Wenn Ikea nicht mehr Schwedisch spricht: Möbelriese sorgt für Eklat in Finnland Thomas Paterjey Je

Nov 29, 2024 18:21

Wenn Ikea nicht mehr Schwedisch spricht: Möbelriese sorgt für Eklat in Finnland

Thomas Paterjey

Jede Ikea-Filiale ist wie ein kleines Stückchen Schweden. Schon das Kinderparadies heißt Småland - wie die Provinz in Südschweden. Im Restaurant gibt‘s klischeegetreu Köttbullar. Und man wird freundlich mit „Hej“ begrüßt. Übergroß steht das Wort auf Werbetafeln. Das Logo des Möbelriesen ist blau-gelb, wie könnte es anders sein?

In Finnland jedoch scheint Ikea seine schwedischen Wurzeln geradezu zu verleugnen. Das jedenfalls finden die schwedischen Muttersprachler in dem nordeuropäischen Land - und sie machen ihrem Ärger über Ikea lautstark Luft.

Der Anlass für die Kritik wirkt zunächst eher unscheinbar: Es geht um die kleinen Preisschildchen in der Möbelausstellung. Ein weißes Stück Papier in einer Klarsichtfolie, mit einem Plastikfaden am Ausstellungsstück befestigt. Auf dem Etikett stehen neben der Namen des Artikels und des Designers natürlich der Preis und meist auch, aus welchem Material das Produkt hergestellt oder in welcher Größe und welcher Farbe es sonst noch erhältlich ist.

Bisher gab es diese Informationen in Finnland sowohl auf Finnisch als auch auf Schwedisch. Denn die Republik ist offiziell zweisprachig. Laut Statistikbehörde Tilastokeskus waren zum Jahreswechsel 2023/24 exakt 286.030 der Bürgerinnen und Bürger schwedische Muttersprachler. Das entspricht 5,1 Prozent der Bevölkerung. Doch ausgerechnet die schwedische Firma Ikea beginnt im Juli dieses Jahres damit, ihre Preisschilder auszutauschen. Und plötzlich gibt es all die Informationen nur noch auf Finnisch.

Die größte schwedischsprachige Tageszeitung Finnlands, „Hufvudstadsbladet“ (HBL), greift das Thema auf - und schon rollt eine große Welle der Empörung heran. Bisher, so liest man, habe es doch gut geklappt, die zweisprachigen Schilder habe es doch immer schon gegeben.

1996 hatte Ikea seine erste Finnland-Filiale in Espoo unweit der Hauptstadt Helsinki eröffnet. Deren Chefin, Camilla Weurlander, müht sich rasch, die Wogen zu glätten. Es sei nicht die Absicht des Unternehmens, schwedischsprachige Kunden schlechter zu behandeln, zitiert sie das HBL. Alle Produktinformationen gebe es auch weiterhin auf Schwedisch - nur eben, ganz modern, rein digital. Wie genau das aussehen wird, daran arbeite man noch.

Auf der finnischen Ikea-Website jedenfalls wird man nicht fündig. Die ist zwar bereits zweisprachig, allerdings gibt es neben Finnisch hier nur Angaben in englischer Sprache. Für weitere Informationen in Schwedisch bleibt derzeit nur der Besuch der Ikea-Homepage des Nachbarlandes.

Das kann die empörte schwedische Volksseele nicht beruhigen. Leserbriefschreiber sorgen sich ganz grundsätzlich um das Standing des Schwedischen in der finnischen Gesellschaft. In anderen Ländern, etwa Belgien oder der Schweiz, klappe es doch auch mit der Mehrsprachigkeit. Finnland jedoch verliere mehr und mehr sein schwedisches Erbe, beklagen sie.

Fragt man die Finnlandschweden, wie die Gruppe der schwedischen Muttersprachler auch genannt wird, sehen sie sich nicht als Minderheit. Finnland, das sei ein zweisprachiges Land, so wird betont. Und rein rechtlich ist es das auch: Schon die erste Verfassung aus dem Jahr 1919 definiert Finnland als solches. Schwedisch ist eine der beiden Nationalsprachen - auch heute noch. Die Verfassung Finnlands sowie die Sprachgesetze garantieren das Recht, sich wahlweise in Finnisch oder Schwedisch an Gerichte oder andere Behörden zu wenden und auch in der entsprechenden Sprache eine Antwort zu bekommen.

Die Stellung der Sprache der Finnlandschweden geht damit über die von anderen Minderheiten hinaus: Auch die Sprachen der Sami oder der Roma werden in Finnland zwar gesetzlich geschützt, aber sie haben nicht den Status als „staatstragende Sprache“ wie das Schwedische. Alle Gesetzestexte werden ins Schwedische übersetzt und neben der finnischen Sprachversion vom Parlament verabschiedet, sodass die Rechtsakte auch im schwedischen Wortlaut rechtsgültig sind.

