Title: Fehlfunktion (2. Akt)
TV-Show: Pushing Daisies
Language: deutsch
Genre: adventure, ship
Rating: PG
Disclaimer: Pushing Daisies gehört mir nicht, sondern Bryan Fuller, ABC und was weiß ich wem noch. Ich hab mir die Charaktere nur ausgeliehen und will mit dieser Fanfiction auch kein Geld verdienen.
Während Olive also gerettet wurde aus den Klauen der Staatsgewalt, kehrten der Kuchenbäcker und Emerson Cod zurück ins PieHole, wo sie bereits von der aufgeregten Chuck erwartet wurden.
Chuck allerdings schwieg erst einmal betroffen, nachdem sie die zwei tropfnassen Männer das Lokal betreten sah, und staunte ungläubig mit kugelrunden Augen.
"Und ich dachte, ich hätte einen aufregenden, wunderschönen Tag", sagte sie und dirigierte die beiden zu einer Sitzecke nahe der Heizung. "Eigentlich sollte ich euch ja wohl besser zum Trocknen aufhängen", bemerkte sie dabei mit einem Lächeln, "aber ich glaube, es ist zu wichtig, daß ihr schnell trocknet."
"Warum denn das?" fragte der Kuchenbäcker mit seinem üblichen Chuck-Lächeln auf den Lippen und dem üblichen Chuck-Blick in den Augen.
Emerson währenddessen knurrte und schälte sich aus seinem Jackett, denn seine Strickweste schien den Weg der sich zusammenziehenden Wolle gefunden zu haben und spannte mittlerweile an einigen unangenehmen Stellen.
Chuck wiederum erwiderte Neds Lächeln und hauchte ihm verstohlen einen Kuß zu. "Dazu gleich, erst einmal braucht ihr etwas warmes für drinnen", sagte sie dann und tanzte davon, um heißen Kaffee zu holen.
"Ein Stück von dem 5-Beeren-Kuchen", rief Emerson ihr nach. Jetzt war ihm plötzlich nach etwas süßerem, gerade auch, um den Schock über den Verlust von Julian Macanpies Leichnam zu verwinden. Und nach der Erfahrung von Emerson Cod funktionierte nichts besser als etwas Süßes, wenn man gerade eine bittere Niederlage hatte einstecken müssen.
Und seine Niederlage würde doppelt bitter sein. Immerhin mochte es sein, daß der namenlose, dafür aber beinbesitzende, Pathologe schließlich doch seine Lüge durchschauen würde. Andererseits hatte er nicht die blaßeste Ahnung, WAS da überhaupt passiert war.
"Was ist da passiert?" fragte Emerson Cod deshalb und sah den Kuchenbäcker ernst an. "Es ist noch nie eine Leiche in Flammen aufgegangen, solange wir zusammenarbeiten. Es hat sich auch noch nie eine Leiche geweigert, wach zu werden, wenn du deinen Fingertrick eingesetzt hast."
Der Kuchenbäcker sah ihn verschreckt an, was doppelt so mitleidergreifend aussah wie sonst, war er doch immer noch naß bis auf die Knochen. Seine Augenbrauen formten ein umgekehrtes V und sein Blick war der Inbegriff schierer Verzweiflung.
"Ich weiß es nicht", antwortete Ned endlich und hob die Hand mit dem magischen Finger, um diesen genau zu betrachten. "Ich habe keine Erklärung."
Chuck kehrte zurück, ohne Tassen und ohne Kuchen, aber dafür mit zwei Decken, die sie aus einem der Vorratsschränke in der Kuchenbäckerei gefunden hatte.
"Hier", sagte sie und hielt sie den beiden hin. "Aber Vorsicht. Ich habe sie zwar ausgeschüttelt, aber vielleicht sind noch ein paar Motten drin."
Ned nahm seine Decke voller Dankbarkeit an, als Emerson sie ihm reichte, hatte nur Augen für Chuck und lächelte sie an, während sie wieder ging, um nun endlich den Kaffee und den Kuchen zu holen.
"Vorsicht kann nie schaden." Emerson schüttelte seine Decke so gut es im Sitzen möglich war aus, ehe er sich darin einwickelte.
