Aug 10, 2023 13:49
Die neuen Bestseller-Autoren sind keine Menschen: KI überschwemmt Amazon
Von: Felix Leitmeyer
Künstliche Intelligenz schreibt mittlerweile Bücher. Auf Amazon sollen die es gar in eine Bestsellerliste geschafft haben. Autoren fordern den Handelsriesen zum Handeln auf.
Ein erfolgreiches Buch zu schreiben, ist nicht leicht. Die typischen Sorgen von Autoren dürften Wesley Chu, der es bereits auf die New-York-Times-Bestsellerliste geschafft hat, und Indie-Schreiberin Caitlyn Lynch sicher nicht unbekannt sein. Dass sie aber ernsthaft damit gerechnet haben, dass ein Roboter ihnen als Autor Konkurrenz macht - eher unwahrscheinlich.
Genau das passiert nun: Künstliche Intelligenz versucht sich im Schreiben. Sie publiziert angeblich ganze Bücher. Und solche sollen zeitweise sogar eine Bestseller-Liste für junge Erwachsene von Amazons Kindle Unlimited überschwemmt haben, wie die beiden genannten Autoren auf Twitter feststellten.
Dabei laden die Titel der angeblichen KI-Schmöker nicht unbedingt zum Lesen ein. Eine Kostprobe: „Aprikosen-Strichcode-Architektur“ oder „Jessicas Aufmerksamkeit“, beides Bücher, die das Nachrichtenportal „Vice“ nennt. Im Original sind sie auf Englisch. Auch ihr Inhalt ergibt offenbar wenig Sinn. Ersteres wird im Netz wie folgt angepriesen: „Schwarzer Spitzenpyjama, sehr kurzer Rock, das Wichtigste ist, dass dieser Spitzenpyjama jetzt ganz nass ist.“
Trotzdem sollen Titel wie diese sogar menschliche Schreiber von den Spitzenplätzen einer Bestsellerliste verdrängt haben. Am 26. Juni schrieb Autorin Lynch auf Twitter: In der Top-100-Bestsellerliste für den E-Book-Bereich „Teen und Junge Erwachsene: Zeitgenössische Romantik“ erkenne sie nur „19 tatsächlich legitime Bücher“. Autor Chu teilte einen Screenshot, der ein ähnliches Bild der Bestsellerliste zeigt.
Für Lynch ist das Grund, Alarm zu schlagen: „Die KI-Bots haben Amazon zerstört“. Und weiter: „Das wird absolut das Todesläuten für KU sein, wenn Amazon das nicht abschaffen kann.“
Mit KU meint sie das Geschäftsmodell von Kindle Unlimited, ein Abo-Service von Amazon. Für eine monatliche Gebühr können Nutzer so viel lesen, wie sie wollen. Die Autoren werden über das sogenannte KENP-System bezahlt. Das steht für „Kindle Edition Normalized Pages“ und meint: Je mehr Seiten eines Buches gelesen werden, desto mehr Geld gibt‘s für den Autor.
Was Lynch wohl Sorgen macht: Wenn KI-Bücher die Charts dominieren, könnten sie selbst potenzielle Leser schlechter erreichen. „Die KENP-Auszahlung wird sich halbieren und die Autoren werden ihre Bücher scharenweise zurückziehen“, schreibt sie.
Und: Lynch vermutet offenbar, dass KI-Bücher zum sogenannten „Clickfarming“ genutzt werden könnten. Bei diesem werden Klicks oder Seitenaufrufe künstlich erhöht, oft durch automatisierte Bots oder bezahlte Personen. „Ich dachte ehrlich gesagt, Amazon hätte die Klick-Farmen im Griff“, schreibt die Autorin. „Offensichtlich nicht.“
Amazon ergreift Maßnahmen
Ob Lynchs Sorgen berechtigt sind, ist zum jetzigen Zeitpunkt unklar. Immerhin sorgt Amazon jedoch offenbar für Maßnahmen. „Wir haben klare inhaltliche Richtlinien, die regeln, welche Bücher zum Verkauf angeboten werden können, und gehen bei Bedenken jedem Hinweis zügig nach“, erklärt eine Amazon-Sprecherin auf Anfrage von Ippen Digital. Vonseiten der Firma heißt es, alle dort verkauften Bücher müssten geistigen Eigentumsrechten und allen anwendbaren Gesetzen entsprechen. 2022 habe Amazon 1,2 Milliarden US-Dollar investiert, um Kunden vor Betrug zu schützen, 15.000 Mitarbeiter seien dafür zuständig.
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In der Tat schreibt „Vice“, einige solcher Bücher seien bereits kurz nach den Tweets der Autorin Lynch nicht mehr auf der Bestsellerliste aufgetaucht. Aber: Auf der Website seien sie länger suchbar gewesen.
Eine Recherche Ende Juli lässt hingegen hoffen. Sie zeigt: Etwa das besagte Buch „Aprikosen-Strichcode-Architektur“ ist nicht mehr verfügbar. Auf Amazons Buchplattform „Goodreads“ heißt es dazu: „Dieser Artikel entspricht nicht unseren Katalogrichtlinien und kann daher nicht mehr bewertet oder beurteilt werden.“
Konsequenzen für Autoren und Verlage unklar
Amazon geht also offenbar gegen das Problem vor. Doch KI-Bücher werden sicherlich in Zukunft besser werden - und vielleicht nicht mehr so leicht zu enttarnen sein, wie wirre Titel im Stil von „Aprikosen-Strichcode-Architektur“. Textgeneratoren wie ChatGPT lernen schließlich schnell. So sind die Auswirkungen der KI-Bücher auf das Verlagswesen noch nicht absehbar. Grundsätzliche Fragen zur Rolle der KI in der Kreativindustrie bleiben offen.
Und die müssen sich wohl auch Firmen wie Amazon stellen. Etwa, ob Menschen KI-generierte Bücher missbrauchen, um durch Clickfarming Geld zu verdienen, kann nicht abschließend beantwortet werden. Falls sich der Vorwurf von Autorin Lynch erhärten sollte, könnte das möglicherweise die Effektivität des zuständigen Amazon-Kontrollmechanismus infrage stellen. Was es noch schwieriger machen könnte, als Autor von kreativem Schreiben zu leben. Leicht ist das schon heute nicht - auch ohne Konkurrenz durch Künstliche Intelligenz.
FR 8.8.2023
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