Nov 06, 2011 21:12
Kapitel 3:
Lieber Victor,
wie geht es dir? Habt ihr schon mit dem Intensivtraining begonnen?
Ja, mir geht es gut. Ich war wirklich einige Zeit krank gewesen - irgendeine dumme Muggelkrankheit - und es waren schließlich Ferien, womit auch kein magischer Heiler in Reichweite war.
Natürlich hätte ich mich bei Professor McGonagall melden können, da hast du Recht, aber ich war der Meinung es selbst mit einigen selbstgebrauten Tränken auskurieren zu können. Da hatte ich aber auch Glück gehabt, dass ich dies nicht bei einer lebensbedrohlichen Krankheit ausprobiert hatte! Wer weíß, was hätte passieren können!
Letztendlich hat sich somit nur meine Ankunft in Hogwarts verzögert, aber ich werde mich hüten, nocheinmal aus bloßer Begeisterung für die Tränkebrauerei Selbstexperimente auszuführen!
Du möchtest, dass ich dich besuche? Ich weiß nicht, ob dies möglich ist, immerhin beginnt nun mein letztes Jahr in Hogwarts und ich möchte es völlig auskosten. Du verstehst sicher, dass ich in den Ferien in der Schule bleibe, um zu lernen und mich zu “verabschieden”.
Es ist Wahnsinn, dass jetzt bald schon alles vorbei sein soll. Ich werde so unglaublich viel vermissen. Und ich weiß nicht einmal, was aus mir wird, sobald ich Hogwarts verlasse.
In die Muggelwelt möchte ich sicher nicht zurück, obwohl ich sie auch niemals für immer verlassen möchte. Denn sie gehört genauso zu meinem Leben wie die Magie selbst, welche so schnell ein nicht mehr wegdenkbarer Teil von mir wurde.
Ich muss dir einmal den Eiffelturm oder den schiefen Turm von Pisa zeigen. Das sind monumentale Bauten der Muggel, die dir vielleicht ein Gefühl davon vermitteln, was ich fürchte aufzugeben, sollte ich mich vollkommen der magischen Welt zuwenden.
Aber ich kann verstehen, wenn es dir schwer fällt.
Als ich das erste Mal die Winkelgasse betrat, kam ich mir vor wie in einem Muggelmärchen., wie eine Prinzessin, die zum ersten Mal ihr Schloss sieht, in welchem sie leben wird.
Aber, Victor, ich -
Ich biss mir auf die Lippen
Was sollte ich schreiben, um ihn zu überzeugen, mir keine Briefe mehr zu senden?
Es würde sicher gefährlich werden, wenn regelmäßig Posteulen zu unserem Versteck trudelten, falls wir die Schule bald wieder verließen, wie geplant.
Außerdem... "irgendeine dumme Muggelkrankheit" - würde er mir das abnehmen?
Er nimmt sicherlich nicht an, dass ich ihn anlüge, aber es ist riskant, wenn er es nicht sofort glaubt.
Vielleicht würde er eine weitere Eule schicken, wenn er an der Geschichte zweifelt.
Vielleicht würde er aber auch wissen wollen, weshalb ich wirklich in Hogwarts bleiben will. Die Begründung, dass es das letzte Jahr sei, ist zwar nachvollziehbar, aber dennoch schwach. Und ich konnte es mir nunmal nicht leisten, einen Zeitraum zu vereinbaren, den ich vielleicht gar nicht einhalten konnte oder auch gar nicht mehr erlebte...
Seufzend tunkte ich die Feder noch einmal in die Tinte und schrieb die lächerlichste Ausrede, die mir einfiel.
Aber, Victor, ich möchte dich bitten, mir in der nächsten Zeit keine Briefe zu senden.
Ich habe so wahnsinnig viel Schulstoff aufzuarbeiten, dass ich mich kaum noch außerhalb meiner Räume bewege.
Und ich lebe in direkter Nachbarschaft mit Draco Malfoy und ich weiß nicht, ob er es gutheißen würde, wenn die Schuleulen die ja immer verspätete ausländische Post weiterhin in meinen Gemeinschaftsraum, einen Kaminraum auf dem Lehrerflur, bringen. Du weißt, er ist der Sohn eines Todessers und ich möchte weder dich, noch mich oder Harry und Ron durch missverstandene Informationen in Gefahr bringen. Er könnte -
“ ‘Aber, Victor ...ich lebe... mit Draco Malfoy ...’ - ich wusste nicht, dass ich eine so große Rolle in deinem Leben spiele, Granger.”
Seine schneidende Stimme ließ mich zusammenzucken und ich stieß beinahe das Tintenfass um, als mir erschreckt die Feder aus der Hand fiel.
Sie hinterließ einen unschönen Tintenfleck auf “Leid” - dem letzten Wort, das ich schnell geschrieben hatte.
Verdammt.
