23: Zehn neue Freizeitideen, Pt. 3

Jan 08, 2011 00:11

Title: Zehn neue Freizeitideen für Sie und Ihre willenlose menschliche Marionette (Teil III)

Words: 2159

Info: see part 1, part 2

Die Sache mit dem Medium und der Botschaft ist ein superkluger Verweis an Marshall McLuhan.


Zehn neue Freizeitideen für Sie und Ihre willenlose menschliche Marionette (Teil III)

Es fängt ja schon mit der Heizung an, denkt Emmeline, leicht grantig, als sie die Haustür des Hinterhauses aufschließt, in dem sie wohnt. Seit zwei Wochen geht die Heizung nicht, und wenn sie jetzt schnell heiß duschen will, muss sie erst einmal den gruseligen Badeofen anschmeißen, da überlegt man sich ja schon zweimal, ob man überhaupt schnell duschen will, und statt dass man ein anständiges Feuer in einem Kamin macht, lebt man in einer Wohnung, die noch nicht mal einen Kamin hat und wo erst einmal das örtliche Filch-Äquivalent vorbeikommen und die Heizung im Keller reparieren muss. Aber das hat sie sich nun einmal selbst eingebrockt, sie musste ja unbedingt in Muggellondon leben. Immerhin ist London nachts nicht ganz so trostlos wie, sagen wir mal, Hogsmeade, das muss man den Muggels lassen.

Es wird auch schon wieder dunkel, verdammt, denkt sie, als sie auf halber Treppe erst mal in den verrosteten Briefkasten schaut, in dem eh nie was drin ist, weil Emmeline nie Sachen mit der Royal Mail bekommt und Polly ihren Namen nicht drangeschrieben hat. Dann fällt ihr auf, dass sie, wenn sie noch heiß duschen möchte, noch mal in den Keller hinuntermüsste mit ihrem Kohleeimerchen, um Kohle zu holen, und der steht nun wiederum neben dem gruseligen Badeofen, sie müsste also erst hoch und dann wieder runter, und in diesem Moment entscheidet sich Emmeline, zügigst in die Diagon Alley zurückzuziehen, da kommt das heiße Wasser aus der Wand und keiner fragt danach.

Emmeline hat vor einigen Wochen einige kleine Verbesserungen am Türschloss durchgeführt und registriert beim Aufschließen befriedigt, dass sie alle noch da sind. Es war eine ziemlich harte Nuss, das Schloss so einzustellen, dass es Polly reinlässt, ohne dass Polly was machen muss. In einem anderen Leben könnte sie die Lösung sicherlich vermarkten. Und dann reich werden und sich eine anständige Wohnung mit funktionierender Heizung leisten können!

Dass etwas nicht stimmt, hätte sie eigentlich merken müssen, als sie die Tür aufmacht. Es ist angenehm warm im Flur, vielleicht zweiundzwanzig Grad, schätzt sie. Haben sie die Heizung doch repariert!

"Bin da!" ruft sie. Augenblicklich ist ihr zu warm im Mantel, und sie wirft ihn über den Kleiderständer, dazu den Schal, die Strickjacke.

Später kritisiert sie sich dafür. Wie unaufmerksam man ist, wenn das alles einem noch so fremd ist. Der Flur hat ja noch nicht einmal einen Heizkörper. Der Flur ist sowieso immer kälter als die anderen Zimmer, selbst wenn die Heizung doch mal geht. Aber Emmeline Vance, Superaurorin und Mitglied des Phönixordens, ist gerade von einem langen Scheißtag bei Pisswetter nach Hause gelaufen und in einer warmen Wohnung gelandet. Früher, als sie bei ihren Eltern noch willkommen war, war noch im tiefsten Winter auch immer alles warm.

Sie geht Polly suchen. Das ist gar nicht so schwer, denn aus der Küche dringt Geklapper. Drin steht Polly und wäscht einen riesigen Berg Geschirr ab, der dort im Grunde schon seit Anbeginn der Zeiten stand. Emmeline, im Türrahmen, denkt, dass es wirklich mal Zeit wurde, dass den jemand abwäscht, aber eigentlich hatte sie gedacht, dass sie diejenige sein würde, die das abwäscht. Sie hätte aber nie gedacht, dass es so derartig viel sein würde.