Der Kuchenbäcker schmachtete noch seiner Angebeteten nach, dann aber gewann doch die Kälte, die aus seinen Kleidern aufstieg, und er breitete die Decke über sich.
"Ich wußte gar nicht, daß ich die noch hatte", kommentierte er.
Emerson sah ihn säuerlich an. "WAS ist da passiert?" verlangte er wieder zu wissen und beugte sich vor.
Der Kuchenbäcker schüttelte den Kopf. "Ich fürchte, ich weiß es nicht", antwortete er. "Soetwas ist noch nie passiert."
Dabei ließ er aus, daß er in der Sekunde, ehe er den Leichnam von Julian Macanpie berührt hatte, ja noch mit seinem magischen Finger gehadert hatte.
Vielleicht, so dachte er nun, war das die Strafe, die eben sein Finger ihm zugedacht hatte für seine Unwilligkeit und seinen Wunsch, Chuck einmal berühren zu können. Er wollte keine Frischhaltefolienküße mehr, er wollte echte Küße, echte Lippen auf den seinen und echte Berührungen, um diesen einen Hauch, den er damals genossen hatte, als er die "Einsame Reisende" wiedererweckte, erneut erleben zu können.
Emerson betrachtete seinerseits den Finger, den Ned in die Luft streckte. "Vielleicht ist das ganze mit einem Haltbarkeitsdatum versehen", mutmaßte er. "Vielleicht ist die gute Zeit jetzt vorbei?"
Ob diese Zeit wirklich gut war wagte der Kuchenbäcker zu bezweifeln. Er hatte sich mit seiner Gabe arrangiert. Sicher, wenn er sie verlor, würde er um einiges weniger verdienen als jetzt, immerhin würde er dann frische Ware für seine Kuchen einkaufen müssen statt wie jetzt, als Entsorger auftreten zu können. Aber er würde auch das schaffen, davon war er überzeugt.
Aber was würde mit Chuck passieren, wenn er seine Gabe verlor? Würde sie weiterleben? Oder würde sie, wie Macanpie, in Flammen aufgehen, nachdem sie erst zum Zombie geworden war?
Plötzlich war der Reif um sein Herz wieder da, und er war noch genauso eng wie in der Leichenhalle.
Chuck kehrte zurück, zwei Tassen dampfend heißen Kaffees und einen Teller mit Obstkuchen balancierend. Erst stellte sie die Tassen ab und lächelte Ned dabei zu, daß dem wieder ein bißchen warm ums Herz wurde. Dann stellte sie den Teller blind ab, um schließlich selbst noch auf die Bank zu rutschen und ganz nahe bei ihrem Kuchenbäcker zu sein.
Ned erwiderte ihr unschuldiges Lächeln und griff blind nach einer der Tassen ... und dabei streifte er den Kuchenteller, ehe Emerson diesen auf seine Seite des Tisches ziehen konnte.
"Was ist denn mit euch passiert?" fragte Chuck besorgt. "Es ist doch strahlender Sonnenschein heute. Viel zu schön für das, was alles passiert ist."
Der Kuchenbäcker verstand nicht ganz, was denn sonst noch passiert sein sollte. Allerdings ... vielleicht ergab sich ja eine neue Hoffnung für seine Beziehung zu Chuck, wenn er seine Gabe wirklich verlor? Vielleicht blieb sie auch am Leben. Oh, sie mußte am Leben bleiben!
"Was ist denn noch ... ?"
Weiter kam er nicht, denn in diesem Moment spuckte Emerson lautstark den ersten Bissen des Kuchens wieder aus. Glücklicherweise saßen sie so weit abseits, daß die anderen Kunden es nicht bemerkten, was hier gerade geschah.
"Gott verdammt, was ist denn das?" Emerson spülte mit Kaffee nach und beugte sich dann, gemeinsam mit den beiden anderen, über den Teller mit dem Kuchen.
Die Kirschfüllung war verdorben und durchzogen von grünem und grauem Schimmel ...
"Du hast den falschen Kuchen gebracht", bemerkte der Kuchenbäcker als erstes. "Emerson wollte ein Stück von dem 5-Beeren-Kuchen."
"Oh, habe ich tatsächlich", stimmte Chuck überrasscht zu. "Vielleicht, weil Emerson sonst immer Kirschkuchen bestellt?"
