Apr 16, 2017 22:56
... kind of a disturbing nightmare ...
Fandom: Original
Character: Killua
Genre: angst, drama
Rating: P-16
Warning: starke dissoziative Identitätsstörung, angst, psychologische Problematik, macht vermutlich nicht viel Sinn, rape, abuse
Kälte ...
Kälte, die sich seines Körpers längst bemächtigt hatte. Wo kam sie her? Warum roch es hier anders, als er es gewohnt war und doch so vertraut?
Fragen, die ihm in den Sinn kamen, noch ehe er die Augen öffnen konnte ... wollte. Sein Verstand hatte ihm längst klar gemacht, dass er nicht mehr dort war, wo er sich zuvor befunden hatte - in seinem warmen, weichen Bett, seinen Kater schlafend auf dem Bauch und unter der Rotlichtlampe, deren rote Strahlen seinen Körper eingehüllt hatten.
Das hier war ein anderer Ort.
Und da er sich nicht daran erinnern konnte, wie er hierher gekommen war, ließ das nur einen Schluss zu: Er träumte. Schon wieder.
Mit einem Ruck öffneten sich seine Augen und mit der Erkenntnis, sich in einem Wald zu befinden, überkam ihn ein Schwall von Übelkeit und er wälzte sich auf die Seite, wo er altes, geronnenes Blut auf den Boden spuckte. Seine Finger gruben sich in gefrorene Erde und er erkannte, warum er am ganzen Körper zitterte.
»Scheiße ...«
Obwohl sich immer alles taub anfühlte, war es im Moment so, als hätte er keinerlei Kontrolle über seine Bewegungen. Er wollte sich aufrichten, aber es gelang ihm nicht. Er blieb am Boden kleben und suchte nach der Energie, die ihn sonst nur sehr selten im Stich ließ.
»Ich habe es so satt ...«
Niemand war zu sehen. Nichts zu hören. Die Stille erschreckte ihn. Wenigstens der Wind, den er in seinen Haaren spürte, müsste doch die Bäume zum Rauschen bringen. Doch da war nichts. Nicht einmal die vertraute, gehässige Stimme in seinem Kopf. Dieser Traum ... schien sein Dasein auf eine neue Ebene zu befördern - völlige Isolation. Und das Schlimme daran war, dass er zu Hause in seinem Bett lag und zur Abwechslung keine Gesellschaft hatte, die ihn im Ernstfall aus seinen Alpträumen befreien konnte. Er war allein.
Allein mit sich und diesem Ort. Er wusste, dass er nicht eher von hier verschwinden konnte, bis er die Ursache gefunden hatte. Und er kannte ihren Namen. Er wusste, was ihn erwarten würde. Zumindest ahnte er es. Meistens waren diese Träume unvorhersehbarer, als es ihm lieb war.
Und sie waren gefährlich.
Weil sein Kopf ... gefährlich war.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis er es zumindest auf seine Knie geschafft hatte. Er betrachtete das dunkle Blut zwischen seinen in Boden gekrallten Händen. Das war ihm noch nie passiert. Es schien ein Zeichen dafür zu sein, dass er schon wieder zu lange kein Frisches zu sich genommen hatte. Natürlich. Eine andere Ursache hatten diese Träume nicht. Sie waren ein Schutzmechanismus seines Körpers, den er einfach nicht umgehen konnte, auch wenn er es immer wieder versuchte. Über diesen Teil seines Verstandes hatte er keinerlei Kontrolle. Sein Unterbewusstsein war stärker als er. Und er hasste es so sehr ...
Schwindel überkam ihn, als er den Kopf hob und sich umsah. Kahle Zedern umgaben ihn. Der Boden war teilweise gefroren und doch hier und da mit flach wachsendem Gras bedeckt. So hatte es damals ausgesehen, als er geflohen war. In den Sommermonaten taute er Boden nicht auf, aber hier und da blühte Leben auf. Jetzt schien es Sommer zu sein, doch bis auf die paar Bäume und die Gräser war von Leben nichts zu sehen. Keine Vögel, keine Bären - nichts.
Er spürte ... nichts.
Nur diese Kälte. Es war so kühl, dass er seinen eigenen Atem sehen konnte und das war auch etwas, das ihm nicht sonderlich vertraut war. Das alles war schon wieder viel zu viel. Aber er konnte nichts daran ändern, also holte er einmal tief Luft und zog seine Füße unter sich, ließ vom Boden ab und richtete sich langsam auf. Kurz wurde die Umgebung noch schwärzer, als sie es bereits war, doch sein Kreislauf fing sich wieder und durch die Bewegung hatte er - wenn auch nur einen kleinen Teil - der Kälte abgeschüttelt.
