Adventskalenderstory 2015: Der Dieb im Rosengarten (Torchwood, pg12, Romanze, het & slash)

Dec 01, 2015 19:04



Adventskalenderstory 2015: Der Dieb im Rosengarten

Autor: Lady Charena (Januar/November 2015)
Fandom: Torchwood
Worte: 20536
Charaktere: Jack Harkness, Ianto Jones, Owen Harper, Toshiko Sato, Myfanwy, OCs
Pairing: Jack/Ianto, Tosh/Owen
Rating: AU, pg12, slash/het

Disclaimer: Die Rechte der in dieser Fan-Story verwendeten geschützten Namen und Figuren liegen bei den jeweiligen Inhabern. Eine Kennzeichnung unterbleibt nicht in der Absicht, damit Geld zu verdienen oder diese Inhaberrechte zu verletzen.

Anmerkung: Dieses Mal habe ich mich an einem komplett alternativen Universum versucht. Kein Torchwood, keine Aliens, kein Hub…

Es ist Winter, es ist grau und kalt, genau die richtige Zeit für ein wenig Kitsch und Romantik und ein oder zwei Liebesgeschichten. Ich verrate es auch niemandem, wenn ihr mitlest… * augenzwinker *

Prolog:

Jack Harkness ist ein Dieb. Ein guter, denn die Polizei verdächtigt ihn nicht einmal, obwohl er eine ganze Reihe von teilweise spektakulären Kunstdiebstählen begangen hat. Oft gibt er seine Beute - gegen großzügigen „Finderlohn“ - an die früheren Besitzer zurück.

Doktor Owen Harper besitzt eine Kunstsammlung, auf die er stolz ist. Der Tod seines Vaters hat ihm die Kontrolle über das Familienvermögen übertragen. Abgesehen von seiner Kollektion scheint er keine Leidenschaften zu hegen und lebt zurückgezogen auf dem Familienbesitz in Wales.

Als Harkness sich - getarnt als Kunstspezialist, der eine Reihe von Artikeln über die Sammlung verfassen mochte - in die Familie einschleicht, interessiert ihn jedoch bald Owens jüngerer Stiefbruder Ianto mehr als die Kombination der Alarmanlage

Ianto Jones findet den vermeintlichen Experten zunächst lästig, dann faszinierend, glaubt dem Amerikaner aber kein Wort. Zu seiner großen Überraschung fühlt er sich trotzdem von ihm angezogen.

Der Computerspezialistin Toshiko Sato - Jacks beste Freundin, gelegentliche Komplizin und vorgebliche Assistentin des Kunstexperten - hat dem Coup zugestimmt, um eines von Harpers Gemälden zu versilbern und den Erlös einem guten Zweck zu kommen zu lassen. Doch überraschenderweise entpuppt sich der Millionär ihr gegenüber als keineswegs so unsympathisch wie erwartet…

Der Dieb im Rosengarten
(Adventskalenderstory 2015)

„Hier, ich will ihn!“ Jack warf eine aufgeschlagene Zeitschrift auf den Tisch.

Tosh hob den Blick von ihrem Laptop und sah ihn über den Rand ihrer Brille hinweg an. „Du weißt, dass ich dir in dein Liebesleben nicht reinrede“, meinte sie mit einem Grinsen.

Jack schnaubte amüsiert und warf sich in den Stuhl, der ihrem gegenüber stand. „Das hat sich aber ganz anders angehört, als ich letzte Woche Andy mit nach Hause nehmen wollte.“

„Oh, bitte.“ Tosh griff nach der Zeitschrift und musterte den Mann, den die aufgeschlagene Seite zeigte. „Du dachtest ja auch, es wäre ein Euphemismus, als er meinte, ob er dir seine Polizeimarke zeigen soll.“

Grinsend verschränkte Jack die Arme im Nacken. „Du musst zugeben, der war richtig süß, mit seinem Rehblick und den roten Haaren und den Sommersprossen. Und falls er verdeckt ermittelt hat, ist er der schlechteste Undercover-Polizist der Welt.“ Er lehnte sich ein wenig vor. „Wenn du ihm nicht fast die Schulter ausgerenkt hättest, wären die Chancen sicher nicht schlecht gewesen, dass wir ihn uns hätten teilen können. Wann hattest du das letzte Mal ein wenig Spaß, der nicht vor dem Computer stattfand?“

„Danke, Jack, sehr großzügig“, erwiderte die Computerspezialistin, die Seite umblätternd, um den zum Bild gehörenden Artikel zu überfliegen. „Aber ich suche mir schon selbst aus, mit wem ich schlafe. Und wann.“ Eine leichte Schärfe lag in ihrer Stimme, schwang in dem warnenden Unterton mit.

Ihre letzte Beziehung, mit einer Frau namens Mary, war daran zerbrochen, dass sie herausfand, dass Mary sie von vorne bis hinten belog. Sie hatte den Kontakt zu Tosh in erster Linie gesucht, um sie dazu zu bringen, Papiere für sie zu fälschen und ihr eine saubere Identität zu besorgen - Mary, oder wie immer sie auch in Wirklichkeit heißen mochte, wurde wegen mehrerer Hackerangriffe auf europäische Banken von Interpol per Haftbefehl gesucht.

Und Tosh mochte zwar manchmal das Gesetz ein wenig beugen, oder es kreativ umgehen, aber sie brach es nicht. Sie war keine Kriminelle. Sie trennte sich umgehend von Mary, und als die weiterhin in ihrer Wohnung auftauchte oder ihr auf der Straße auflauerte, packte Tosh ihren Computer, spülte die SIM-Karte ihres Handys und eine Kette, die Mary ihr geschenkt hatte, die Toilette hinunter und nahm ihre Sachen, um bei Jack einzuziehen. Das lag inzwischen ein halbes Jahr zurück und noch behagte das Arrangement beiden. Auch wenn Tosh ab und zu die Ohrstöpsel auspackte, wenn Jack wieder eine neue Eroberung mit nach Hause brachte. Die Wohnung war großzügig geschnitten, aber die Wände waren nicht besonders dick…

Obwohl Harkness mit allem flirtete, das Beine hatte und nicht bei drei auf dem Baum saß, war das Verhältnis zwischen ihnen inzwischen eher geschwisterlich zu nennen. Ja, sie hatten ein paar Mal miteinander geschlafen, nachdem Jack sie an ihrem zwanzigsten Geburtstag groß ausführte. Aber ihre Freundschaft war ihnen immer wichtiger gewesen. Vielleicht kannten sie sich zu gut und zu lange.



Da hatte es mal einen Jungen gegeben, Tommy... Seinetwegen war Tosh mit knapp sechzehn von Zuhause weggelaufen. Keine drei Monate später war die große Liebe vorbei, als Tommy von einem Richter vor die Wahl gestellt wurde, zum Militär oder in den Jugendknast zu gehen... Erst vor zwei Jahren hatte sie zufällig herausgefunden, dass er im Irak bei einem Sprengstoffanschlag ums Leben gekommen war, kaum einundzwanzig Jahre alt.

Die Wege des sechzehnjährigen, angehenden Computergenies und des Kunstdiebs hatten sich sieben Jahre zuvor in London gekreuzt - Tosh suchte nach der Trennung von Tommy nach einem Unterschlupf, in dem sie darüber nachdenken konnte, was sie jetzt tun sollte. Seine Freunde, mit denen sie zusammen illegal in einem alten Haus gewohnt hatte, wollten nichts mehr mit ihr zu tun haben.

Doch die Wohnung, die sie für leer gehalten hatte und in die sie über ein gekipptes Fenster eingestiegen war - Tommy hatte ihr gezeigt, wie das ging - entpuppte sich als von einem blauäugigen, attraktiven Amerikaner bewohnt. Der wiederum nicht die Polizei rief, sondern ihr ein Bett für die Nacht und etwas zu Essen anbot, ohne dafür - wie er nachdrücklich klarmachte - eine Gegenleistung irgendeiner Art zu erwarten.

Die erste Nacht verbrachte sie dennoch schlaflos auf dem Bett sitzend, vollständig bekleidet, einen Stuhl unter die Klinke gedrückt und ein Springmesser griffbereit unter dem Kissen versteckt.

Irgendwann gegen Morgen war sie dann doch in einen leichten Halbschlaf gefallen, aus dem sie irgendwann eine laute Männerstimme weckte. Nicht die ihres Gastgebers, wie sie rasch erkannte. Tosh konnte nämlich jedes Wort hören.

Offenbar war der andere Mann gekommen, um mit Jack - so hatte sich ihr der Amerikaner vorgestellt - zu frühstücken. Was Jack jedoch mit dem Hinweis, er habe Besuch, ablehnte. Aus der Antwort des anderen Mannes schloss Tosh, dass er sich offenbar mehr als Toast und Kaffee versprochen hatte. Und sie dachte, dass Jacks Mangel an Interesse an ihren weiblichen Reizen (oder was sie in diesem Alter dafür hielt) nichts mit ihrem noch kaum entwickelten Brüsten oder der dickrahmigen Brille oder dem Mangel an anderen weiblichen Rundungen ihrer damals noch schlaksigen Figur zu tun hatte. Später verstand sie, dass Jack weder als schwul, noch als bisexuell einzustufen war - sofern man das überhaupt konnte. Jack liebte Menschen, ohne groß Gedanken an ihr Geschlecht zu verschwenden.