Irgendetwas an diesem Gespräch war eigenartig, ging dem Kuchenbäcker auf, während er Emersons Blick auf sich fühlte. Irgendetwas lief gerade ganz entsetzlich schief. Und er war sich ziemlich sicher, daß dieses etwas mit ihm zusammenhing.
"Seid ihr beide denn blind?" fragte der Privatdetektiv entgeistert,winkte dann mit einem genervten Augenrollen ab. "Okay, diese Frage beantwortet sich bei euch beiden von selbst."
Der Kuchenbäcker blickte wieder auf. "Ich weiß nicht, was du meinst", sagte er. Der kleine Protest-Ned trat wieder aus seinem kleinen Kabuff neben seinem Magen und protestierte.
"Es geht nicht darum, daß ich 5-Beeren-Kuchen bestellt und Kirschkuchen bekommen habe. Es geht darum, daß diese Kirschfüllung verdorben ist!" Emersons Bariton senkte sich bei den letzten beiden Worten bis zu einem nebelhornartigen Brummen herab, um die anderen Gäste nicht zu verschrecken.
Erneut senkten sich die Köpfe von Chuck und Ned über das ausgespuckte Kuchenstück, betrachteten die ungesunden, dennoch aber durchaus interessanten Farbspiel des ganzen.
"Du hast recht, die Früchte sind verdorben", kommentierte Chuck endlich. "Muß von gestern sein."
"Nein", entgegnete daraufhin sofort der Kuchenbäcker. "Mein Kuchen bleibt frisch, egal ob er von gestern, vorgestern oder letzter Woche ist." Er hob wieder den magischen Finger. "Mit ihm streiche ich das Haltbarkeitsdatum und verlängere es auf unbegrenzt."
Ihn überlief es abwechselnd heiß und kalt, als Chuck jetzt abwechselnd seinen Finger betrachtete und dann ihm in die Augen sah.
"Tatsächlich?" fragte Emerson und musterte nun seinerseits Chuck genau. "Mir war allerdings, als hätte ich letzte Woche einen leichten Krähenfuß an deinem linken Auge entdeckt."
Der Kuchenbäcker schüttelte entschieden den Kopf. "Ganz sicher nicht", entgegnete er statt Chuck, die sich bei der Erwähnung einer Falte mit einem Finger ihr, in des Kuchenbäckers Augen, makelloses und wunderschönes Gesicht vorsichtig abtastete.
Statt weitere Aufmerksamkeit auf seine große Liebe zu lenken, hielt der Kuchenbäcker also Ausschau und wurde nur eine Minute später fündig. "Dort steht der Beweis!" sagte er und wies ... auf den Hund Digby, der beim Tresen saß und schwanzwedelnd zu einem Gast hinaufsah in der Hoffnung, einen Happen erbetteln zu können.
Kaum bemerkte der Hund namens Digby, daß er wohl Aufmerksamkeit erregte, da drehte er den Kopf in die Richtung der drei Freunde und wedelte kurz mit dem Schwanz als wolle er sagen: "Hallo, schön daß ihr einmal an mich denkt."
Dann allerdings stoppte Digby abrupt das Schwanzwedeln, sah weiter zu seinem Herren hinüber mit einem Blick, der bei einem Menschen ein Stirnrunzeln bedeutet hätte. Er bellte einmal, erhob sich und wandte sich ab - um so schnell zu verschwinden, wie es einem Hund in seinem Alter, so es denn einen Hund in Digbys Alter gab, nicht mehr unbedingt möglich sein sollte.
Eilig entschlüpfte er durch die Tür und ... wart verschwunden, um einige Zeit später vor der Tür zu Olives und Chucks Wohnung wieder aufzutauchen.
Nun aber beobachteten die drei Freunde den doch etwas untypischen Abgang von Digby, der einige Fragen aufwarf.
"Was ist mit Digby los?" fragte Chuck und stellte damit die Frage, die der Kuchenbäcker sich ebenfalls stellte.
Um genau zu sein, auch Emerson stellte sich diese Frage, doch Emerson Cod war eben auch bekannt für seine zynische Art, warum er den Abgang des treuen Freundes aus Kindertagen des Kuchenbäckers eben unkommentiert ließ, einmal abgesehen vom Heben einer Augenbraue.