Umringt von Bäumen fiel die Orientierung schwer. Norden, Osten ... es spielte überhaupt keine Rolle. Er wusste so oder so nicht, in welche Richtung er gehen sollte. Erst als er das für sich selbst akzeptiert hatte, kamen seine Füße in Bewegung. Morsche Wurzeln und Zweige knackten unter seinen nackten Füßen. Er bewegte sich für seine Verhältnisse viel zu vorsichtig. Er traute seinem Körper gerade kein bisschen. Vielleicht war es wieder einer dieser abgefuckten Träume, in denen er ein einfacher Mensch war. Keine Unverwundbarkeit. Keine nahezu unerschöpfliche Kondition. Auch auf seine Sinne konnte er sich momentan nicht stützen. Es roch nach Wald. Er hörte nichts. Seine Augen erblicken nichts anderes als Bäume. Seine Zunge war noch immer belegt mit winzigen Krümeln des alten Blutes, aber sie verschwanden nicht, auch nachdem er ein paar Mal auf den Boden gespuckt hatte. Es musste sich schon vor seinem Aufwachen eine Weile in seinem Mund befunden haben. Widerlich.
Als sich sein Körper nach einer Weile wieder mehr anfühlte als sonst, begann er schneller zu laufen. Die Richtung, die er eingeschlagen hatte, fühlte sich richtig an. Der Grund dafür war ihm nicht bekannt und offenbarte sich erst nach weiteren Minuten ... vielleicht auch Stunden. Sein Zeitgefühl ließ ihn vollkommen im Stich, aber in seinen Träumen hatte diese Komponente keine Bedeutung. Ebenso wie physikalische Gesetze und menschliche Logik. Diese Welten hatten ihre ganz eigenen Regeln und er hatte schon so viel Bullshit gesehen, dass ihn kaum noch etwas überraschen konnte. Da waren die Inhalte schlimmer. Die Dinge, die er zu sehen bekommen würde. Die so tief verscharrten, abgrundtiefen Gedankengänge, zu denen er im wachen Zustand keinen Zugang hatte.
Nur sein Unterbewusstsein reichte noch so tief, wühlte ihn verdrängten Erinnerungen und verstärkte sie. Wie oft schon hatte er seine vielen Tode noch einmal erlebt? Unzählige Male. Und es gab immer noch eine Steigerung. Es war allein seinem gewachsenen Lebenswillen und Trotz zu verdanken, dass er noch immer ein Mensch sein wollte, trotz der Spiele, die sein Verstand dann gern mit ihm trieb, wenn er ihm am Tage - tief schlafend - vollkommen schutzlos ausgeliefert war.
Er hätte sich verdammt noch einmal einen Kerl mit nach Hause nehmen sollen!
Doch seit Ryan gegangen war, hatte sich seine Lust auf derlei Dinge im Winde verlaufen. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis er die Quittung für diese zugelassenen Gefühle bekam.
Das hier.
Von all den schlimmen Orten musste es gerade dieser einer sein, der alles verändert hatte. Der Grund für all die Probleme, die er hatte.
Er war zurück.
Der helle Komplex baute sich zwischen den Bäumen langsam, aber stetig auf und er befahl seinen Beinen mit Nachdruck, dass sie stehen blieben und ihn nicht näher an diesen Ort brachten, aber er hatte keinerlei Kontrolle darüber. Eine unsichtbare Kraft schien ihn immer weiter vorwärts zu ziehen.
Bis er vor einer Tür stand. Einer der vielen Zugänge in diese Einrichtung. Es war beinahe ironisch, dass er das noch wusste. Er erinnerte sich nicht oft an diesen Ort, aber manchmal ertappte er sich selbst bei einem nächtlichen Blick auf die lebhafte Stadt oder während einer Fahrt auf dem Highway dabei, dass er an ihn zurückdachte. Dabei waren ihm erst viele Details während seiner Flucht aufgefallen. Seine Reise hierher war in verschwommeneren Gefilden seiner Erinnerungen verborgen. Wie so viel anderes aus seiner Kindheit. Erst mit dem Alter waren einige von ihnen zurückgekehrt. Vor allem durch die Gespräche mit Noel.
