Land ohne Mitte Außen weich, innen hart: In Österreich wird womöglich bald ein sehr, sehr Rechter de

Apr 26, 2016 10:31

Land ohne Mitte
Außen weich, innen hart: In Österreich wird womöglich bald ein sehr, sehr Rechter der neue Bundespräsident werden. Eindrücke aus einer Hauptstadt, in der gerade die alte Ordnung zerfällt Von Cathrin Kahlweit

Es war die ultimative Demütigung vor dem Untergang: „Wir drei Außenseiter“, sagte Richard Lugner. Dann schaute er bei der letzten Fernsehschlacht vor der Wahl mit keckem Augenaufschlag über schweren Tränensäcken zu den beiden ebenso müden Herren von den Regierungsparteien hinüber, die er in diesem Moment rhetorisch mit in sein sinkendes Boot zog.

Am Wahlabend, als die erste Runde der Bundespräsidentenwahl in Österreich geschlagen war, platzierte die ORF-Regie die zwei Co-Verlierer prompt gemeinsam mit dem lustigen Unternehmer Lugner, dem schrillsten aller Kandidaten, an einem Katzentisch: zwei gewichtige, prominente Vertreter von SPÖ und ÖVP im Abseits, die nicht einmal gemeinsam so viele Stimmen auf sich vereinigen konnten wie der Star des Abends, der Star der Wahl, FPÖ-Mann Norbert Hofer, allein.

Man muss sich das vorstellen: Würde in Deutschland der Präsident vom Volk gewählt, und würden SPD und Union je einen Kandidaten, also zum Beispiel die mütterliche Hannelore Kraft und den durchgeistigten Norbert Lammert, aufstellen, dann hätte - wenn man das mit dem Wahlausgang in Österreich vergleicht - Frauke Petry von der AfD ein Drittel mehr Stimmen bekommen als Lammert und Kraft zusammen. 36 gegenüber zweimal elf Prozent. Lammert und Kraft wären auch nicht Zweiter und Dritte geworden, um noch kurz im Bild zu bleiben, sondern vor ihnen wären Jürgen Trittin von den Grünen und eine parteilose Verfassungsrichterin aus Karlsruhe ins Ziel gekommen.

In Deutschland würde nach einem solchen Wahlergebnis wahrscheinlich eine Schock- und Rücktrittswelle durchs Land gehen. In Österreich heißt eine Schlagzeile am Montag: „Parteispitzen von SPÖ und ÖVP wehren sich gegen Personaldebatte“. Vielleicht zu Recht. Denn darauf kommt es gar nicht mehr an. Zwar nennen die Medien das Wahlergebnis am Montag eine „Revolution“, das „Ende der Zweiten Republik“, die „Auflösung der Nachkriegsordnung“. Passieren tut aber, zumindest sieht es am Tag eins der neuen Zeitrechnung so aus, erst einmal nichts. Sprechblasen, besser kommunizieren, neues Programm ausarbeiten, Konflikte nicht nach außen tragen. Wählerwillen respektieren. Hallo?

„Österreich ist ein Labyrinth, in dem sich jeder auskennt“, hat der große Helmut Qualtinger einst gesagt. Auch jetzt wieder kennen sich alle aus im dunklen Wald, nur findet man den Weg hinaus eben nicht durch lautes Rufen. Und wenn wir schon bei großen Österreichern und Wäldern sind, wie sagte einst der wahrhaftige Seher Thomas Bernhard: „Der Wald ist groß, die Finsternis auch.“

Jetzt kommt es also zur Stichwahl von Hofer gegen Alexander van der Bellen von den Grünen. Grün gegen Blau. Links gegen rechts. Nichts mehr in der Mitte. Den dritten Platz im Rennen um die Hofburg hat nämlich eine unabhängige Kandidatin gemacht, die vorher kaum einer kannte. Die aber damit für sich warb, dass sie keiner Partei angehört. Schon gar nicht denen, die sonst ein Abonnement auf das Präsidentenamt haben. Es droht ein Lagerwahlkampf. Van der Bellen, der auf 21 Prozent kam, müsste für einen Sieg in der nächsten Runde einen Großteil der Wähler hinter sich versammeln, die jetzt andere Kandidaten gewählt haben. Nicht unmöglich; historisch hat bei den Bundespräsidentenwahlen in Österreich schon oft der anfangs Zweitplatzierte gewonnen. Aber auch nicht sehr wahrscheinlich.

