie direkt zu sehen. Es ist ein kleiner, verlassener Spielplatz in der Nähe einer größeren Ansammlung von Häusern. Doch liegt er abgelegen genug, um niemanden wecken zu können, sollten Kinder dort spielen. Um diese Uhrzeit tun sie das vermutlich nicht mehr und doch … ist der Ort nicht gänzlich verlassen. Eine Gestalt sitzt auf der Schaukel. Zu groß, um noch als Teenager durchzugehen. Gleichzeitig ist das Bild, das sie abgibt, so traurig, dass es sogar mir im Herzen wehtut. Doch das ist nicht alles. Gott … es ist bei weitem nicht alles. In meinem Kiefer zieht es unangenehm und ich löse meine Zähne voneinander. Auch meine Füße bewegen sich nicht mehr. Alles völlig unbewusst.

Ich … kenne diesen Menschen.

Aber das ist völlig unmöglich. Eher friert die Hölle zu, als dass meine Gefühlswelt recht mit dem hat, was sie meinem Verstand vorgaukelt. Der Mann auf der Schaukel bemerkt meine Anwesenheit nicht. Das hätte mich auch gewundert. Ich bin eins mit der Schwärze um uns herum. Selbst er … ist kaum zu erkennen - ist er doch genauso schwarz gekleidet wie ich. Ich versuche herauszufinden, was einen Menschen mitten in der Nacht dazu bewegt, sich auf einen Spielplatz zu begeben und zu schaukeln. Ich sehe es nicht. Sein Kopf ist völlig leer. Sein Körper … ist leer. Würden sich die Schaukel und die Beine nicht leicht bewegen, könnte man ihn für einen Toten halten, den jemand spaßeshalber dort platziert hat. Das wäre auch ganz mein Humor, aber mein Innerstes windet sich gerade wie ein Fisch auf dem Trockenen.

Unmöglich …

Ich trete näher, weil ich es nicht aushalte, nicht zu wissen, wen ich da vor mir habe. Es kann irgendein Dahergelaufener sein, der sich einfach ausruhen will. Ein Fremder, so wie ich ihnen jede Nacht begegne, ohne dass ich mir ihre Gesichter merke. Aber etwas zieht mich zu ihm. Der Hauch einer Erinnerung … nach so vielen Jahren. Meine Hände zittern. Ich kann nichts dagegen machen. Ich will meinem Verstand so gern glauben. Tote können nicht zufällig irgendwo wieder auftauchen. Das geht nicht. Das ergibt keinen Sinn. Vielleicht spielen meine Gefühle mir einen Streich, weil es noch nicht allzu lange her ist, dass ich an ihn gedacht habe. Genaugenommen ist es passiert, als mir ein anderer Mann seine Liebe gestanden hat. Denkt man dann nicht immer flüchtig an jenen zurück, an dem man zum ersten Mal sein Herz verloren hat?

Er bemerkt mich, als meine Boots über den Sand laufen und jeder Schritt leise knirscht. Er springt so schnell von der Schaukel, dass ich kurz annehme, er würde mich angreifen. Stattdessen dreht er sich flüchtig um und will davonlaufen.

»Warte!«

Seine Schritte frieren ein. Meine eigenen auch. Meine Kehle ist unglaublich trocken. Ich rede mir noch immer ein, dass es unmöglich ist. Doch neben der Angst, die gerade seinen Körper flutet, ist da auch etwas anderes, das sich ähnlich anfühlt wie das, was ich gerade empfinde. So seltsam es auch sein mag. Hat er meine Stimme erkannt? Nach all den Jahren? Er müsste jetzt Mitte Dreißig sein, wenn ich mich nicht irre. Aber ich muss mich irren, nicht wahr? Ich habe gesehen, wie Andrej ihm das Hirn aus dem Kopf geprügelt hat … und das nicht nur im symbolischen Sinne. Es kann unmöglich sein, dass …

»Du … bist Dominik, nicht wahr?«

Ein Schaudern erfasst seinen Körper. Seine Haltung verrät mir, dass er am liebsten so schnell wie möglich weglaufen will, aber er bleibt stehen. Ich will seine Stimme hören, aber er sagt nichts. Dieses Zögern sollte mir als Antwort reichen. Mein Herz setzt einen Schlag lang aus, fühlt sich tonnenschwer an und ich will es mir aus der Brust reißen, weil es so töricht ist. Das ist er nicht. Er kann es nicht sein.

