Neu: Der Indianer (Karl May) FF-25 Antwort. 2/3

Nov 03, 2007 18:32

Titel: Der Indianer
Autor: Aisling
Fandom: Karl May
Personen: OFC, OMC, Winnetou
Inhalt: Winnetou mit anderen Augen gesehen.
FF-25 Antwort: Prompt 24 freie Wahl (beobachten) & Prompt 25 Freie Wahl (überleben)
Disclaimer: Ich darf damit spielen, ohne irgendwelche Rechte zu verletzten, schließlich ist Karl May lange genug tot. Trotz allem hoffe ich, dass ihm die Story gefallen hätte.
Beta: magnifica7

Teil 1


Bisher hatte ich den Haushalt nur unter Anleitung meiner Mutter geführt; auch wenn sie in den letzten Wochen aufgrund der fortgeschrittenen Schwangerschaft ihr Bett schwerlich verlassen konnte, so zwang sie mir immer ihren Rat auf, den ich nun schmerzlich vermisste. Ich war voll verantwortlich für den Haushalt und musste mich auch noch um meinen kleinen Bruder kümmern.
Seit der Beerdigung weigerte mein Vater sich, sein Schlafzimmer zu betreten. Da ich in meinem Zimmer zu wenig Platz für Thomas' Sachen hatte, schlug ich beim Abendessen vor, die Zimmer zu tauschen. Ohne mich anzusehen, nickte er und schaufelte weiter das Essen in sich hinein.
Eine der Huren aus dem Saloon, Carol, hatte an dem Tag, als meine Mutter starb, eine Totgeburt erlitten. Für viel Geld erklärte sie sich bereit, ihre Milch an Thomas abzugeben.
Doch selbst wenn die Hebamme Thomas die Flasche gab, wurde viel zu viel von der kostbaren Flüssigkeit verschüttet.
Als Thomas immer schwächer wurde, schlug die Hebamme vor, dass mein Bruder direkt von der Hure gesäugt werden sollte.
Meine Mutter hatte mich vor den Huren und ihrem liederlichen Lebenswandel gewarnt. Ich war nicht glücklich, dass so eine Frau mein Haus betreten sollte, stimmte aber nach kurzer Überlegung zu - sie im Saloon aufzusuchen, war vollkommen unmöglich.
Mein Vater reagierte völlig anders. Als man ihm sagte, woher die Milch für seinen Sohn kam, hatte er nur genickt, eine Flasche Whiskey geleert und zwei Tage Kopfschmerzen gehabt.
Als er erfuhr, dass das Weibsbild jeden Tag sein Haus betreten würde, bekam er einen Tobsuchtsanfall und verschwand im Saloon, um sich die Frau vorzuknöpfen.
Was auch immer dort passiert ist, weiß ich nicht. Als mein Vater spät in der Nacht zurückkam, stimmte er zu, dass die Hure sein Haus betrat.
Sie kam nur tagsüber. Wenn sie arbeitete, musste ich Thomas mit der Flasche füttern.
Zuerst wollte ich mich weigern, mit ihr in einem Raum zu sein, doch meine Sorge um Thomas obsiegte. Was, wenn sie ihn falsch hielt, oder grob zu ihm war?
So blieb ich bei ihr, wenn sie meinem Bruder die Brust gab.
Entgegen meiner Befürchtungen behandelte Carol ihn wie ein kostbares Kleinod, vergötterte ihn geradezu. So kam es, dass wir anfingen, uns über belanglose Dinge zu unterhalten.
Nach einigen Wochen wurden unsere Gespräche tiefgründiger, wir redeten über unsere Sorgen und Probleme. Das stimmte nicht ganz: Ich erzählte ihr von den täglichen Krisen in meinem Haushalt, dass mein Vater mir nicht genug Geld für die Haushaltsführung gab, die Magd aufmüpfig war und mir Widerworte gab, nur weil ich zehn Jahre jünger als sie war. Inzwischen wusste ich nicht mehr, was ich mit ihr machen sollte, ich war auf sie angewiesen und konnte sie nicht einfach entlassen.
Innerhalb kurzer Zeit hatte ich Carol all meine Sorgen und Probleme erzählt. Helfen konnte sie mir nicht - als Hure hatte sie von der Haushaltsführung keine Ahnung, aber allein, dass sie sitzen blieb und zuhörte, half mir.
Irgendwann redete auch Carol. Von den Demütigungen, die sich der Saloonbesitzer für die Mädchen ausdachte, und von der Verzweiflung, sich an Männer verkaufen zu müssen.
Es entwickelte sich fast so etwas wie eine Freundschaft - nur dass ich nicht mit einer Hure befreundet sein durfte, ohne befürchten zu müssen, von den anderen Bewohnern Lincolns geschnitten zu werden.
So beschränkte ich mich darauf, dafür zu sorgen, dass sie bei uns immer etwas zu essen bekam, Carol war entsetzlich dünn. Doch nie aß sie mehr als ein paar Bissen.
Wenn ich ihr in der Stadt begegnete, wechselte ich - wie jede anständige Frau - die Straßenseite.