Eine Weile nachdem der andere Mann wieder verschwunden war, klopfte es an die Tür und Jack rief, dass das Frühstück fertig wäre und das Bad frei, wenn sie duschen wolle.

Sie verbrachte drei Tage in seiner Wohnung - aus der Jack tagsüber ohne Erklärung verschwand - zwischen Büchern und Gemälden und einer Sammlung von (in Toshs Augen antiken) Schallplatten. Dann erzählte sie ihm, während sie zusammen auf dem Wohnzimmerboden auf Kissen saßen und Pizza aßen, von Tommy.

Und plötzlich begann Tosh so heftig zu weinen, dass sie Schluckauf bekam und Tomatensoße über ihr Oberteil verschmierte. Es war nicht nur der Liebeskummer, es war auch Heimweh und Reue und die Sorgen, die sich ihre Familie um sie machen musste. Jack ließ sie sich ausweinen, dann holte er ihr ein angefeuchtetes Handtuch und saß neben ihr, während sie sich das Gesicht abwischte und es gegen ihre anschwellenden Augen presste.

Dann fragte er, ob sie bereit war, nach Hause zu fahren. Tosh nickte, das Gesicht rot vor Verlegenheit und dem rigorosen Wegreiben der Tränen. Zwanzig Minuten später umarmte Jack sie zum Abschied am Bahnhof - das erste Mal, dass er sie damals berührte - und winkte, als der Zug abfuhr. Sie dachte später, dass er vielleicht auch einmal vor etwas davon gelaufen war und ihr deshalb nicht in ihre Entscheidung hineingeredet hatte.

Zwei Jahre lang bestand ihr einziger Kontakt zu dem mysteriösen Mann mit den blauen Augen aus Postkarten, die aus allen Ecken der Welt in ihr Jugendzimmer flatterten. Nicht eMails, sondern echte Postkarten aus Papier. Mit bunten Briefmarken und Stempeln in fremden Sprachen. Dann stand Jack eines Tages vor dem Haus, schob grinsend seine Sonnenbrille in die Haare und fragte sie, ob sie ein Eis mit ihm essen gehen wollte. Er könnte ihre Hilfe bei einem kleinen Computerproblem brauchen.

Es war das erste Mal, dass sie ihm half, wenn sie auch nicht ganz genau im Detail wusste, wobei. Aber Jack achtete immer darauf, sie in nichts Illegales direkt zu verwickeln - besonders als Tosh endlich dahinter kam, womit er eigentlich seinen Lebensunterhalt verdiente. Falls man das Stehlen von Kunst und den Rück-Verkauf derselben an ihre ursprünglichen Besitzer (wobei sich Jack auch gerne mal als vermittelnder Anwalt und damit als sein eigener Mittelsmann ausgab) so nennen wollte. Er war nicht Robin Hood, und auch wenn sich der Schaden bei seinen Opfern im Rahmen hielt, verklärte sie ihn nicht. Jack war ein Dieb. Eben nur ein ganz besonderer. Er liebte die Herausforderung, den Nervenkitzel, sich immer wieder neue Dinge einfallen zu lassen und sich neu mit Menschen zu messen, die versuchten die Gemälde vor Menschen wie ihm zu schützen.

Vielleicht sah Jack sie wegen ihres ersten Zusammentreffens eher als kleine Schwester. Und möglicherweise war das auch so am Besten. Tosh würde sich nie als eine von vielen gefallen.

Jacks Beziehungen hielten ohnehin bestenfalls nur ein paar Wochen. Tosh mochte oberflächlich betrachtet nur mit ihrem Computer verheiratet sein, aber sie sehnte sich nach jemanden, mit dem sie ihr Leben in allen Aspekten teilen konnte. Jemand, der sie sah, wie sie war.


„Vielleicht sollten wir uns erst einmal besser eine Weile aus London verdrücken“, meinte Tosh, die Zeitschrift zurück auf den Tisch legend. „Du bist in der Galerie letzte Woche fast erwischt worden. Und diese Polizistin, die hinter dir her schnüffelt… Was hältst du von Urlaub in Paris? Wir könnten den Louvre als Touristen besuchen. Oder wir fliegen irgendwohin, wo immer die Sonne scheint. Raus aus dem Nebel.“

„Was hältst du von Urlaub in Wales?“ Jack tippte mit dem Finger auf den Artikel. „Um auf ihn hier zurück zu kommen.“

„Doktor Owen Harper“, meinte Tosh nachdenklich. Sie hatte sich die unter dem Bild veröffentlichte Kurzbiographie durchgelesen und natürlich war ihr aufgefallen, was Jacks Interesse an dem Mann erklärte. „Hat nach dem Tod seiner Eltern ein Vermögen geerbt und seine Stellung in der Notaufnahme eines Sozial-Krankenhauses aufgegeben, vom fortan das Leben eines Millionaire-Bachelors zu führen. Wie in einer dieser bescheuerten Doku-Soaps. Nur, dass er offenbar Kunst statt Frauenherzen sammelt. Er hat einen jüngeren Stiefbruder, der mit ihm auf dem Familien-Anwesen lebt. Blablabla und so weiter“, las sie vor. „Tatsächliches Vermögen unbekannt, aber es wird von zwanzig Millionen gemunkelt, inklusive Grund und Boden - das Anwesen der Familie ist alleine sieben Millionen Pfund wert. Plus eine Kunstsammlung, die auf mindestens drei Millionen geschätzt wird, obwohl niemand genau weiß, wie viel er wirklich besitzt, weil er oft über Strohmännern und anonym einkauft, um keine künstlich überhöhten Preise bezahlen zu müssen.“ Sie strich mit den Fingern am Rand des Keyboards entlang, als übermittle ihr allein der physische Kontakt mit dem Computer weitere Informationen.

„Das ist es, was mich an Doktor Harper interessiert.“ Jack beugte sich vor, seine blauen Augen leuchteten und Tosh konnte den Schalk darin tanzen sehen. „Genauer gesagt, bin ich daran interessiert, herauszufinden, was er alles besitzt und ihn um seine Lieblingsstücke zu erleichtern. Dann verkaufe ich sie ihm zurück, und ein Teil des Geldes geht an das Krankenhaus, das er so plötzlich im Stich gelassen hatte, als Mummy und Daddy ins Gras gebissen haben.“

„Jack!“, tadelte Tosh, bereits eine Suchmaschine aufrufend, um mehr über Harper zu erfahren. „Vielleicht musste er seinen Beruf aufgeben, weil er geerbt hat. Jemand musste sich doch um das ganze Vermögen kümmern. Sein Bruder konnte das sicher nicht alles alleine übernehmen.“

„Stief-Bruder. Sibylla Jones hat ihren Sohn Ianto mit in die Ehe gebracht, da war er sechs Jahre alt und sie seit vier Jahren Witwe. Owen war schon acht, als der Industrielle Winfield Harper zum zweiten Mal heiratete, und zwar eine schöne, begabte - aber leider völlig mittellose - Theaterschauspielerin.“ Jack zitierte offenbar direkt aus den Klatschspalten der Sensationspresse, die er oft, genüsslich und völlig ungeniert zu seinem Morgenkaffee las.

„Und womit hat dieser Winfield Harper so unverschämt viel Geld verdient?“, fragte Tosh, vom Bildschirm aufsehend. Offensichtlich hatte sich ihr Freund bereits ausgiebig mit der Biographie der Familie beschäftigt.