"Hey," sagt sie. "Ich bin da." Hey Polly, wir müssen reden, denkt sie, was zu der eigentlich lange überfälligen Frage führt, wie verlässt man eigentlich jemanden, mit dem man überhaupt kein Problem hat?

Sie bekommt keine Antwort.

"Na, da ist aber jemand in die Arbeit vertieft," sagt sie und weiß schon, dass sie das heute nicht bringt, die Sache mit dem Verlassen, da heizt sie lieber den gruseligen Badeofen und nimmt ein schönes heißes Bad... aber nein, sie muss ja in einer Dreiviertelstunde schon wieder los zum Phönixorden.

Weil Polly immer noch nicht reagiert, geht Emmeline zu ihr in die Küche, dann kehrt sie noch einmal um, zieht im Flur ihre nassen Stiefel aus, geht auf Strümpfen wieder in die Küche. Die wird wohl mal jemand wischen müssen.

"Bist du sauer auf mich?" fragt sie.

Polly steht mit dem Rücken zu ihr. Draußen geht die Sonne unter, und hier steht Polly in einer Schlafanzughose und Unterhemd, mit nackten Füßen auf den Kacheln, die einen dreckigen und sehr unwarmen Eindruck machen, und mit einiger Verspätung pingt jetzt doch Emmelines innere Alarmanlage. Pollys Hände sind ganz rot vom vielen Abwaschen. Links von ihr stapelt sich ein riesiger Berg sauberes Geschirr auf einem ausgebreiteten Geschirrtuch. Rechts von ihr stapelt sich ein riesiger Berg sauberes Geschirr, von dem sie nacheinander einen Teller, einen zweiten Teller, eine Tasse nimmt und abwäscht. Es ergibt keinen Sinn. Sie kann Pollys Gesicht gar nicht sehen, die hat sich nämlich kein einziges Mal umgedreht.

Wo sie gerade dabei ist, Emmeline kann sich auch nicht erinnern, jemals eine Leeds-United-Fantasse besessen zu haben. Überhaupt ist das alles mehr Geschirr, als selbst sie beide in ihrer epischen Faulheit jemals hätten ansammeln können.

"Ich muss dann noch mal los," sagt sie, "also wenn du mich heute noch zur Kenntnis nehmen willst, musst du das bald tun".

Emmeline weiß schon, dass ihre größte Schwäche ist, dass sie das Schweigen immer, immer füllen muss, selbst wenn sie schon dabei ist, sich aus der Küche zu stehlen, zurück in den Flur, wo ihr Mantel zusammengeknüllt auf dem Garderobenständer liegt, und in der Manteltasche -

Scheiße!

Das Gefühl, das sie ergreift, ist relativ unkompliziert und lässt sich mit "Scheiße" ganz gut umschreiben. Der Zauberstab ist nicht da. Sie hat ihn garantiert nicht unterwegs verloren, sie hat ja erst vorhin noch das Türschloss überprüft. Sie hat ihn auch nicht mit in die Küche genommen. Sie muss aber nachgucken gehen, schon um Polly irgendwie davon zu überzeugen, durch das Küchenfenster über die Feuerleiter lautlos zu verschwinden, aber erst mal muss sie es schaffen, irgendwie Luft zu holen. Irgendetwas an der Situation erinnert Emmeline an eine Katze, die mit dem Futter spielt. Polly ist das Futter. Was ist Emmeline? Vermutlich das andere Futter.

Der Nullvektor, denkt sie. Der bedeutet, dass die Botschaft und das Medium ein und dasselbe sind. Und dann denkt sie, das ist jetzt echt nicht der Zeitpunkt, um gedanklich derartig abzuschweifen. Dann denkt sie, sie sollte jetzt nicht übers Abschweifen nachdenken und lieber irgendwie ihre Beine in Bewegung setzen.

Irgendwie hat sie es zurück zur Küchentür geschafft, und ein einziger Blick sagt ihr, dass der Zauberstab nicht hier drin ist. Eine atemlose Sekunde denkt sie, Polly, würdest du bitte so nett sein und durch das Küchenfenster die Feuerleiter runterklettern?, da hält Polly inne mit dem verdammten Geschirr, das Emmeline als Alternativhandlung jetzt gerne aus dem Küchenfenster befördern würde.

