Dec 01, 2008 13:32
Es ist ein Paradoxon, das jeder von Ihnen schon Hunderte und Tausende
Male gelebt hat. Im übertragenen Sinne heißt das, dass es eine
Metaregel gibt, die uns dazu legitimiert zu entscheiden, wie wir mit
Regeln umgehen.
Durchbrechen wir sie, halten wir uns an sie, oder tun
wir nur so, als ob wir uns an sie hielten. Die eigentliche Botschaft
lautet: Tu es, aber tu es heimlich. Oder umgekehrt: Warum tust du das,
du Idiot? Kennst du die Regel nicht? Viel interessanter ist für mich
aber das gegenteilige Paradoxon. Es gibt Dinge, die zwar nicht
verboten sind, aber eine innere Stimme, eben diese Metaregel, die
sagt: Tu es nicht. Das heißt, man verbittet und verbietet sich Dinge,
die man eigentlich tun dürfte, die nicht verboten sind, und erlegt
sich selbst ein Verbot des Tuns auf. Das ist mein Rückschluss auf
Situationen unserer heutigen Gesellschaft. Wir leben in permanenten
Paradoxa.
Wir tun das, was wir tun dürften, nicht, weil wir so
konditioniert sind, und wir umgehen andererseits Regeln, tun aber so,
als ob wir sie gar nicht durchbrechen würden. Ich nenne Ihnen ein
praktisches Beispiel. Es gab in Amerika Schulen, die den Anspruch
hatten, jungen Burschen und Mädchen aus der Unterschicht Manieren der
Oberschicht beizubringen. Die Experimente gingen schief. Man zeigte
den Schülern zwar, wie man sich als Oberschicht zu verhalten habe,
aber man erklärte ihnen die Metaebenen und die Metarollen nicht.
Nämlich, dass die Verhaltensweisen der Oberschicht in ihrer
Kultiviertheit nichts anderes als eine permanente Regelverletzung
sind. Man erklärte die Regeln, aber nicht, wie man damit umzugehen
habe und sie umsetzen solle.
Ein zweites Beispiel. Vor kurzem sagte mir ein Freund aus Japan, dass
die Arbeiter das Recht erkämpft hatten, vierzig Tage im Jahr Urlaub zu
konsumieren. Er sagte aber gleichzeitig: „Niemand aber nimmt in Japan
an, dass die Leute diese vierzig Tage überhaupt ausnützen. Weder die
Arbeitnehmer noch die Arbeitgeber. In der Regel gehen alle Japaner
auch nur zwanzig Tage auf Urlaub." Ich fragte ihn dann: „Und warum
macht man nicht gleich ein Gesetz, das zwanzig Tage Urlaub
vorschreibt?" Er meinte, ich sei ein Idiot, weil ich die japanische
Kultur nicht verstehe. Er hatte vollkommen Recht. Es ist das gelebte
Paradoxon, das ich nicht verstand.
Ein weiteres Paradoxon als
Illustration. Ich bewerbe mich mit meinem besten Freund gemeinsam für
einen Job. Er ist der Erfolgreichere, und er bekommt den Job. Nun
beginnt das paradoxe Ritual. Er sagt zu mir: „Hör zu, du verdientest
den Job eigentlich eher als ich. Du bist einfach besser als ich. Ich
werde das Angebot ablehnen und dich vorschlagen." Er sagt das
natürlich nur in der absoluten Sicherheit, dass sein Freund dieses
Ansinnen ablehnen werde: „Nein danke, nimm diesen Job. Du hast ihn ja
bekommen." Das ist der Nukleus des Paradoxons. Eine bedeutungslose
Konversation, weil die Fakten am Tisch liegen und nur noch das Ritual
das Faktum scheinbar nochmals in Frage stellt. Diese Konversation ist
wichtig, weil sie eine Lücke in der Kette füllt, die Lücke des
sozialen Verständnisses und der Freundschaft. Freundschaft ist ein
permanentes Schließen von sozialen Lücken. Jacques Lacan nennt dies
„Ordnung des Großen Anderen". Es ist die Ordnung der Erscheinungen und
das Gegenteil zur simplen Interpretation von Sigmund Freud. Wir leben
einige Rituale, die uns so erscheinen lassen, wie wir erscheinen. Wenn
man uns die Rituale nimmt, bricht alles zusammen, oder, um mit Lacan
zu sprechen: „Wenn die Ordnung des Großen Anderen zerbricht, zerbricht
alles." An der Oberfläche sind wir Menschen, im Grunde Barbaren, die
den Vater töten wollen, wie Freud es geschrieben hat.
*www.bmeia.gv.at/fileadmin/user_upload/bmeia/media/3.../Broschueren/Broschuere_Das_Sigmund_Freud_Jahr_2006.pdf