„Aal in Gelee“, erwiderte Jack genießerisch. „Wirklich, ich nehme dich nicht auf den Arm“, bestätigte er, als seine Freundin ihn überrascht ansah. „Eigentlich haben schon der Urgroßvater und der Großvater von Winfield das Geld verdient, als Glibberfisch in Dosen noch sehr begehrt war, er hat es nur geschickt verwaltet und kräftig vermehrt. Owen hat in den USA Medizin studiert und wurde als einer der jüngsten Chirurgen Großbritanniens gefeiert. Dann ist unerwartet seine Verlobte gestorben, sie litt an einem Gehirntumor, der zu spät entdeckt wurde, wofür er sich die Schuld gab. Er kehrte London den Rücken, um in Cardiff in einer Sozialklinik zu praktizieren.“

„Und sein Bruder? Was macht der?“, fragte Tosh. Sie warf einen Blick auf ihren Laptop, wo ihre Suchanfrage inzwischen Ergebnisse ausgespuckt hatte. Eine Serie von Fotos weckte ihr Interesse. Auf einem Pressefoto, das sie anklickte, waren Ianto Jones und seine Mutter bei einem Empfang oder etwas ähnlichem zu sehen. Im Hintergrund wuchsen blühende Rosensträucher. Sibylla Harper-Jones hielt eine Teetasse in den Händen und sah lächelnd ihren Sohn an, der offenbar gerade eine Bemerkung gemacht hatte, als der Fotograf abdrückte. Der eher unscheinbare junge Mann war im Profil eingefangen und schien nicht bemerkt zu haben, dass er abgelichtet wurde. Er trug etwas, das wie eine Plastiktüte voll mit Plüschtieren aussah. Tosh fragte sich, welche Geschichte wohl hinter diesem Bild steckte…

Jack winkte ab. „Ist eher uninteressant für uns. Er begann Jura zu studieren, hat aber nach einigen Semestern das Handtuch geworfen. Offenbar wollte er auch weder ins Aal-Geschäft einsteigen…“ Jack grinste über seine eigenen Worte. „...noch einen lukrativen Job im Finanzsektor, den ihm sein Stiefvater sicher leicht bei einem Geschäftsfreund hätte verschaffen können. Obwohl er sich so kleidet. Auf den meisten offiziellen Fotos im Internet trägt er einen dreiteiligen Anzug, mit Krawatte. Stattdessen engagiert er sich schon seit der Kindheit mit seiner Mutter für soziale Zwecke. Tee-Trinken für die Dritte Welt, Kuchenverkauf für bedrohte Tierarten und so etwas. Irgendwo habe ich gelesen, dass er noch eine wesentlich ältere Schwester hat, die aber als Teenager mit einem Mann durchgebrannt ist, weil sie mit der zweiten Ehe ihrer Mutter nicht einverstanden war. Offenbar hat sie mit der Familie nichts weiter zu tun. Er hat dann wohl ihre Rolle im sozialen Zirkel übernommen.“


Der Dieb zuckte mit den Schultern. „Seit dem Tod seiner Mutter kümmert er sich alleine um die verschiedene Stiftungen, Charity-Veranstaltungen und Wohlfahrt-Projekte, aber Owen hat den Daumen fester auf der Zuckerdose, als der verblichen Winfield. Ianto Jones arbeitet hauptsächlich mit dem Andenken an Sibyllas glamouröse Vergangenheit auf der Bühne, um Geld zu sammeln. Irgendwo stand, dass er sogar seine Verlobungsfeier mit einer Charity-Auktion verknüpft hat, um für die Opfer irgendeines Erdbebens Geld aufzubringen.“

„Sag nicht, als wäre das etwas Schlechtes.“ Tosh musterte ihn über den Rand ihrer Brille hinweg. „Ich verstecke dein Geld vor dem Finanzamt, also weiß ich auch, was du davon für gute Zwecke spendest.“ Sie wusste nicht viel über Jacks Familie. Nur, dass er wohl noch sehr jung gewesen war, als er seinen kleinen Bruder und seinen Vater verlor. Seine Mutter lebte anscheinend noch irgendwo und sie vermutete, dass Jack ihr in regelmäßigen Abständen Geld zukommen ließ, aber falls er darüber hinaus noch Kontakt zu ihr hielt, hatte Tosh nie etwas davon mitbekommen.

„Ich sage nicht, es ist etwas Schlechtes.“ Jack zog einen Stuhl heraus, drehte ihn um und setzte sich, die Arme auf die Rückenlehne aufstützend. „Aber das klingt doch, als lege er etwas zu viel Wert drauf, in der Presse zu erscheinen.“ Er warf einen Blick auf das Foto, dass noch immer auf Toshs Bildschirm zu sehen war. „Obwohl er auf den zweiten Blick nicht allzu übel aussieht. Wie alt ist er?“

„Ich dachte, du hast dich über die Familie informiert“, meinte die Computerspezialistin und tippte einen Begriff in die Zeile der Suchmaschine oben rechts auf ihrem Bildschirm.

„Nicht ihre Geburtsdaten.“ Harkness grinste. „Ich halte Harper für schlauer, als dass er seinen Geburtstag oder den seines Bruders als Code für die Alarmanlage oder seinen Safe verwendet.“

„Das dachtest du in Marseille auch und dann war der Türcode „1234“ und die Rautetaste.“ Sie lächelte bei der Erinnerung.

„Es war die Hintertür eines Restaurants, nicht die Bank von England“, entgegnete Jack und warf den Kopf in den Nacken in Gelächter ausbrechend. „Aber das Versteck mit der besten Verpflegung aller Zeiten, das musst du zugeben.“

Sie hatten sich dort bis zum Morgengrauen versteckt gehalten und die Küche geplündert, als Jack einen reichen Geschäftsmann um eine kleine Statue erleichterte. Einer der wenigen Raubzüge, an denen Tosh in direkter Rolle und nicht nur als technischer Support beteiligt gewesen war. Es war auch so einfach gewesen. Über eine Tiefgarage, für die Jack eine Zugangskarte „besorgt“ hatte, indem er sich als Parkhilfe ausgab - sie wurde von allen Bewohnern des Luxus-Apartment-Komplexes benutzt - gelangten sie direkt per Aufzug zur Wohnung. Dort schaltete Tosh mit einem Gizmo eigener Erfindung die Alarmanlage aus und sie konnten ungehindert eintreten.

Das war der leichte Teil gewesen. Und der einzige, der nach Plan ging. Denn entgegen dem, was Jack ausgekundschaftet hatte, kamen die Bewohner bereits wenige Minuten nachdem sie die Wohnung betreten hatte, zurück. Später konnten sie in einer Randnotiz in der Klatschspalte lesen, dass sich der Geschäftsmann und seine Frau auf einer Party gestritten hatten - in Hörweite mehrerer anderer Gäste und dem Personal - und verstimmt nach Hause gefahren waren. Und hätten sie die lautstarke Auseinandersetzung nicht auf dem Weg vom Lift zur Tür fortgesetzt, wären Jack und Tosh auf frischer Tat ertappt worden.

So blieb ihnen genug Zeit, in ein kleines Gästebad im Eingangsbereich zu verschwinden. Während Tosh sprichwörtlich „Blut und Wasser schwitzte“, wickelte Jack in aller Seelenruhe die gestohlene Statue in ein Handtuch und befestigte sie in einem dafür speziell gefertigten Gurt mit mehreren aus Klettverschlüssen gefertigten Laschen und Beuteln daran, den er unter der Kleidung quer über die Brust trug. Sicherer und unauffälliger als eine Tasche oder ein Rucksack, fand Jack, auch wenn er bedauerte, dann auf ein sackartiges Oberteil zurückgreifen zu müssen, in dem er etwas mollig aussah. Wirklich, bei solchen Gelegenheiten fand Tosh ihn unerträglich. Sich Sorgen darüber zu machen, wie er bei einem Einbruch aussah!

Das Klacken von Stöckelschuhen außerhalb ihres Verstecks wurde vom Zuknallen einer Tür abgeschnitten. Es war so still in der Wohnung, dass sie hören konnten, dass als nächstes der Kühlschrank geöffnet wurde und kurz darauf brüllte der Fernseher los. Offensichtlich eine Nachricht an die Stöckelschuhträgerin, denn eine Frauenstimme schrie unwiederholbare Schimpfworte, die jedoch kaum gegen die Lautstärke des Fernsehers ankamen.

Sie nutzten den Lärm, um sich aus dem Gästebad zu schleichen, den kurzen Korridor entlang, und ungesehen durch die Wohnungstür zu verschwinden. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, die Alarmanlage wieder einzuschalten.

Allerdings war ihnen klar, dass es kaum sehr lange dauern dürfte, bis der Hausherr das Fehlen der Statue bemerkte - sie hatte ihren Platz sehr prominent neben dem Fernseher, wo sie auf einem kleinen Podest stand.

Und so kam Jack auf die Idee, sich für ein paar Stunden in dem geschlossenen Restaurant zu verstecken. Im Schein einer einzelnen Kerze, denn die grelle Neon-Beleuchtung der Küche hätte sonst wie ein Schild auf ihre Anwesenheit hingewiesen, saßen sie an einem kleinen Holztisch, an dem sonst vermutlich das Personal seine Pause machte.


Während Tosh vollkommen damit zufrieden gewesen wäre, still da zu sitzen und zu warten, schnallte Jack die Statue ab und machte sich daran, die Küche zu durchstöbern. Er hatte Hunger, wie er verkündete, als er den Kopf in einen überdimensionalen Kühlschrank steckte. Wenige Minuten später stand ein komplettes Abendessen auf dem Tisch. Zwei Schalen mit Bohnensuppe, die Jack im Kühlschrank gefunden und in der Mikrowelle aufgewärmt hatte, Brot, Käse und ein Glas mit eingelegten Pfirsichen.

Die ganze Zeit über, in der sie aßen und Jack von einem Ferienjob in einer Küche als Teenager erzählte, lauschte Tosh auf das Heulen von Polizeisirenen - das jedoch ausblieb. Im Morgengrauen verließen sie das Restaurant - Jack legte ein paar Geldscheine neben die Kasse, nachdem sie alle Spuren ihrer Anwesenheit beseitigt hatten, um für das Essen zu bezahlen - und kehrten unbehelligt in ihr Hotel zurück. Zwei Tage Sightseeing später reisten sie nach Paris weiter und nahmen von dort aus den Zug nach London. Wie ganz gewöhnliche Touristen.