Mein Vater arrangierte sich mit der Situation. Tagsüber war er in der Schmiede und wenn er abends in die Wohnung kam, war Carol schon weg.
Mit mir sprach er nur das Nötigste. Einige Tage nach dem Tod meiner Mutter hatte ich versucht, mich bei ihm zu entschuldigen, doch er hatte sich umgedreht und den Raum verlassen.
Spät in der Nacht hörte ich, wie er torkelnd durch die Wohnung lief.
Seitdem schwiegen wir uns an.

Anfang Dezember schlug das Wetter um.
Es wurde bitterkalt. Nicht die klirrende Kälte, wie wir sie sonst kannten. Es war nass, neblig und windig und in den Bergen fiel viel Schnee.
Die Nässe zog durch alle Ritzen, dass sich selbst die Kleider in den Schränken klamm anfühlten, und machte es fast unmöglich, die Räume zu warm zu halten.
Ich stopfte Zeitungen in die Spalten der Außenwände und schaffte es, wenigstens die Küche ausreichend zu heizen. Dorthin stellte ich Thomas Wiege, damit der Kleine sich nicht erkältete.

Andere waren nicht so glücklich. Patricks Vater bekam eine Lungenentzündung, nachdem er der alten Mrs. Smith geholfen hatte, ihren Wagen zu beladen.
Bis ins neue Jahr kämpfte er, dann verlor er.
Nach der Beerdigung übernahm Patrick das Geschäft.
Wann immer ich einkaufen kam, nahm er sich die Zeit, mit mir zu plaudern. Es gab niemanden mehr, der es uns hätte verbieten können.

