Dec 03, 2007 21:08
Tief atmete Per Mertesacker aus. Endlich war er in Frankreich angekommen. Bereits seit Tagen hatte er sich auf diese freien Tage gefreut. Kein Fußball und vor allem nie wieder Schule! Gott sei dank hatte er sein Abitur bestanden und konnte sich nun voll und ganz auf seine Karriere als Fußballer konzentrieren, doch vorher würde er sich bisschen erholen, damit er später richtig reinklotzen konnte.
Erschöpft suchte er nach seinem Abteil. Erst in allerletzter Minute hatte er den Zug bekommen. Schließlich fand er ein halbwegs leeres Abteil. Nur ein junger Mann, der aufsah, als Per die Türe aufschob, saß darin. Per nickte ihm zu, hob seinen Koffer in die Gepäckablage und ließ sich in den Sitz fallen. Es fröstelte ihn, kein Wunder, denn der Mai in diesem Jahr war extrem kühl und so früh am Morgen war es eh einige Grad kühler. Sein Blick wanderte nach draußen, viel konnte er jedoch nicht sehen.
Zwei Augen gegenüber
und was da klopft sind die Räder,
graue Sonne, graue Krähen, grauer Wunsch.
Wie wir guckten und nichts sagten, und uns langsam näher wagten, und die Räder
klopfen weiter nach Paris, nach Paris, nach Paris, Paris, Paris.
Per musterte sein Gegenüber. Ein Blondschopf, vielleicht 1,85m groß und schlank. Auch sein Gegenüber schien ihn genau zu beäugen. Sie hatten noch nicht ein Wort miteinander gewechselt und dennoch schien sich eine gewisse Spannung zwischen ihnen aufzubauen. Wieder und wieder glitten die Augen des Fremden über seinen Körper. Vergessen war die draußen vorbeiziehende Landschaft. Kaum merklich rutschten beide weiter nach vorne, sodass sie irgendwann auf der Kante saßen. Ihre Knie berührten sich fast. Keiner von ihnen wand den Blick ab. Per war einfach unfähig etwas anderes zu tun, als den Blonden so anzustarren. Da war etwas, was ihn faszinierte, was es genau war, wusste er nicht, doch es war in diesem Moment auch vollkommen egal. Das hier und jetzt zählte.
Wach ist das Verlangen, durch das Schöne, seiner Fremdheit.
Wach ist die Begierde, und nur noch so wenig Zeit.
Zwei Hände gegenüber, und was da klopft, sind das die Räder?
Flauer Magen, flaue Knie, flauer Sinn.
Je länger sich ihre Blicke trafen, desto mehr wuchs in Per das Verlangen. Das Verlangen sein Gegenüber zu berühren, ihm über die Wange zu streichen, durch seine Haare zu fahren, ihre Lippen aufeinander zu pressen, die Mundhöhle auszukundschaften. Ein lautloser Seufzer entfuhr Per und er musste schwer schlucken. Am liebsten würde er über den Fremden herfallen und auch der andere schien nicht abgeneigt zu sein so wie er guckte.
Per wusste schon lange, dass er auf Männer stand und dennoch war er nie richtig verliebt gewesen. Immer war nur die sexuelle Anziehung da gewesen, doch nie war es so intensiv wie in diesem Moment gewesen. Nicht einmal wenn er seinen Höhepunkt erreicht hatte, war es so unglaublich gewesen. Blondi, wie Per ihn in seinen Gedanken nannte, zog ihn an und allein seine Augen fesselten ihn. Er war sich sicher, wenn er jetzt aufstehen würde, würden seine Knie nachgeben, so durcheinander brachte Blondi ihn.
Nicht mehr lange, dann musste er aussteigen, dann wäre der Kerl, der ihm so den Kopf verdrehte für immer aus seinem Leben verschwunden.
Wie wir lachten, und nicht küssten, und nichts machten,
na weil wir nichts wussten.
Und die Bäuche klopfen lauter, nur ein Kuss, mehr als ein Kuss,
mehr als ein Kuss, ein Kuss, ein Kuss.
Von jetzt auf gleich geschah das, was Per sich die letzten Minuten über ständig gewünscht hatte. Blondi lehnte sich vor und legte sanft seine Lippen auf die seinen. Die Zunge strich über die trockenen Lippen des Abiturienten und bat so um Einlass. Überrascht, dass sein Wunsch in Erfüllung gegangen war, dauerte es einen Moment bis der Lange realisierte, was da geschah. Schließlich erwiderte er den Kuss und ein heftiges Zungenduell entbrannte.
Normalerweise war Per ziemlich schüchtern, doch in diesem Augenblick warf er all seine Prinzipien und Angewohnheiten über Bord und gab sich vollkommen dem Moment hin. Im Nachhinein, so dachte er, würde er es bereuen, wenn er nicht so gehandelt hätte. Dieses Erlebnis war einmalig und würde es wohl auch für immer bleiben. Er würde Blondi nie wieder sehen, da war Per sich sicher.
Pers Hände machten sich selbstständig und verschwanden unter dem dünnen Pulli des Blonden. Als er den trainierten Bauch ertastete, entfuhr ihm ein Stöhnen. Blondi löste sich kurz und lächelte ihn zuckersüß an. Wenn jemand nicht in den Himmel kam, so dachte Per, war es sein Gegenüber, denn dieses Lächeln war Sünde pur und gehörte definitiv verboten.