Dem Kuchenbäcker war unwohl. Digby begleitete ihn schon fast sein ganzes Leben lang. Und dementsprechend war Digby lange Zeit für ihn etwas wie seine Familie gewesen, nachdem sein Vater ihn in das Internat brachte. Mit den Jahren war es Ned gewesen, als entwickle Digby eine Art ... Klugheit, die nicht mehr allein mit dem angeborenen Intelligenzgrad eines Hundes zu tun hatte. So hielt Digby sich scheinbar unbewußt von ihm fern und ließ nicht zu, daß er ihn noch einmal berührte, nachdem er ihn wiedererweckt hatte. Oder Digbys Warnungen, nachdem Chuck bei ihnen beiden wohnte. Das warnende Bellen, jedesmal wenn der Mindestabstand zwischen ihnen drohte, unterschritten zu werden. Oder die Akzeptanz, mit der Digby den künstlichen Arm hinnahm, für den Kuchenbäcker die einzige Möglichkeit, seinen langjährigen Freund überhaupt zu berühren.
Warum aber benahm sich Digby jetzt plötzlich anders? Warum verließ er gar das PieHole?
Dem Kuchenbäcker kam ein fürchterlicher Verdacht. Ein so fürchterlicher Verdacht, daß gleich sein Sodbrennen wieder da war und in seinem Inneren brannte wie eine fürchterliche, entsetzliche kalte Flamme, die ihn aufzerren wollte.
Was, wenn seine Gabe nicht mehr richtig funktionierte? Er hatte den Kirschkuchen heute gebacken, ebenso wie den 5-Beeren-Kuchen oder gut ein Dutzend andere Kuchen ebenfalls. Wenn er jetzt seine Gabe verlor, oder wenn diese Gabe nicht mehr richtig funktionierte ...
"Laß mich durch", forderte der Kuchenbäcker in eben jener monotonen Stimme, die auf eine beginnende Emotionswelle in seinem Inneren hindeutete.
Er schälte sich wieder aus seiner Decke und rutschte, plötzlich unruhig geworden, auf der Bank herum, während Chuck ihn groß ansah. "Warum?"
"Ich muß etwas nachsehen", antwortete er einsilbig.
"Und was willst du nachsehen?" fragte jetzt Emerson.
Ned versuchte sich um diese Frage herumzudrücken. Aber letztendlich:
"Wenn mein magischer Finger aufhört, magisch zu sein, dann stottert er jetzt vielleicht wie ein Motor mit zu wenig Benzin im Tank. Dann könnten die Kuchen, die ich mache, möglicherweise verderben, denn ich mache sie ja auch mit meinen Händen." Wie zur Bestätigung, daß er über solche Gliedmaßen verfügte, breitete der Kuchenbäcker seine Hände vor sich auf dem Tisch aus. Zwei Hände, zehn Finger, alles schien in Ordnung.
"Dann braucht es dich doch nicht zu kümmern, ob ..."
Wortlos erhob Chuck, die als eine der wenigen wußte, was im Lagerraum des Kuchenbäckers wirklich darauf wartete, zu Kuchen verarbeitet zu werden, und ließ Ned damit heraus aus der Bank.
Ein Angebot, das er kaum ausschlagen konnte. Also rutschte er so schnell wie möglich aus der Bank heraus und huschte dann nach hinten in seine Backstube, um dort die letzten beiden Kuchen dieses Tages zu kontrollieren (eben jene beiden, die vormals beinahe verbrannt wären).
Angekommen in der Backstube ging dem Kuchenbäcker allerdings auf, daß er für eine Prüfung einen Helfer brauchte, durfte er doch seine eigenen Kuchen nicht noch einmal berühren. So blieb er wie erstarrt vor seinem Arbeitstisch stehen und sah begehrlich auf die beiden Kuchen, die darauf standen.
"Du glaubst, du verlierst deine Gabe?"
Der Kuchenbäcker zuckte beim Klang von Chucks Stimme zusammen, antwortete aber nicht, sondern starrte weiter auf die beiden Kuchen auf dem Tisch.
Chuck wiederum erwartete gar keine Antwort, sie trat an ihm vorbei, zog sich einen der Kuchen heran und schnitt ihn mit ihrem mitgebrachten Messer auf ...