Carol war auch krank geworden, Thomas vertrug ihre Milch nicht mehr und ich musste Kuhmilch nehmen und ihn mit der Flasche füttern. Die ersten Tage hielten wir es noch geheim, damit sie mich weiter besuchen konnte.
Der Saloonbesitzer wusste, dass es ihr nicht gut ging, aber er drohte, ihr, sie rauszuschmeißen, wenn sie nicht weiter arbeiten würde.
Dieses Mal war ich diejenige, die Carol trösten musste und ihr gut zuredete. Ich brachte sie dazu, alles, was ihr im Saloon zugestoßen war aufzuschreiben und wollte es zu Pater Bush tragen. Doch Carol wollte nicht. Sie hatte Angst, dass mein Ruf dadurch Schaden nehmen würde.
Als ihr schlechtes Aussehen auch mit viel Schminke nicht mehr zu vertuschen war, verlor sie ihren Job.
Ihr blieb nichts anderes übrig, als Lincoln zu verlassen, um woanders Arbeit zu suchen. Mein Angebot, bei mir zu bleiben, schlug sie aus, noch ließ sie zu, dass ich anderweitig half.
Am Tag ihrer Abreise beobachtete ich von weitem, wie Carol in die Kutsche einstieg. Als die Tür hinter ihr zuschlug, wünschte ich ihr alles Gute und einen Mann, der sie trotz ihrer Vergangenheit lieben konnte.
Auf dem Rückweg starrte ich trübsinnig vor mich hin. Ohne Carol würde es für mich wieder so einsam werden, wie es früher gewesen war. Ich würde die Gespräche mit ihr sehr vermissen.
Ich wollte die Haustür aufschließen, als ich vor Patricks Geschäft den schwarzen Hengst stehen sah.
Ich zögerte einen Moment, dann fasste ich mir ein Herz und ging in den Laden.
Ich hatte die letzten Wochen bei Patrick anschreiben lassen, da ich mit meinem Vater immer um das Haushaltsgeld kämpfen musste.
Immer wenn ich nach Geld fragte, um Carol und andere Rechnungen zu bezahlen, warf er mir vor, nicht wirtschaften zu können und das Geld zu verpulvern. Dabei verdiente er mehr als genug - schließlich hatte er sich seit Mutters Tod in seine Arbeit vergraben.
So ein Gespräch musste ich heute wieder führen, da ich der Magd ihr Gehalt geben musste. Da konnte ich mir auch gleich von Patrick aufrechnen lassen, wie viel ich im schuldete, und ihn am nächsten Tag bezahlen. Vorausgesetzt mein Vater ließ mich nicht einfach ohne Geld stehen und ging in den Saloon, um sich zu betrinken.
Patrick stand hinter der Theke und bediente den Indianer. Ich ging einen Schritt näher, um wieder einmal sein Haar zu bewundern. Dabei fiel mir zum ersten Mal auf, dass sein einziger Schmuck eine Feder war. Er war weder mit dem Firlefanz behängt, den die meisten Indianer mitschleppten, noch trug er Skalps am Gürtel.
„…die Pässe sind durch den frühen und harten Winter unpassierbar. Wir werden aus Santa Fe wahrscheinlich nicht vor Ende April, Anfang Mai beliefert werden. Es tut mir leid. Im Gegensatz zu den Zeitschriften habe ich alle Medikamente vorrätig.“
„Dann ist Winnetou nicht vergeblich hergekommen.“
Das edle Gesicht war ausdruckslos und doch… Seltsamerweise hatte ich den Eindruck, dass die Bücher für ihn viel mehr bedeuteten als das Lesevergnügen an einem langen Winterabend.
„Das macht 16 Dollar und 52 Cent.“
Aus einem Beutel holte der Indianer einen kleinen Goldklumpen, den er Patrick reichte.
„Das müsste auch den Wert meiner neuen Bestellung decken.“ Er reichte Patrick einen Zettel.
Zuerst wog Patrick das Gold, dann las er die recht kurze Liste und nickte.
„Ich muss es aber in Santa Fe bestellen. Bevor die Pässe nicht frei sind, geht gar nichts. Vor Juni werden wir die Sachen nicht hier haben.“
„Winnetou wird dann da sein.“
Der Indianer neigte sein Haupt und verließ das Geschäft.
Ich blickte ihm durch das Fenster hinterher, bis er sich auf den Rücken seines Pferdes schwang und fort ritt.
Danach war ich die einzige Kundin.
„Ich hasse es, lügen zu müssen. Besonders bei ihm.“
„Was ist?“ Verständnislos sah ich Patrick an.
„Er hatte schon im Oktober bei mir bestellt, ich kann mich ganz genau erinnern. Statt dem nächsten Kurier die Bestellung mitzugeben, hat Vater den Zettel mehrere Wochen liegen lassen und sich erst Mitte November darum gekümmert. Nur weil er eine Rothaut ist. Dabei zahlt er nicht nur im Voraus, sondern auch noch wesentlich mehr als jeder andere. Das wird sich ändern.“
Mir gefiel es, wie energisch Patrick wurde. Dabei fiel mir der Schatten auf seiner unteren Gesichtshälfte auf. Wie viel Zeit war vergangen, dass er nicht nur den ersten Flaum, sondern anständigen Bartwuchs hatte?
Was waren das für Gedanken? Verlegen räusperte ich mich und wechselte das Thema.
