Apr 20, 2016 10:26
„Verzicht - das hat nie funktioniert“
Ökologische Politik muss man mit der Wirtschaft durchsetzen, nicht gegen sie, sagt Winfried Kretschmann. Der Ministerpräsident will, dass sich die Grünen von alten Gewissheiten verabschieden, nicht nur beim Asylrecht
Interview: M. Hägler, J. Heidtmann und J. Kelnberger
Es sei Ihnen wichtig, auf dem Teppich zu bleiben, haben Sie kürzlich wieder betont. Das kann man doch gar nicht, wenn man, laut Politbarometer, Deutschlands beliebtester Politiker ist.
Kann man schon. Muss man auch. Aber dass ich von null an die Spitze gerückt bin, das hat mich schon überrascht. Das freut mich natürlich. Nur, als Christ weiß ich auch, dass zwischen „Hosianna“ und „Kreuzigt ihn!“ bloß drei Tage liegen können.
Was sagt denn Ihr jäher Sprung über die politische Stimmung aus?
Dass sie sehr volatil geworden ist. Nehmen Sie den Einbruch der Kanzlerin in der Beliebtheit - wie schnell da der Liebesentzug stattgefunden hat. Dabei konnte doch jeder ihr bewährtes Krisenmanagement verfolgen. Oder nehmen Sie die SPD in Baden-Württemberg. Nach fünf Jahren harter und guter Arbeit derart bestraft zu werden, das ist bitter.
Sie haben die Grünen im Südwesten zum Sieg geführt, Malu Dreyer die SPD in Rheinland-Pfalz. Sind Personen mittlerweile wichtiger als Programme?
Die Agenden werden immer komplizierter, viele Menschen sind verunsichert. Ich glaube, in so einer Situation suchen die Menschen nach Ankern. Und sie orientieren sich an Politikerinnen und Politiker, von denen sie den Eindruck haben, dass sie ihre Arbeit ernsthaft machen, nicht sprunghaft, sondern mit Linie und wohlbegründet. Da geht es also um Vertrauen - zumindest sagen mir die Menschen, dass sie mir vertrauen. Das führt dann dazu, dass Leute, die vorrangig Kretschmann wollten und nicht so sehr die Grünen, trotzdem Grün gewählt haben. Aber die Personen transportieren immer auch die Programme mit, wenn auch nicht immer eins-zu-eins.
Am Abend vor der Wahl sagten Sie, es sei ein Glück, dass dieser Kretschmann-Hype bald vorbei ist. Klingt ganz schön kokett.
Das hat nichts mit Koketterie zu tun. Ich habe eine Kinderstube, in der ich gelernt habe, eher bescheiden zu sein. Deshalb dachte ich, jetzt ist es auch mal wieder gut mit dem Kretschmann-Kult.
Ohne Sie würden die Grünen nicht den Regierungschef stellen.
Das ist schon klar. Aber ohne die Grünen wäre ich auch nicht da, wo ich jetzt bin. Ich habe den Landesverband mit gegründet und wir haben hart dafür gearbeitet, dass er da steht, wo er jetzt steht. Und in den ersten 15 Jahren der Grünen war ich nicht immer so beliebt.
Man kann auch sagen: Ihre Karriere bei den Grünen lag mehrmals in Trümmern. Spüren Sie Genugtuung?
Es kommt eher Max Weber hoch: Politik ist Bohren harter und dicker Bretter. Ich habe einmal im Silicon Valley eine Rede gehalten, die handelte auch von der Geschichte der Grünen, eine zutiefst amerikanische Geschichte, sagten einige Zuhörer. Es ging darum, sich große Ziele zu setzen und an denen dran zu bleiben, bis man sie erreicht hat. So gesehen waren die Grünen in Baden-Württemberg ein erfolgreiches Start-up.
Grün vor Schwarz: Können Sie uns erklären, was da am 13. März passiert ist?
Das Land ist viel grüner, als viele denken. Ich besuche im Schnitt alle 14 Tage einen Betrieb, die haben sich alle auf den grünen Weg gemacht. Die globale Klimakrise ist für sie eine Chance, ressourcen- und energiesparende Produkte zu entwickeln, mit denen sie erfolgreich auf den Weltmärkten wirtschaften können. Für die CDU war Umweltschutz nur ein Randthema. Dass das Thema in der Mitte der Gesellschaft und vor allem der Unternehmen angekommen ist, das hat die CDU verschlafen.