"Ich wills nicht wissen. Ich wills nicht wissen. Ich wills nicht wissen."
Der Kuchenbäcker hatte die Augen zusammengekniffen, um sich vor der vielleicht grausamen Wahrheit zu schützen. Keinesfalls wollte er vielleicht sogar noch Chucks wiedererwecktes Leben gefährden, ganz zu schweigen von den anderen, die er erweckt hatte, seit er Chuck erweckt hatte. Nur allein die ganzen Früchte für seine Kuchen ...
Vorsichtig öffnete der Kuchenbäcker nun doch ein Auge und linste zwischen seinen Wimpern hervor - und im nächsten Moment war auch der Kuchenbäcker verschwunden, während Chuck noch enttäuscht den Kuchen in den Abfall warf ...
Während der Kuchenbäcker und Chuck also in die Backstube gingen, um die Kuchen zu kontrollieren, blieb Emerson allein am Tisch zurück.
Es waren eigenartige Gefühle für einen bärbeißigen Privatdetektiv wie ihn, die sich in seinem Inneren eine Schlacht lieferten.
Sicher, der reine Geschäftsmann Emerson Cod sah ein hübsches Sümmchen gerade für immer verschwinden, und dem Rationalisten wurde klar, daß er sich in den letzten Jahren zu sehr auf den Kuchenbäcker und seine Gabe verlassen hatte. Es war eine gute Entscheidung gewesen, Ned dazu zu bringen, mit ihm zusammenzuarbeiten, aber möglicherweise war es jetzt an der Zeit, daß jeder wieder seiner eigenen Wege folgte und er dem Kuchenbäcker, dem PieHole und allem anderen den Rücken kehrte - für immer.
Doch da war noch eine Stimme in ihm. Eine Stimme, die Emerson meist viel zu gern ignorieren würde, es aber selten tat. Es war die Stimme der Freundschaft. Und diese Stimme befahl ihm voller Inbrunst, hierzubleiben und für den Kuchenbäcker da zu sein, so wie der Kuchenbäcker auch für ihn da wäre.
Aber, meldete der Rationalist sich wieder, hatte er, seit die Tote wiedererweckt worden war, nicht schon genug als Neds mentaler Mülleimer zu tun? War die Schuld damit nicht abgegolten, daß er dem Kuchenbäcker notgedrungen zuhörte, wenn dieser über seine Probleme mit ihm sprach?
Das taten Freunde, entgegnete der freundliche Emerson in seinem Inneren. So handelten sie. Freunde waren füreinander da, wenn sie gebraucht wurden. Und schließlich war ja auch der Kuchenbäcker für ihn da - oder würde da sein, wenn er ihn darum bitten würde.
So also stritten sich die Gefühle in Emerson Cod.
Charlotte Charles, genannt Chuck, wiederum machte sich Sorgen um den Kuchenbäcker, der so einfach und wortlos geflüchtet war. Ein riesengroßer Teil ihrer Selbst wollte ihm auf der Stelle folgen, um für ihn da sein zu können, so wie sie sich wünschte, jeden einzelnen Tag in ihrer beider Leben für ihn da sein zu können.
Doch da war auch noch eine andere Charlotte in ihr. Eine Charlotte, die wußte, der Kuchenbäcker brauchte im Moment vor allem Ruhe, und genau deshalb sollte sie hier unten bleiben und sehen, was sie noch retten könnte.
Und da gab es noch eine kleine Stimme in ihr, die Unsicherheit: Dieser Teil ihrer Selbst hatte beobachtet, wie Digby das Weite suchte, hatte gesehen, daß die frischen Kuchen verdorben waren und fürchtete, auch wenn sie noch immer nicht wußte, was genau vorgefallen war, um ihr eigenes Leben. Wenn die Gabe des Kuchenbäckers versagte und der Tod sich zurückholte, um was Ned ihn betrog, dann war es auch möglich, daß sie sich bald in des Schlafes Bruder Armen wiederfinden würde, immerhin hatte Neds magischer Finger auch sie erweckt.
So also fühlte Charlotte Charles, genannt Chuck, eine leise Furcht, die Angst vor einem erneuten Tod, der sie unweigerlich von ihrem Kuchenbäcker fortreißen würde.
Der Kuchenbäcker wiederum fühlte nichts anderes als entsetzliche kalte Angst.
