Die Ursachen und Urheber des 2. Weltkriegs - Neunte Auflage (1973)
Achtzehntes Kapitel. Russland entscheidet sich für einen Pakt mit Deutschland
Hitler greift persönlich ein
Am 20. August griff Hitler selbst in die Verhandlungen ein.
Schulenburg erhielt die Weisung, „sich sofort zu Molotow zu begeben” und ihm ein an Stalin gerichtetes Telegramm Hitlers auszuhändigen.
Schulenburg erreichte Molotow am 21. August nachmittags 3 Uhr, um ihm das Telegramm zu überreichen. In ihm teilte Hitler Stalin mit, Deutschland akzeptiere den russischen Entwurf eines Nichtangriffspaktes ferner ließ er ihn wissen:
„Die Spannungen zwischen Deutschland und Polen sind unerträglich geworden. Das polnische Benehmen gegenüber einer Großmacht ist derartig, daß jeden Tag eine Krise entstehen kann. Angesichts dieser Wahrscheinlichkeit ist Deutschland von jetzt an auf jeden Fall entschlossen, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln die Interessen des Reichs zu wahren.“
Hitler schlug für den Flug Ribbentrops nach Moskau den 22. August vor. Aber auch der 23. sei annehmbar. Er ließ Stalin ferner wissen, daß die gespannte internationale Lage Ribbentrop daran hindere, sich länger als einen oder zwei Tage in Rußland aufzuhalten. Das Telegramm schloß mit den Worten: „Ich würde mich freuen, Ihre Antwort bald zu erhalten“.
Stalin hielt es nicht für zweckmäßig, den Aufschub noch auszudehnen und Hitlers direktem Vorschlag auszuweichen. Er antwortete Hitler am 21. August zustimmend und lud Ribbentrop ein, am 23. August 1939 nach Moskau zu kommen. Außerdem wünschte er die Herausgabe eines besonderen Kommuniques für den 22. August, zwecks Ankündigung des kommenden Paktes.
...Ribbenttop stellte einen ansehnlichen Stab von dreißig Beratern zusammen. Der Angriff auf die deutschen Interessen durch Halifax hatte Hitler veranlaßt, um der Verhinderung eines Krieges und der Verteidigung Deutschlands willen eine Anzahl kleinerer Staaten Osteuropas, darunter Polen, des deutschen Schutzes gegen die bolschewistische Expansion zu berauben. Es war augenfällig, daß Großbritannien und Frankreich zum Schutze Osteuropas gegen den Bolschewismus nichts unternehmen würden.
Becks Selbstzufriedenheit
...Der amerikanische Botschafter Kennedy in London konnte eine völlig andere Reaktion des britischen Foreign Secretary feststellen. Als er vorschlug, es sei jetzt vernünftig, der Situation in Rußland zu begegnen, indem man sich um einen friedlichen Ausgleich mit Deutschland bemühe, entgegnete Halifax ihm steif: „Meine Vernunft zeigt mir keinen Ausweg außer Krieg.” Aber sie tat es deshalb, weil Halifax für Krieg mit Deutschland um jeden Preis war. Kennedy wurde klar, daß Halifax vernünftigen Vorschlägen im Interesse friedlicher Verhandlungen unzugänglich blieb.
Ribbentrops Mission in Moskau
Ribbentrop flog in Begleitung eines Stabes von zweiunddreißig Sachverständigen am 21. August in einer großen Transportmaschine vom Typ Condor nach Moskau. Vor seiner Abreise hatte ihm Hitler umfassende Vollmachten erteilt.
...Vor allem aber hatten die deutschen Führer im Gegensatz zu England und Frankreich niemals den Versuch gemacht, ein Bündnis mit der Sowjetunion zu schließen. Das deutsch-russische Abkommen vom 23./24. August 1939 bezweckte weniger die aktive Zusammenarbeit beider Länder als deren lnteressenabgrenzung. Diese Tatsachen wurden durch verantwortungslose Propagandisten der westlichen Welt ignoriert, indem sie beharrlich und ohne jede Begründung behaupteten, zwischen Deutschland und der Sowjetunion sei ein Bündnis geschlossen worden.
...Im Kriegsfall solle die Nordgrenze Litauens die Grenze der russischen Sphäre im baltischen Raum bilden. Ferner wurde die Bedingung gestellt, Litauen solle Wilna von Polen zurückgewinnen.
...Nach der Unterzeichnung des Paktes gab Ribbentrop am 24. August seinerseits eine Erklärung ab. Deutschland werde konkrete Maßnahmen ergreifen, um eine Entspannung zwischen der Sowjetunion und Japan herbei zuführen.