»Und?«, schwingt es schließlich leise zu mir hin. »Das ist ein weit verbreiteter Name. Ist keine Kunst, ihn zu erraten.«

Ich schließe die Augen. Diese Stimme ruft Erinnerungen hervor, die ich vergessen glaubte. Diese Mischung aus tiefer Melancholie und von Angst getriebener Dominanz. Er hat sich immer wie ein Tier gefühlt, das man in die Ecke gedrängt hat und das töten musste, um nicht selbst zu sterben. Es ist ihm so viele Jahre gelungen. Und dann … kam Andrej … und unsere Flucht. Das Ende von allem und gleichzeitig ein Neuanfang für uns. Wie hat er das nur überlebt? Wie ist das möglich?

»Du weißt, wer ich bin, nicht wahr? Warum willst du immer noch weglaufen?«

Er lacht leise. Freudlos und verzweifelt. »Du bist eine Einbildung - nichts weiter. Und wenn nicht, dann solltest du dir wünschen, du wärst eine.«

»Warum?«

»Weil ich dich töten würde, wenn du keine wärst.«

Er ist immer einer der wenigen gewesen, denen ich das wirklich zugetraut habe. Menschen, die nichts mehr zu verlieren haben, sind stärker und verzweifelter in dem, was sie tun. Unberechenbar und entschlossen, es bis zum bitteren Ende durchzuziehen, weil der Tod einer Erlösung gleichkommt und sie sich nicht daran stören, wenn es sie trifft und nicht ihren Gegner. Nikolai ist auch so ein Mensch. Dominik war es auch. Ist es. Ich kann die Erinnerung an seinen zermatschten Kopf einfach nicht verdrängen, aber was, wenn er es … gar nicht gewesen ist? Was, wenn …

»Wie hast du überlebt?«, frage ich deshalb und komme ihm ein paar Schritte näher. »Ich habe gesehen, wie Andrej …«

»Überreizt von all den Kämpfen, all dem Blut und dem Geschmack der Revolution - wie kannst du sicher sein, dass ich gestorben bin? Du hast angefangen, mich zu vergessen, als Andrej aufgetaucht ist und dir dein Hirn vernebelt hat. Du hast mich im Stich gelassen. Weißt du, wie das gewesen ist? Ein halbes Jahr habe ich dort mit all den Toten verbracht, ehe ein Team irgendeines Geheimdienstes mich dort herausgeholt hat.« Mit den Worten hat er sich umgedreht und ich sehe zum ersten Mal sein Gesicht, weil er sich wütend die Kapuze vom Kopf gezogen hat. Ich kann Narben sehen, wo vorher keine gewesen sind. Seine Augen sind matt - genau wie meine. Er hat zu viel Leid gesehen. Es hat sich eingebrannt und wirkt nun gemeinsam mit den traumatischen Ereignissen seiner Kindheit. Kein Wunder, dass ich ihn vorher nicht gespürt habe. Da ist kaum mehr etwas Lebendiges in ihm. Es ist nur noch die Hülle die lebt und diese Erkenntnis … tut mehr weh als alles, was ich bisher erlebt habe. Ich habe das nicht für möglich gehalten. »Ich habe keine Ahnung, wie du mich gefunden hast, aber … wenn du mir einen Gefallen tun willst, weil du vielleicht denkst, du wärst mir nach all der Scheiße einen schuldig, dann … dreh dich um und verschwinde. Rede nie wieder mit mir. Vergiss, dass du mich gesehen hast. Lass mich für immer in Ruhe. Du solltest nicht hier sein. Du … solltest überhaupt nicht mehr sein. Das alles … das …«

Seine Worte brechen ab und er weicht kopfschüttelnd ein paar Schritte zurück. Jetzt scheinen auch ihn zu viele Erinnerungen heimzusuchen. Ich presse die Lippen aufeinander und bewege mich langsam auf ihn zu. Ich will ihn berühren, ihn an mich drücken und sichergehen, dass er nicht nur einer Einbildung entspringt oder ich wieder nur einen schlimmen Traum habe, der sich realer anfühlt, als er sollte. Er war schon immer ein kleines Stück größer als ich. Aber von der Stärke, die wir ihm damals antrainiert haben, ist nichts mehr übrig. Unter seiner Kleidung wirkt er hager. Das erinnert mich viel zu sehr daran, wie ich ihn kennengelernt habe. Nur Haut und Knochen, völlig verwahrlost. Ich schlucke trocken und strecke die Hand nach ihm aus. Er weicht zurück, ehe ich ihn berühren kann.