Irgendwo, ganz tief in seinem Inneren, hatte er von dem Moment an, als er seine Gabe das erste Mal erkannte, Angst davor gehabt, was passieren würde, würde er sie wieder verlieren. Auch darum hatte er stets Abstand von seinen Mitmenschen gesucht. Er hatte schlicht Angst gehabt, wie sie zu werden.
Daß er ausgerechnet jetzt, da sein Leben zum ersten Mal in seinem Leben ein Leben war, seine Gabe verlieren sollte, empfand er wie einen grausamen Hohn des Schicksals. Nach so langer Zeit hatte er Chuck wiedergefunden. Er hatte sie zum Leben erweckt und am Leben gelassen, hatte gehofft, daß sie dieses Leben an seiner Seite verbringen würde. Sicher, es war schwer, vor allem, weil sie beide sich nicht berühren durften. Aber sich ausgerechnet jetzt vorstellen zu müssen, sie wieder zurück an den Tod zu verlieren riß ihm schier das Herz aus der Brust.
Darum war der Kuchenbäcker aus dem PieHole geflohen, nachdem er gesehen hatte, daß die Füllung des Kuchens verdorben war.
Jetzt hockte er in seiner Wohnung, dieser ihm ohne Chucks riesig und leer erscheinenden Wohnung, und hatte einfach nur Angst vor dem, was möglicherweise noch passieren konnte.
Und er stellte sich immer wieder die gleiche Frage:
Warum ausgerechnet jetzt?
Olive wiederum saß plötzlich zwischen den Stühlen, war da doch auf der einen Seite der treue Randy, der ihr Hilfe geschickt hatte, und auf der anderen Seite ihr gerechter Ritter auf dem Amtsschimmel, besser bekannt als Adam Otlau, der sie heroisch verteidigte mit seiner Lanze aus Gerechtigkeit.
Nur am Rande kam ihr dabei in den Sinn, daß sie noch immer des Mordes an Julian Macanpie verdächtig war, ob dessen Leichnam nun existierte oder nicht. Der Kaktus war von ihrem Fensterbrett gefallen.
Die arme Olive wußte gar nicht mehr, was sie denken und fühlen sollte. Es war alles eine einzige, große Nebelbank in ihrem schmalen Körper, durch die sie nicht sehen konnte.
Und so kehrte sie schließlich, nichtsahnend und sich ihrer selbst nicht mehr sicher, zurück ins PieHole, an der Seite von Randy. Doch ihr wackeres kleines Herz pochte den Namen Adam Otlau ...
Chuck endlich riß sich aus ihren grauenvollen Sorgen und Gedanken und beschloß, daß es an der Zeit wäre, zu erfahren, was genau denn nun passiert wäre. Also verließ sie die Backstube des Kuchenbäckers wieder, kontrollierte kurz im Vorbeigehen, ob alle Kunden noch gut versorgt waren, ehe sie sich Emerson gegenüber niederließ. Angriffslustig beugte sie sich schließlich vor, die Ellenbogen auf den Tisch, der sie beide trennte, gestützt, und funkelte den Privatdetektiv herausfordernd an.
Emerson wiederum war nicht entgangen, daß Chuck allein zurückkehrte, und plötzlich überkam ihn eine wirklich sehr düstere Ahnung, erinnerte doch auch er sich an Digbys eigenartiges Verhalten.
„Was war bei euch beiden los?“ verlangte Chuck nun zu wissen, den Kopf leicht nach vorn geneigt, die Schultern aber gehoben.
Emerson wich ihrem Blick aus. „Ich weiß nicht, was du meinst“, erklärte er.
„Du weißt sehr gut, was ich meine. Ging es um einen neuen Fall?“ bohrte Charlotte Charles, genannt Chuck, bekannt geworden als „Die einsame Reisende“ und viel betrauert von ihren Tanten/ihrer Mutter Vivian und Lily Charles.
