Die Ursachen und Urheber des 2. Weltkriegs - Neunte Auflage (1973)
Fünfzehntes Kapitel. Verschlechterung der deutsch-polnischen Beziehungen
Becks Mißfallen an der englisch-französischen Balkandiplomatie
...Am 12. April 1939 fand eine bedeutsame Konferenz im Palais Brühl in Warschau über die
Rußland-Politik Polens statt. Botschafter Grzybowski war aus Moskau nach Warschau gekommen, um sich für eine begrenzte Zusammenarbeit Polens mit der Sowjetunion zu verwenden. Beck war entsetzt, in Grzybowski dem Fürsprecher einer polnisch-sowjetischen Verständigung auf Kosten der Baltenländer zu begegnen. Der polnische Botschafter legte dar, daß an die Stelle der Wilson-Ära der Selbstbestimmung jetzt ein neues Zeitalter des Imperialismus getreten sei. Die Baltenländer seien während eines größeren Teiles des 18. Jahrhunderts zwischen Polen und Rußland aufgeteilt gewesen, nachdem es Peter dem Großen von Rußland gelungen wäre, auf Kosten Schwedens ein Fenster zur Ostsee aufzustoßen. Grzybowski war der Ansicht, die Sowjetunion werde einen neuen Teilungsplan annehmen. Rußland werde Estland bekommen, Polen könne Litauen haben, und Lettland lasse sich vielleicht mit den Russen teilen. Nach Grzybowski werde dieser Plan Deutschland von jedem Wirken im baltischen Raum ausschließen.
Beck wies diesen Vorschlag zurück. Der Gedanke, im Verein mit der Sowjetunion die antibolschewistischen Baltenländer auseinanderzureißen, stand bei ihm in Acht und Bann. Grzybowski wurde nahegelegt, den Versicherungen des sowjetischen Außenministers Litwinow nicht zu trauen. Er solle vielmehr alle Anzeichen beachten, die auf eine Abmachung der Sowjetunion mit Deutschland schließen ließen. Beck war überzeugt, daß jeder Versuch Englands, zu einem Bündnis mit der Sowjetunion zu kommen, fruchtlos sein würde.