Nov 19, 2013 10:11
Die Zeit ist aus den Fugen
Ein dänischer Roman beschreibt den Untergang Europas
Große Begeisterung löst gegenwärtig in Dänemark ein utopischer Roman aus, der vom Untergang der eigenen Nation erzählt. Im Jahr 2018, schreibt der Schriftsteller Kaspar Colling Nielsen, werde die große Menge der dänischen Hausbesitzer so von einer erneuten Finanzkrise bedrängt, dass ihre Mehrheit - alle zwischen sechzig und 75 Jahren alt - mit einem Mal gezwungen sei, die Häuser und Eigentumswohnungen zu verkaufen. Daraufhin platze die große, über Jahrzehnte gewachsene Immobilienblase, die diese Menschen reich gemacht habe. Völlig verarmt fänden sie sich auf der Straße wieder, während die Banken ihre Wohnungen übernähmen und der Sozialstaat die Zahlungen einstellte. Und plötzlich, so Nielsen, seien die Menschen, die sich um den persönlichen Ertrag ihres Lebens gebracht sähen, militant geworden - viel militanter noch, als es Griechen und Spanier in unseren Tagen sind: Den Anfang machten die Franzosen, die im Jahr 2017 begännen, ihre Banken niederzubrennen. Als dann die Dänen folgten, ein Jahr später, werde es noch ernster: öffentliche Hinrichtungen für Politiker und Bankmanager, gepfählte Köpfe, Panzer in Kopenhagen. Sechs Jahre währe der dänische Bürgerkrieg, der hauptsächlich zwischen den reichen Kommunen auf der Insel Seeland und dem Rest des Landes ausgefochten werde. Danach sei das Land - und mit ihm ein großer Teil Europas, wo Gleiches stattfinde - ökonomisch in der Bedeutungslosigkeit versunken und müsse von Norwegen, Brasilien und China finanziert werden.
Nur gut zweihundert Seiten braucht Kaspar Kolling Nielsen für 'Den danske borgerkrig, 2018 - 2024' ('Der dänische Bürgerkrieg 2018 - 2014', Verlag Gyldendal), und darin ist immerhin noch reichlich Platz für zahlreiche mehr oder minder skurrile Anekdoten und Abschweifungen, etwa für das Klagelied einer geschälten Tomate. Man wird das Buch auch nicht seiner literarischen Qualitäten wegen loben wollen. Eher schon ist es eine Art Einübung in den Umgang mit unsicheren ökonomischen und politischen Verhältnissen. 'Glaubt bloß nicht, dass ihr auf der richtigen Seite seid', ruft das Buch seinen Lesern zu, und diese nehmen die Botschaft begierig auf. Denn zweifeln tun sie alle, und sei es, weil sie so gern auf der richtigen Seite wären.
tost, Süddeutsche Zeitung, Dienstag, den 19. November 2013, Seite 11
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