Denn in den Grafiken der Wahlforscher ist Österreich blau. Fast überall außer in Wien lag der Rechtspopulist Hofer vorn. Und van der Bellen, ein lässiger, oft etwas abwesend wirkender Professor, der, wenn er Witze macht, so aussieht, als sei er verwirrt, wenn jemand anderer außer ihm selbst darüber lacht - er ist ein überaus honoriger Intellektueller und ein sympathischer Mann. Aber wird er Kämpfer genug sein, die nächste Zeit durchzustehen, die ein harter Ritt für ihn wird und für das Land?

Klar, dass im Redoutensaal der Wiener Hofburg in der Wahlnacht alle Augen auf den Mann gerichtet waren, den keiner anfangs auf der Rechnung hatte, weil er unbekannt war und harmlos zu sein schien, der neue FPÖ-Star, der Aufsteiger, der Sieger, der nette Rechtspopulist von nebenan. Einer mit freundlichen Augen, weicher Stimme und einem Gehstock, der in der Hand grantiger Greise wirken kann wie ein Prügel, bei dem 45-Jährigen aber immer nur so aussieht, wie das, was er ist: eine schlichte Gehhilfe. Hofer war in jungen Jahren mit dem Paraglider abgestürzt, er hatte danach einen inkompletten Querschnitt. Und er tat das, was sein Parteichef Heinz-Christian Strache im Angesicht des Triumphes inmitten hysterisch jubelnder Anhänger so beschrieb: Hofer habe sich „zurückgekämpft ins Leben“.

Und weil nun jeder Satz, jeder Blick in diesen Chaostagen auf Botschaften abgeklopft werden, lesen die Politikstrategen auch dieses lyrische Lob Straches als Metapher - und als Drohung: Die FPÖ ist nicht nur zurück, sie strotzt vor Leben. Und Hofer, ein Ingenieur aus dem Burgenland, in dem schon seit einem Jahr die FPÖ mitregiert, spielt eine neue Rolle in dieser Zeit, die Strache sogleich zum „neuen Zeitalter“ ausruft. Hofer ist sein designierter „Schutzherr für Österreich“, der „nicht alles, was die Regierung gegen die Bevölkerung beschließt, einfach durchwinken“ wird. Auch das - eine Drohung.

Andererseits hätte man vielleicht auch schon vor dem Sonntag wissen müssen, was die Meinungsforschungsinstitute mal wieder nicht wussten: dass in einem Land, in dem die Rechtspopulisten seit Monaten in Umfragen weit vor den Regierungsparteien liegen, in dem nur noch wenige hartleibige Politik-Aficionados mit der ewigen Koalition von Rot und Schwarz und ihren Leistungen zufrieden sind, in dem die Flüchtlingskrise der Regierung ein echtes Glaubwürdigkeitsproblem beschert hat - dass in einem solchen Land, wie derzeit überall in Europa, ein bekennender Rechter, zumal einer, den die Wähler jung und dynamisch und sehr nett finden, den Durchmarsch schaffen könnte.

Noch vor wenigen Jahren traten bei der Nennung des Namens Jörg Haider, charismatischer Erfinder einesideologisch höchst flexiblen Austro-Populismus, nicht nur konservativen Österreichern Tränen der Rührung in die Augen. Der Kärntner, der 2008 starb und sich zuletzt mit seinen schillernden Talenten nur noch in Klagenfurt als großer Zampano fühlen durfte, rief lange Zeit selbst bei seinen Gegnern heimliche Bewunderung hervor: Er hatte mit dem Tabubruch der schwarz-blauen Koalition im Jahre 2000 Entsetzen in Europa ausgelöst, Sanktionen und Dauer-Demonstrationen waren die Folge - und das alles, nachdem schon der Wehrmachtsoffizier Kurt Waldheim das Land als Präsident vertreten hatte, ein Mann, der mit seiner NS-Vergangenheit in kaum einem westlichen Staat willkommen war. Dann kam FPÖ-Chef Haider, und der traute sich was. Der inszenierte sich als Sieger. Den spornten die Wutreden von Autoren wie Thomas Bernhard an, demzufolge die Österreicher seien wie ein Punschkrapfen: außen rot, innen braun, und immer ein bisschen betrunken.