Über den Diebstahl der Statue wurde nie in den Medien berichtet, was bewies, dass Jack Recht behielt. Der Geschäftsmann aus Marseille wusste sehr genau, dass die Statue aus einem Museum gestohlen worden war. Und dieses Museum erhielt die Statue auch einige Monate später per Kurier anonym zugeschickt. Den Trip nach Marseille und ein netter kleiner Gewinn sprangen allerdings für Jack auch heraus - er hatte zusammen mit der Statue auch eine Uhr aus dem Sammlung des Geschäftsmannes mitgehen lassen. Ohne schlechtes Gewissen. Wenn die legal erworben war, dann ersetzte die Versicherung den Verlust und falls nicht… nun, vielleicht überlegte er es sich dann in Zukunft zweimal, aus zwielichtigen Quellen zu kaufen.

„Also, was denkst du?“, fragte Jack in Toshs Erinnerungen hinein. Die Arme im Nacken verschränkt, streckte er sich. Sein T-Shirt rutschte hoch und gab einen Streifen gebräunte Haut frei.

„Ich bin heute Nachmittag mit meiner Mutter zum Tee verabredet“, erwiderte die Computerspezialistin nach einem Moment nachdenklich. „Lass mich erst sehen, wie es ihr geht, bevor ich auf unbestimmte Zeit aus London verschwinde. Du hast doch etwas Größeres geplant, oder?“

Wieder tanzte der Schalk in Jacks blauen Augen. „Ich plane mir von Doktor Harper persönlich sein bestes Stück zeigen zu lassen.“ Er grinste als Tosh höflich lächelte, sie war schon lange gegen seine Zweideutigkeiten immun. „Und dann, wenn ich weiß, was das Kronjuwel seiner Sammlung ist, werde ich es ihm abnehmen.“

„Und wie genau hast du dir das vorstellt?“, fragte Tosh skeptisch.

Jack ließ die Arme sinken. „Ich schreibe eine Serie von Artikeln über seine Kollektion. Begleitet von meiner charmanten Assistentin. Hey, im besten Fall hältst du mir seinen Bruder vom Hals, während ich Owen einseife.“ Er zog erwartungsvoll die Augenbrauen hoch, aber Tosh verkniff sich dieses Mal ein Lächeln und deutete ein Gähnen an. „Anspruchsvolles Publikum heute.“ Voll Energie sprang er auf und kickte fast seinen Stuhl um. „Es wird sich für uns beide lohnen. Du kannst die restlichen Arztrechnungen deiner Mutter bezahlen - alle auf einmal“, fuhr er wesentlich ernster fort. Jack wusste sehr wohl, dass das ein Argument war, dem sie kaum etwas entgegenzusetzen hatte. Ihre Mutter hatte zwei Jahre zuvor den Kampf gegen einen Tumor in der Brust gewonnen, aber die Rechnungen aus dieser Zeit belasteten das Budget der Familie immer noch stark. „Und denkst du, es tut Doktor Harper wirklich weh? Der Mann gibt Millionen für Bilder aus, die dann niemand außer ihm zu Gesicht bekommt. Er könnte sie wenigstens einem Museum überlassen.“

„Ich gebe dir heute Abend Bescheid.“ Tosh klappte ihren Laptop zu und nahm die Brille ab. „Er ist übrigens 30 Jahre alt.“

„Wer?“ Jack griff nach der Zeitschrift, wohl um sie zu den anderen zurückzulegen, die in der Küche in einer alten Teekiste ihr Dasein fristeten.

„Ianto Jones. Du wolltest vorhin wissen, wie alt er ist. Auf dem Foto war er allerdings erst 26.“ Sie sah zu ihm hoch, eine schmale Augenbraue leicht erhoben. „Enttäuscht? Zu alt für dich?“, fragte sie spöttisch.

„Definitiv“, erwiderte Jack mit einem Grinsen. „Hey, er ist ja fast so alt wie ich.“ Mit einem Augenzwinkern verschwand er in Richtung Küche.

Tosh lehnte sich zurück. Als wüsste sie nicht, dass ihr Freund den Vierzigern näher als den Dreißigern stand. Ob er das zugeben wollte oder nicht. Sie warf einen Blick auf die Uhr und stand auf, ihre Sachen zusammenpackend. Immerhin hatte sie einen vollkommen legitimen Job, um den sie sich auch noch kümmern musste - sie schrieb freiberuflich Programme und erstellte Sicherheitskonzepte für eine Computerfirma mit Hauptsitz in Dublin - auch wenn er ihr die freie Zeiteinteilung ermöglichte, die sie so schätzte.

Die nächsten Stunden würde Jack ohnehin in seinem kleinen Büro über seinen Plänen brüten, damit alles perfekt war, wenn sie ihm heute Abend ihre Antwort gab. Bei aller Spontaneität in seinem Wesen, wenn es um seine „Arbeit“ ging, überließ Jack nichts dem Zufall.

***



***

Das Treffen mit ihrer Mutter war so gut verlaufen, dass Tosh in bester Laune in die Wohnung heimkehrte, die sie sich mit ihrem Freund teilte. „Jack?“, rief sie, in der Diele ihre Jacke und Tasche aufhängend. „Bist du da?“

„Im Schlafzimmer“, kam es zurück. „Ich packe.“

Tosh folgte seiner Stimme und lehnte sich gegen den Türrahmen, vorsichtig in den Raum spähend. Aus Erfahrung wusste sie, dass es nicht unmöglich war, dass Jack sich nun nicht mehr alleine dort aufhielt, nur weil er es gewesen war, als sie ging. Falls sich niemand unter dem Bett versteckte, war Jack heute allerdings nicht in Gesellschaft. Auf dem Bett selbst - fast militärisch streng ordentlich gemacht - lag ein offener Koffer, in dem sich bereits einige Kleidungsstücke tummelten. „Du bist also fest entschlossen, das Ding durchzuziehen?“

„Natürlich.“ Jacks Stimme kam nun aus dem kleinen Bad, das sich an sein Zimmer anschloss. „Ich habe bereits eine Mail mit meinen Referenzen an Harper geschickt. Und ich ihm angeboten, ihn persönlich zu einem Vorabgespräch an einem Ort seiner Wahl zu treffen, um ihm das Projekt zu erklären.“ Er trat ins Schlafzimmer. „Und du weißt, wie überzeugend, nein, wie unwiderstehlich ich in Person sein kann.“

„Vor allem, wenn du das trägst. Sieht wirklich gut aus an dir.“ Tosh lachte, als sie ihren Freund in einem sehr femininen, geblümten Seidenbademantel mit Rüschen am Kragen sah. „Bisschen eng um die Schultern vielleicht?“

„Der Beweis, dass ich einfach alles tragen kann.“ Jack legte mit kokett schwingenden Hüften eine Drehung hin und rutschte auf seinen nackten Füßen fast aus. Sein Haar klebte feucht um seinen Kopf, nach seiner Dusche noch nicht zurück zu ihrer üblichen Stachligkeit frisiert. „Habe ich gerade unten im Schrank gefunden. Deiner ist das nicht.“

„Definitiv nicht. Willst du ihn mit nach Wales nehmen? Ich bin sicher, du machst damit einen wirklich guten Eindruck bei Doktor Harper.“ Tosh hielt sich in gespielter Verlegenheit die Hand vor die Augen, als Jack den Bademantel auf den Boden fallen ließ und splitterfasernackt durch den Raum spazierte. Scham war ein vollkommen fremdartiges Konzept für Jack Harkness.

„Ich glaube nicht, dass er der Typ für Crossdressing ist.“ Jack lachte während er ein T-Shirt über den Kopf zog. „Obwohl man das vorher nie weiß - ich kannte da mal einen…“

„Wenn ich noch eine deiner Geschichten über frühere Eroberungen höre, dann muss ich zurück zu meiner Mutter ziehen.“ Tosh strich sich eine Haarsträhne zurück, während Jack seinen nackten Hintern endlich in eine Jeans verpackte. Trug der Mann nie Unterwäsche?

Jack drehte sich zu ihr, sich mit den Fingern durch die Haare kämmend. Mit seinem engen weißen T-Shirt und den nicht weniger engsitzenden Jeans hätte er jederzeit als Model für eine Jeansmarke arbeiten können - sah aus wie einer Werbeanzeige in einem Magazin entsprungen. „Du weißt, dass ich über dich keine Geschichten erzähle, oder?“

„Ich weiß.“ Tosh sah weg, als sie den Ernst in seinem Blick entdeckte. „Gehst du noch aus?“, wechselte sie das Thema. Er war definitiv dazu angezogen, jemand aufzureißen. Mehrere jemand, sogar.

