Wir - Teil 3

Aug 04, 2023 08:22

Sommerchallenge-Prompt: h/c  - „Vielleicht bin ich doch nicht o.k.“
Fandom: Good Omens
Genre: angst, h/c
Handlung: Das Leben geht weiter. Selbst für nichtmenschliche, unsterbliche Entitäten.
Länge: ~ 1.400 Wörter
Zeit: ~ 100 Minuten


***

Crowley konnte sich nicht mehr erinnern, wie oft das Telefon in den letzten Wochen geklingelt hatte, als er das erste Mal den Hörer abnahm. Oft genug jedenfalls, um seinen Widerstand zu zermürben. Vielleicht war es auch nur Gewohnheit, weil er Aziraphales Anrufe immer angenommen hatte - auch wenn er wußte, daß sich hinter der Nummer jetzt Muriel verbarg. Sie wirkte sehr erleichtert, ihn zu erreichen, wenn auch nicht sehr stringent - es dauerte gefühlte Minuten, bis er endlich dahinterkam, was ihr Problem war. Ein wenig erinnerte ihn das an Aziraphale, aber er schob den Gedanken entschlossen beiseite.

„Nein, natürlich werden keine Bücher verkauft!“ Er verdrehte entnervt die Augen. „Man sagt einfach, das Buch ist nicht vorrätig. Oder schon von jemand anderem vorbestellt. Oder unverkäuflich.“

„Aber …“ Er konnte das Zögern selbst durch die Telefonleitung spüren. „Sind das nicht Lügen?“

Crowley seufzte. Manchmal vergaß er, wie Engel sein konnten, vielleicht, weil Aziraphale schon länger … er konzentrierte sich auf das aktuelle Problem.

„So läuft das Geschäft mit antiquarischen Büchern. Alle Buchhändler machen das so.“

Muriel wirkte ein wenig ungläubig, aber auch erleichtert.

„Sonst noch was?“

Das hätte er besser nicht gesagt. Ganz offensichtlich hatten sich in den letzten Wochen zahlreiche Fragen angesammelt. Warum mußte er sich eigentlich darum kümmern? Metatron hatte doch für die Vertretung in der Buchhandlung gesorgt; es war ein himmlisches Problem, die eigenen Engel besser auszubilden, damit sie mit dem Leben auf der Erde zurechtkamen. Was kümmerte ihn überhaupt, was aus der Buchhandlung wurde? Aziraphale war das doch auch egal.

Und trotzdem endete das Telefonat damit, daß er versprach, Muriel in der Buchhandlung zu besuchen und beim Sortieren der Bücher zu helfen. Vielleicht war es einfach an der Zeit, daß er seine Wohnung wieder verließ. Und ob er jetzt hierhin oder dahin ging und dies oder das tat, war im Grund auch egal. Da konnte er ebensogut zu … in Muriels Buchhandlung gehen.

***

Crowley war nicht vorbereitet auf den Schmerz, der ihn durchfuhr, als er das erste Mal wieder den Laden betrat. Alles war wie immer, bis auf … das Offensichtliche. Er hätte nicht gedacht, daß er überhaupt noch Schmerz fühlen konnte, doch da war er, frisch wie am ersten Tag. Aber Muriel war erleichtert, ihn zu sehen, und ihm tat es gut, etwas zu tun zu haben. Gabriels Neusortierung der Bücher nach dem ersten Buchstaben des ersten Satzes hatte ein heilloses Durcheinander verursacht, zum Glück wußte er ganz genau, wie die Bücher stehen mußten: Nach Genre und nach Autor*in. Sie arbeiteten einige Stunden, bis selbst übermenschliche Kräfte eine Pause verlangten. Muriel bot ihm scheu eine Tasse Tee an - offensichtlich hatte sie ihre erste Unsicherheit in der Hinsicht inzwischen überwunden, sie hielt die Kanne nicht mehr wie eine Handgranate, die jederzeit explodieren konnte. Aber Crowley hatte sich noch nie viel aus Tee gemacht, und jetzt und hier Tee aus Aziraphales Teekanne zu trinken, fühlte sich seltsam falsch an. Er ging zum Coffeeshop gegenüber.

Er hätte dafür sorgen können, daß sie ihn nicht erkannte, aber ihm fehlte die Energie für größere Wunder. Stattdessen sorgte er nur dafür, daß der Laden leer war und er nicht umgeben vom Geschwätz unzähliger Menschen warten mußte. (Den Kassenstand erhöhte er als Ausgleich entsprechend.)

„Hallo, Mr. sechs Espresso.“

„Das übliche.“

Nina nickte und machte sich an der Kaffeemaschine zu schaffen. „Und, wie ist es ausgegangen?“

„Was?“ Gelangweilt betrachtete er die Wand mit dem albernen Slogan.

„Die Sache mit dem Buchhändler?“ Sie sah ihn neugierig an. „Habt ihr geredet?“

„Nah.“

Sie hob zweifelnd eine Augenbraue, kippte einen doppelten Espresso in einen Becher und startete die Maschine ein zweites Mal.

„Er ist weg.“ Crowley wußte auch nicht genau, warum er das erzählte. Vielleicht, weil er noch mit niemandem geredet hatte, seit es passiert war. Außerdem konnte sie sich das ja wohl denken, ihr Laden lag gegenüber der Buchhandlung und es würde ihr schon aufgefallen sein, daß Muriel nicht Aziraphale war.