Lange her, Haiders Nimbus ist verblasst. Die Aufarbeitung der schwarz-blauen Regierungszeit mit ihren vielen Korruptionsskandalen hat der FPÖ zusätzlich Schaden zugefügt. Aber dass es im Land eine stets abrufbare Sehnsucht nach der stramm rechten Sache gibt, hat Bernhard immer gewusst. Heute nun regieren Rechtspopulisten in fast allen europäischen Ländern mit, mindestens auf lokaler Ebene. Der Schock darüber, dass eventuell Österreich demnächst einen obersten Repräsentanten haben könnte, der 1995 gegen den EU-Beitritt stimmte und auch jetzt wahrscheinlich nachts des öfteren vom Österexit träumt - dieser Schock hält sich international wahrscheinlich sogar in Grenzen. In Österreich selbst aber werden alte Wunden aufgerissen. Hofer war zuletzt ein stiller dritter Nationalratspräsident gewesen; er vertrat die Vorsitzende des Parlaments und leitete auch immer mal wieder eine Sitzung. Als er antrat, widerwillig anfangs, hieß es, er trage schweres Gepäck: zu wenig prominent, zu blass, zu unerfahren, ein Geschöpf des Bosses, Heinz-Christian Strache.

Parteiintern war er nicht ohne Einfluss, das schon, Hofer hat maßgeblich am Parteiprogramm mitgeschrieben. Er gilt als einer der Ideologen der Partei, welche die Ausländer- und Asylpolitik der Regierung noch viel zu freundlich findet. Er will hohe Zäune ums Land und massive Leistungskürzungen für Migranten, wenn die schon überhaupt da leben müssen. Österreicher zuerst, das ist der Kern der FPÖ, und Hofer ist einer ihrer kernigsten Vertreter.

Er stand immer im Schatten des Selbstvermarkters Strache. Nun steht er im Licht. Wenn er in vier Wochen gewinnt, will er nicht nur eine repräsentative Rolle spielen. Im Wahlkampf drohte er: „Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist.“ Seine Partei stellte im vergangenen Herbst Strafanzeige gegen einige Regierungsmitglieder, weil diese mit ihrer Flüchtlingspolitik gegen die Verfassung verstießen und Kanzler Werner Faymann, O-Ton Strache, ein „Staatsfeind“ sei.

In der Wahlnacht steht auch der eigentliche Kopf der FPÖ, Generalsekretär Herbert Kickl, zwischen Kameras und Fans. Er bemüht sich sehr, den Stolz über den Überraschungserfolg der von ihm geleiteten Kampagne zu verbergen und so zu tun, als gehe es hier nur um einen künftigen Präsidenten, der über den Parteien stehen soll. Aber: Elementar für den obersten Hüter der Verfassung sei eben, sagt der schmale, blasse Chef-Ideologe der FPÖ und schaut dabei so harmlos, als spreche er über das Wetter, dass „dieser nicht zuschaut, wenn die größten Gesetzesbrecher der Geschichte in der Regierung sitzen“. Auch das eine Drohung.

Da ist es nicht verwunderlich, wenn in Wien viele Menschen Albträume haben. Verfassungsrechtlich wäre es einem Bundespräsidenten Hofer möglich, die Regierung zu entlassen, sich einen neuen, genehmen Kanzler zu suchen (Strache zum Beispiel) und sich dann ein genehmes Kabinett zusammenzuzimmern, das dann wiederum das Parlament auflöst. Das sind Allmachtsträume, Horrorfantasien, alles nicht sehr wahrscheinlich und außerdem komplett unnötig: Es könnte nämlich auch ohne Staatsstreich klappen mit der Abwahl der Regierung, von der Generalsekretär Kickl sagt, die träume bis heute von „Zuwanderung“, aber die Bevölkerung durchschaue das.