„Kannst du ausrechnen, wie viel bei dir angeschrieben ist? Ich bekomme heute Abend das Haushaltsgeld, dann kann ich morgen früh meine Schulden begleichen.“
„Ich hoffe, dass du dich deswegen nicht zu sehr mit ihm streiten wirst.“
„Wieso sollte ich, ich sag ihm, wie viel Geld ich brauche. Dann gibt es nur zwei Möglichkeiten: Erstens, er gibt es mir und verlässt wütend die Wohnung, oder zweitens er verlässt wütend die Wohnung, ohne mir Geld zu geben. Jetzt, wo Carol weg ist, wird er wohl in den Saloon gehen, dort Bekannte treffen und sich über seine verschwenderische Tochter beklagen.“
Dass er dabei viel zu viel trinken würde, brauchte ich nicht extra zu erwähnen.
Patrick griff unter die Theke und holte das dicke Buch hervor, in dem schon sein Vater peinlich genau notiert hatte, wer was anschreiben ließ.
Er nahm ein Blatt und rechnete.
„Ihr schuldet uns 35 Dollar und 43 Cent.“
„Bitte?“
Das konnte einfach nicht sein. Außer Mehl, Gemüse und einem halben Pfund Kaffee für meinen Vater hatte ich in den letzten Wochen nicht viel gekauft. Ich hatte mit ungefähr zehn Dollar gerechnet.
„Es tut mir leid, Beth, der Betrag stimmt.“ Patrick drehte das Buch um, damit ich es mir ansehen konnte. „Dein Vater war in den letzten Wochen mehrfach hier gewesen und hat Whiskey gekauft und ihn anschreiben lassen. Ich habe ihn sogar unterschreiben lassen, damit er nicht behaupten kann, dass ich lüge.“
Es stimmte. Es war die Schrift meines Vaters. Aber wieso musste er unterschreiben? Patrick hatte es noch nie von mir verlangt.
Die älteste Unterschrift lag zwei Wochen zurück.
„Hat er … hat er vorher schon Alkohol gekauft und ihn bar bezahlt?“
Das würde erklären, warum er mir nie Geld geben wollte. Mein Vater verdiente gut, aber nicht gut genug, um solche Mengen Alkohol zu bezahlen.
„Ja, seit dem Tod deiner Mutter kommt er regelmäßig. Ich habe versucht, es ihm auszureden, aber auf mich hört er nicht. Soweit ich weiß, hat er öfters seine Mittagspausen im Saloon verbracht, um weder dich noch die Hure zu sehen. Er hat auch dort anschreiben lassen.“
„Warum hast du es mir nicht schon eher gesagt, warum hast du überhaupt zugelassen, dass er diese Summen ausgibt, ihn anschreiben lassen?“
„Was hätte ich machen sollen? Mein Vater hat ihm vor Jahren ein Kreditlimit von sechzig Dollar eingeräumt und davon wusste dein Vater. Ich habe das Geschäft gerade erst übernommen und kann es mir nicht leisten, dass man mir nachsagt, mich nicht an die Abmachungen meines Vaters zu halten.“ Patrick zuckte mit den Achseln. „Außerdem hatte ich gehofft, dass er zahlen würde, bevor du fragst. Du hast genug Sorgen, da wollte ich dich nicht auch noch damit belasten. Es tut mir leid, dass ich ihm den Alkohol verkauft habe, Beth.“
So zerknirscht, wie er mich ansah, konnte ich ihm gar nicht böse sein. Es war auch nicht seine Schuld - er war Geschäftsmann und dazu gehörte es auch, Alkohol an Männer zu verkaufen, die eigentlich kein Geld dafür hatten.
„Schon gut. Unsere Probleme gehen dich auch nichts an. Aber kannst du mir einen Wunsch erfüllen?“
Mir war zum Heulen, aber ich schluckte die Tränen herunter und sah Patrick bittend an.
Er lächelte warm zurück.
„Dir kann ich keinen Wunsch abschlagen.“
„Händige meinem Vater keinen Alkohol mehr aus. Selbst wenn er dich mit der Schrotflinte bedroht, gib ihm nichts. Ich lasse nicht zu, dass er unser Leben zugrunde säuft.“
„Du weißt, was das für dich bedeutet, wenn er erfährt, dass du es veranlasst hast?“
„Ja, und ich bin bereit, dafür zu kämpfen. Ich weiß nur zu gut, was meine Mutter über Säufer gepredigt hat, und es wird Zeit, dass ich meinen Vater daran erinnere.“
Mein Leben war schon nicht leicht, aber die Vorstellung, ohne Geld dazustehen, mit einem Vater, der nur besoffen in der Ecke lag, und nicht zu wissen, wovon ich am nächsten Tag etwas zu Essen organisieren sollte… Carols Erzählung über ihr Schicksal wurde plötzlich schrecklich realistisch und das wollte ich nicht zulassen.
„Glaubst du wirklich, dass es das Richtige ist? Er ist dein Vater und er kann dich grün und blau prügeln, damit du seinem Willen folgst. Ich will nicht, dass er dir weh tut.“
„Er wird mich nicht schlagen, nur drohen und mir Vorwürfe machen. Danke für deine Sorge. Ich muss jetzt gehen. Ich habe Thomas schon zu lange allein gelassen.“
„Pass auf dich auf.“
„Das werde ich, Thomas braucht mich.“
Patrick sah so aus, als ob er etwas sagen wollte, doch stattdessen kratzte er sich im Nacken. Ich nickte ihm noch einmal zu, bevor ich rausging.
Statt nach Hause zu gehen, lenkte ich meine Schritte in Richtung Saloon.