Historisch gesehen war Schwedisch lange Zeit die einzige Amtssprache des Landes. Denn bis 1809 war Finnland integraler Teil des schwedischen Königreichs. Unter russischer Zarenherrschaft erhielt das Finnische 1863 erstmals den Status einer Amtssprache, mit der Sprachenverordnung von 1902 wurde es dem Schwedischen gleichgestellt. Insbesondere im Bereich der Hochschulbildung behielt das Schwedische jedoch noch für Jahrzehnte seine dominante Stellung.

Tatsächlich schwindet die Bedeutung der schwedischen Sprache in Finnland aber seit Jahren. Erst im April dieses Jahres erschien eine Studie, nach der die Schwedischkenntnisse finnischer Jugendlicher immer schlechter werden. Und das, obwohl Schwedisch in allen finnischen Schulen noch immer ein Pflichtfach ist. Seit 20 Jahren jedoch muss die Abschlussprüfung nicht mehr verpflichtend in beiden Sprachen abgelegt werden. Nur noch ein Drittel der finnischsprachigen Kinder wählen der Studie zufolge diese Option.

Die Namen von Ikea-Produkten können selbst für Schweden seltsam klingen. Bei der Namensfindung gibt es komplizierte Regeln, die laut Ikea jedoch immer befolgt werden müssen. „Der Wahnsinn hat Methode“, heißt es beim Möbelkonzern dazu. Zurückgehen soll die Nomenklatur auf Gründer Ingvar Kamprad, der seinen günstigen Produkten so eine Seele, einen emotionalen Wert, geben wollte. Sofas und andere Wohnzimmermöbel tragen demnach schwedische Ortsnamen. Möbelstücke außerhalb des Wohnbereichs, also zum Beispiel Schreibtische, bekommen Männernamen. Für Leuchtmittel nutzt Ikea Begriffe, die sonst in der Musik, Meteorologie oder Chemie verwendet werden. Bei Küchenartikeln beschreibt der Name die Funktion des Gegenstands - „snitta“ etwa ist das schwedische Verb „schneiden" und damit der perfekte Name für ein Messer. Die Namen dürfen zwischen vier und zwölf Buchstaben lang sein, sagt Ikea-Produktchefin Christina Berg-Overgaard. „Und gerne mit einem der Sonderzeichen Å, Ä oder Ö.“ Der Name eines Produkts darf aber kein Familienname sein - und nicht schon von einer anderen Firma als Markenname genutzt werden.

Dass nun Ikea als schwedische Firma das Schwedische in Finnland zurückfährt - für viele der schwedischen Muttersprachler wirkt das wie ein Verrat an der gemeinsamen Geschichte der beiden Nachbarländer. Ikea, das sei für ihn doch immer ein Stück Schweden in Finnland gewesen, verleiht ein enttäuschter Kunde in der schwedischsprachigen Zeitung „Österbottens Tidning“ seinem Schmerz Ausdruck. „Dass Ikea künftig weniger aufs Schwedische setzt“, fügt er an, „das fühlt sich an, als würde das Unternehmen seinem schwedischen Erbe den Rücken kehren.“

Solche Aussagen sitzen. Dass das Thema viele Kunden emotional so sehr aufwühlt, habe man unterschätzt, sagt Timo Hulmi, CEO von Ikea Finnland. Gerade die schwedischsprachigen Kunden seien für seine Firma sehr wichtig, erklärt er in einem offiziellen Pressestatement. „Und ihre Reaktion hat uns auch gezeigt, wie wichtig Ikea für sie ist.“

Deshalb hat der Konzern am Ende klein beigegeben. Die zweisprachigen Etiketten kommen zurück. Die Perspektive der schwedischen Muttersprachler und die symbolische Bedeutung ihrer Sprache habe man nicht genug bedacht: „Ikea hatte die Tragweite seiner Entscheidung nicht erkannt“, sagte Hulmi unumwunden im Gespräch mit der großen liberalen schwedischen Tageszeitung „Dagens Nyheter“.

Die Rückkehr der zweisprachigen Schilder sei nun eine gewaltige Aufgabe, unterstreicht der finnische Ikea-Chef. Denn es gehe um viele physische Schilder, die wieder angebracht werden müssen. „Ich möchte betonen, dass es in einem Kaufhaus Zehntausende von Preisschildern gibt. Es wird also Zeit brauchen.“

RND 26.11.2024

sprache, schweden, finnland

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