Noel ...
Seit er seinen Bruder wieder gefunden hatte und in regelmäßigem Kontakt mit ihm stand, häuften sich wirre Träume auch, wenn er nicht unter dem Mangel von Blut litt. Es war seltsam. Irgendwann würde er verstehen, welche Faktoren für diesen Mist hier verantwortlich waren. Vielleicht durfte er einfach nicht mehr schlafen. Das wäre die einfachste Lösung für diesen ständigen Krieg, den er gegen sich selbst führen musste.
Vielleicht spielte auch der Verlust von Ryan eine Rolle. Es hatte nicht funktioniert. Wie so viele andere Beziehungen davor. Er war dafür nicht gemacht, aber er hatte es sich so sehr gewünscht. In der Position befand er sich einfach nicht. Ihm stand es nicht zu, glücklich zu werden. Damit sollte er sich abfinden.
Genau wie mit der Tür vor seiner Nase, die sich nicht von selbst öffnete, als er ihr näher kam. Seine roten Augen wanderten über die hellen Ränder. Sie stachen in der nächtlichen Umgebung hervor. Nur das Pad rechts neben dem Zugang, ging etwas unter, so dass er ihn erst bemerke, als er die Stelle fokussierte. Es war eine Biosignaturvorrichtung. Eine Handfläche war auf der glatten Fläche abgebildet und auch wenn Killua nicht glaubte, dass die Anlage überhaupt noch mit Strom versorgt wurde oder sein Handabdruck ihm Zugang gewähren würde, legte er seine rechte Hand auf die Fläche. Ein blinkendes, rotes Licht flackerte über seinem Mittelfinger auf.
Dann erklang eine mechanische Stimme und zerriss die Stille. Er zuckte zusammen.
Subjekt 007 - Zugang gewährt.
Die automatischen Türen schoben sich nach links und rechts auf, doch auf halben Weg schien die Stromzufuhr unterbrochen zu werden und sie drohten, sich wieder zu schließen, doch seine Hand schnellte hastig nach vorn und hielt sie auf, bis er hindurchgeschlüpft war. Hinter ihm schlossen sie sich nahezu lautlos wieder. Wenn er keinen Weg fand, um den Strom wieder anzuschalten, dann würde er hier nicht mehr rauskommen.
Ach verdammt ... er sollte aufhören, das Geschehen hier als real anzusehen. Diese Herangehensweise wäre viel zu sehr abhängig von regelrechten Maßstäben. Aber in so einem Traum konnte das Chaos schnell die Macht an sich reißen und dann waren geschlossene Türen sein geringstes Problem.
Allerdings bemerkte er beim ersten Blick nach vorn, dass die Elektrizität nicht ganz verschwunden war. Lose Kabel lagen umher. Manche waren aus ihren Verankerungen gerissen und tauchten den Gang, der sich vor ihm auftat, ab und an in ein kleines Funkenmeer. Das Knallen war wenigstens etwas, womit er arbeiten konnte - anders als die tote Stille, die vor der nun geschlossenen Tür vorgeherrscht hatte, trotz des kalten Windes. Ob er die Stromschläge spüren würde, wenn er dort durchging? Es war ja nicht so, als hätte er eine andere Wahl. Der Gang führte in den Haupttrakt. In seinen dunklen Augen spiegelte sich das unwillkürliche Blitzgewitter. Auch erhellte es mit jedem Funken die Umgebung und er bemerkte, dass zumindest seine Sehschärfe noch gut zu funktionieren schien. Er erkannte alles, so wie er es gewohnt war. Er schien er selbst zu sein. Komisch für einen Traum und für einen Atemzug lang ertappte er sich bei dem Gedanken, dass er vielleicht gar nicht träumte, aber das wäre völlig irrational. Er hatte kein Schiff betreten, um zu dieser einsamen Insel gekarrt zu werden. Daran würde er sich doch erinnern ...
Ein weiterer Atemzug reichte aus, um sich wieder zu entspannen. Er durfte hierüber nicht zu viel nachdenken. Je weiter er sich in Gedanken seiner eigenen Gedankenkonstrukte verlor, desto schwieriger würde es werden, einen Weg zurück zu finden. Und die Angst davor sorgte für genug Adrenalin, um seinen Fokus wieder auf das Geschehen vor sich zu verlagern. Mit bedächtigen Schritten näherte er sich den ersten offen liegenden Kabeln. Je nachdem, welche Spannung anlag, konnte ihn so ein Schlag durchaus von den Beinen holen. Er hatte schon einige Male Kontakt zu starken Teasern gehabt. Kerle, die sich besser informiert hatten, als ihre Vorgänger. Für die Auszahlung seines Kopfgeldes hatte es dennoch nie gereicht. Sein Körper erholte sich recht schnell von den Impulsen. Sein Herz war nur schwer aus dem Takt zu bringen, so träge wie es schon von Natur aus schlug. Das Gleiche galt für seine Muskeln und Nerven.