Vor dem Gebäude stockte ich. Ich hatte Angst, vor dem, was nun kommen würde. Wie sollte ich es schaffen, den Wirt dazu zu bringen, meinem Vater keinen Alkohol zu verkaufen?
Außerdem hatte meine Mutter mir immer gepredigt, dass keine ehrbare Frau ihren Fuß über die Schwelle des Saloons setzen würde.
Ich wischte meine schweißfeuchten Hände an meinem Rock ab und hob den Kopf hoch. Bevor ich meine Hand auf die Schwingtür legte, blickte ich mich um und stellte fest, dass außer dem Hengst des Indianers kein mir bekanntes Tier angebunden war.
Wie auch - die wenigen Männer, die ich kannte, arbeiteten jetzt.
Ich trat über die Schwelle und musste würgen, schaffte es, nicht in den nächsten Spucknapf zu erbrechen.
Es stank erbärmlich. Nach abgestandenem Qualm, Alkohol, Schweiß, Urin und Erbrochenem. Wie konnten Männer sich nur freiwillig an so einem Ort aufhalten?
Ich schaute mich um. Es war früher Nachmittag und nur wenige Tische waren besetzt.
An einem stand Winnetou und redete eindringlich auf eine andere Rothaut ein, die eine Whiskyflasche vor sich stehen hatte.
Ich war anscheinend nicht die einzige, die einen Säufer in der Familie hatte.
Einzig an der Theke standen einige Männer. Sie hatten mein Eintreten bemerkt und musterten mich in einer Art und Weise, die ich nur als lüsternd bezeichnen kann. Als ob sie mir im Geiste die Kleider vom Leib rissen. Ich fühlte mich besudelt.
Am liebsten hätte ich mich umgedreht und wäre weggerannt.
Doch dann würde mein Vater weiter trinken.
Ich schluckte, ging zur Theke und stellte mich möglichst weit weg von den Männern hin, um die Aufmerksamkeit des Saloonbesitzers, Tom Tanigan, zu bekommen.
Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis er zu mir kam, da er zuerst mit den anderen Männern dumme Bemerkungen über mich machte. Ich konnte es nicht verstehen, sah aber ihre Blicke und wie sie auf mich deuteten.
Aber nicht nur Mr. Tanigan kam zu mir. Die anderen Männer stellten sich um mich herum auf.
Ich hatte Angst. So hatte ich mir den Besuch nicht vorgestellt.
„Was macht denn eine Lady hier? Willst du hier arbeiten? Nachdem dein Bruder von einer Hure gesäugt wurde, bist du wohl neugierig geworden.“
Mr. Tanigan stank. Nach Schweiß und Alkohol, genau wie die anderen, die mich umzingelten.
„Kommst du, um die Schulden deines Vaters zu bezahlen?“
So wie Mr. Tanigan mich ansah, redete er nicht von Geld.
„Ich…“ Mir fehlten die Worte.
„Willst wohl selbst erleben, was’n richtiger Kerl mit dir anstellen kann?“
„Bist aber viel zu anständig angezogen. Dein Kleid hat ja noch nicht mal’nen Ausschnitt, dass man sieht, was man kauft!“
Was auch immer ich jemals hier gewollt hatte, jetzt wollte ich nur noch raus. Weg von diesen Bestien.
Ich drehte mich um, doch dort stand ein Mann, der nicht zur Seite trat, als ich einen Schritt auf ihn zuging. Ganz im Gegenteil. Er lächelte und wollte mich berühren.
Erschrocken wich ich zurück.
Und dann fasste mich der erste an. Er berührte mich am Arm.
„Da is viel zu viel Stoff. Soll ich dir beim Ausziehen helfen?“
Mein Versuch, seine Hand weg zu schieben, scheiterte, er war viel stärker.