„Nein.“ Jack trat zu ihr und legte Tosh den Arm um die Schultern. „Ich dachte, wir verbringen den Abend damit über die Details meines Plans zu gehen. Du musst deine Rolle kennen lernen.“

„Du bist dir also sicher, dass ich mitspiele?“

„Habe ich schon erwähnt, dass ich unwiderstehlich bin?“ Jack küsste sie auf die Schläfe. „Aber zuerst, wie geht es deiner Mutter?“

„Komm in die Küche und ich mache uns Kaffee, während ich dir erzähle, wie gut es Mum geht. Sie fühlt sich sogar wieder fit genug, um als Übersetzerin zu arbeiten. Von Zuhause aus, für einen Verlag. Ich werde ihr einen neuen Computer besorgen.“ Tosh hakte sich bei ihrem Freund unter und sie gingen gemeinsam in die Küche.

***

Jack hatte für die Fahrt einen Mietwagen gebucht. Einen schicken grauen Sportwagen, dessen eleganten Rundungen manchen neidischen Blick in ihre Richtung sandten, aber Tosh fand ihn unbequem. Es war kein Platz für ihren Laptop, noch nicht einmal um mit dem Tablett zu arbeiten und so sah sie sich gezwungen, die Fahrtzeit mit Spielen auf ihrem Smartphone zu verkürzen.

Es hatte wenig Sinn, zu versuchen, sich mit Jack zu unterhalten. Er sah konzentriert nach vorne, die Augen hinter einer Sonnenbrille verborgen, aber es war nicht der Verkehr, der ihn in Anspruch nahm, sondern die Rolle, in die er schlüpfen würde.

Oder eigentlich bereits geschlüpft war. Tosh betrachtete den Mann, der neben ihr saß. Jack hatte seine Jeans gegen eine Anzughose, ein weißes, gebügeltes Hemd und einen blauschwarz gemusterten, ärmellosen Pullover eingetauscht. Auf dem Notsitz lag ein Tweedjackett mit - sie hatte ihren Augen fast nicht getraut - Lederflicken an den Ellbogen und eine Krawatte, deren Muster an das einer Schulkrawatte erinnerte, ohne tatsächlich eine zu sein.

Sie hatte keine Ahnung, ob tatsächlich so jemand aussah, der seinen Lebensunterhalt damit verdiente, über Kunst Artikel zu schreiben, aber Jacks Fähigkeit, einen neuen Charakter zu spielen, schien kaum etwas mit seiner Verkleidungskunst zu tun zu haben. Trotzdem hatte sie die Grenze gezogen, als er mit einer Brille mit Fensterglas ankam, die ihm den Anstrich eines Gelehrten verleihen sollte.

Der Fahrtwind zerzauste Jacks ausnahmsweise glatt zurückgekämmtes Haar - er hatte es extra vor ihrer Abreise schneiden lassen.



Tosh selbst hatte zu weit weniger drastischen Veränderungen gegriffen, aber dann spielte sie ja auch nur die Assistentin und jeder wusste, dass es völlig egal war, wie die sich kleidete. In Angleichung an Jacks Aufmachung trug sie eine simple weiße Bluse und einen knielangen Bleistiftrock in einem ähnlichen Blau, wie Jacks Pullover. Außerdem trug sie ihre Brille statt Kontaktlinsen - sonst trug sie sie nur bei der Arbeit und Zuhause - und hatte ihr Haar zu einem Ponyschwanz zurückgebunden. Sie fand, dass sie professionell und ein bisschen langweilig aussah. Also genau richtig, um in den Hintergrund zu verschwinden. Die Aufzeichnungen in ihrer persönlichen Kurzschrift, die sie mit ihrem Smartphone machen würde, hatten dann aber nichts mit der Kollektion zu tun, sondern mit den Sicherheitseinrichtungen, die sie beobachten würde, während Jack Harper ablenkte.

Das einzige, das Tosh wirklich Sorgen bereitete, war dass sie unter ihrem richtigen Namen reisten. Nun waren sowohl sie als auch Jack auf dem Papier vollkommen unbescholtene Bürger, aber sollte Harper die doch sehr offensichtliche Verbindung zwischen ihrem Besuch und dem Verschwinden seiner Lieblingsstücke ziehen und ihnen die Polizei auf den Hals hetzen, wie sollten sie vermeiden, im Gefängnis zu landen? Sicher, unschuldige Personen fanden sich ständig zufällig am Schauplatz von Verbrechen mit denen sie nichts zu tun hatten und wurden verdächtigt, aber das war vielleicht gut in einem Krimi, um die Spannung aufrecht zu halten, bis die Polizei die wahren Verbrecher geschnappt hatte. Abgesehen davon natürlich, dass sie die tatsächlichen Übeltäter sein würden und es kaum jemand anderen zu schnappen gab.

Es war ein viel zu großes Risiko und das war eigentlich nicht typisch für Jack. Gut, er ging oft ein kalkuliertes Risiko ein - und Tosh vermutete, wenn sie ihn nicht begleitete, war er wesentlich wagemutiger - aber das war fast… unvorsichtig. Sie konnten sich nicht darauf verlassen, dass Harper öffentliches Interesse auch dann scheute, wenn es um ein geraubtes Kunstwerk aus seiner Kollektion handelte. Reiche Männer nahmen es auch nicht gelassener hin, wenn man sie bestahl wie Arme. Ihnen standen im Gegensatz sogar noch mehr Möglichkeiten offen, ihr Eigentum wieder zu beschaffen. Und anders als der Geschäftsmann in Marseille schien Harper seine Kollektion auf legalem Weg erworben zu haben und musste sich deshalb auch nicht scheuen, sich an die Polizei zu wenden.

Tosh seufzte. Nicht, dass sie jetzt noch etwas daran ändern konnte. Doktor Harper hatte Jacks Angebot für ein Vorabtreffen abgelehnt und ihn - und damit auch sie - direkt eingeladen. Auf sein Landgut, das den malerischen Namen Maenor Llyswennod trug.

Zuerst hatte sie angenommen, sich vertippt zu haben, als sie die Übersetzung der walisischen Worte las. Aber offensichtlich bewiesen die Vorfahren Doktor Harpers einen sehr merkwürdigen Humor, als sie ihr Haus „Gut Aal“ nannten. Okay, es deutete auf die Haupteinnahmequelle der Familie hin und es klang auf Walisisch sicherlich viel besser, als in der Übersetzung… Aber sie an Owen Harpers Stelle hätte es längst umbenannt oder den Namen einfach fallen lassen.

Das GPS zumindest kannte weder ein „Gut Aal“, noch die Harpers Lane, an der es lag. Sie mussten sich auf die Wegbeschreibung verlassen, die sie Cardiff dorthin lotsen sollte und die Harper per Mail geschickt hatte. Vielleicht eine Vorsichtsmaßnahme. Vielleicht waren sie nur einfach irgendwo im walisischen Hinterland gestrandet, wo die Uhren noch anders tickten und sich dereinst die Londoner Aal-in-Gelee Produzenten Gutshäuser bauten, um dort Landadelige zu spielen…

***

Da sie in Cardiff übernachtet hatten und sich nur dreimal verfuhren, kamen sie früher bei Maenor Llyswennod an, als erwartet. Als sie die Hauptstraße - oder was sich so nannte - eines kleinen Dorfes verließen und in die Harpers Lane einbogen, läutete eine nahe Kirchenglocke gerade mal zehn Uhr.

Ein paar Meilen später, an einer Abzweigung, die auf der gemailten Karte markiert war und zum Maenor Llyswennod führte, stoppte Jack den Wagen und nahm die Sonnenbrille ab. Er wandte sich Tosh zu, ein abenteuerlustiges Leuchten in den Augen. „Bereit?“, fragte er grinsend.

„Ich würde ja nein sagen, aber ich traue mir nicht zu, von hier aus zurück in die Zivilisation zu finden“, entgegnete Tosh mutiger als sie sich fühlte. „Außerdem muss jemand auf dich aufpassen.“

„Das ist meine Tosh.“ Er drückte ihr Knie, setzte die Sonnenbrille wieder auf und startete den Wagen.

Tosh seufzte und steckte ihr Smartphone in die Handtasche. Zumindest schien die Sonne. Ein perfekter Sommertag in einer Gegend, die als verregnet und kalt bekannt war - das musste doch ein gutes Vorzeichen sein…

***

Offensichtlich umgab eine Mauer das gesamte Gelände. Der weiße Stein reflektierte den Sonnenschein, als Jack die Straße - wesentlich moderner als der holprige Feldweg, dem sie zuvor gefolgt waren - entlang fuhr. Ein doppeltgeflügeltes, schmiedeeisernes Tor tauchte vor ihnen auf. Dahinter waren Bäume und ein gewundener Kiesweg zu sehen, aber noch kein Haus.

Jack stoppte den Wagen neben einer Gegensprechanlage mit Video, die in einem Unterstand aus Plexiglas vor den Elementen geschützt war. Bevor er auf den Rufknopf drücken konnte, hellte sich der Bildschirm von schwarz zu einem hellen grau auf, aber es erschien kein Gesicht. Stattdessen kam eine nüchterne Stimme aus verdeckt angebrachten Lautsprechern. „Harkness und Sato?“ Es klang fast wie eine Feststellung, weniger wie eine Frage.

