Baugemeinschaft ohne Chef Die frühe Maya-Gesellschaft verzichtete bei der Konstruktion der heute we

Jun 14, 2020 20:01

Baugemeinschaft ohne Chef

Die frühe Maya-Gesellschaft verzichtete bei der Konstruktion der heute weltberühmten Anlage Aguada Fénix auf jegliche Eliten

Der Riesenbau, den die Maya einst im Süden Mexikos nahe der Grenze zu Guatemala anlegten, ist allein aufgrund seiner Dimensionen beeindruckend. Hier wurde mehr Material bewegt als beim Bau der großen Pyramide von Gizeh, mehr als vier Millionen Kubikmeter Erde wurden aufgeschüttet. Bis zur Ankunft der spanischen Eroberer gab es kein größeres Bauwerk in Mittelamerika. Doch damit nicht genug: Die 2017 entdeckte Anlage Aguada Fénix ist nicht nur das größte, sondern mit etwa 3000 Jahren auch das älteste Monumentalbauwerk der Maya, wie ein internationales Archäologen-Team kürzlich in Nature berichtete. Anders als viele berühmte Maya-Bauten besteht die wohl für Zeremonien genutzte Plattform nicht aus Stein, sondern aus Lehm und Erde.

Jeweils zwei mächtige Rampen führen von Norden und von Süden 15 Meter auf die monumentale Hochebene hinauf. In der Mitte ist sie Richtung West und Ost noch um kleinere Plateaus erweitert, sodass der Bau wie ein dickes Kreuz in der Landschaft liegt - allein die Hauptachse ist 1413 Meter lang und 399 Meter breit.

Entdeckt haben die Forscher um Takeshi Inomata von der University of Arizona in Tucson die Anlage, als sie Lidar-Daten der Grenzregion zu Guatemala auswerteten. Bei dieser Technologie überfliegen ein Flugzeug oder eine Drohne das Untersuchungsgebiet, senden dabei Laserpulse aus und werten die reflektierten Signale aus. So entsteht eine Art topografische Karte der Oberfläche. Die Lidar-Technologie kann Strukturen aufspüren, die von der Vegetation überdeckt sind. Vor einigen Jahren haben Forscher so die antike Metropole Angkor Wat in Kambodscha sichtbar gemacht. Auch verschiedene Anlagen der Maya oder der benachbarten Olmeken sind mit dieser Technologie unter dem grünen Dschungeldach entdeckt worden.

Das gewaltige Plateau von Aguada Fénix lag in der landwirtschaftlich genutzten Region Tabasco im Süden Mexikos, also praktisch direkt vor den Augen der Bewohner. „Doch da die Plattform eine so große Ausdehnung hat, sieht sie, wenn man auf ihr läuft, einfach wie eine natürliche Landschaft aus“, sagt Inomata. Überraschend war auch das Alter der Anlage, das die Forscher auf 3000 Jahre datierten. Einige der Rampen entstanden wohl erst rund 200 Jahre später, die Anlage wurde offenbar langsam ausgebaut. Damit ist sie älter als die meisten Maya-Dörfer. Demnach gab es auch bei den Maya zunächst gemeinsame rituelle Handlungen, ehe die Menschen in festen Behausungen sesshaft wurden.

Auf der Plattform selbst fanden die Archäologen zwei zusammenhängende Bauten, die offenbar für astronomische Zwecke errichtet wurden, einen kleinen, pyramidenförmigen Erdhügel und davor ein in Nord-Süd-Richtung verlaufendes kleines Erdplateau. Diese Konstruktion wurde immer wieder auch in anderen Anlagen in der Region genutzt. Damit bestimmten die Maya die Zeitpunkte der Sommer- und Wintersonnenwende. Ging von der Pyramide aus gesehen die Sonne exakt über der nordöstlichen Ecke des kleinen Plateaus auf, war es der längste Tag des Jahres. Ging die Sonne über der südöstlichen Ecke auf, war es der kürzeste Tag des Jahres - und die Tage würden nun wieder länger werden. Die Anlage zeigt, wie wichtig den Maya, die mehr als 2000 Jahre lang große Teile Mittelamerikas beherrschten, ihre astronomischen Beobachtungen waren und welch gewaltigen Aufwand sie dafür betrieben.

Spannend ist für die Forscher dabei ein weiteres Detail. Sie entdeckten auf der Plattform keine der für spätere Anlagen der Maya oder der Olmeken typischen Steinskulpturen, die oft wichtige Personen darstellten. Offenbar sei die frühe Maya-Kultur eher nicht hierarchisch geprägt gewesen, schreiben die Archäologen. Stattdessen habe man ausgerechnet die größte bislang bekannte Monumentalarchitektur gemeinschaftlich gebaut und genutzt. Anders als die Olmeken und spätere Maya-Gesellschaften hatten die frühen Maya demnach noch keine mächtigen Eliten - und waren dennoch in der Lage, Aguada Fénix zu bauen.

Hubert Filser, Süddeutsche 15.6.2020

wesel, sprachgeschichte, anthropologie, archäologie, hab

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