Vielleicht sind die Grünen in Baden-Württemberg auch einfach angepasster als gemeinhin angenommen.
Das klingt wie die jüngste Klage der SPD: Unser Bündnis mit der CDU werde eine Koalition der Spießer. So, als seien die Sozialdemokraten hier die großen Rock’n’Roller gewesen. Die Rebellen. Das habe ich nicht feststellen können. Aber natürlich ist die Bewahrung der Schöpfung immer ein konservatives Thema gewesen. Zutiefst. Klimaschutz ist keine grüne Spielwiese, sondern ein Menschheitsthema. Ebenso wie Naturschutz. Diese Dinge haben wir in die Mitte der Politik geholt. Deshalb können bei uns auch ein paar Eidechsen ein Großprojekt verzögern. Denn ein Großprojekt kann man machen, Eidechsen aber nicht.
Für einen Teil Ihrer Partei sind Sie eine ganz schöne Zumutung.
Das sehe ich anders. Ich modernisiere. Ich bin ein Modernisierer.
„Alles steht und fällt mit der Wirtschaft.“ Welcher Grüne hätte das vor Ihnen schon gesagt?
Ja, vielleicht. Aber wir sind mit unserer Idee der ökologischen Erneuerung eben eine Wirtschaftspartei moderner Prägung.
„Wir leben in einer Leistungsgesellschaft“, noch so ein Satz von Ihnen. Oder: „Ich bin ein großer Anhänger von Disziplin.“ Das ist jetzt nicht traditionell grünes Lebensgefühl, oder?
Vielleicht ist es nicht grüner Sprech. Aber es ist doch evident, dass jeder, der in der Politik erfolgreich sein will, diszipliniert sein muss. Das trifft auch auf die Parteilinken zu. Es ist nur nicht Tradition, so etwas auch zu sagen. Wenn man Jürgen Trittin eines nicht vorwerfen kann, dann, dass er faul oder undiszipliniert gewesen wäre. Oder ein Flippi. Der hat sich immer hart in die Themen rein gearbeitet.
Hat Ihnen Trittin zur Wahl gratuliert?
Nein.
Und Claudia Roth?
Schon vor der Wahl hat sie eine sehr, sehr schöne SMS geschrieben.Mit welchen Satz hatten Sie mich noch zitiert?
„Wir leben in einer Leistungsgesellschaft“ - aber worum es eigentlich geht: Sie haben in kurzer Zeit sehr viele Gewissheiten der Grünen einfach abgeräumt.
Die Leistungsgesellschaft ist doch ein Faktum. Alles andere sind ideologische Verbrämungen. Der Verzicht war lange ein grünes Credo. Das hat nie funktioniert. Die allermeisten Menschen wollen nicht weniger. Die Grünen, die so etwas propagiert haben, die haben mehr Kilometer mit dem Auto und dem Flugzeug zurückgelegt als ein CDU-Mitglied im Kirchenchor in meinem Heimatort Laiz. Wie koppeln wir Wirtschaftswachstum und Wohlstand vom Naturverbrauch ab? Das ist die Jahrhundertfrage, die wir beantworten müssen.
Sie sagten kürzlich, die Grünen müssten „elastisch“ sein bei der Realisierung Ihrer Grundsätze. Wie elastisch sind Sie?
Sehr. Nicht bei den Zielen, aber bei den Wegen. Als ich 2011 gesagt habe, weniger Autos sind besser als mehr, da stand drei Tage später der Chef eines bekannten Automobilkonzerns in meinem Büro. Ich sagte: Von den ökologischen Zielen werde ich mich nicht abbringen lassen. Da erwiderte er: Unsere Vision ist null Emission. Da habe ich gesagt: So können wir uns treffen.
Was können die Grünen im Bund von den Grünen in Baden-Württemberg lernen?