Es überraschte ihn nicht wirklich, als der erste Funkenregen, der auf seiner Haut stattfand, ihn mit einem Ruck gegen die Wand schleuderte und kurz alles verdunkelte. Leicht benommen fasste er sich an die Stirn und grunzte unwillig. Da musste er wohl subtiler vorgehen. Was hatte diesen Ort überhaupt so zerstört? Er konnte sich an den Brand damals erinnern, der durch die Detonationen einiger Bomben verursacht worden war, als der Marshall die Anlage infiltriert hatte. Aber das hier wirkte eher, als wäre es ... erst vor kurzem passiert. Mutwillig.
Nicht nachdenken.
Nicht nach der Logik suchen.
Er würde sie nicht finden.
Die nächsten Kabel wurden von der Spannung hin und her gepeitscht. Die Bewegungen waren nicht vorauszuahnen. Er wagte den beherzten Sprung durch die Mitte. Ein Fehler, den er schnell bereute. Das Brüllen, das seiner Kehle entwich, hielt viel zu lange an. Er bekam keine Luft mehr, während sein Körper von Strömen durchzuckt wurde. Seine hastigen, unwillkürlichen Bewegungen verschlimmerten es nur, denn die Kabel wickelten sich um seine Gliedmaßen, um seinen Hals. Es war völlig dem Zufall überlassen. Eine der Zuleitungen riss er irgendwann aus der Wand. Die Spannung an seiner Kehle ließ nach und er rang hastig nach Luft, ächzte schwer und drehte sich eher unbewusst von der anderen weg. Sein Arm blieb umschlungen, aber er gewann die Kontrolle über seinen restlichen Körper zurück und nutzte sein Körpergewicht, um auch diese Leitung gänzlich aus der Wand zu reißen. Seine Haut zischte an den Stellen, an denen sie verbrannt worden war. Mit den Füßen schob er sich über den Boden von den Kabeln weg und ließ sich dann nach hinten fallen.
»Fuck ...«
Das tat weh, nicht wahr?
Er hatte sich schon gefragt, wann er die Stimme endlich hören würde.
»Ich hoffe, du hast die Show genossen.«
Er bekam keine Antwort darauf. Beunruhigend. So keck er sich gegenüber anderen immer gab, so sprach auch sein Unterbewusstsein mit ihm selbst und das war nie so amüsant, wie es selbst bei anderen zu tun. Allerdings reichte die Abneigung nicht aus, um es sich abzugewöhnen. So war er eben und so war auch dieses verruchte Stimmchen in seinem Hinterkopf. Deswegen war wohl das Schweigen so irritierend.
»Was denn? Du bringst mich an diesen Ort und fürchtest dich selbst vor ihm? Ist es das?«
Noch immer Schweigen. Er gab es auf. Er setzte sich auf, kam wieder auf die Beine und betrachtete den Raum, den er erreicht hatte. Das Herz der Verwaltung. Mehrere Gänge gingen von diesem Rondell ab. Computermonitore und Ordner lagen verstreut herum. Die Bildschirme waren flach. Und ebenso wie das Pad, das er am Eingang entdeckt hatte, passten sie nicht zu den Zeiten, in denen her hierher gekommen war. Da hatten die Computer noch ganz andere Ausmaße besessen. Röhren, laute Diskettenlaufwerke. Hier war alles moderner. Seine Erinnerungen vermischten sich mit der Gegenwart.
So hätte es hier wohl ausgesehen, hätten die Geschehnisse erst vor kurzem stattgefunden.