»Wage es nicht!«, zischt er, hebt die Hände und stolpert rückwärts.

»Dom …«, murmle ich leise, weil … ich nicht weiß, was ich sagen soll. Ich weiß ja nicht einmal genau, was ich fühle. Mitleid. Angst. Sogar noch ein Hauch von Liebe, denn geliebt habe ich ihn schließlich wirklich - diesen verängstigten, sehr kreativen und manchmal doch recht dominanten Kerl, wenn er dann erst einmal aufgetaut ist. Das alles ist wieder fort. Bis auf seine Angst. Ob er noch malt? Was tut er jetzt? Wo lebt er? Hat er jemanden gefunden? Mit all diesen Fragen im Kopf wird es nicht einfacher, weitere Worte zu finden.

»Nein«, hindert er mich schließlich auch erfolgreich daran, noch mehr zu sagen. »Es gibt nichts, was das alles wieder gut machen kann. Du hast mich zurückgelassen. Du hast mich einfach durch diesen rothaarigen Bastard ersetzt, hast selbst den Marshall gegen mich aufgebracht und ich war wieder am Nullpunkt. Ich bin … nie wieder auf die Beine gekommen. Und das ist deine Schuld. Deine allein …«

»Das ist nicht fair«, hauche ich und werde immer kleiner, weil ich mich so schrecklich fühle. So sollte ich nicht empfinden. Ich bin nicht dafür gemacht, irgendetwas von dem zu bereuen, was ich tue. »Hätte ich gewusst, dass du noch lebst … ich hätte dich niemals zurückgelassen.«

»Tja … da du dich nicht versichert hast, dass ich tatsächlich nicht mehr lebe, spielt das keine Rolle, nicht wahr? Du hast es dir doch gewünscht … insgeheim. Weil du es niemals selbst geschafft hast, meinem Leben ein Ende zu bereiten, so oft ich dich auch angefleht habe deswegen …«

Das hat er wirklich oft. Vor allem, als wir uns anfangs näher gekommen sind. Zwischen all dem Chaos und dem Blut und diesen verdammten Machtspielchen. Ich habe nie unter ihnen gelitten - er schon. Im Nachhinein betrachtet, war es für all jene eine schlimme Zeit, die dazugekommen sind. Die erste Welle, die zweite, die dritte und vor allem die letzte, zu der Mischa und Andrej gehörten. Die Querköpfe, die alles verändert haben. Ich kann nicht mehr nachvollziehen, warum ich es damals so genossen habe, was wohl daran liegt, dass man anders zu denken beginnt, wenn man sich normal unter den Menschen bewegen muss. Auf der Welt funktioniert nicht alles mit Gewalt. Das zu lernen, war eine harte Lektion, aber sie hat sich gelohnt.

Nur ihm hat das alles herzlich wenig gebracht.

Ich sinke vor ihm auf die Knie, nicht nur, weil ich mich damit glaubhafter machen will. Meine Knie wollen nicht mehr. Meine Erhabenheit liegt vor mir im Dreck und ich hätte nicht einmal etwas dagegen, wenn Dominik auf ihr herumtrampelt. Ich hätte es verdient. Ich senke den Kopf und schlucke hart. »Es … tut mir so leid, Dominik …«

»Und du denkst, ich glaube dir, wenn du vor mir durch den Dreck kriechst? Dafür ist es zu spät, Killua … ich meine das ernst. Du … hättest nicht herkommen sollen.«

»Ich … wusste es nicht. Die ganze Zeit hatte ich so ein seltsames Gefühl. Es hat mich nicht einmal geführt und doch … bin ich hier. Es hat angefangen, seit ich hier angekommen bin und ich wusste die ganze Zeit nicht, was es mir sagen wollte. Und jetzt bin ich hier und … glaube noch immer nicht, dass du wirklich … vor mir stehst. Warum gerade hier? Warum jetzt? Ich … habe auch nicht darum gebeten, weißt du? Es war schwer zu akzeptieren, dass du tot bist. Und jetzt lebst du … und bist sogar in der gleichen verdammten Stadt wie ich. Ich … ich kann nicht. Ich habe hier Dinge zu tun und Menschen, die …«

… mir etwas bedeuten, doch diesen Rest würge ich herunter. Obwohl es vermutlich nicht schlimmer werden konnte als es schon ist. Ich spüre die reine Abneigung mir gegenüber. Er lässt sich von alten Gefühlen nicht umstimmen. Ich würde das auch nicht tun. Ich bin damals so ein Arschloch gewesen. Vor allem gegen Ende hin. Ich habe ihn im Stich gelassen. Da macht die Tatsache, dass ich es einfach nicht wusste, auch nichts mehr besser. Er hat recht. Ich hätte mich vergewissern müssen.