Tränen stiegen in mir hoch. Was auch immer jetzt passieren würde, ich war ihnen hilflos ausgeliefert.
„Lassen Sie mich los. Ich will das nicht!“
Was daran so lustig war, dass sie lachten, verstand ich nicht. Dann fühlte ich eine andere Hand, die sich schmerzhaft in meinem Po verkrallte.
Ich schrie auf und konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten.
„Gibt es hier keinen ehrbaren Mann, der bereit ist, einer Lady zu helfen?“
Es war Winnetou, auch wenn ich ihn nicht sehen konnte, seine Stimme und sein leichter Akzent war für mich unverkennbar.
„Halt dich da raus, du dreckige Rothaut. Das geht dich nichts an.“
Gott, ich betete, dass er zu meiner Rettung kam.
„Wenn acht Männer eine junge Frau bedrängen, geht mich das etwas an. Egal, ob sie weiß, rot, gelb oder schwarz ist. Lasst von ihr ab. Sofort.“
„Oder was?“, höhnte der Kerl, der mich gekniffen hatte.
„Winnetou droht nicht. Winnetou handelt. Lasst sie in Frieden.“
Die Männer wichen angesichts dieses harten, gnadenlosen Tonfalls zurück.
„Du lügst, du bist nicht Winnetou!“
Gleichzeitig gingen sie noch weiter von ihm weg, so dass ich alleine an der Theke stand.
Der Indianer stand mit dem Rücken zur Wand etwa zehn Meter von mir weg.
Seine Büchse hielt er locker im Arm, so dass sie harmlos auf die Decke zielte.
Seine Miene war ausdruckslos. Kein Muskel zuckte und doch… auf mich wirkte er gefährlicher als die anderen Männer zusammen.
„Ich bin Winnetou, der Häuptling der Mescalero-Apachen und euer Verderben, wenn ihr die Frau nicht in Frieden lasst und geht.“
Ein Raunen ging durch den Saloon „Winnetou…“
Auf einmal waren die Männer, die mich bedrängt hatten, verschwunden. Sie hatten den Salon in einer überstürzten Flucht verlassen. Einzig Mr. Tanigan, Winnetou, der andere Indianer und ich waren noch dort.
Ich wollte auch weg, wollte diesen elenden Ort verlassen, doch bevor ich auch nur einen Schritt gehen konnte, sprach mich Winnetou an.
„Sie können unbesorgt sein. Niemand wird Sie belästigen. Mr. Tanigan wird Ihnen bestimmt weiterhelfen und sich entschuldigen, dass er nicht selbst eingegriffen hat.“
„Sicher, Mr. Winnetou. Es tut mir leid, Miss O’Braily. Wie kann ich Ihnen helfen?“
Es klang so heuchlerisch. Er kuschte doch nur, weil er vor Winnetou Angst hatte. Doch ich akzeptierte es. Dann musste ich einen Augenblick überlegen, um mich zu entsinnen, warum ich hergekommen war.
„Ich… ich möchte wissen, wie viel mein Vater Ihnen schuldet.“
„Sicher, Miss O’Braily. Ich schaue nach.“
Er holte ein dreckiges und verschmiertes Buch hervor und klappte es auf.
„Seine Schuld beläuft sich auf 228,37 Dollar. Und wenn er nicht bald zahlt, werde ich zum Gericht gehen und dafür sorgen, dass ihr mir euer Haus als Pfand überlasst. Wenn ich nett bin, lass ich euch gegen Miete weiter dort wohnen.“
Entsetzt sah ich ihn an. Vater schuldete ihm zwar über zwei Monatslöhne, aber deswegen konnte er doch nicht einfach unser Haus beschlagnahmen. Oder doch?
Dann besann ich mich, schließlich hatte ich ein Druckmittel gegen ihn.