Er fuhr sich fahrig mit der Hand über das Gesicht. Fokus! Er wollte hier so schnell wie möglich weg. Mit Kleinigkeiten durfte er sich nicht aufhalten. Mit zügigen Schritten wandte er sich der ersten Tür zu seiner Linken zu. Sie war verschlossen und ließ sich selbst dann nicht öffnen, als er die Finger zwischen die Schieber presste und wenigstens eine zur Seite ziehen wollte. Also ging er zur Nächsten, bei der sich das Spiel wiederholte. Erst die Dritte bekam er auf diese Weise auf. Schnell schlüpfte er in den Gang hinter ihr und bereute seine Entscheidung sofort. Türen reihten sich links und rechts von ihm auf. Kein Licht, keine Funken. Dunkelheit und eine beklemmende Enge. Die Luft hier drinnen war so abgestanden, dass es sich anfühlte, als würde sie nicht mehr genug Sauerstoff in seine Lungen transportieren. Abermals erfasste Schwindel seinen Körper, aber er kämpfte gegen ihn an. Ein seltsamer Geruch war es, der die Luft so schwer werden ließ und er wusste nicht recht, wie er ihn zuordnen sollte. Da die Türen geschlossen waren, wage er weitere Schritte, ließ die ersten vier Kammern hinter sich, bis er stehenblieb. Eher aus einem Instinkt heraus, als wirklich bewusst.
Er ... war nicht mehr allein.
Die Härchen in seinem Nacken stellten sich auf, als er langsam den Kopf drehte und seinen Blick über die Schulter zurückwandern ließ. Die Türen waren noch immer geschlossen, aber irgendetwas hatte sich verändert.
Er konnte ... etwas spüren.
Seine Lippen spalteten sich, seine Zähne kamen zum Vorschein und ein leises Knurren grollte in seinem Inneren. Das war der Moment, als die Stille von tosenden Schlägen unterbrochen wurde. Fäuste hämmerten in den Zellen gegen die verschlossenen Türen. Erst aus nur einem Raum. Dann auch hinter ihm. Mehrere Türen. Scharniere begannen zu ächzen und er wusste, dass er laufen sollte, wenn er nicht erfahren wollte, was sich in diesen Zellen befand. Doch seine Füße rührten sich nicht von der Stelle. Seine Finger formten sich zu Klauen, seine Knie gerieten unter Spannung, die sich schließlich in jedem einzelnen Muskel ausbreitete.
Als die erste Tür an die gegenüberliegende krachte, klang das Fauchen aus seiner Kehle überhaupt nicht mehr nach ihm.
Subjekt 007.
Er wusste jetzt, was es bedeutete.
Er war nicht der Erste. Er war nur derjenige, der für den damaligen Augenblick der einzige Erfolg gewesen war. Seine Vorgänger ... waren Wesen wie das gewesen, das sich nun vor ihm aufbaute. Körperlich gesehen menschlich, doch da waren keine klaren Gedanken zu erfassen. Nur animalische Triebe - vor allem Hunger. Die Gestalt war noch nicht ganz aus der Kammer getreten, als sie schon zum Sprung ansetzte. Killua erwartete sie, doch ein weiteres Scheppern hinter seinem Rücken lenkte ihn von dem Angriff ab und die fremden Zähne schafften es tatsächlich, sich in seine Schulter zu graben, während die Klauen seine Arme auf dem Boden festpinnten. Er drehte den Kopf, öffnete den Kiefer und schlug seine eigenen Zähne in die Halsschlagader, die direkt neben seinem Gesicht pulsierte. Als das Wesen brüllte und so von seiner Schulter abließ, stemmte er die Beine mit Schwung nach oben und schleuderte die Gestalt der anderen Freigekommenen entgegen, die sich ebenfalls ins Getümmel mischen wollte. Rechnerisch betrachtet müssten sechs von ihnen existieren. Erwog man noch die erwiesenen Fehlschläge, waren vielleicht nur drei oder vier von ihnen wirklich gefährlich.
Doch das war nicht wirklich das Einzige, das ihn gerade beschäftigte.
Ihm war gesagt worden, dass alle andere vor ihm gestorben waren. Wie er selbst viele Male. Das hier ... konnte nicht stimmen. Was sollte das?
Sie sind das, was du sein solltest. Nicht nachdenken. Nichts fühlen. Einfach nur das tun, was man dir sagt. Töten. Immer wieder töten. Wann verstehst du es endlich?
Er wollte es gar nicht verstehen. Dieses Knäuel aus sich zerfetzenden Leibern zu sehen, die dem einzigen Instinkt nachgingen, den sie noch zu kennen schienen, war so abstoßend, dass er sich in seinem Menschsein nur noch bestärkter fühlte.
»Dafür das Ganze? Um mir das zu zeigen?«
Um dich daran zu erinnern, dass wir nicht besser sind als sie.