»Menschen, die du auch im Stich lassen kannst, wenn sie dich nicht mehr interessieren?«

»Dominik …« Jedes seiner Worte ist wie der Tod höchstpersönlich. Ich habe ihn kennengelernt. Er tut weh. Sehr sogar. »Ich kann die Zeit nicht zurückdrehen. Ich würde, wenn ich könnte … ich … ich habe so viele Fehler gemacht und tue sie immer noch, aber … ich wünschte, dieser wäre mir nicht passiert.«

»Ist er aber …«

Seine Stimmlage hat sich geändert. Und es fängt an zu schneien. Die Flocken verblassen, kaum dass sie vor mir den Boden erreichen - genau wie meine Hoffnung darauf, dass er mir verzeiht. Das wird er nicht tun. Ich würde es auch nicht. Trotzdem wünsche ich es mir, auch wenn ich keine Ahnung habe, was danach sein wird. Eigentlich habe ich in meinem Herzen keinen Platz mehr und doch … hatte er schon immer einen darin. Das ist nie weggegangen. Aber ob es wie vorher werden kann? Sollte ich mir das überhaupt vorstellen? Was tue ich überhaupt hier? Ich knie vor einem Mann … wie tief kann man noch sinken? Ich weiß gar nichts mehr und die Nacht wird noch schwärzer, trotz des stärker werdenden Schneefalls.

»Ich kann dir nicht verzeihen, Killua«, sagt er schließlich und ich sinke noch mehr in mich zusammen. Ich hätte nichts anderes erwarten sollen. Das habe ich gar nicht verdient. »Am besten du … gehst jetzt und vergisst das alles. Ich … will niemanden von euch je wiedersehen. Ihr habt alles kaputt gemacht. Ihr habt mir das einzige Leben genommen, mit dem ich irgendwie klargekommen bin. Was auch immer du zu fühlen glaubst … in diesem Moment. Es ist eine Lüge und das weißt du.«

»Ist es nicht«, sage ich leise. »Du wirst immer der erste Mann sein, den ich je geliebt habe. Dich sterben zu sehen, war schlimmer als alles, was ich bis dahin gekannt habe, auch wenn ich es in dem Augenblick nicht bemerkt habe, denn ja … ich war geblendet. Ich konnte an nichts anderes denken als daran, den Marshall zu töten und endlich frei zu sein. Du solltest wissen, wie es ist, sich das zu wünschen …«

»Ha … das Einzige, was ich mir noch wünsche ist die Freiheit, endlich zu gehen … aber stell dir vor … sogar davor habe ich Angst. Es gibt Tage, da kann ich nicht einmal das Bett verlassen. Die Vorstellung, wieder jemanden an mich heranzulassen, lässt mich nachts wach liegen, weil ich weiß, dass sie mich genauso im Stich lassen werden wie du es getan hast. Denn, stell dir vor … auch du bist der Erste gewesen, für den ich irgendetwas empfunden habe, aber … du siehst ja, wohin uns das gebracht hat. Warum also noch daran festhalten?«

»Weil … ich weiß es nicht. Du lebst … ich … ich habe dich sterben sehen. Ich … weiß gar nichts mehr. Nur … dass ich nicht einfach gehen kann. Nicht mehr. Ich kann dich nicht allein lassen. Sieh dich doch an … das … du …«

»Das macht das Leben aus mir. Das solltest du am besten wissen. Sieh, was es aus dir gemacht hat. Du kniest vor jemand anderem. Der Marshall würde sich im Grab herumdrehen, wenn er eins hätte. Viel hast du von ihm ja nicht übrig gelassen. Wie geht es denn Nikolai, hm? Und deinem geliebten Andrej? Wie hießen die anderen Pfeifen noch? Mischa … der kleine, verkorkste Künstler …«

»Nur Mischa ist geblieben. Nikolai ist irgendwo in der Nähe von Irkutsk … da, wo er herkommt. Andrej … keine Ahnung. Noah ist zurück zur Polizei. St. Petersburg. Ivan … ich weiß es nicht.«

