Dies ist Teil 16.
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Freitag
Hin geht es mit Line und Andrea im Kuschelauto. Wir machen zweimal lange Pause, schmeißen eine Matratze in den Wald und kuscheln im Freien. Die Lieben haben Picknickkörbe zurechtgemacht, die Stimmung ist herrlich. Wir brauchen rekordverdächtige 7 Stunden für die 300 Kilometer, kommen aber entspannt, glücklich und ausgeruht dort an.
Das Ökodorf ist eine einsam gelegene Siedlung weitab aller Städte. Es gibt hübsch hergerichtete Bauwagen, mehrstöckige Gemeinschaftshäuser aus Lehm, ein großes Haupthaus mit Altstadtflair und ganz viel Grün. Keine Autos, kein Asphalt, keine Straßenbeleuchtung. Etwa 150 Leute leben hier. Gäste können Zelten, im Bauwagen oder in richtigen Zimmern übernachten.
Ich übernachte in einem Bauwagen, zusammen mit einem fremden Mann, der sehr nett ist. Line hat anscheinend ganz vergessen, sich ein Zimmer zu reservieren und nun schläft sie zusammen mit Andrea in ihrem kleinen Kastenwagen, der neben dem Bauwagen geparkt ist. Und ich denke dazu: Wenn die sich da drin morgens auch noch umziehen, brauchen sie keine Yogastunde mehr.
Hier ist alles so einfach und naturnah. Die Gemeinschaftsdusche ist ein Holzverschlag mit Kopfsteinpflaster, immerhin eine Solaranlage mit warmem Wasser - wenn man früh genug da ist. Bei schönem Wetter ein herrlicher Ort. Für mich ist auch das Haupthaus so schön, weil es so riesig ist und doch so verwinkelt und verspielt und mit viel Holz, gemütlich und warm. Ich kann darin herumlaufen, als wäre ich hier zu hause.
Auf dem Festival gibt es außer Biodanza noch vieles anderes zu entdecken!
"Voice and Pelvis"
mit Anir Leben, die Frau bei der alles irgendwie lose ist. Sie lehrt uns Beweglichkeit, auch mit der Stimme, und vor allem im Becken. Sie fließt so herum, auch über den Boden, und macht dabei lustige Geräusche („Uuuääaahr!“). Das dürfen wir nachmachen. Mein Talent dabei hält sich in Grenzen, aber das Becken ist gut gelockert fürs Wochenende.
Samstag
Biodanza 97
Wird beim Festival von Ralf angeleitet. Biodanza ist immer voller Gefühle, dafür ist es ja da, aber Ralf macht gleich die Großpackung auf. Es gibt Vierergruppen, und ich schreie meinen Liebeskummer heraus, Andrea, Brigitte und Bernhard halten mich gut fest. Danach ist mein Herz gründlich befreit und offen für das Wochenende.
David aus Hamburg ist da, 22 Jahre jung, pure Kraft und Wildheit. Die Frauen haben schon von ihm geschwärmt, ja, der ist wirklich nett. Es macht mir Spaß, mit ihm zu tanzen.
Und wer ist wohl diese so traurig schauende Frau?
Contact Impro 1
Beim Kontakt Impro berührt man einander, wobei die Stelle sich stetig verändert, mit völlig freier Phantasie, was den Rest des Tanzes betrifft. Es sieht dynamisch und innig zugleich aus. Für den Anfänger ist erstmal der Boden der Tanzpartner.
Interessantes Rumrollen, schieben und gleiten auf dem Boden. Für mich ganz andere Körperwahrnehmung.
Dann dürfen wir es mit einem lebendigen Partner probieren. Das ergibt für einen richtig tollen, innigen Tanz mit David. Er landet auf mir drauf und die Anderen kitzeln ihn durch. Er zuckt voll ab - Nahkampf!
Biodanza 98
Eine ganz kleine, zarte, alte Frau kommt auf mich zu. Im ersten Moment finde ich sie unscheinbar und denke: „Na, mit der muss ich wohl vorsichtig umgehen.“ Sie sieht mich an und ich bin sofort verzaubert. Sie schnappt mich als wenn sie mich seit 100 Jahren kennt und dann geht die Post ab! Sie tanzt wie eine junge Göttin und schaut mich aus Augen voller sanfter Liebe an. Sie ist sowas von unbekümmert und zutraulich, es ist die reine Freude mit ihr. Innige Nähe von der ersten Sekunde an. Sowas Schönes. Sowas Liebes.
Techno-Trance-Tanz
Es gibt ein Gemeinschafts-Wohnzimmer mit einem kleinen Tanzraum dahinter und einem gemütlichen Dorfplatz davor, mit Sitzbänken und Bäumen. Rüdiger gibt mir einen aus und wir reden ein Bisschen, er tut sich noch schwer in unserer Gruppe.
Danach gehe ich in den Tanzraum, ohne Schuhe (Man betritt hier alle Gebäude ohne Schuhe). Tanzen geht zu Elektro richtig gut. Das mit der Trance funktioniert, ich kann mich richtig wegtanzen, in ein gutes Körpergefühl hineintauchen und die fetten Rhythmen genießen.
Zum Ausruhen setze ich mich in das Wohnzimmer, viele sind hier. Die traurige Frau sieht mich so lieb an, aber ich traue mich nicht an sie heran. Später liegt Jochen mit ihr im Arm auf dem Sofa, und jetzt ich bin ganz traurig wie bei "Das wäre Ihr Preis gewesen!"