Dem konnte er nicht zustimmen. Er war besser. Er versuchte es zumindest und nahm dafür selbst diese seltsamen Träume in Kauf. Das hier war nichts, das er nicht handhaben konnte. Auch die anderen Zellentüren flogen auf, doch die sich darin befindenden Wesen stürzten sich auf das Einzige, das sich bewegte und so wurde das Knäuel noch größer, während er selbst langsam an den Kämpfenden vorbei schleichen konnte. Normalerweise wäre es anders. Sie würden sich auf ihn stürzen, so verlangte es die ganz eigene Logik seiner Gedanken. Doch das hier ...
Scheinbar war er noch nicht beim Endboss angekommen, um es umgangssprachlich auszudrücken. Meistens ließen sich die Erlebnisse hier schon mit einem schlechten Spiel vergleichen, das man nur dann zockte, wenn einen die Langeweile zu erschlagen drohte. Das Dumme daran war nur, dass er keinen Einfluss darauf hatte, wann er dieses Game startete.
Eine weitere Zwischentür stoppte den Lärm hinter ihm. Vollkommene Schwärze und mit ihr einhergehende Stille umgaben ihn. Vertraute, ruhige Finsternis. Er atmete durch und sah sich um. Der Raum war kahl, felsig - so gar nicht das, was man in solch einer Einrichtung erwarten würde. Er hatte sie mit der Tür hinter sich gelassen. Das hier war anders. Kalt, irgendwie feucht. Die Luft war anders.
Und die Gesellschaft.
Er presste die Lippen aufeinander und schloss die Augen. Einbildung. Sein Abbild konnte nichts anderes sein. Schon gar nicht real. Aber als er ein paar Mal tief ein- und ausgeatmet hatte und die Augen wieder öffnete, stand der Schatten immer noch in einigen Metern Entfernung und schätzte ihn genauso ab, wie er ihn. Schwarze Haare, blutrote Augen und zu viele sichtbare Narben, die ungefragt Geschichten erzählten. Er hasste es, in den Spiegel zu sehen, weil er dann verloren ging. Das hier war nichts anderes.
»Hat dich das Ganze so gelangweilt, dass du nun endlich mal selbst in Erscheinung trittst, anstatt mir immer nur ins Ohr zu flüstern?«
Sein Gegenüber grinste breit und entblößte so die scharfen Zähne, die sie ihr eigen nannten. Seine ganze Körperhaltung und Sprache waren auf nur eine Sache ausgerichtet. Die Jagd. Laufen, fangen, die Beute erlegen, leben. All das dazwischen und drumherum - die Reinform seiner Selbst verfügte darüber nicht. Keine Gefühle oder Gedanken, die ihn an dem hinderten, was er tat. Keine Planung von irgendetwas, den Konsequenzen ganz zu schweigen. Er war die Perfektion, wie sie die Wissenschaftler damals angestrebt hatten.
Und er selbst - er war der klägliche Rest Mensch, der sich gegen diese Übermacht immer wieder behaupten wollte ... und musste. Die Umstände hatten sich geändert. Er war nicht beim Militär. Er diente nicht dem Zweck, dem seine Erschaffung hatte dienen sollen. Er lebte unter jenen, die er töten sollte. Und die Konsequenzen eines Mordes konnte keiner decken. Mit denen musste er sich selbst auseinandersetzen und das war es wohl, was diese tief verankerte Existenz nicht begreifen wollte. Und konnte.
»Weißt du? Ich habe eine leise Ahnung, wie das hier ablaufen wird. Es ist deine Welt. Du kannst sie beliebig verändern. Du kannst mein Bewusstsein beliebig ändern. Ich werde hier von dir getötet und eine Weile tanze ich wieder ganz nach deiner Pfeife. Es ist recht vorhersehbar.«
»Ach, tatsächlich?«
Nichts war befremdlicher, als seine eigene Stimme zu hören. Und sich dabei selbst zu sehen, ohne Einfluss darauf zu haben, was man sagt oder als Nächstes tut. Er hasste dieses Gefühl und die Übelkeit, die mit diesem auftrat. Seine Knie bebten leicht, aber er versuchte, mit aller Macht dagegen anzukämpfen. Wann würde er schon das nächste Mal Gelegenheit dazu haben, sich diesem Krieg gegen sich selbst zu stellen? Direkt und unmittelbar. Nicht diese Brainfuckausflüchte, die seine Gedanken gern konstruierten, um ihn schon vorher vollkommen zu zermürben.