"Buh," sagt eine Stimme aus dem Flur.

Polly dreht sich nicht einmal zu Emmeline um. "Sie ist hinter dir," sagt sie.

Emmeline dreht sich auch nicht zum Flur um. "Ich weiß," sagt sie. "Tut mir Leid."

Polly lacht. "Wusste gar nicht, dass du Metalfans kennst."

Das findet Emmeline in der Tat einigermaßen lustig, und immerhin weiß sie jetzt, wer sich aller Wahrscheinlichkeit hier eingenistet hat, um auf sie zu warten. Aber gegen Todesser zu kämpfen, macht auch mit einem funktionierenden Zauberstab in der Hand nicht besonders viel Spaß.

Ein Holzstab, von dem sie mal ganz stark annimmt, dass es sich nicht um einen Kochlöffelstiel handelt, bohrt sich von hinten in ihren Nacken. Sie hat eigentlich nur eine einzige Chance, und die ist so schlecht, dass sie es im Grunde auch lassen könnte, aber vor ihr steht Polly und die muss sie noch irgendwie durch das Küchenfenster befördern. Der Notfall-Portkey befindet sich leider im Wohnzimmer.

"Waren das die letzten Worte?" fragt die Stimme, nun bedeutend näher. "Oder braucht ihr noch Zeit?"

Emmeline lässt sich also abrupt fallen, rollt sich irgendwie herum (sie sollte solche Sachen wirklich öfters mal üben, denkt sie verschwommen) und tritt Bellatrix gegen das Knie. Der Tritt verpufft leider irgendwie in den Lagen aus schwarzem Taft und Unterröcken - sie hat ja schon von Stahlkappen gehört, aber die gehören an die Zehen! - und damit, denkt Emmeline, hat sie's wohl versaut.

So ein Zauberstab ist ja auch nicht wirklich eine bloße Nahkampfwaffe, da kann man auch auf dem Boden herumliegen und trotzdem getroffen werden.

"Polly, du musst hier weg," sagt sie.

Bellatrix besieht sich das Elend einen Augenblick, dann tritt sie zurück. Im Gegensatz zu Emmeline hat sie ihre Stiefel auch nicht ausgezogen, und es tut ganz schön weh.

"Du kämpfst wie ein Muggel," sagt sie deshalb, berühmte letzte Worte und all das, ihr Zauberstab steckt an Bellas Gürtel, eine Welt entfernt. "Polly, hau ab!" Für eloquentere Handlungsanweisungen reicht ihre Luft leider nicht.

Irgendwas haben sie mit Polly gemacht, denkt sie, verspätet, die würde niemals freiwillig abwaschen, und schon gar nicht würde sie in Ruhe abwaschen, während ihrer Freundin gerade jemand in die Rippen tritt. Immerhin haben sie schon eine gemeinsame Bohrmaschine gekauft und sich gegenseitig gut überlegte Weihnachtsgeschenke geschenkt, da muss doch etwas dran sein, da kann sie doch nicht einfach nur abwaschen jetzt.

Emmeline taumelt auf die Füße, auch wenn sie, rein vom Körpergefühl her, lieber liegengeblieben wäre. Sie ist das Futter. Sie versucht, ihren Zauberstab zu erreichen, schafft das nicht, weil Bella amüsiert zur Seite tritt.

Vielleicht kann sie sie ja rauslocken, weg von Polly irgendwie, und dann später wiederkommen und herausfinden, was sie mit Polly gemacht haben, denkt Emmeline benommen, und immerhin hat sie es schon bis in den Flur geschafft, aber wahrscheinlich nur, weil Bella das alles so amüsant findet. Aber wenn sie es in den Flur schafft, dann -

Jemand lacht, und es ist definitiv nicht Emmeline. Sie hofft, dass Marlene in ihrem Büro gerade auf einen Bildschirm starrt und sich irgendwo in den Untiefen ihres Gehirns Gleichungen nach omega auflösen.

