Aug 22, 2005 07:32
Ich zünde mir eine Zigarette an. Verstört betrachte ich die nun leere Schachtel und lasse sie unachtsam fallen. Mit einem gedämpften Geräusch berührt sie den Schnee, niemand konnte es hören und niemand konnte es sehen. Es ist sehr kalt, und ich bin darüber dankbar, dass die bald schon verrotteten Holzwände des Bushäuschen mir noch genügend Schutz vor dem Winter gewähren. Ok, ein Dach muss es schon über Jahre nicht mehr besessen haben, doch ist es ausreichend, dem eisigen Wind zu entgehen, indem man sich an eine der verbliebenen Wände drückt. Keine Menschenseele hier. Ein paar Meter entfernt sehe ich eine Laterne, welche in unregelmässigen Abständen den Schnee gülden schimmern lässt. Bei jedem stärkeren Windzug scheint das Licht auszugehen und so vertreibe ich mir die Zeit damit, das Lichtspiel auf dem Schnee zu betrachten. Irgendwo hinter mir knartzt es leise, so dass es ich fast nicht wahrnehmen kann. Die Hand mit der Zigarette ist nun schon fast taub geworden und ich bereue es langsam, sie überhaupt angezündet zu haben. Ich nehme einen letzten tiefen Zug und versuche sie auf meine coole Art wegzuschnipsen. Doch sollte mir das nicht gelingen - denn sowie ich versuche meinen Zeigefinger vorschnellen zu lassen, fällt mir die Kippe einfach runter und überhaupt scheint mein Zeigefinger sich in Zeitlupe zu bewegen. Entsetzt über das fortgeschrittene Stadium der Kälte, packe ich diese Hand nun auch in eine der Jackentaschen. Keinen Augenblick zu spät, denn ich spüre bereits, wie der Schnee mir auf die Nase rieselt. Ich schließe die Augen und wünsche mir ganz fest, an einem anderen Ort als diesen hier zu sein. Also denke ich an mein Bett, was gäbe ich dafür her, jetzt in ihm zu liegen, ich schwöre mir sogar mit dem Rauchen aufzuhören, wenn mir diese Bitte gewährt würde. Aber meine stillen Gebete bleiben ungehört. Ich vernehme ein resignierendes Seufzen, es kommt von mir selber. Nun höre ich auch wieder dieses seltsame Knarzen. Da es nur an mein linkes Ohr dringt, schaue ich links an mir herunter und da sehe ich, wie eine schwarz-weißgefleckte Katze aus der Dunkelheit in meine Richtung tappst. Verwirrt betrachte ich mir dieses kleine Geschöpf, doch diese Neugier beruht mindestens auf Gegenseitigkeit. Mit großen Augen mustert sie mich, scheint aber anschließend das Interesse an mir verloren zu haben. Ein paar Fuß weit von mir entfernt hockt sie sich in den Schnee, mich gar nicht mehr beachtend.
"Mhh, dann warten wir eben zusammen auf den Bus... ", sage ich scherzhaft zu ihr.
Die Katze dreht ihren Kopf zu mir und ich muss sie blöd angrinsen.
"Ja, vielleicht."
Wie von selbst, weicht mein blödes Grinsen einem noch viel dämlicher aussehenden Gesichtsausdruck. Fassungslos schüttele ich den Kopf, als würde ich alle wahnwitzigen Gedanken loswerden wollen.
"Nein, das kann nicht sein, du hast eben nicht zu mir gesprochen...", murmle ich zu mir selber. "
Ja, genau, ich muss fantasieren, immerhin ist es sehr sehr sehr kalt hier."
Diese Worte scheinen ihre beruhigende Wirkung nicht zu verlieren, und ich glaube mir diese Lüge. Jedoch komme ich nicht umhin, dieses Tier anzustarren. Ich drehe mich zu ihr und häufe Schnee auf einen meiner Schuhe, welchen ich dann auf die Katze fallen lasse. So bleiben die Hände wenigstens im Warmen. Doch dies erzielt nicht die gewünschte Wirkung - nämlich gar keine. Sie sitzt so ruhig und gelassen wie eh und je da, nur mit dem Unterschied, dass nun ein Schneehaufen ihren Kopf bedeckt. "Das ist doof.", denke ich und widme mich wieder meiner eigenen Einsamkeit. Bei einer solchen Kälte, ist es gefährlich einfach einzuschlafen und dann zu erfrieren. Es ist wie, als würde der Winter auch von dir seinen Tribut einfordern, und so werde ich immer müder, bis ich letzten Endes eindöse. Würde ich mich nicht an die Holzwand lehnen, wäre ich sicherlich schon umgefallen, aber so gelingt es mir, für ca. 30 Minuten wegzutreten. Tiefe Dunkelheit ummantelt meinen Verstand und ich nehme nichts mehr wahr, alles verkommt zu einem sanften Rauschen - der herabfallende Schnee tut sein Übriges. Es muss wie einem Traum klingen, von sehr weit weg dringen Stimmen an mein Ohr. Zwei Menschen führen ein Gespräch. Ich kann nicht hören worüber sie reden, ich höre lediglich, dass es sich um einen Mann mit brummiger Truckerstimme und einer Frau mit einem angenehmen, sanften Klang in ihrer tiefen Stimme, handeln muss. Aber auch diese Stimmen verstummen. Ohne zu wissen wie lange ich so vor mich hingedöst haben muss, erwache ich langsam wieder. Als Belohnung dessen, bemerke ich mit grausamer Nüchternheit, dass sich mein Körper noch mehr abgekühlt hat und ich fange jämmerlich zu bibbern an. Mein Lippen dürften mittlerweile lilafarben gewesen sein und mein Bauch zuckt ständig zusammen. Immer wenn ich denke, dass ich das Zittern abstellen konnte, überfällt mich ein noch schlimmerer Zitterkrampf, und somit gebe ich dieses zum Scheitern verurteilte Unterfangen auf. Verschlafen schaue ich wieder nach links unten und sehe die Katze, sie sitzt noch immer genauso da wie vorhin. Doch fällt mir auf, dass sie diesmal überschattet wird.