»Du bist wegen Andrej gegangen und jetzt ist er nicht einmal mehr bei dir?«

»Er ist gegangen. Er hat versprochen, auf mich aufzupassen, aber … er ist gegangen.«

Das bringt ihn ins Grübeln. Vielleicht. Ich weiß es nicht. Ich schaffe es immer noch nicht, ihn wieder anzusehen. Der Grund um uns herum wird langsam weißer, die Umgebung heller. Die Jeans und Schuhe, die er trägt, sind zerrissen, kaputt und dreckig. Er ist am Ende. Was muss ich tun, um ihn zu retten? Vielleicht haben die Anarchisten noch einen Platz für ihn, wo er sich nützlich machen kann. Das wäre doch etwas. Er könnte arbeiten, ohne direkt mit anderen zu tun zu haben, aber ich kriege diesen Vorschlag nicht über die Lippen. Es kommt mir so vermessen vor. Wie jedes Wort, das über meine Lippen kommt. Ich habe die Gefühle für ihn tatsächlich so gut wie vergessen, doch jetzt kommen sie tausendfach zurück und überwältigen mich. Ich bin ein furchtbarer Mensch.

»Nun … ich habe von Anfang an gesagt, dass dieser Typ nur Ärger mit sich bringt, aber du musstest dich ja von seinen roten Haaren beeindrucken lassen. Und seinem Freiheitsdrang, den hübschen Äuglein - was auch immer du an ihm so anziehend fandest.«

Das weiß ich selbst nicht einmal mehr. Sein rebellisches Gehabe, seinen Mut … bei Andrej kamen so viele positive Eigenschaften zusammen, die ich bewundert habe, aber sein wahres Gesicht hat sich erst gezeigt, als ich ihm zur Freiheit verholfen habe. So kann man sich in Menschen irren.

»Ich weiß es nicht mehr. Es spielt auch keine Rolle. Mischa ist der Einzige, der mir geholfen hat, in diesem Chaos klarzukommen. Wir sind nach Tschechien … danach. Und dann hierher. Ich habe mich einer Untergrundbewegung angeschlossen. Ihr Anführer … kennt den Marshall noch von der Zeit, bevor er das Projekt ins Leben gerufen hat. Ich werde gebraucht. Du könntest auch dort anfangen, wenn ich ein gutes Wort für dich einlege. Das alles sind Einzelkämpfer. Du müsstest nicht einmal …«

»Was versuchst du hier? Mich zu retten? Ich brauche deine Hilfe nicht. Ich brauche gar nichts von dir. Versteh das endlich!«

Ich sehe auf, weil seine Stimme klingt, als würde er gleich zusammenbrechen und verdammt … da sind tatsächlich feuchte Spuren auf seinen Wangen, die langsam eine weiße Farbe annehmen, weil sie gefrieren. Ich stehe auf. Meine Knie knirschen empört, weil die Kälte sie steif gemacht hat, aber ich ignoriere das. Ich weiß, dass ich schnell sein muss, damit er mir nicht wieder entwischt und es fühlt sich so richtig an, als ich die Arme um ihn lege und erst da spüre, wie dünn er wirklich geworden ist. Er wehrt sich, stemmt sich gegen seine Brust, doch die Laute, die über seine Lippen kommen, werden bald von Schluchzen abgewürgt und … er lässt sich fallen. Nicht, weil er es will, sondern weil dieses Gespräch, diese ganze Begegnung ihn all seine verbliebene Kraft gekostet hat. Vielleicht hätte ich ihn nicht ansprechen und meiner Wege gehen sollen. Vielleicht wäre er dann glücklicher als jetzt. Es tut mir leid und gleichzeitig drücke ich ihn noch fester an mich, erinnere mich an seinen Geruch und an seine Wärme. Meine Augen beginnen zu brennen und dann passiert es einfach. Ich muss nichts mehr zurückhalten. Er sieht es nicht und das ist okay. Er würde es für eine weitere Lüge halten, aber das interessiert mich nicht mehr. Ich werde ich nicht loslassen, bis er verstanden hat. Und wenn ich ihn noch einmal brechen muss - so wie damals. Denn eine Sache spüre ich gerade sehr deutlich - und nicht nur bei mir.

Wir haben nie aufgehört, einander zu brauchen.

original character: dominik, genre: drama, warning: angst, original character: killua, adventskalender 2017, format: oneshot, format: original, genre: angst, warning: suicidal thoughts

Previous post Next post
Up