„Harkness und Sato“, bestätigte Jack, den blinden Bildschirm gewinnend anlächelnd. Man konnte nie wissen, wer am anderen Ende der Leitung saß. „Wir sind mit Doktor Harper verabredet.“



„Bitte warten Sie hier. Jemand wird Sie abholen und zum Haus bringen.“ Es klickte leise. Offenbar hatte die andere Person aufgelegt.

„Wir sollen warten“, verkündete Jack, als hätte Tosh die kurze Unterhaltung nicht mitgehört und nahm seine Sonnenbrille ab. Er benutzte den Rückspiegel um seine Haare in Form zu kämmen und zu checken, ob sich nichts vom Frühstück zwischen seinen Zähnen festgesetzt hatte.

Anspannung breitete sich in Tosh aus. Sie hielt den Blick starr auf das Tor gerichtet.

Was bedeutete wohl, dass sie abgeholt wurden? Sicherlich eine gute Vorsichtsmaßnahme, aber auch wenn Harper in einem Schloss leben sollte, war es nicht der Buckingham Palace. Es gab in den Online-Archiven mehrerer großen Zeitungen zahllose Bilder des Gebäudes - innen wie außen - da Winfield und Sibylla es oft für wohltätige Veranstaltungen zur Verfügung gestellt hatten oder selbst solche dort abhielten. Allerdings legten Pressefotografen naturgemäß weniger Wert darauf, Sicherheitskameras und Alarmanlagen abzulichten, weshalb sie ihnen bei der Vorbereitung nicht sonderlich hilfreich gewesen waren. Immerhin hatte Tosh nach einigem Graben die Grundrisse des Hauptgebäudes im Internet gefunden. Offenbar hatte sich mal in den Siebzigern eine Historische Gesellschaft für das Gebäude interessiert und versucht, es unter Denkmalschutz stellen zu lassen. Die Familie lehnte das ab.

Das Auftauchen eines Mannes auf der anderen Seite des Tors riss Tosh aus ihren Überlegungen. Offensichtlich eine Art Wachmann - er trug eine Uniform.

Jack musterte ihn, ohne es sich anmerken zu lassen. Dunkle Hose, gebügeltes weißes Hemd samt Krawatte und trotz des warmen Wetters eine dicke Jacke, die teilweise den Gürtel verdeckte, an dem mehrere Gegenstände befestigt waren. Er konnte eine Taschenlampe und etwas, das möglicherweise ein Elektroschocker war, erkennen. In die Gürtelschließe war ein Logo eingearbeitet, dass sich auf der Baseballkappe auf seinem Kopf wiederholte.

Der Wachmann wiederum fixierte sie unverhohlen, unterzog auch das Auto einer gründlichen Musterung, bevor er in die Tasche griff und ein kleines, schwarzes Kästchen hervor zog. Das richtete er auf das Tor, drückte darauf und die Türflügel schwangen nach innen auf. Der Wachmann trat zur Seite und deutete auf einen Weg, der nach rechts ins Gelände führte. „Der Gästeparkplatz ist 500 Meter entfernt. Mister Grant wird Sie dort abholen.“

„Danke.“ Jack startete den Wagen und lenkte ihn durchs Tor. „Hast du gehört? Mister Grant wird uns abholen. Ich denke… Hugh Grant“, meinte er grinsend, während sie langsam die schmale Straße hinab rollten.

„Träum‘ weiter“, erwiderte Tosh trocken. Sie strich mit einem Anflug von Nervosität ihre makellose Bluse glatt. Was bisher ein Spiel gewesen war, begann ernst zu werden.

Der Parkplatz entpuppte sich als gekiestes Viereck, durch eine Hecke abgegrenzt, auf dem bequem zehn Fahrzeuge Platz hatten. Außerdem zwei überdachte Parkbuchten und Jack steuerte den offenen Sportwagen in eine davon.

„Mister Harkness. Miss Sato.“

Sie waren kaum ausgestiegen, als ein junger Mann zu ihnen trat. Er trug einen dreiteiligen Anzug mit Krawatte und schüttelte ihnen die Hand.

„Guten Tag. Willkommen in Maenor Llyswennod. Mein Name ist Huw Grant. Ich bin Doktor Harpers Assistent. Er ist gerade in einer Telefonkonferenz.“

„Hugh Grant?“, fragte Jack mit unschuldiger Miene.

Grant hörte das wohl nicht zum ersten Mal. Er lächelte unverbindlich. „Huw. Hier entlang, bitte. Jemand wird sich um Ihr Gepäck kümmern. Doktor Harper hat zwei Räume für Sie herrichten lassen.“ Er deutete auf einen schmalen Weg, der vom Parkplatz wegführte, durch die Hecke hindurch.

Vielleicht hatte sie doch nicht so ganz unrecht damit, das Landgut als Schloss zu bezeichnen, dachte Tosh, als sie Grant folgten. Blumenbeete, klassische Marmorstatuen und ornamentale Hecken zierten den Rasen vor dem Gebäude, das im Sonnenschein strahlend weiß vor ihnen stand. Baustile oder Bauperioden waren nicht ihre Stärke. Tosh fand, dass es sich nicht im Besonderen von anderen alten Landhäusern unterschied, wie man sie im TV zu sehen bekam. In die Fassade eingearbeitete Säulen. Runde Fenster. Eckige Fenster. Es war offensichtlich, dass alles gut in Schuss gehalten wurde, aber dann schien ja auch das nötige Kleingeld dafür vorhanden zu sein.

Eine breite, geschwungene Treppe führte zu einer mit Schnitzereien verzierten Tür, die sich öffnete, bevor sie die letzte Stufe erreicht hatten. Eine ältere Frau in altmodischer Hausmädchenuniform nahm sie in Empfang, nachdem Grant sich entschuldigte und brachte sie in einen kleinen aber sehr hellen Raum. Durch ein großes Fenster hatte man Ausblick auf eine runde Blumenrabatte, in deren Mitte ein Vogelbad in der Form einer gigantischen Muschel stand.

Jack ignorierte den Ausblick um stattdessen die Einrichtung zu studieren. Selbst ein Raum, der nur dazu gedacht war, Besuchern einen Warteraum anzubieten, verriet einiges über die Besitzer und ihre Umstände. An den Wänden hingen Landschaftsgemälde, nicht besonders wertvoll, aber passend zu den Möbeln und beide sicherlich so alt wie das gesamte Gebäude. Es gab keinen Zweifel daran, dass der Familie nie das Geld gefehlt hatte, um alles in bestem Zustand zu halten. Ein Bücherregal lud zum Blättern in einem der ledergebundenen Bände ein, während man wartete. Ein orientalischer Teppich, dessen Muster vom Alter und unzähligen Schritten abgenutzt zu weichen Schatten verschwamm, dämpfte ihre Schritte. Bequem aussehende Sofas mit runden Zierkissen luden zum Ausruhen ein. Ein Arrangement aus Trockenblumen stand neben einem blankpolierten Kamingeschirr in der Feuerstelle eines offenen Kamins, der im Zeitalter anderer Heizmöglichkeiten nicht mehr genutzt wurde. Alles war staubfrei und auf Hochglanz poliert. Die Luft roch angenehm nach warmen Bienenwachs und Lavendel - eine teure und exklusive Möbelpolitur für Antiquitäten, wenn er sich nicht irrte…



Sie hatten nicht mehr als fünf Minuten in dem Empfangszimmer verbracht, als Owen Harper den Raum betrat.

Tosh hielt sich im Hintergrund, ganz wie ihre Rolle als Assistentin vorsah. Sie musterte Harper. Die Fotos, die sie im Internet gefunden hatten, zeigten ihn meist bei Partys oder anderen Veranstaltungen und immer in Anzug und Krawatte. So hatte sie ihn auch jetzt zu sehen erwartet. Aber Harper trug Jeans, ein weißes Hemd mit offenem Kragen und eine abgetragene braune Lederjacke. Der zweite Blick verriet, dass es sich durchwegs um Designerstücke handelte, genau wie die William Morris Sonnenbrille, die Harper in die Brusttasche seiner Jacke steckte, bevor er Jacks Hand zur Begrüßung schüttelte. Das Hemd war garantiert maßgeschneidert und wenn sie sich nicht vollkommen täuschte, trug er handgefertigte Schuhe. Offenbar gab Mister Harper nicht nur Geld für Kunst aus.

„Ich hoffe, Sie hatten keine Schwierigkeiten, das Haus zu finden“, meinte er, nachdem die üblichen Begrüßungsfloskeln ausgetauscht worden waren. „Es liegt etwas abgeschieden und ich denke, der größte Teil der Straßen hier ist noch immer für Pferd und Wagen ausgelegt.“ Harpers Stimme war Upperclass, wie zu erwarten, aber mit ausgeprägtem Londoner Akzent. Winfield Harpers erste Frau - von der er sich hatte scheiden lassen, als Owen drei Jahre alt war - stammte aus London. Harper hatte die ersten Lebensjahre in London verbracht, wo die Familie zu der Zeit lebte. Erst als Winfield Sibylla Jones kennenlernte, siedelten sie permanent nach Wales auf das Landgut um, das der ersten Mrs. Harper zu abgelegen gewesen war.

