Sep 02, 2024 15:28
Das Ende der Netflix-Ära: Warum das Streaming-Paradies nur eine Illusion war
Natürlich war Videostreaming früher besser. Dabei war die Zeit, in der Netflix nur 3 Euro pro Kopf kostete, eine reine Illusion, die nie auf Dauer funktioniert hätte, findet unser Autor.
Von Nils Bolder
Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich noch wüsste, wie das mit Netflix angefangen hat. Das Einzige, woran ich mich erinnern kann, war, dass es ungefähr 2015 war und ich auf einmal in einer der berühmten 4-er Gruppen war, die sich alle einen Account teilen. „Das kostet nur 3 Euro“, der Verkaufs-Pitch des Freundes brauchte nicht viel Überzeugungsarbeit.
Bekannte Blockbuster und Serien, dazu gab es noch gewagte Eigenproduktionen wie Bojack Horseman oder Black Mirror. Auch Produktionen, die nicht aus der Netflix-Schmiede stammen, wie Sherlock oder Suits habe ich durch den Streamingdienst entdeckt. Fast wöchentlich habe ich meinen Freund:innen neue Serien und Filme empfohlen. Doch heute mache ich das eigentlich gar nicht mehr. Die beste Zeit des Streamings ist vorbei. Doch selbst die „guten Zeiten“ standen schon auf wackeligem Fundament.
Schon alleine die Auswahl der Streamingdienste hat dem Schauen von Serien den Spaß genommen. Neben Netflix gibt es nun Disney Plus, Paramount Plus oder Amazon Prime. Und auch die deutsche Fernsehlandschaft ist mit Wow, Join und RTL Plus ins Streaming-Geschäft eingestiegen. „Hast du schon Ted Lasso gesehen? Super Serie!“ - „Nein, wo gibts die?“ - „Apple TV Plus“ - „Das hab ich nicht“. Unterhaltung beendet. Die große Auswahl verhindert, dass sich möglichst viele Menschen über die Serie oder den Film austauschen können.
Zusätzlich lähmt das große Angebot. Es ist alles einfach zu viel Content. Statt die eine gute Serie zu sehen, verbringen viele ihre Zeit in den Menüs, um den geeigneten Film zu finden. Mittlerweile gibt es sogar Apps, die Nutzer:innen bei der Suche nach Unterhaltung helfen wollen. Das zeigt, wie sehr sich das kollektive Bingen mit der Zeit immer weiter aufgestückelt hat.
Sollte doch eine Serie zum Talk-of-the-Town werden, kommt das zweite große Problem vom Streaming-Markt zum Vorschein: die Preise. Account-Sharing ist schwieriger denn je und die monatlichen Kosten steigen. Wer Netflix wie vor neun Jahren genießen möchte, muss ganze 14 Euro zahlen. Mit nerviger Werbung kostet es nur 5 Euro. Disney Plus gibt es ab 6 Euro, Apples Streamingdienst kostet 10 Euro im Monat. Zusammengerechnet kann man für alle Streamingdienste bis zu 73 Euro zahlen - im Monat.
Doch hier kommt das gemeine Argument. Uns hätte allen von Anfang an klar sein müssen, dass sich das Modell Streaming nicht hält. Zwar wirft Netflix seit einigen Jahren Gewinne ab. Das Unternehmen hat allerdings trotzdem knapp 14 Milliarden Dollar Schulden. Auch Disney Plus ist erst seit Kurzem im - nun ja - Plus angekommen und schreibt erst seit diesem Jahr schwarze Zahlen. Genauso ist Paramount Plus erst frisch aus den Negativzahlen. Das heißt: Die Preise steigen auch in Zukunft wohl weiter und es wird noch mehr Werbung geben.
Dass die Convenience am Anfang am besten ist, zeigen auch viele andere Branchen. Genau so hatte Youtube damals weniger Werbung und kein Premium-Modell. Bei Lieferdiensten sind über die Jahre hinweg ebenfalls die Preise gestiegen. Denn um als Produkt interessant zu sein, muss es als Erstes einen Mehrwert bieten - mit dem Vorwissen, dass dieser immer mehr und mehr sinken wird.
Die „guten alten“ Tage des Videostreamings sind also nichts mehr als eine Illusion einer besseren Lösung gewesen. Ein Versprechen, das schon von Anfang an nicht gehalten werden konnte. Die einzige Alternative, die wir heute haben, ist auf die nächste große Idee zu warten, die uns wieder mit dem großen Versprechen nach Convenience ein paar gute Jahre bescheren kann.
T3n 31.8.2024
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