Sep 24, 2022 02:54
Der Kraftzug im Heerwesen
Von H. E. Kniepkamp VDI, Berlin
Die Anforderung eines Heeres an den Kraftzug, im Gelände über große Zugkraft und auf der Straße über hohe Fahrgeschwindigkeiten zu verfügen, hat die Nachkriegsentwicklung der beiden Fortbewegungsmittel Rad und Gleiskette stark beeinflußt. Der Wettstreit zwischen Rad und Gleiskette, die verschiedenen Versuche, beide zu vereinigen, und die endgültige Lösung durch Bau eines schnellaufenden Halbkettenfahrzeuges werden behandelt.
Der Kraftzug eines Heeres muß fahrtechnisch im Gegensatz zum Kraftzug der freien Wirtschaft zwei scheinbar gegensätzliche Forderungen erfüllen: große Zugkräfte im Gelände und hohe Fahrgeschwindigkeiten auf der Straße.
Diese beiden Aufgaben haben im letzten Jahrzehnt zu zahlreichen grundverschiedenen Lösungen geführt. Wohl war das Rad mit seinen mannigfachen Bereifungsarten als schnelles und ideales Fortbewegungsmittel auf fester Straße bewährt und auch die Gleiskette als geeignetes Zugmittel im Gelände bekannt, es war aber kein erprobtes Fortbewegungsmittel vorhanden, das beide Forderungen in technisch einwandfreier und wirtschaftlicher Weise erfüllte. So war es verständlich, daß zunächst als Augenblickslösung alle Verbindungsmöglichkeiten erschöpft wurden, die Rad und Gleiskette zuließen, ehe man den langwierigen und mühevollen Weg ging, das Rad dem Gelände und die Gleiskette der Straße anzupassen.
Radfahrzeuge
Die Nachkriegsentwicklung des Rades als gleichzeitiges Fortbewegungsmittel auf der Straße und auf dem Gelände ist gekennzeichnet durch eine erhebliche Verringerung des Rollwiderstandes und durch eine Verbesserung der Haftfähigkeit.
Die angewendeten Mittel
1. Vergrößerung der die Triebkräfte übertragenden Auflagefläche durch Anwendung einer Bereifung mit großem Luftraum und Vermehrung der angetriebenen Räder;
2. Vergrößerung der Griffigkeit durch verstärkte Reifenprofilierung, Hilfsketten und Greifer.
Als kennzeichnender neuzeitlicher Vertreter dieser Entwicklungsrichtung sei der englische Sechsrad-Lastkraftwagen, Bauart Scammel, angeführt. Im losen Sand wird bei Allradantrieb und einem Betriebsüberdruck von 1,5 at in den Reifen eine Haftfähigkeit - oder Zugkraft - von etwa 25 % des wirksamen Gewichts erreicht, bei einem allerdings nicht mehr betriebsfähigen Reifenüberdruck von nur 1,1 at sogar etwa 30 %. Die Steigfähigkeit im losen Sand beträgt demnach etwa 14 ° bzw. 17°. Dies bedeutet eine beachtliche Erhöhung der Geländegängigkeit gegenüber den Wagen mit Zweiradantrieb und Hochdruckreifen. Ähnliche Werte für die Haftfähigkeit werden heute auch von neuzeitlichen, mit Ackerluftreifen ausgerüsteten Radschleppern in der Landwirtschaft erzielt.
Bei neuzeitlichen Radfahrzeugen bestehen zur Zeit noch Schwierigkeiten in der ziemlich wechselnden und geringen Haftfähigkeit auf schmierenden Bodenarten. Die einzigen Hilfsmittel auf solchen Bodenarten sind Hilfsketten und Greifereinrichtungen, deren Anbringung oder Betätigung aber bei Heeresfahrzeugen oft nicht tragbar ist.
Trotz der Erfolge, die das Rad in der Nachkriegszeit im Gelände erzielte, erreicht es doch nicht die Leistungen der Gleiskette, deren Haftfähigkeit auf fast allen Bodenarten etwa doppelt so hoch ist, also ungefähr 60 % des wirksamen Gewichtes erreicht. Das bedeutet: Das Radfahrzeug muß beim heutigen Entwicklungstand als Zugmittel für angehängte Lasten etwa doppelt so schwer sein wie das Gleiskettenfahrzeug.
Deshalb wird das Radfahrzeug mit Allradantrieb fast allgemein wohl zum Tragen militärischer Lasten, nicht aber für den Kraftzug benutzt. Eine Ausnahme macht der italienische Pavesi-Schlepper mit Vierradantrieb.
Gleiskettenfahrzeuge
Die Aufgabe, ein Gleiskettenfahrzeug für hohe Geschwindigkeiten zu entwickeln, schien noch vor einigen Jahren aussichtslos. Trotz eifriger Versuchstätigkeit des Auslandes nach dem Weltkrieg erreichten vor etwa zehn Jahren die englischen Vollkettenfahrzeuge, eine Höchstgeschwindigkeit von nur etwa 20 km/h mit einer Gliederkette, deren Lebensdauer etwa 2000 km betrug. Die französischen Halbkettenfahrzeuge ließen eine Höchstgeschwindigkeit von etwa 25km/h mit einem empfindlichen Gewebelaufband zu, dessen Laufzeit mit etwa 2000 - 5000 km angegeben wurde. Während das französische Laufband eine Vergrößerung der Baugewichte nicht zuließ, war eine Geschwindigkeitsteigerung der englischen Gliederkette schlecht vorstellbar.