Jack drehte den Charme auf, was jedoch auf Harpers verkniffene Miene wenig Einfluss zu haben schien. „Sehr idyllisch“, erwiderte er. „Und all dieser Sonnenschein, das war nicht, was wir uns von Wales erwartet haben.“

Harper schnitt eine Grimasse. „Eine seltene Ausnahme, fürchte ich.“ Er schien zum ersten Mal Toshikos Anwesenheit bewusst wahrzunehmen.

Zumindest fand sich Tosh nun einer kritischen Musterung durch ihren Gastgeber unterzogen. Sie lächelte unverbindlich und nickte ihm zu.

„Carys wird Ihnen die Zimmer zeigen, die für Sie vorbereitet wurden, damit Sie sich nach der Fahrt frischmachen können“, meinte Harper. „Leider kann ich Ihnen beim Lunch keine Gesellschaft leisten, ich habe bereits anderweitige Verpflichtungen.“

„Oh, das macht nichts. Wir sind ja auch früher angekommen als gedacht“, entgegnete Jack. „Ich hoffe allerdings, dass Sie bald Zeit finden, mir Ihre Sammlung zu zeigen?“

„Natürlich. Dazu sind Sie ja hier.“ Harper nickte ihnen zu. „Mister Harkness, Miss Sato - ich freue mich darauf, Sie beim Tee zu sehen.“ Damit verließ er den Raum.

Jack grinste und machte das Victory-Zeichen in Toshs Richtung. Die ihrerseits erleichtert aufatmete, dass sie nicht schon bei der Ankunft aufgeflogen waren.

***

Das Gästezimmer, das Jack zugeteilt bekommen hatte, war wesentlich moderner eingerichtet als die anderen Räume, die sie bisher gesehen hatten. Aber vielleicht wurde Gästen - die darüber hinaus nicht einmal zur Familie gehörten - nicht mit den teuren Erbstücken getraut. Jack störte sich daran nicht. Er hatte sein Auge schließlich auf ganz andere Schätze geworfen.

Das Mittagessen war ihnen auf den Zimmern serviert worden und nachdem Jack gegessen hatte, nahm er seine Kaffeetasse und klopfte bei Tosh an. Nachdem sie eine Weile ihre bisherigen Eindrücke ausgetauscht hatten, klingelte Toshs Handy und er ging, um sie in Ruhe mit ihrer Mutter telefonieren zu lassen.

Zurück in seinem Raum beschloss Jack, sich weiter umzusehen. Ein paar Meter von seinem Zimmer entfernt, befand sich eine Tür, die in einen kurzen Korridor führte und zu einer weiteren Tür. Sie war unverschlossen und Jack öffnete sie, trat ins Freie. Ein Weg aus unregelmäßig geformten Steinplatten führte vom Haus weg und zu einem Durchgang zwischen zwei Hecken.

Jack schlenderte hindurch und direkt einen Garten voller Rosen.

Sträucher, Bäumchen, Ranken, Beete - überall nur Rosen, in den verschiedensten Formen und Farben und Größen. Wow. Jemand in dieser Familie hegte wirklich eine Begeisterung für diese Blumen. Und beschäftigte offenbar eine halbe Armee an Gärtnern. Selbst für ihn als Gartenlaien war erkennbar, wie gut alles gepflegt war. Keine verwelkte Rose oder herumliegende Blütenblätter, kein Unkraut und wie mit dem Lineal ordentlich gestutztes Gras auf den Flächen dazwischen. Sie könnten Eintritt dafür verlangen, obwohl Harper kaum auf eine derartige zusätzliche Einkommensquelle angewiesen sein dürfte…

„Ich vermute, es ist etwas überwältigend, wenn man das alles zum ersten Mal sieht.“

Jack war sich nicht bewusst gewesen, dass er nicht mehr allein war, bis hinter ihm eine trockene Stimme erklang.

„Meine Mutter liebte Rosen über alles“, sagte der junge Mann in schmutzigen Jeans und einem T-Shirt mit dem leicht singenden Akzent eines Walisers, als er zwischen zwei üppig blühenden Rosenbüschen hervortrat. „Also hat Winfield ihr einen Rosengarten zum ersten Hochzeitstag geschenkt.“

Ianto Jones - Winfield hatte ihn nie adoptiert, daher trug er den Namen seines leiblichen Vaters, wie Jack sich erinnerte - zog seine Gartenhandschuhe aus und warf einen prüfenden Blick auf seine Finger, bevor er ihm die Hand reichte. „Sie müssen der Kunstexperte sein, von dem Owen gesprochen hat. Eine ganze Artikelserie über seine Sammlung, richtig? Auch wenn er es sich nicht anmerken lässt, er platzt fast vor Stolz.“

„Jack Harkness. Sehr erfreut, Sie kennen zu lernen.“


Jack drückte die schlanken, kühlen Finger in seinen vielleicht ein wenig länger als nötig gewesen wäre. „Zuerst dachte ich, Sie wären der fleißige Gärtner“, setzte er mit einem Lächeln hinzu. „Oh, bitte verstehen Sie das nicht als Beleidigung. So wie es hier aussieht, werden die Rosen ja wohl von einem wahren Künstler gepflegt.“ Es konnte nie schaden, ein wenig dicker aufzutragen.

„Ich habe als Kind sehr viel in diesem Garten gespielt.“ Blaugraue Augen musterten Jack ernst. „Und wie gesagt, meine Mutter liebte ihre Rosen. Es scheint mir nur recht und billig, ihr Andenken zu bewahren, indem ich ihn pflege. Abgesehen davon entspannt Gartenarbeit wirklich, das ist nicht nur so ein Klischee.“

Jack schenkte seinen Worten eher wenig Aufmerksamkeit. Er musterte Ianto Jones lieber von Kopf bis Fuß gründlich. Blasse Haut - aber wohl in verregneten Wales nicht anders zu erwarten, auch wenn jemand gerne draußen arbeitete - dunkle Haare, die sich leicht im Nacken lockten, wo sie einer Baseballmütze entkamen. Ein rosafarbenes T-Shirt mit dem verwaschenen Werbe-Aufdruck einer Rosenschau auf der Brust. Die Augen, die ihn unter dem Schirm hervor anblickten, zeigten ein ins Grau gehendes Blau und blickten ihn freundlich, aber zurückhaltend an. Eine Nase, die nie ganz aus ihrer kindlichen Stupsnasenform herausgewachsen war, thronte über hervortretenden Wangenknochen und einem vollen Mund mit leicht plumper Unterlippe. Wie eine Einladung zum Küssen, nur das die wohl nicht ausgesprochen werden würde… Hmh, genau wie der schlanke Hals. Breite Schultern, ein wohlproportionierter Brustkorb - eher ein Athlet, als ein Bodybilder, wofür auch die langen Beine sprachen, die in alten Turnschuhen voller Grasflecken endeten.

„Haben Sie sich jetzt davon überzeugt, dass ich tatsächlich nicht der Gärtner bin?“, bemerkte der jüngere Mann mit leichtem Spott, als Jack etwas verspätet den Blick hob.

„Ich bin überrascht.“ Jack setzte sein charmantestes Lächeln auf. „Nicht, was ich erwartet habe, zugegeben. Nicht, was auf den Zeitungsfotos zu sehen ist.“

„Anzug, Weste und Krawatte?“ Ianto verschränkte die Arme locker vor der Brust. „Ich habe gerade Urlaub und zur Gartenarbeit ist es ohnehin ratsam, nicht die beste Kleidung zu tragen, die man besitzt.“

„Wäre es in dem Fall nicht empfehlenswert, gar nichts anzuziehen?“ Jack zog suggestiv eine Augenbraue hoch.

Ianto lachte. „Ich lasse mir das für das nächstes Mal durch den Kopf gehen.“ Dann räusperte er sich und wurde wieder ernst. „Bitte entschuldigen Sie mich. Ich muss mich umziehen und waschen. Es ist bald Zeit für den Tee.“ Er nahm das Baseballmütze ab, um die Handschuhe darin zu verstauen - und sah mit verstrubbelten Haaren, die sich in seine Stirn ringelte, gleich noch jünger aus.

Jack spürte, wie sein Mund trocken wurde. „Tee?“, wiederholte er stupide.

Nun war es an dem Waliser, die Augenbrauen zu heben. „Mein Bruder hat eine kleine Zusammenkunft arrangiert, um Sie und Ihre Assistentin willkommen zu heißen. Nur die nähere Familie. Keine Sorge, in diesem Fall bedeutet das nur er, ich, Huw Grant, den Sie ja bereits kennen gelernt haben und ein paar Freunde.“

Richtig. Er sollte eigentlich längst wieder in seinem Zimmer sein und sich dafür umziehen. Das hatte Tosh gemeint, als sie sagte, er solle sich nicht verspäten. „Großartig, dann sehen wir uns ja gleich wieder“, überspielte Jack seinen Fauxpas und lächelte erneut.

