Warum China den "deutschen Weg" einschlagen will Fabian KRETSCHMER Kostenlose Bildung, Ingenieursk

Aug 23, 2021 17:13

Warum China den "deutschen Weg" einschlagen will

Fabian KRETSCHMER

Kostenlose Bildung, Ingenieurskunst, Produktion: Pekings Wirtschaftsplaner wenden sich vom amerikanischen Weg ab und orientieren sich an Deutschland.

In der Volksrepublik ist eine rege Debatte über wirtschaftliche Modelle ausgebrochen. Angestoßen wurde sie von Chen Li vom chinesischen Finanzdienstleister Soochow Securities. Dieser behauptete in einer auf sozialen Medien viel geteilten Präsentation, dass Chinas Regierung sich vom „amerikanischen Weg abwenden“ und sich künftig am Beispiel Deutschlands orientieren würde.

Mehr noch: Nur unter diesem Prisma könne man Pekings flächendeckende Regulierungen der letzten Monate verstehen, argumentieren Ökonomen. Chinas Staatsführung ging in den letzten Wochen mit neuen Gesetzen und saftigen Geldstrafen gegen etliche Branchen vor, angefangen vom Fintech-Bereich über E-Commerce bis hin zum Nachhilfesektor.

Auf den ersten Blick mag eine solche Analogie befremdlich erscheinen. Zu sehr unterscheiden sich die politischen Systeme in Peking und Berlin. Doch wirtschaftlich lassen sich sehr wohl Parallelen ziehen. Die offensichtlichsten liegen auf der Hand: Dass China bei der Ausarbeitung des neuen Kartellrechts deutsche Experten konsultiert hat. Oder dass Peking seinen Technologieplan „Made in China 2025“ fast originalgetreu vom deutschen Konzept „Industrie 4.0“ übernommen hat. Nicht zuletzt sollen auch in der Volksrepublik künftig mittelständische Unternehmen gestärkt werden.

Tatsächlich sehen Chinas Parteikader den amerikanischen Weg, symbolisiert durch das Silicon Valley, mittlerweile mit einer gehörigen Portion Skepsis. Auch wenn die USA in den letzten Jahrzehnten hocherfolgreiche technologische Innovationen hervorgebracht haben, blieben diese doch vornehmlich auf den Kommunikations- und Unterhaltungsbereich beschränkt: Facebook, Google und Twitter. Konzerne, die unser Leben angenehmer und bequemer machen, aber in den Augen der Kommunistischen Partei keinen substanziellen Mehrwert für das Gemeinwohl generieren.

„Wir wollten fliegende Autos, stattdessen bekamen wir 140 Zeichen“, resümierte der deutsch-amerikanische Investor Peter Thiel bereits 2014 über die ernüchternden technologischen Errungenschaften des Westens. Doch in China strebt man genau jene „fliegende Autos“ an: Man möchte Halbleiter produzieren und Batterien von Elektro-Autos. Dienstleistungen stehen nur an zweiter Stelle.

Vor allem sieht man es als Fehler an, dass die USA ihre industrielle Basis vollständig ins Ausland ausgelagert haben. In Deutschland hingegen macht nach wie vor das verarbeitende Gewerbe 18 Prozent der Wirtschaftsleistung aus, in den Vereinigten Staaten nur 11 Prozent. In China liegt der Wert sogar bislang bei 25 Prozent - und soll laut den Plänen der KP stabil gehalten werden.

Doch auch im Bildungsbereich orientiert sich Peking künftig stärker an der Bundesrepublik: das duale Ausbildungssystem mit Berufsschulen soll schon bald flächendeckend übernommen werden. Die „Verschmelzung von Industrie und Bildung“ möchte die Kommunistische Partei anstreben, wie es in einem aktuellen Gesetzesentwurf heißt.

Auf Chinas sozialen Medien wird das Thema durchaus kontrovers diskutiert. “Gibt es ein Land auf der Welt mit einer entwickelten Volkswirtschaft, niedrigen Mietpreisen und einem extrem hohen Lebensstandard seiner Arbeiter? Wenn ja, dann muss es Deutschland sein“, heißt es in einer vielbeachteten Analyse auf dem Medium Sina: „Deutschland hat die drei Grundprobleme gelöst, die chinesische Familien bereits seit einer langen Zeit plagen: den Wohnmarkt, den Bildungsbereich und das Gesundheitssystem“.

Die meisten Chinesen beneiden die kostenlose Bildung in Deutschland, die weitestgehend kostenlose Gesundheitsversorgung, den im internationalen Vergleich leistbaren Mietmarkt und den flächendeckenden Wohlfahrtsstaat. Doch der Autor sieht auch die Schwächen des deutschen Modells, allen voran den Mangel an neuer Technologie: „In Bezug auf Innovation und Unternehmertum haben wir Deutschland bereits weit überholt“. Letztendlich solle man die Stärken sowohl der deutschen als auch der US-amerikanischen Wirtschaft verbinden und einen dritten Weg beschreiten: den chinesischen Weg.

Lux Wort 24.8.2021

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