Von der Peinlichkeit, überlebt zu haben...

Nov 27, 2017 11:02

Geburtstage sind immer scheiße. Die anderen auch, vor allem aber die eigenen.
Ich merke das jedes Jahr und lerne doch nicht daraus. Schnapszahl, dachte ich, da muss ich ja. Und am Ende ist es kein Tag für mich, sondern ein Tag, den ich für andere veranstalte. Ein Tag, an dem ich mehr zu tun habe als an anderen Tagen. Ein Tag, der anstrengender ist, als alle anderen Tage. Ein besonderer Tag eben.
Klar, es ist schön zu lesen, dass diejenigen, die über alle möglichen sozialen Netzwerke darüber informiert wurden, ich sei heute vor [n] Jahren geboren worden, mir zumindest eine Ellipse widmen, yay!
Einige bemühen sich sogar um mich und schenken mir Sachen. Und wenn ich dann fein säuberlich und mit zitternden Händen das Geschenkpapier zerreiße, kommt darunter Zwang zum Vorschein und noch so ein kleines bisschen Peinlichkeit. Das bringt mich dann in ein merkwürdiges, ambivalentes Verhältnis von (Un-)Dankbarkeit. Ich hasse Anlass-Geschenke. Die sind einfach so... genötigt. Jeder wird genötigt, wenn jemand etwas aus Anlass schenkt. Es wird dann etwas erwartet und ich hasse diese Erwartungen. Das perfide: Je aufwändiger und liebevoller ein Geschenk ist, desto unangenehmer berührt sind alle anderen. Jemand hat "nur" einen Gutschein geschenkt. Oder "nur" was Gekauftes. Oder vielleicht sogar gar nichts. Weil ich explizit gesagt habe, dass ich gar nichts geschenkt haben will. Ich will nur Anwesenheit an meinem Geburtstag und zu Weihnachten und an allen diesen Feiertagen. Ich will nur ein nettes Beisammensein - ich will Zeit. Das könnt ihr mir schenken. Davon haben wir sowieso zu wenig. Das ist ein kostbares Gut, das man umstandslos und ohne besondere Überlegungen verschenken kann. Braucht man nicht mal Packpapier für organisieren.
Ich will keine materiellen Anlass-Geschenke. Ich freue mich darüber und ich ärgere mich darüber, weil ich weiß, dass wenn dieser Anlass für den anderen kommt, ich dann dastehe mit meinem Nichts oder meinen minderwertigeren Geschenken, weil mir einfach spontan nichts Gutes eingefallen ist. Ich will diese Konkurrenz und diesen Zwang und diese Peinlichkeit nicht. Die stelle ich ja doch nur in den Schrank zu den anderen Komplexen - und der ist voll.
Ich habe nichts gegen Geschenke. Ich finde es schön, jemandem zu zeigen, dass man sich Gedanken macht. Ich hasse nur diesen Zwang. Dieses: Jetzt brauche ich ein angemessenes Geschenk, denn jemand wurde vor einer bestimmten Anzahl von Tagen geboren und hat seitdem überlebt.
Herzlichen Glückwunsch übrigens: Du bist in einer Wohlstandsgesellschaft, die hochtechnologisiert den Menschen so gut am Leben zu halten weiß, dass es schwieriger ist zu sterben als nicht zu sterben, bis heute am Leben geblieben. Hier hast du ein Geschenk, das dich dazu bringt, dir zu wünschen, es wäre nicht so.

Überleben, geburtstag, weihnachten, geschenke

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