Im Wohnzimmer hat sie schon halb das Lestrange-Männchen erwartet, aber das war vielleicht eine Spur zu paranoid. Andererseits aber auch wieder unglaublich, dass in dieser Situation irgendetwas zu paranoid sein könnte.

Apparieren ohne Zauberstab ist verdammt schwer, und sie hat es nur ein paar Mal geübt, und die Todesser sollten eigentlich möglichst nicht herausfinden, dass das überhaupt geht, und überhaupt ist der Apparationsraum verwanzt, die werden also sofort wissen, wo sie hin ist, aber besser woanders, mit ein paar Sekunden mehr, als hier, und außerdem findet sie es auch nicht richtig gut, Polly mit Bellatrix alleinzulassen. Sie muss Bellatrix nur irgendwie von hier wegkriegen...

Mit ihrer Konzentration ist es inzwischen nicht mehr so weit her, aber sich um die eigene Achse zu drehen, müsste eigentlich noch drin sein. Sie ist zu langsam, und Bella erwischt sie an einem Ärmel ihres Pullis -

Und da steht sie jetzt, auf Socken in einer vollständig dunklen, geschlossenen U-Bahnstation, Zentimeter vor ihrem Gesicht nur Beton, und schon wieder ist Bella ganz dicht hinter ihr, aber jetzt kann Emmeline wirklich nicht mehr weg. Sie kann sich auch nicht mehr drehen. Sie greift nach hinten, völlige Schnapsidee, aber vielleicht kommt sie ja doch irgendwie noch an ihren Zauberstab ran. Sie erwischt nur einen Handvoll Stoff.

"Du nervst," sagt Bella.

"Leck mich," sagt Emmeline. "Ich hab heute noch was vor."

Bella lacht. "Das wissen wir, Kleines. Was ist ein Metalfan?"

"So jemand in so schwarzen Klamotten mit bescheuerten Haaren," sagt Emmeline. Zeit für ihre tastenden Finger gewinnen! Bellatrix Lestrange beleidigen! "Totales Muggelding." Leider hat sie jetzt auch Metalfans und Muggel beleidigt, dabei wollte sie das gar nicht. Sie stünde jedenfalls wesentlich lieber mit einem Metalfan oder Muggel oder beidem hier, gern auch in Personalunion, sie ist da nicht wählerisch.

Außerdem, denkt sie noch, außerdem muss dringend noch irgend etwas anderes sagen, das können doch jetzt bitte nicht ihre letzten Worte gewesen sein.

Das mit ihrem Zauberstab stellt sich natürlich, wie schon alles andere an diesem beschissenen Tag, als völlige Fehlanzeige heraus, und Emmeline fragt sich, was jetzt kommt. Das dürfte ja eigentlich nur Avada Kedavra sein. Mist, denkt sie, jetzt krieg ich die Personalentwicklungsmaßnahme mit Barty gar nicht mehr mit, und - oh Mann, Lilys Baby, und das blöde Treffen heute abend - sie versucht sich umzudrehen, ist ja eh alles egal jetzt, aber auch das ist sinnlos.

Scheiße, denkt sie, scheiße, mit sowas bin ich auf die Schule gegangen, und jetzt steht die hier und bringt mich um, das ist doch alles schon lange nicht mehr normal. Polly hab ich auch nicht so richtig unmissverständlich verlassen. Bei mir zuhause liegt alles durcheinander und die peinlichen Liebesbriefe aus Hogwarts hab ich auch nie verbrannt!

Bella spricht, und schon bei der ersten Silbe bleibt Emmeline das Herz stehen. Das darf doch nicht sein, dass das jetzt alles noch schlimmer wird.

So nicht, denkt sie, bitte nicht so - aber es ist rein gar niemand hier, der Bella jetzt noch daran hindern könnte, nach dem "Im -" auch noch das "-perio" auszusprechen.

Der Druck lässt nach und dann ist wieder Platz zwischen Bella und Emmeline und zwischen Emmeline und der Betonwand. Sie atmet tief durch. In der Dunkelheit drückt Bella ihr ihren Zauberstab wieder in die Hand. Ihre Finger sind überraschend warm.

Von diesem Moment an ist eigentlich alles Rock'n'Roll. Yeah!

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