Apr 22, 2021 13:39
Römische Villa in Yorkshire : Die Spuren des Adlers
Andreas Kilb , Feuilletonkorrespondent in Berlin. F.A.Z.
Nahe der nordenglischen Stadt Scarborough ist eine römische Villa ausgegraben worden. Zu ihr gehörte ein Rundbau, der den Archäologen Rätsel aufgibt. Wurde er als christliches Gebetshaus genutzt? Das wäre eine kleine Sensation.
Unter den römischen Provinzen in Westeuropa nimmt Britannien eine Sonderstellung ein. Anders als in Gallien oder auf der Iberischen Halbinsel schlug die Kultur des Imperiums dort nur oberflächlich Wurzeln, und als im fünften Jahrhundert germanischstämmige Einwanderer auf die Insel drängten, war sie nicht stark genug, um sich gegen die Neuankömmlinge zu behaupten.
Die Folgen haben Historiker wie Peter Heather und Bryan Ward-Perkins in dramatischen Sätzen geschildert: Alphabetisierung und Lebensstandard gingen zurück, die Infrastruktur verfiel, die Bevölkerung schrumpfte, selbst einfache Kulturtechniken wie die Töpferscheibe wurden vergessen. Ende des fünften Jahrhunderts lagen sämtliche Römerstädte bis auf einige Stützpunkte im heutigen Wales in Ruinen, aus Britannien wurde das Land der Angelsachsen.
Die britische Archäologie bemüht sich seit langem darum, diesen Prozess in allen Einzelheiten nachzuzeichnen, um seine Dynamik besser verstehen zu können. Aus diesem Grund ist die Entdeckung einer römischen Villa in der Ortschaft Eastfield bei Scarborough im nördlichen Yorkshire, die in der vergangenen Woche gemeldet wurde, ein überaus bedeutender Fund. Die Ausgrabung schließt nicht nur eine Lücke in der Kette antiker Fundstätten zwischen dem Hadrianswall und den Ballungsräumen der römischen Herrschaft in Südengland, sie erschließt auch einen gänzlich neuen Aspekt in der Entwicklung der beiden Teilprovinzen, deren nördliche, Britannia Superior, vom frühen dritten Jahrhundert an vom nahen Eboracum (York) aus regiert wurde.
Auf den Grabungsfotos erkennt man die Fundamente einer palastartigen Anlage mit Vorhalle, Badehaus und Speicherräumen, die von einer kreisrunden Struktur mit angrenzenden quadratischen Seitenkammern dominiert wird. Von oben betrachtet, erinnert der Gebäudeteil an ein Malteserkreuz. Die Archäologen lesen ihn als Turmkonstruktion mit Anbauten, er könnte aber auch eine Kuppelhalle gewesen sein, die womöglich zu religiösen Zwecken, etwa als Gebetsraum, genutzt wurde.
Dies würde der Villa von Eastfield nationale Bedeutung verleihen. Bislang nämlich wurde nur eine einzige spätrömische Anlage mit Hauskapelle und christlichen Fresken in Lullingstone in Kent gefunden. Unter einer der Seitenkammern der Halle haben sich Reste einer Fußbodenheizung mit Hypokausten erhalten. Das spricht dafür, dass der Rundbau wenigstens in der spätesten Nutzungsphase eine zentrale Funktion für das gesamte Gebäude hatte.
Das Wirtschaftssystem der römischen Gutshöfe, das zumal im dritten und vierten Jahrhundert nach Christus das Rückgrat einer zunehmend vom Rest des Imperiums abgekoppelten Provinzökonomie bildete, zerfiel nach dem Abzug der letzten Legionäre im Jahr 406. Die Villen wurden aufgegeben, ihre Bausubstanz von der nachrömischen Gesellschaft als temporäres Quartier oder Steinbruch genutzt. Dass bis zu jener Zeit so hoch im englischen Norden eine große herrschaftliche Anlage existierte, lässt sich nur durch die Nähe zum sechzig Kilometer entfernten Militär- und Verwaltungszentrum York erklären.
Dort starben zwei römische Kaiser - Septimius Severus 211, Constantius, der Vater Konstantins des Großen, im Jahr 306 -, und dort sicherte bis zu ihrem Abzug die Legio IV Victrix die nördliche Reichsgrenze. In Eastfield wird jetzt anstelle der geplanten Wohnbebauung ein Park über den römischen Fundamenten entstehen. Ihre Umrisse sollen darin durch Steine und Pflanzenwuchs nachgebildet werden. So bleibt die Spur des Adlers erhalten.
Quelle: F.A.Z. 19.4.2021
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