In zwei Jahren jedenfalls wird, wenn bis dahin die Zweite Republik nicht doch schon untergegangen ist, sowieso gewählt. Strache könnte dann auch ohne Staatskrise Kanzler werden.

Der Kampf um den Sieg in der Stichwahl wird nun die Scharmützel der vergangenen Jahre in den Schatten stellen. Was bei den Landtagswahlen 2015, beim Sturm der FPÖ auf das rote Wien etwa, wie eine militärische Übung für den Ernstfall wirkte, wird jetzt das Land in einen virtuellen Kriegszustand versetzen: Licht gegen Schatten, Gut gegen Böse. Die ehemaligen Volksparteien, SPÖ und ÖVP, die das Land mit ihrem Proporzfanatismus und ihrem Sozialstaats-Ausgleichs-Besitzstandswahrungswahn seit Jahrzehnten erstickten, sie spielen nicht mehr mit. Die Regierung hat sich zurückgezogen, will unsichtbar sein. Obwohl: Noch am Wahlabend hat ein ratloser Kanzler demütig gesagt, er werde den grünen Kandidaten Alexander van der Bellen unterstützen.

Hinter Hofer und van der Bellen, dem jung und unverbraucht wirkenden Rechtspopulisten und dem 72-jährigen linksliberalen, grünen Denker, positionieren sich die Lager für die zweite Runde. Am Sonntagabend wirkten die beiden Konkurrenten um den hochkarätigen Posten in der Hofburg, wo auch der Amtssitz des Präsidenten ist, fast noch, als würden sie miteinander flirten. Ließen einander am Tisch den Vortritt, lächelten und tuschelten leise miteinander, traten zur Seite, um dem jeweils anderen den Zugang zu Mikrofonen und Kameras zu erleichtern. In einer Phase, die Auftakt sein könnte für eine Grundsatzdebatte über das, was das Land Österreich ist und sein könnte, versuchten beide Männer, möglichst friedfertig zu wirken. Hofer sagte, niemand „brauche sich zu fürchten“ vor der Art und Weise, wie er als Präsident in der Hofburg Einfluss zu nehmen gedenke auf die aktuelle Politik. Und van der Bellen sagte, er wolle vor allem das Land „nach außen repräsentieren“.

No na; wie der Österreicher sagt, eh klar. Das Schisma liegt in der Sache: Der Grüne findet, das Boot sei „noch nicht voll“ in Österreich, und verbriefte Menschenrechte müssten auch in diesem Land weiter gelten und geschützt werden - im Zweifel vom ihm, dem künftigen Präsidenten. Eine solche Position gilt mittlerweile als mutig. Für die FPÖ ist sie Verrat am Wählerwillen. Dass das Boot noch nicht voll besetzt sein soll in diesem Acht-Millionen-Land, das 2015 etwa 90000 Flüchtlinge aufnahm, hat man in letzter Zeit nur noch selten gehört. Vor allem nicht von der Regierung, auch nicht vom sozialdemokratischen Teil. Die Koalition wird nämlich in der kommenden Woche ein Asylgesetz vorlegen, das ein Bundespräsident Alexander van der Bellen mutmaßlich niemals unterschreiben würde: Angesichts eines Landes im Notstand, also eines vollen Bootes Österreich, sollen Flüchtlinge demnächst nur noch in besonderen Ausnahmefällen Asylanträge stellen können. Ein Land schließt die Türen.

Am Montagmorgen hat es im Osten Österreichs übrigens ein Erdbeben der Stärke 4.1 gegeben. Man hat es genau gespürt unter den Füßen. Ein Vorbote. Wenn man nur wüsste, für was.

Süddeutsche Zeitung, Dienstag, den 26. April 2016, Seite 3

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