Sonntag
Biodanza 99
Ich versuche, bei der traurigen Frau zu landen und sie lässt mich knallhart abblitzen. Jetzt bin ich ganz unten. Nur Brigitte rettet mich ein bisschen. Später erzähle ich Andrea und Line meinen Kummer und sie sind so lieb mit mir! Langsam und über Tag bauen sie mich wieder auf, die Engel.
Sie erzählen mir, dass die traurige Frau ganz schwerwiegende psychische Probleme hat (woher wissen die das denn schon wieder?) Wir essen und kuscheln zusammen.
Biodanza 100
Im kleinen Kreis mit Julia als Leitung, Ralf hat Pause. Mareike, sportlich, Superkurzhaarschnitt, mit der ich gestern schon einen schönen Tanz hatte, ist auch wieder da. Beim kuschligen Teil liegt sie hinter mir und weint. Ich streichele ihr zart durchs Gesicht. Line liegt vor mir und weint auch. Mensch Leute, ich hab doch nur zwei Hände!
Tanzabend
Die liebenswerte zarte alte Frau ist wieder da und wir tanzen nochmal richtig schön miteinander.
Später bin ich mit Henning im großen Wohnzimmer und wir reden so vertraut miteinander, er erzählt mir, wie es gerade bei ihm zuhause mit seiner Familie ist. So fühle ich mich mit ihm verbunden und freue mich darüber.
Auf dem Rückweg zum Bauwagen, mit Andrea und Line, stellt die kleine, zarte Andrea sich auf eine Stufe und sagt zu mir: „Komm, Adrian! Jetzt bin ich auch groß. Nur die Fülle kann ich Dir nicht geben.“ Damit meint sie natürlich Irmgard. Ich habe Andrea so viel über meine Gefühle erzählt. Jetzt lasse ich mich von ihr drücken. Viel Liebe gibt sie mir und einen unvergesslich schönen Moment.
Montag
Biodanza 101
Ich drücke Henning und es rührt ihn so an, was ich aber nicht gleich mitbekomme, weil er einen halben Meter größer ist als ich. Er sagt es mir aber später. Ein Gefühl von beginnender Freundschaft.
Contact Impro 2
Jetzt geht es in den Kontakt zu zweit. Ist das toll. Richtiger Ganzkörper-Muskeleinsatz, auch blaue Flecken sind drin. Danach Entspannung. Die zarte alte Frau ist wieder da, sie heißt Maria, und der Tanz mit ihr ist wieder die reine Freude. Sie hat eine so sanfte, liebe Stimme und strahlt Selbstbewusstsein aus, ohne mich einzuschüchtern. Sie hat so eine Leichtigkeit. Ein bisschen erinnert sie mich auch an meine kleine, zarte, liebe Oma aus Ostpreußen, die mich als Kind verwöhnt hat.
Nach dem Mittagessen zieht Line mit Bernhard, Markus, Henning und mir durch die Räume auf der Suche nach einem Sofa. Die Kuschelkönigin und ihr Gefolge.
Im Ökodorf habe ich das Gefühl, angenommen und geborgen zu sein, ich bin nur von lieben Menschen umgeben, die mich so annehmen, wie ich bin. Alle sagen "Du" zueinander. Ich darf einfach sein, mich um nichts kümmern, mir keine Sorgen und Gedanken machen, es ist alles gut so wie es ist. Ich komme nicht mal auf die Idee, die Tür abzuschließen. Ich höre komplett auf zu denken und lebe in den Tag hinein. Es gibt dreimal am Tag gesundes, bioveganes Essen direkt vom Acker. Ich brauche keine Uhr, denn wenn irgendwas los ist, wird die Dorfglocke geläutet (Es ist eine ausgediente Gasflasche). Ich denke: Es ist nicht schlimm, wenn man dement wird, solange man nur von lieben Menschen umgeben ist.
Alte Europäische Tänze
Das ist mal was ganz anderes. Nicht frei nach Gefühl wie beim Biodanza, sondern mit geübten Schritten. Da muss man sich richtig konzentrieren! Aber Interessant, was es alles gibt.
Wohnzimmer
Kuscheln auf dem Sofa mit Andrea und Jochen. Sowas irritiert in diesem Treffpunkt niemanden. Ausgerechnet der Jochen, auf den ich so neidisch bin, sagt mir, dass er mich richtig mag und schenkt mir sein Kopftuch. Ich bin ganz geplättet vor Überraschung.
Dienstag
Abreisetag. Wir sitzen noch etwas zusammen, ich fachsimpele mit Henning, er hat auch einen technischen Beruf. Ich habe auch noch Gelegenheit, mich von der zauberhaften Maria zu verabschieden. Zum Schluss besuche ich den Raum der Stille. Er ist aus Lehm gebaut und wirklich ganz unglaublich still. Dann geht es mit Andrea und Line nach Hause, auch diese Fahrt ist die reine Freude.
Später werde ich sagen, dass dies einer meiner schönsten Urlaube überhaupt war. Ein Bisschen wie im Paradies.
Hier geht es zum 17. Teil! Sie können mich unter adrian(dott)durstbusch(ätt)web(dott)de erreichen.