Unsere Politik ist längst in der Mitte von Wirtschaft und Gesellschaft angekommen. Das heißt, wir müssen unsere Politik nicht mehr gegen mächtige Kräfte durchkämpfen, sondern mit ihnen. Ökologische Modernisierung geht nur mit der Wirtschaft. Sie ist nicht unser Gegner, sondern unser Partner. Auf unserem kleinen Parteitag hat man gespürt, dass sich die Grünen auf diesen Weg machen wollen: sich mit der Realität der Wirtschaft auseinandersetzen und versuchen, sie zu beeinflussen.
Parteichef Cem Özdemir hat sich als Spitzenkandidat für die Bundestagswahl empfohlen. Unterstützen Sie die Kandidatur?
Sicher, denn Cem ist ein hervorragender Politiker mit starken Themen. Jede Partei würde sich glücklich schätzen, einen solchen Hochkaräter in ihren Reihen zu haben. Die Grünen werden die Qual der Wahl haben, denn auch mit Robert Habeck zum Beispiel haben wir einen sehr klugen und charismatischen Mann im Rennen.
Es soll wieder eine Doppelspitze für die Grünen antreten. Kann das in Zeiten zunehmender Personalisierung gut gehen?
In manchen Dingen muss man als Politiker auch mal resignieren. Gegen diese Doppelspitzen habe ich nun 30 Jahre lang gekämpft, mit mäßigem Erfolg. Die Doppelspitze war ja ursprünglich feministisch gedacht und insofern ein vernünftiges Prinzip. Jetzt heißt Doppelspitze aber immer auch: Realo - Linker. Nur, in der Politik muss man sich für den einen oder den anderen Weg entscheiden, das ist doch auch eine Erfahrung aus diesen Landtagswahlen. Da ein Quartett anzubieten, Doppelspitze Partei und Doppelspitze Fraktion, das ist eine Schönwetterveranstaltung.
Werden Sie in Berlin jetzt mehr gehört, als das früher der Fall war?
Einspruch. Ich habe zum Beispiel mit meinen Vorstößen in der Flüchtlingspolitik breite Mehrheiten auf Bundesparteitagen erzielt. Und dann gemeinsam mit den von Grünen mitregierten Ländern über den Bundesrat viel mitgestaltet. Was meinen Einfluss angeht, hat Reinhard Bütikofer richtig formuliert: Kretschmann nicht kopieren, sondern kapieren. Man muss doch Erfahrungen ernst nehmen in der Politik. Insofern bin ich ziemlich optimistisch.
Gerade verhandeln Sie in Stuttgart über eine grün-schwarze Koalition. Und nächstes Jahr Schwarz-Grün im Bund?
Ich glaube zumindest, dass eine solche Koalition allgemein akzeptiert wird in meiner Partei. Die alleinige Liebe zu den alten Lagern, also in unserem Fall Rot-Grün, ist abgekühlt, selbst Jürgen Trittin hat davon Abschied genommen. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse nach dem Erstarken der AfD müssen wir einen vernünftigen Umgang mit anderen Koalitionen finden. Wobei man sicherstellen muss, dass die Parteien ihren Markenkern nicht verlieren.
Wirtschaftsmigranten zurückzuweisen gehörte noch vor einigen Jahren nicht zum Markenkern der Grünen.
Das stimmt. Aber unsere vorherige Haltung war nur auf Basis der alten Flüchtlingszahlen möglich. Die Quantität hat sich geändert. Wenn ich den Kern des Asylrechts halten will, und wir sind damit ja schon relativ allein in Europa, dann ist Realpolitik gefragt.
Hat Ihnen Frau Merkel gratuliert zum Wahlsieg?
Nein, und irgendwie verstehe ich das. Es war alles sehr paradox im Wahlkampf: Ich habe sie unterstützt, und das hat die CDU geschwächt. Wahrscheinlich ist sie noch im Nachdenkprozess, wie sie mit dem Kretschmann umgehen soll.
Haben Sie wirklich Lust auf Grün-Schwarz? Sie könnten Ihre Agenda vielleicht aus einer anderen Position heraus vertreten: als Bundespräsident. Sie werden als Kandidat gehandelt, sollte Gauck nicht mehr antreten.
Ich bleibe auf dem Teppich, der gerade in der Mitte von Baden-Württemberg gelandet ist.
Süddeutsche Zeitung, Mittwoch, den 20. April 2016, Seite 2
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