Für die deutsche Wehrmacht mußte deshalb unabhängig vom Ausland die Aufgabe angegriffen werden, den Fahrwiderstand des Kettenlaufwerkes für hohe Geschwindigkeiten erheblich zu senken, den Verschleißwiderstand der einzelnen Bauteile zu erhöhen und gleichzeitig den Betrieb des Gleiskettenfahrzeuges auf der Straße geräuscharm zu gestalten.
Fahrwiderstand der Kettenlaufwerke
Der Fahrwiderstand der Kettenlaufwerke auf der Straße, der den Verschleiß und vielfach auch das Geräusch bedingt, setzt sich zusammen aus:
a)der Reibung in den Kettengelenken,
b)der Reibung in der Verzahnung,
c)der rollenden Reibung der Laufräder,
d)der Lagerreibung der Laufräder,
e)der Reibung in der Kettenführung,
f)der Reibung durch Kettenschlupf auf der Straße,
g)der Reibung durch Walkarbeit der Gummipolster,
h) der Luftreibung.
Dieser vielgestaltige Widerstand läßt sich mangels geeigneter Erfahrungswerte nur sehr schwer rechnerisch erfassen und verfolgen, leichter schon durch Einzelversuche ermitteln. Sollen aber neuartige Konstruktionsgedanken schnell auf die Verringerung des Fahrwiderstandes, auf die Erhöhung des' Verschleißwiderstandes und auf die Verringerung des Geräusches eindeutig geprüft werden, so kann dies nur durch Messungen am fertigen Laufwerk geschehen.
Da Messungen am rollenden Fahrzeug auf der Fahrbahn äußerst schwierig und langwierig sind, wurde ein ortsfester Prüf stand gebaut, der bequeme Messungen gestattet.
Fahrwiderstand des Kettenlaufwerkes in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit, von der Leistung, vom Fahrzeuggewicht und vom Schlupf
Reibung und die Lagerreibung der Laufräder in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit und dem Fahrzeuggewicht;
Leerlaufwiderstand der Gleiskette durch Ausbau der Laufräder.
Die meßtechnische Erfassung dieser Werte im Dauerbetrieb erlaubt eine ziemlich eindeutige Beurteilung der verschiedenen Ketten und Kettenlaufwerke.
Schnelläufiges Kettenlaufwerk
Die Entwicklung der schnelläufigen Kettenlaufwerke ist durch die zum Teil erstmalige Verwendung folgender Bauteile ermöglicht worden:
1. geschmierte Kettengelenke;
2. große Laufräder;
3. Vornantrieb der Gleiskette;
4. Zahnrollen am Triebrad;
5. Gummireifen für Lauf-, Trieb- und Leiträder;
6. Gummipolster zur Bewehrung der Kettenglieder.
7. Bei Fahrgeschwindigkeiten bis zu 50 km/h auf fester Straße sind folgende Leistungen erreicht:
Der Fahrwiderstand ist nur noch um 5 bis 10 % höher als der des Radfahrzeuges;
die Verschleißfestigkeit ist fast ebenso hoch wie die einer gewöhnlichen Bereifung;
die Geräusche sind nicht stärker als bei einem älteren Lastwagen mit Kettenantrieb der Hinterräder.
Diese neuzeitlichen Kettenlaufwerke können für Vollkettenfahrzeuge bei dem gegenwärtigen Entwicklungstand der Lenkvorrichtungen nicht verwendet werden, da sie keine verkehrsichere Lenkung auf der Straße gewährleisten. Auch würden die Nutzlasten, z. B. Mannschaften, Gerät usw., schwerlich unterzubringen sein, wenn man lange Laufwerke oder einen hohen Aufbau vermeiden will.
Aus diesen Gründen eignet sich das Halbkettenfahrzeug trotz seiner geringeren Graben-Überschreitfähigkeit für den Kraftzug am besten, da bei dieser Fahrzeuggattung die Reibung der vorderen Radachse zur sicheren Lenkung auf der Straße ausreicht und genügend Laderaum vorhanden ist. Zahlreiche Baumuster sind im Ausland entwickelt und erprobt worden.
Aufbau eines deutschen geländegängigen Zugkraftwagens
Die in die verschiedenen Baugrößen der geländegängigen Zugkraftwagen eingebauten Motoren haben etwa 6 bis 7 PS Leistung je 1t Gewicht des Gesamtlastzuges bei einem Kraftstoffverbrauch von etwa 2,7 bis 3,4 l/t 100 km auf der Straße. Der Fahrwiderstand des geländegängigen Zugkraftwagens auf ebener Straße, bezogen auf 1t Gewicht, liegt etwa zwischen 15 und 25 kg/t.
Der Motor treibt über ein angeblocktes Schaltgetriebe ein Untersetzungsgetriebe an, das die Drehzahlen auf etwa l : 2 erniedrigt. Von dort geht der Kraftfluß über ein Ausgleichgetriebe auf die vornliegenden Triebräder der Gleisketten.
Auszug aus: VDI Zeitschrift, Bd. 80, Nr. 7, v. 15.2.1936, S. 170 - 174
гистория,
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