„Do you speak english?“, hauchte Per. Er wollte sich endlich mit dem Fremden unterhalten, wollte wissen, bei wem er so schwach geworden war. Der Blondschopf schüttelte nur den Kopf und stellte die Gegenfrage, ob Per französisch spreche, doch auch der Lange musste verneinen. Die ersten Worte waren gewechselt, aber den gewünschten Erfolg hatten sie leider nicht erzielt. Seufzend zog sich Per zurück. Er ließ sich wieder in den Sitz gleiten und sah leicht deprimiert drein.
Diese Augen, lange Wimpern, seh ich sprühen, hör ich flüstern.
Diese Augen, lange Wimpern, hör ich klopfen und wispern.
Zwei Menschen gegenüber, und was da klopft sind nicht die Räder, sondern Wünsche,
und Sinne und Verlangen.
Ob wir hofften, und nicht trauten, und auf’s Klopfen Hoffnung bauten, und ein Lächeln
in der Tasche in Paris, á Paris, in Paris, Paris, Paris, in Paris.
Die Lautsprecher knackten und eine Stimme verkündete die nächste Haltestelle. Noch einmal seufzte Per. Hier würde er raus müssen, würde dem Unbekannten Lebewohl sagen müssen und es war endgültig. Gerne würde er weiterfahren, aber seine Cousine holte ihn ab, also musste er wohl oder übel aussteigen müssen. Als er seinen Koffer aus der Ablage geholt hatte, stand der Unbekannte auf, küsste ihn ein letztes Mal und lächelte ihn an. Per erwiderte das Lächeln, auch wenn es ihm sichtlich schwer fiel.
Blondi hatte ihm den Kopf gehörig verdreht und er war sich sicher, dass es einige Zeit dauern wird, bis er diese Zugfahrt vergessen hatte. Kurz bevor er das Abteil verlassen hatte, hörte er noch ein leises „Au revoir“. Ein trauriges Lächeln umspiegelte seine geröteten Lippen. Er würde diesen fremden Mann vermissen.
*~*~*
August 2006
Müde erreichte Per den Bremer Flughafen. Gleich würde es zusammen mit seinem neuen Verein ins Trainingslager gehen. So sehr er den Sport auch liebte, heute war ihm absolut nicht danach. Die letzten Nächte hatte er kaum geschlafen und nun forderte sein Körper den versäumten Schlaf. Aus einem, ihm nicht erklärbaren Grund, musste er immer wieder an die Zugfahrt nach Paris vor 3 Jahren denken. Weder vor noch nach dieser Fahrt hatte er je so starke Gefühle empfunden wie an diesem einen Tag.
Er seufzte. Warum fuhr er noch mal mit? Auf Grund einer Verletzung konnte er doch eh nicht trainieren. Ach ja, Thomas hatte es Integrationstrainingslager genannt. Super. Dabei kannte er schon ein paar Leute durch die Nationalmannschaft und zu den anderen würde er schon irgendwie den Kontakt finden. Jedoch biss er die Zähne zusammen und checkte ein. Etwas anderes blieb ihm eh nicht über.
Schließlich fand er seine Kollegen in einem - vor der Öffentlichkeit - abgeschirmten Raum. Torsten hatte ihn sofort erblickt und ihn begrüßt. Frank Baumann kam auch schon bald auf ihn zu, um ihn offiziell in zu begrüßen. So etwas musste ein guter Kapitän eben machen. Frank und Torsten zogen den jungen Mann mit sich, um ihm einen weiteren Neuzugang vorzustellen. Dieser stand mit dem Rücken zu ihnen und unterhielt sich mit Miroslav Klose. „Entschuldigung, wenn ich euch unterbreche“, begann Frank, „aber ich wollte Per mal eben Clemens vorstellen.“ Der Blondschopf, der bis eben mit Miro geplaudert hatte drehte sich um und sein Lächeln gefror, genau wie das von Per. Jedoch schien dies keiner zu bemerken. „Also Per, das Clemens Fritz. Er ist ebenfalls Abwehrspieler. Clemens, das ist Per Mertesacker.“ Sie nickten einander zu und gaben sich schließlich auch noch die Hand. Einige Minuten standen sie einfach nur so da, während Frank und Torsten sich wieder unter die Leute mischten. Nur Miro stand noch bei ihnen.
Clemens war der erste, der die Sprache wieder fand. „Vielleicht hätte einer von uns fragen sollen, ob der Andere Deutsch spricht.“ Beide lachten auf. Das Eis schien gebrochen zu sein. Miro sah sie merkwürdig an. „Ihr kennt euch?“, erkundigte er sich. „Könnte man so sagen. Wir haben uns vor 3 Jahren das erste Mal gesehen.“, erklärte Per und blickte dabei tief in Clemens Augen. Miro zuckte mit den Schultern und ließ die Abwehrspieler alleine. Wie damals im Zug konnten sie ihre Augen nicht voneinander lassen. Als jedoch Thomas die Meute zum Flugzeug scheuchte, unterbrachen sie den Blickkontakt.
„Heute Abend in meinem Zimmer?“, fragte Per und Clemens nickte.
In dieser Nacht holten sie das nach, wozu sie vor 3 Jahren im Zug nicht gekommen waren. Diese Nacht festigte Gefühle und Empfindungen, die sich wohl so schnell nicht ändern würden.
Ende
player: clemens fritz,
player: per mertesacker,
ffs