"Das war vorhin noch nicht so.", denke ich und schaue nach der Ursache des Schattenspenders.
Das hätte ich besser gelassen, denn im nächsten Augenblick verlässt ein panischer Aufschrei meine Lippen und verliert sich in der Nacht. Vor Schock völlig gelähmt presse ich mich an die Wand und traue meinen ungläubigen Augen nicht. Links von der Katze sitzt tatsächlich ein großer Braunbär, der mich verständnislos anschaut.
"Alter, bleib mal locker und frostig du Type.", sagt der Bär nicht gänzlich unfreundlich zu mir.
"W-W-Was ?!?"
"Hey Kumpel, denkste ich finds so toll hier im Schnee zu hocken und auf den Bus zu warten ?"
Ich entgegne nur unverständliches Gebrabbel.
Der Bär scheint mich nur auszulachen. "Skraeling..."
Er dreht sich wieder weg und betrachtet die dunkle Straße.
"Du bist ein ganz blöder Bär!", murmle ich trotzig vor mich hin.
"Na na na! Ich glaube kaum, dass jemand wie du, dazu in der Lage ist, Gutachten über meinen Verstand abzugeben und wenn ich wieder so einen Unsinn hören muss, werde ich ungemütlich! Haben wir uns verstanden, Alter?!", funkelt er mich nur bitterböse an.
Ich reiße den Mund soweit auf, dass ich den Winter in seinem vollen Umfang schmecken kann, doch bringe ich keinen einzigen Satz heraus, nur ein ersticktes "WAAH!"
Wie ein verstörter Wahnsinniger kauere ich mich nun in die hinterste Ecke und wünsche mir nur, dass der Bär mich vergisst. Minute um Minute verrinnt und nichts geschieht. Aus Minuten werden Stunden und ich döse wieder so vor mich hin. Doch diesmal trete ich nicht ganz weg, aus Ermangelung an Vertrauen. Doch alles bleibt ruhig. Nun sehe ich zwei kleine Lichtkegel, deren Radius minütlich größer wird. Bald schon erkenne ich, dass es sich um den Bus handeln muss, auf den ich hier warte. Er schiebt eine Menge Schnee vor sich her, aber das scheint ihn nicht zu stören und unbeirrt nähert er sich seinem Ziel. Mit einem markerschütternden Quietschen kommt der Bus zum Stehen. Ein dumpfes Zischen sagt mir, dass er Druck abgelassen hat und die hydraulischen Türen öffnen sich. Langsam richte ich mich auf. Alles tut mir weh und ich spüre meine Gliedmaßen gar nicht mehr. Also verlasse ich mich darauf, dass meine Beine auch ohne mich wissen, was sie zu tun haben. So schwanke ich also wie ein Einjähriger, der gerade Laufen lernt, zu der vorderen Tür. Als ich gerade Einsteigen möchte, schiebt sich ein Bär an mir vorbei aus der Tür.
"Hä?"
Der Bär dreht sich daraufhin um und schaut mich an.
"Ja ?", nun höre ich, dass es sich um eine Bärin handelt.
"Äääh ... schon gut", sage ich und versuche daraufhin so schnell wie möglich einen Sitz im Bus zu finden. Als ich ihn finde und mich setze gehen schon die Türen zu und ich sehe, wie der Bär mit der Bärin in die Dunkelheit tappst. Die Katze sitzt noch da, wo sie immer saß und sie wird immer kleiner, bis ich sie gar nicht mehr erkenne. Erschöpft lasse ich mich in den Sitz sinken und lasse mich von dem Schlaf überwältigen, der sehr leichtes Spiel mit mir hatte. Das Rauschen des Motors, verkommt langsam zu einem eintönigen Ton, der seine Melodie nicht mehr veränderte. Er wird immer leiser, bis ich ihn gar nicht mehr wahrnehme. Ich treibe auf einem Ozean. Die Wellen spielen mit meinem reglosen Körper der zufrieden vor sich hinschwankt. Mir wird wieder warm als ich die Sonne auf meinem Bauch fühle.