„Vielleicht können Sie das“, erwiderte ich so ruhig wie möglich. „ Aber dann werde ich zu Pater Bush gehen und ihn bitten, die Notizen, die Carol Smith mir gegeben hat, in der Messe vorzulesen. Was glauben Sie, wie viele Männer noch in den Saloon kommen, wenn sie erfahren, dass Sie kranke Mädchen zwingen zu arbeiten und riskieren, dass sich die Männer anstecken.“
Mr. Tanigan erbleichte und ich wusste, dass ich ihn erpressen konnte.
Es schickte sich nicht, so etwas zu tun, es war eine Schande für jede ehrbare Frau, doch lieber in Schande leben, statt auf der Straße zu sterben. Ich musste ein Kind großziehen.
Ich hob meinen Kopf ein bisschen höher und stellte meine Forderungen.
“Ich werde die Notizen bei mir behalten, wenn sie meinem Vater nie wieder Alkohol verkaufen und ihm Lokalverbot erteilen. In den nächsten Tagen rechne ich aus, welche Summe ich Ihnen jeden Monat zurückzahlen kann, um Vaters Schulden zu begleichen. Sind Sie damit einverstanden?“
„Woher will ich wissen, dass Sie mich nicht anlügen? Ich will die Notizen sehen.“
„Nein“, ich schüttelte den Kopf. „Sie sind stärker, als ich es bin, und könnten mir die Notizen abnehmen und sie vernichten. Entweder Sie glauben mir oder nicht. Sollten Sie versuchen, meine Familie zu zerstören, werden Sie am darauf folgenden Sonntag in der Messe hören, dass ich nicht gelogen habe.“
Ich wusste, dass er einer der eifrigsten Kirchgänger war, obwohl Pater Bush fast jede Woche gegen seinen Sündenpfuhl wetterte. Bisher hatte dies scheinbar keinen Einfluss auf seine Kundschaft gehabt, doch die Angst, sich bei den Mädchen mit irgendwelchen Krankheiten anstecken zu können, würde bestimmt Auswirkungen haben.
Gut, dass Carol nicht geschrieben hatte, dass es ‚nur’ ein Fieber war, das bei ihr nicht weichen wollte.
Ich blickte Mr. Tanigan an und hoffte, dass er nicht merkte, wie sehr ich zitterte.
„Ihr zahlt zehn Prozent Zinsen, dann bin ich einverstanden.“
„Zehn Prozent pro Jahr, nicht pro Monat.“
Der Unterricht meiner Mutter zahlte sich wieder einmal aus. An seiner finsteren Miene konnte ich erkennen, dass er an zehn Prozent pro Monat gedacht hatte.
„Einverstanden.“
Er hielt mir seine dreckige Hand hin. Ohne zu zögern schlug ich ein.
Er zerquetschte mir zwar beinah die Finger und ich stöhnte vor Schmerzen, als er losließ, aber das Geschäft war besiegelt.
Eigentlich war genau dies der Zeitpunkt, den Saloon zu verlassen, doch ich traute mich nicht, ihm den Rücken zuzudrehen, hatte Angst, dass er versuchen würde, mich anzufassen.
„Sie können beruhigt gehen, Miss. Winnetou lässt nicht zu, dass Ihnen etwas passiert.“
Dankbar sah ich den Indianer an. Während meiner Verhandlung mit Mr. Tanigan hatte er sich nicht einen Zoll bewegt, hatte über mich gewacht.
„Vielen Dank, ich stehe in Ihrer Schuld, wie kann ich das gutmachen?“
Einer Rothaut etwas zu schulden, ist normalerweise peinlich, schließlich sind es minderwertige Wesen. So empfand ich es nicht. Winnetou war etwas Besonderes.
„Sorgen Sie dafür, dass Ihr Vater dem Feuerwasser abschwört. Dann ist Ihnen mehr gelungen als Winnetou bei seinen Stammesangehörigen.“
„Das werde ich.“
Dann drehte ich mich um und verließ den Saloon.

Teil 3

meine FF-25 Tabelle

fandom: karl may 1-100, gen, fanfic, autor: aisling 1-100, ff25

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