Emerson wand sich, als würde die inzwischen geöffnete, nasse Wollweste noch enger werden. „Welcher Fall?“
Chucks Blick wurde härter und intensiver. „Ned ist geflüchtet und die frischen Kuchen sind verdorben. Und vorher kommt ihr zwei hier tropfnaß herein. Und noch weiter davor wird Olive wegen Mordes verhaftet. Ich denke also, daß das alles miteinander in Zusammenhang steht.“
Emerson wiederum tat nun sein bestes, doch er bekam große Augen, als er von Olives Verhaftung hörte. „Olive ist verhaftet worden? Wann? Von wem? Warum?“ Mit eben diesen großen Augen sah er sich im PieHole um, als würde ihm erst jetzt auffallen, daß die zierliche kleine blonde Bedienung fehlte.
„Ich weiß nicht, wen sie ermordet haben soll. Aber ich weiß, daß sie und Ned Hilfe brauchen. Was also ist bei euch los gewesen?“ stellte Chuck die Gegenfrage.
Emerson sah aus, als wolle er für einen Moment weiter den harten Privatschnüffler spielen, dann aber zerfloß er angesichts der Tatsache, daß gleich zwei seiner Freunde in Nöten waren. Etwas in ihm, genau die kleine Stimme, die ihn sonst immer davon abhielt, Chuck zu vertrauen, sprach nun davon, daß er verpflichtet war, den in Not Befindlichen zu helfen. Und Emerson fügte sich und begann zu erzählen:
Von dem eigenartigen Tod des Julian Macanpie und davon, daß dessen Ehefrau einen Mord vermutete. Er erzählte davon, daß Olive, entgegen ihrer sonstigen Natur, wirklich wütend gewesen zu sein schien über den zu früh verschiedenen Gastrokritiker, der das PieHole nicht in den leuchtensten Farben gelobt hatte. Er berichtete davon, daß er und Ned, eben der Kuchenbäcker, dessen Kuchen bei Macanpie so kläglich versagt hatten, zur Leichenhalle gefahren waren, um eben diesen Macanpie zu befragen. Und er berichtete davon, wie es dem Kuchenbäcker nicht möglich gewesen war, eben jenen Julian Macanpie so wie sonst zum Leben zu erwecken, sondern der Tote schließlich in Flammen aufgegangen war - nachdem der arme Ned gleich dreimal durch den Raum geschleudert wurde davor.
Charlotte Charles, genannt Chuck, hörte sich diese ganze Geschichte sehr aufmerksam an, vor allem die Stelle, die von des Kuchenbäckers Versagen erzählte. Auch sie konnte nicht erklären, WAS genau da passiert war. Aber ein gewisser Verdacht keimte in ihr. Ein Verdacht, der möglicherweise dem Kuchenbäcker helfen könnte.
Aber was sie vor allem brauchte, um diesen Verdacht in Wissen umzuwandeln, war eine gewisse Gewißheit. Eine Gewißheit, die nur eine ihr geben konnte. Die Ehefrau des Opfers: Priscila Macanpie, trauernde Witwe und überforderte Mutter von mehr als zwei Dutzend Kindern rund um die Welt.
„Wir müssen mit Mrs. Macanpie reden“, sagte Chuck darum.
Emerson sah sie an. „Und was soll das bringen?“ fragte er.
„Nun, möglicherweise weiß Mrs. Macanpie mehr, als wir denken. Und wenn sie es nicht weiß, dann ahnt sie vielleicht etwas“, antwortete Chuck.
Emerson schüttelte den Kopf. „Wenn Mrs. Macanpie erfährt, daß der Leichnam ihres Mannes verbrannt wurde, noch dazu in meinem Beisein, wird sie sicherlich besseres zu tun haben, als mir zuzuhören oder Fragen zu beantworten. Nein, das sollten wir besser gleich wieder von unserer Liste streichen.“
Chuck dagegen lächelte charmant. „Wer sagt, daß du mit ihr reden sollst?“ fragte sie.
Emerson sah sich unschuldig um. „Wer denn sonst?“
Und in genau diesem Moment klingelte das kleine Glöckchen über der Eingangstür des PieHole und Randy, Olive und der Gesetzesritter und kasende Rechtsanwalt Adam Otlau traten ein. Olive war in einen Monolog an ihren Retter vertieft. So vertieft, daß sie zunächst einmal gar nicht registrierte, daß Chuck und Emerson sie ungläubig ansahen, und auch nicht, daß der Kuchenbäcker fehlte.
„Entweder ich oder Olive“, sagte Chuck dann endlich mit einem Lächeln.