»Wird es nicht?«
»Nun ... ich habe gemerkt, dass ich mich anstrengen kann, so sehr ich will. Du versuchst es immer wieder. Ich verstehe es nur nicht.«
Ihm ist fast danach zu grinsen, aber es stirbt ab, noch ehe es wirklich seine Lippen bewegt. »Selbsterkenntnisse sind doch sonst nicht deine Stärke.«
»Das ist keine Erkenntnis, sondern ein Problem. Ich will nicht sterben. Aber du willst es, aus welchen Gründen auch immer. Dabei ist es so lange gut gegangen und du hast es genossen. Bis du angefangen hast, diese nervigen Gefühle zu entdecken, die wir nicht brauchen. So war das nie gedacht.«
»Sie gehören nun einmal zum Leben dazu. Nicht alle Menschen sind wie die, die uns erschaffen haben.«
»Um die geht es mir gar nicht. Sie sind tot. Und wir werden nie wieder irgendeinem Arzt in die Hände fallen, auch wenn du es mit Ben damals ja beinahe geschafft hättest. Wie kannst du nur ständig irgendwelchen Männern dein Vertrauen schenken, die dich dann eh wieder verraten? Warum lernst du nie dazu? Warum willst du nie verstehen? Dein Trotz macht alles nur noch schlimmer.«
»Finde dich damit ab. Ich will ein Leben führen, wenn ich schon nicht sterben kann.«
»Das dachte ich mir schon. Nun ... du wirst mich endlich verstehen, wenn ich dir etwas zeige, an das du dich nicht mehr erinnern kannst. Der Grund dafür, warum du tagsüber immer wie ein Toter schläfst.«
»Ich weiß, warum ich ...«
»Du weißt gar nichts.«
Der Boden unter seinen Füßen begann zu vibrieren. Die Luft flimmerte. Die Gestalt des Anderen verschwamm vor seinen Augen und plötzlich hatte er keinen Grund mehr unter sich. Er fiel. Und er fiel tief.
Als er aufwachte, war da keine Dunkelheit mehr. Gleißendes Licht hinderte ihn daran, die Augen zu öffnen. Nicht einmal ein Blinzeln war möglich. Stimmengemurmel drang an sein Ohr, aber er konnte die Worte nicht verstehen. Irgendetwas passierte mit seinem Körper, aber er sah nicht, was es war.
Dieses gleißende Licht.
Und dazu der Geruch, der ihm nur zu bekannt war. Desinfektionsmittel. Metall. Blut.
Alles war weiß, als er es schaffte, die Augen zu öffnen. Für Sekundenbruchteile. Weiß. Ein bisschen Rot blitzte hindurch. Dumpf wühlte sich etwas durch seine Eingeweide, bis hinunter zu seinem Schoß. Kein Schmerz. Nur das Gefühl, dass ihm ... etwas genommen wurde.
Und plötzlich war er froh, dass er es nicht sehen konnte. Er begann hastiger zu atmen. Er schwitzte und das tat er sonst nie. Angst kroch ihm in die Kehle, wollte als Schrei über seine Lippen. Stattdessen raubte sie ihm einfach den Atem. Das Gemurmel schwoll an. Schritte entfernten sich von der Bahre, auf der er zu liegen schien. Er spürte die Lederriemen an seinen Hand- und Fußgelenken. Sie waren so lange ein ständiger Begleiter gewesen. Er konnte Auren spüren, die um ihn herum huschten. Und immer wieder diese Hände und Finger in ihm.
Plötzlich konnte er sein Herz nicht mehr schlagen spüren.
Trotz des Lichtes riss er die Augen auf. Weiß ging einher mit dem flacher werdendem Atem. Da kam kein Sauerstoff mehr in seinen Lungen an.
Er ... er erstickte ...
Er ...
... starb ...
Mit einem Knall ging das Licht aus. Durch seinen Körper ging ein Ruck und sein Herz setzte hektisch schlagend wieder ein. Er spürte Flüssigkeit in seinem Gesicht und wollte das nicht. Nur keine Schwäche zeigen. Es war nur ein Traum ... ein verdammter Traum!
Wenn du nur sehen könntest, wie wunderschön du bist. Du blutest für mich. Und dann ist es, als wäre nichts geschehen. Es ist so weich ... es fühlt sich so gut an.