„Diolch yn fawr. Willkommen, Mr. Harkness.“ Ianto nickte ihm zu, drehte sich um und verschwand durch einen anderen Bogen, über den sich üppige weiße Rosen schlängelten.

Jack damit einen ausgezeichneten Blick auf ein nicht zu verachtendes Hinterteil in den engen Jeans gewährend. Er hätte fast schwören können, dass es absichtlich war. Aber Ianto war verlobt, vielleicht sogar verheiratet, er hatte doch von einer Verlobten gelesen. Und dass er keinen Ring trug musste nichts heißen, bei der Gartenarbeit war das sicherlich unpraktisch.

Affären mit gebundenen Männern waren meist der Mühe nicht wert. Und überhaupt war er nicht deshalb hier.

Jack starrte noch eine Weile auf den Fleck, auf dem der Waliser gestanden hatte, dann erinnerte er sich an die Party und eilte zurück ins Haus, um sich umzuziehen.

***

„Diese klassische Serie ist ein Beispiel für die ganze Periode“, beendete Jack seine Ausführung. „Ich muss sie unbedingt in einem meiner Artikel erwähnen, auch wenn sie nicht Teil der Sammlung Ihres Bruders sind.“

Huw Grant war weiter gewandert, offenbar interessierte er sich nicht für Gemälde. Oder zumindest nicht während seiner Freizeit. Aber Ianto schien seinen Worten aufmerksam zu lauschen. Jack trank einen Schluck aus seinem Glas und wandte sich dem Waliser zu, um den Effekt seiner Ausführungen abzuschätzen. Hatte er ihn mit seinem Wissen beeindruckt?

„Ich werde es gegenüber dem... Schöpfer dieser Kunstwerke erwähnen, Mr. Harkness.“ Ianto hatte auf den nach dem Essen angebotenen Alkohol verzichtet und sich eine weitere Tasse Kaffee geholt. „Er wird sich über das Lob freuen.“ Ein merkwürdiger Unterton schwang in seiner Stimme mit.

„Oh? Sie kennen ihn… persönlich?“ Verdammt, und er hatte eben noch behauptet, dass die Bilder ein hervorragendes Beispiel für die Kunst des viktorianischen Zeitalters waren. Was sie nach allem, was er wusste, auch waren. Außer… Natürlich. Es waren Kopien und keine Originale. Jack hatte nicht auf die Signatur geachtet. Er hatte sich viel lieber damit beschäftigt, was er alles mit dem Mund seines Gegenübers anfangen könnte...

„Seit meiner Geburt“, entgegnete Ianto Jones mit einem nichtssagenden Lächeln.


Unwillkürlich flog Jacks Blick zu Owen, der ein paar Meter entfernt mit mehreren Leuten sprach, deren Namen Jack gleich nach der Vorstellung wieder vergessen hatte. Er wusste, dass er sich gerade wie ein Idiot benahm, noch bevor Ianto lachte.

„Ich habe diese Bilder kopiert, hauptsächlich aus Kunstbüchern, ein paar auch vom Original“, erlöste ihn der Waliser aus seiner Verlegenheit. „Meine Mutter bestand darauf, sie betrachtete das als Teil meiner Ausbildung. Durch Kopieren lernt man die Technik, meinte sie immer.“ Ianto stoppte, um einen Schluck Kaffee zu trinken. „Das erste habe ich mit zwölf angefertigt. Es gefiel ihr so gut, dass sie es zu meiner vollkommenen Beschämung rahmen ließ und hier an die Wand hängte. Im Laufe der Zeit entwickelte es sich zu so einer Art… Scherz. Bei einer Party oder einem Empfang oder Einladung zum Tee amüsierte sie sich immer wunderbar, wenn jemand die Bilder für echt hielt.“ Er lächelte bei der Erinnerung. „Winfield hat angeboten, einige der Originale zu kaufen, aber das hätte ihr den Spaß verdorben.“ Er zuckte mit den Schultern. „Wir sind alle so daran gewöhnt, dass wie sie nach dem Tod unserer Eltern dort gelassen haben.“

„Ich verstehe.“ Jack nippte an seinem Drink. Er versuchte etwas anderes zu sagen, mit einer amüsanten Bemerkung seinen Fehler auszubügeln, aber es war eine der seltenen Momente in seinem Leben, in dem ihm nichts einfallen wollte. „Jeder hat einmal einen schlechten Tag, richtig?“, fuhr er schließlich etwas lahm fort.

Es funkelte amüsiert in den Augen des Walisers. „Ja, das passiert jedem einmal.“ Er nickte Jack zu. „Bitte entschuldigen Sie mich.“ Ianto ging und ließ Jack vor dem Bild stehen, seine Niederlage mit einem weiteren Schluck begießend.

***

Owen musterte seinen Stiefbruder. „Hast du den Termin mit Doktor Grady ausgemacht, Teaboy?“, fragte er, nach einem Stück Toast greifend.

„Du sollst mich nicht so nennen“, erwiderte Ianto mit Blick auf den Tisch, wo Tosh an ihrer ersten Tasse Kaffee nippte und auf Harkness, der sich auf dem Weg zu ihnen befand. „Schon gar nicht vor deinen Gästen.“

„Ich kann Thomas auch selbst anrufen und ihn danach fragen.“ Owen schien es egal zu sein, dass sie nicht alleine waren.

„Ich habe einen Termin für nächste Woche, okay? Mittwoch.“ Ianto wandte sich ab. „Guten Morgen, Mister Harkness“, wandte er sich höflich an ihren Gast. „Ich hoffe, Ihre erste Nacht in Maenor Llyswennod war erholsam?“

„Jack, bitte. Guten Morgen. Ja, das war sie. Es ist unglaublich ruhig hier, wenn man an London gewöhnt ist.“ Offensichtlich kein Morgenmuffel, ließ Harkness die Zähne in einem breiten Lächeln blitzen.

Owen nahm seinen Teller, nickte ihm zu und setzte sich direkt neben Tosh, obwohl an der Tafel locker Platz für zwanzig Personen sein musste.

„So... Warum nennt er Sie Teaboy?“, fragte Jack, Orangensaft aus einem Krug in ein Glas gießend. „Entschuldigung, aber es war schwer zu überhören“, setzte er hinzu, als Ianto ihn ansah. „Ziehen Sie Tee Kaffee vor?“

„Damit hat es nichts zu tun. Als meine Mutter Winfield Harper geheiratet hat, war ich sechs Jahre alt. Ein paar der Mädchen, Kinder der Angestellten, die hier lebten, nahmen mich unter ihre Fittiche“, erklärte der Waliser. „Außer Owen gab es nur zwei andere Jungs, aber die waren viel jünger als ich und eigneten sich nicht als Spielkameraden für mich. Owens Freunde gaben sich mit mir nicht ab, natürlich waren sie auf seiner Seite und sahen mich als unerwünschten Eindringling an. Die Mädchen spielten mit Hingabe Tee-Party und ich war bei den meisten davon der obligatorische Gast, an dem sie ihre Gastgeberkünste ausprobieren - so wie sie es bei Teegesellschaften im Haus oder im Fernsehen gesehen hatten. Owen fing irgendwann an, mich als Teaboy zu verspotten. Und manchmal fällt er in alte Gewohnheiten zurück.“ Ianto fischte ein Ei aus einem - wie ein Huhn geformten - Warmhaltekorb und betrachtete es, als wäre er nicht sicher, was er damit anfangen sollte.

Jack nickte. „Ich verstehe. Hoffentlich ist der Termin nichts Unangenehmes.“

Ianto legte das Ei zurück und musterte ihn. Vermutlich war er mit seinen neugierigen Fragen zu weit gegangen.

Aber bevor Jack sich entschuldigen konnte, nahm Ianto eine der Schalen mit Haferbrei und einen Löffel. „Nur Routine.“ Er deutete auf eine der silbernen Wärmeglocken. „Versuchen Sie unbedingt Carys' Clamorgan Sausages. Eine walisische Spezialität.“ Ianto setzte sich an den Tisch, seinem Bruder gegenüber, der sich mit Toshiko unterhielt.

Erleichtert, das Ianto nicht verärgert schien, hob Jack die angegebene Wärmeglocke. Etwa fingerlange, frittierte "Würstchen" lagen auf einem Servierteller. Mutig beförderte er zwei davon auf seinen Teller. Bisher hatte er immerhin das englische Essen überstanden, wieso nicht auch das walisische... (Wie er wenig später feststellte, bestanden die sogenannten Würstchen aus Käse, Eiern, Brotkrumen und Lauch und schmeckten gar nicht schlecht.)

Während des Frühstücks drehten sich die Gespräche um Nebensächlichkeiten. Über das angenehme Sommerwetter, das noch den Rest der Woche anhalten sollte. Owen kündete an, sich den Vormittag freigehalten zu haben, um Jack endlich seine Sammlung zu zeigen. Worauf Ianto sich anbot, Tosh den Garten zu zeigen.

autor: lady charena 301-400, slash, fandom: torchwood 1-100, het

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