Ich hatte völlig vergessen, das ich dieses Jahr den Kamin diesen Raumes - vor dem ich nun einmal gerade saß - , die Sitzgelenheiten und wohl auch vieles mehr mit Draco Malfoy teilen musste. Normalerweise war ich es einfach gewöhnt, die Feuerstelle und den Gemeinschaftsraum mit Menschen zu teilen, die mir wohlgesinnt waren.
Ich atmete einmal tief aus und erhob mich leicht aus meinem Stuhlsessel vor dem typisch Hogwarts-rustikalen Holztisch und wandte mich beherrscht um, um dem Übel ins Auge zu sehen.Wortwörtlich.
Draco Malfoy stand plötzlich Zentimeter von meinem Stuhl entfernt.
Wie war er so unbemerkt bis direkt an meinen Platz geschlichen? Schon in dem langen, hohen Flur zu diesem Zimmer hätte man seine Schritte hören müssen, und wenn nicht, dann spätestens auf den schweren Steinplatten im Türenbereich.
Während man in meinem Gesicht sicherlich Verwirrung lesen konnte, blieb seines kalt und emotionslos. Ich konnte aus seinen Augen nur Häme deuten, alles andere blieb mir geschickt verborgen.
“Malfoy”, sagte ich. “Wie hast du dich so unbemerkt hierher geschlichen?”
Er zog spöttisch seine Augenbrauen hoch und ich erlebte aus nächster Nähe, wie sich ebenfalls der Mundwinkel hob.
“Wieso trampelst du bei jedem Schritt, Granger?”
Natürlich ging er nicht auf meine Frage ein.
Ich stand auf und ging um den Stuhl herum, um ihm ebenbürtig, nicht von unten herab, in die Augen zu sehen.
“Sicherlich ist dies nicht von deinem Interesse. Und nun entschuldige mich, ich möchte noch lernen, wie du sicher auch verstehst.”
Doch er trat blitzschnell, kaum wahrnehmbar, einen Schritt zur Seite um sich mir in den Weg zu stellen.
Hatte ich wirklich erwartet, dass er so schnell kapitulierte?
Ich biss mir auf die Lippe.
“Wir sollten wenigstens versuchen miteinander auszukommen, Malfoy...”, begann ich.
“Na, dann fangen wir doch mal an.”
Seine Antwort kam so schnell, dass ich sie für eine Kurzschlussreaktion hielt, ebenso wie die Tatsache, dass er sich gemächlich in den großen, weißen Sessel gegenüber einem Sofa niederließ.
Einen Augenblick verharrte ich erstaunt. Dann seufzte ich nur und folgte der unausgesprochenen, doch deutlich in der Luft hängenden, Aufforderung mich zu setzen.
Er legte den Kopf schief und blickte mich eine Weile an, als wäre ich ein interessantes Studienobjekt.
In mir baute sich schon wieder eine leichte Wut auf, die ich bemüht unterdrückte.
Was er zu sagen hat, möchte ich doch gerne wissen.
“Wieso spiele ich eine so große Rolle in deinem Leben, Granger?”
Ich schnappte nach Luft.
“Verdammt, Malfoy, das war eine simple Ausrede ...”, begann ich zähneknirschend. ‘Du nimmst dich verdammt wichtig, du Vollidiot!’, warf ich ihm wutentbrannt in Gedanken nach und versuchte meinen Zorn nicht zu deutlich auf meinem Gesicht zu zeigen.
Doch entweder verschloss Malfoy bewusst die Augen vor dieser Tatsache und genoss es, mich zu reizen, oder aber, es gab etwas, was er im Moment als wichtiger betrachtete, denn er blieb völlig ungerührt.
“Und weshalb möchtest du keine Briefe mehr bekommen?” ,fragte er ruhig.
Ich starrte ihn an. Ich hatte erwartet, dass er hinterfragt, mich notfalls auch erpresst, warum ER in meinem Brief herhalten müsse, die winzigsten Details über sich aus mir herausquetschen versucht, und nun schien er diese Tatsache einfach zu übergehen.
Aber die Alternative gefiel mir überhaupt nicht.
“Das geht dich nichts an!”,fauchte ich.
Er hob eine Augenbraue.
Einige Minuten lang starrten wir uns an, ohne eine Miene zu verziehen, dann erhob er sich langsam und aristokratisch aus seinem Sessel und ging auf sein Zimmer zu.
Ich schnaubte und wollte mich gerade wieder an meinen Brief setzen, um den verdammten Satz durchzustreichen, als er sich einmal kurz umdrehte und mich mit ausdrucksloser Miene ansah.
“Ich würde an deiner Stelle vorsichtig sein, Granger. Manches ist bedrohlicher als man erwartet.”
Und er verschwand mit einer Bewegung hinter seiner Tür. Sie schloss sich ebenso lautlos, wie meine Kinnlade herunterklappte.
*