„Das tut mir leid.“

„Nicht nötig.“ Er sah zu, wie sie die zweite Portion Espresso in den Becher kippte. „Mir geht’s gut.“

„Mhm … Schwarz wie immer?“

„Schwarz wie die Hölle.“

Sie warf ihm einen Blick zu. „Und was machst du jetzt?“

Er zuckte mit den Schultern. „Es gibt immer was zu tun.“

Noch ein Blick, zweifelnd.

„Was? Es ist nicht so, als ob ich ihn brauchen würde. Das Leben geht weiter.“ Aziraphale hatte vielleicht tausende von Büchern gelesen, aber er hatte nicht weniger Filme gesehen. Er wußte, wie solche Unterhaltungen abzulaufen hatten.

„Klar.“ Sie kippte die letzte Portion Espresso in den Becher und schob ihn über die Theke. „Geht aufs Haus.“

Er war überrascht. Nina war ihm nie besonders großzügig vorgekommen, und er wußte, daß der Laden nicht viel abwarf. (Unter anderem hatte er den Kassenstand heute gesehen.)

„Weißt du, nach meiner Trennung … und es lief schon länger nicht mehr gut … es hat gedauert, bis ich wieder wußte, wer ich bin. Also ich, nicht wir.“

„Es gab kein wir“, erklärte er schroff. Und er war kein Mensch, der unter Liebeskummer litt. Er hätte längst wieder gehen sollen, seinen Kaffee mitnehmen, dafür waren diese Läden doch da. Crowley hatte es damals für eine ausgezeichnete Idee gehalten, den coffee to go zu erfinden, in Pappbechern, die nach kurzer Zeit durchsuppten und den Geschmack ruinierten. Keine Verschnaufpause, keine Zeit, die Gedanken schweifen zu lassen, keine Gespräche bei einer gemeinsamen Tasse Kaffee. Und die vielen Flüche über überschwappenden Kaffee, ruinierte Kleidung und Verbrühungen erst - da kam ganz schön was zusammen. Hatte ihm damals eine Belobigung eingebracht. Und jetzt stand er hier wie festgenagelt, seinen Pappbecher (ein besseres Exemplar, eines von der Sorte, das den Geschmack nicht beeinträchtigte, jedenfalls nicht, wenn man seinen Kaffee trank, bevor er kalt war) in den Händen, und … er blinzelte, als Nina ihm den Becher wieder aus der Hand nahm. Zwei Hände griffen nach seinen - erstaunlich, wie warm Menschen sein konnten, wärmer als der Kaffeebecher - und zogen ihn in die Ecke, an den einzigen kleinen Tisch im Laden.

„Eigentlich habe ich wirklich zu tun.“ Ihre Stimme klang schroff, sehr viel schroffer, als sich die Hände angefühlt hatten. „Aber da gerade niemand anderes hier ist … setz dich einen Moment.“

Normalerweise war er kein Dämon, der sich gerne sagen ließ, was er zu tun hatte. Das hatte er schon als Engel verabscheut, und es sich als Dämon nur notgedrungen von seinen Vorgesetzten gefallen lassen. Er setzte sich trotzdem, weil er sich mit einem Mal sehr, sehr müde fühlte. Und dann war sie wieder da und stellte eine Tasse vor ihm ab. Eine richtige Tasse, weiß, mit einem paar Flügel als Griff.

„Das ist …“

„Er hat sie hier gekauft.“ Sie nickte ihm aufmunternd zu. „Trink.“

Kakao. Stark und süß. Er wollte protestieren, aber offenbar fehlte ihm auch dazu die Kraft.

„Wie geht es dir?“

„Vielleicht bin ich doch nicht O.K.“ Er umfaßte die Tasse mit beiden Händen, nahm die Wärme auf. „Vielleicht … vermisse ich ihn.“

Sie nickte, er konnte es aus dem Augenwinkel sehen. „Es ist nicht leicht.“

„Nein.“ Das war es wirklich nicht.

Zum Glück war es Nina, nicht Maggie, und Nina wußte, wann es besser war, den Mund zu halten. Sie saßen eine Weile und er trank seinen Kakao, und dann kam ein leises Klingeln von der Tür, weil er nicht mehr darauf geachtet hatte, den Laden abzuschirmen. Sie stand auf, berührte seine Schulter leicht im Gehen und er dachte, daß er vielleicht doch schlafen sollte. Daß er jetzt vielleicht wieder schlafen konnte.

***

Wieder zurück in der Buchhandlung setzte er sich aufs Sofa, auf den Platz, auf dem er in all den Jahren so oft gesessen hat. Muriel schaute ihn nur kurz an, aber sie fragte nicht. Sie war schon wieder dabei, die Bücher zurückzuräumen und ließ ihn in Ruhe. Eine ganze Weile saß er nur da und spürte, wie er immer müder wurde. Er hörte das leise Rascheln von Papier und fast war es, als wäre alles wieder so, wie es gewesen war: Er saß hier, während Aziraphale in seinem Laden was auch immer machte. Die Augen wurden ihm schwer.

***

Als er wieder wach wurde, lag er auf dem Sofa und über ihm eine karierte Wolldecke. Er erkannte das Muster sofort. Der Laden sah aus wie neu, er konnte fühlen, daß alles wieder an seinem Platz war.

„Sieben Tage“, beantwortete Muriel seine Frage, bevor er sie gestellt hatte.

Der Schmerz war nicht weniger. Aber die bleierne Müdigkeit war verschwunden und das erste Mal seitdem Aziraphale gegangen war, hatte er das Gefühl, daß das Leben weiterging.

***

g: fanfic, p: aziraphale / crowley, f: good omens, !120 minuten, g: slash

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