Nein ...
Nein, nein ... diese Stimme ...
Die Lederriemen lösten sich von seinen Gelenken und er wurde auf den Bauch gewälzt. Etwas Scharfes glitt über seinen Rücken. Seine Wirbelsäule lag frei. Gereizte Nerven ließen seine Gliedmaßen unkontrolliert zucken. Dann klang die Klinge zwischen seine Wirbel und plötzlich ... war alles taub. Er roch fauligen Atem hinter sich. Doch den Atem spürte er nicht mehr. Genauso wenig wie den Druck weiter unten.
So schön ... und du gehörst allein mir. Ich habe dich erschaffen. Und ich kann dich wieder zerstören. So oft ich will. Du stehst immer wieder auf.
Er wollte nicht aufstehen. Er hatte es nie gewollt. Und nie versucht. Es war einfach passiert. Immer wieder. Und diese Stimme war es gewesen, die er bei seinem Erwachen stets gehört hatte. So lobend - ganz ungeachtet der Qualen, die er bei jedem Tod durchlitten hatte. Diese Erinnerungen waren nicht neu. Er hatte sie gut verborgen, aber nicht vergessen. Trotzdem wühlten sie sein Innerstes mehr auf, als ihm lieb war. So sehr er sich gegen sie wehrte und gegen das, was dieser Mann mit seinem Körper tat - es hörte nicht auf, weh zu tun. Dabei spürte er es nicht einmal. Die bloße Erkenntnis reichte aus, um ihn fühlen zu lassen, was passierte.
Lenzer verging sich an ihm.
Aber sein Geruch änderte sich. Die Hände, die seine auf den Boden drückten, wurden klumpiger, wulstiger. Die Stimme mit dem russischen Akzent, den er so sehr gehasst und doch irgendwie geliebt hatte. Die seines Retters.
Seines vermeintlichen Retters ...
Ich liebe dich so sehr, Killua. Du weißt nicht wie sehr. Du bist etwas ganz Besonderes und ich werde dafür sorgen, dass du Großes leisten wirst. Mit dir an meiner Seite werde ich unbesiegbar sein.
Die Erschütterungen spürte er. Doch auch, wenn er es bewusst wahrnahm, fühlte er sich, als würde er schlafen. Er deutete die Zeichen. Wenn er schlief, hatten sie Dinge mit ihm getan, die er sich nie auch nur vorzustellen gewagt hatte. Organe. Sein Hintern. Ihm hatte nie auch nur ein Gedanke gehört. Dieser ganze Körper ... war nicht der Seine. Da waren immer andere gewesen, die Anspruch auf ihn erhoben hatten. Er war niemals frei gewesen.
Und würde es nie sein.
Das Gewicht auf seinem Körper verschwand. Seine Hände zuckten, als sie nicht mehr festgehalten wurden. Die Dunkelheit zeigte ihm Konturen. Schemen wurden zu deutlicheren Schatten. Ein Fauchen erklang unweit von ihm.
Er kannte es ...
Das war ...
Sein starrer Blick war auf das Kissen gerichtet, das er zwischen seinen Armen hatte. Das Futter war um ihn herum verteilt. Fetzen des Bezuges hingen noch unter seinen Nägeln fest. Unwichtig. Er richtete sich auf, setzte sich auf seine Unterschenkel und starrte ins Leere. Das Fauchen erklang erneut und träge bewegte sich sein Blick in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war.
Amigo ...
Er saß in der hintersten Ecke des Zimmers, das Nackenfell und der Schwanz dick aufgebauscht und die Zähne zeigend. Der Anblick ... regte nichts in seinem Inneren an. Er fühlte sich vollkommen leer. Wie fremdgesteuert stand er vom Bett auf, suchte seine Sachen zusammen und stieg barfuß auf das Fensterbrett, nachdem er den Rahmen geöffnet hatte. Die frische Nachtluft umfing ihn. Er roch die Stadt. Er roch die vielen Körper, die sich in ihr bewegten.
Er spürte sie so intensiv wie nie.
Er konnte sie auf der Zunge schmecken. In seinem Kiefer zog es gierig und ein Grinsen zog seine Lippen in die Breite.
Er war zurück.
warning: rape,
genre: horror,
warning: dissoziative identitätsstörung,
warning: isolation,
genre: drama,
warning: angst,
original character: killua,
warning: psychological,
warning: blood,
format: oneshot,
genre: angst,
format: original,
warning: makaber