Titel:
TransportproblemePrompt: Transportprobleme
Genre: Freundschaft, etwas Humor?, Fluff, Kitsch *räusper*
Medium: Fanfic, Fanart
Zusammenfassung: Mit einem frustrierten Knurren knallte Thiel die Gummi-Spannbänder, die er extra noch eingesteckt hatte, auf den Boden, schob seine Strickmütze hoch und wischte sich mit seinem Handschuh den Schweiß von der Stirn. Er hatte die Nase jetzt schon gestrichen voll. Dabei hatte die Arbeit gerade erst angefangen... und eigentlich hatte er sich sogar darauf gefreut.
Anmerkungen: wieder ohne Beta, aus den gleichen Gründen wie immer - weist mich bitte auf die Fehler hin! Danke
A.N.: @ califor_nia, wenn ich je richtigen Kitsch produziert habe, dann mit dieser Geschichte und der, die im Kalender noch kommt.
Du bist hiermit vor beiden gewarnt.
Wörter: 3600
Also das konnte doch nicht… das musste doch irgendwie… es war ja wohl nicht möglich, dass das nicht klappen wollte, so wie er sich das gedacht hatte… halt, er würde doch jetzt nicht hinten wieder runterrutschen, da hatte er ihn doch gerade erst… beherzt griff Thiel zu, um das Schlimmste zu verhindern - aber zu spät… das gute Stück lag im Dreck. Wieder einmal.
Mit einem frustrierten Fluchen knallte Thiel die Gummi-Spannbänder, die er extra noch eingesteckt hatte, gleich daneben, schob seine Strickmütze hoch und wischte sich mit seinem Handschuh den Schweiß von der Stirn. Er hatte die Nase jetzt schon gestrichen voll. Dabei hatte die Arbeit doch gerade erst angefangen… und eigentlich hatte er sich sogar darauf gefreut.
Also beugte er sich nach einem ergebenen Seufzen zu Boden, klaubte die Spanngurte wieder auf und versuchte erneut, das störrische Unikum irgendwie… es musste doch möglich sein… und wenn er vielleicht andersherum - nein, das ging schon mal gar nicht… aber er konnte doch nicht laufen, das Rad mit einer Hand schieben und gleichzeitig den…
„Was soll das denn werden, wenn es fertig ist?“
Thiel hätte am liebsten in seinen Fahrradlenker gebissen, als er die Stimme hinter sich hörte. Boerne. Der hatte ihm gerade noch gefehlt.
Er machte sich nicht einmal die Mühe, sich umzudrehen, als er über die Schulter brummte: „Wonach sieht’s denn aus?“
„Wenn Sie’s genau wissen wollen, als ob ein übelgelaunter Giftzwerg verzweifelt versucht, eine Krüppelfichte an seinem Fahrrad zu befestigen.“
Auch wenn er Boerne den Rücken zukehrte, hatte er dessen überheblich-sarkastischen Gesichtsausdruck förmlich vor Augen, als er die Antwort hörte. Das war ja wohl die Höhe! Zornig wandte Thiel sich um. „Ich geb‘ Ihnen gleich…“ Aber dann brach er mitten im Satz ab. Sein Nachbar sah absolut nicht so aus, wie er sich das vorgestellt hatte. Boerne lächelte leicht, aber nicht arrogant, nur ein wenig amüsiert. Und da war noch etwas anderes in seinen Augen, auch wenn er es nicht deuten konnte.
Thiels Wut verrauchte so schnell wie sein Atem in der Kälte und er sackte ein wenig zusammen. Boerne hatte ja Recht. Gut, das mit dem Giftzwerg war eine Unverschämtheit - doch dann dachte er an die vielen Flüche, die seine fruchtlose Aktion untermalt hatten und gestand sich ein, dass vielleicht doch etwas Wahres an dieser Beobachtung dran war. Und der Baum, den er seit einer ganzen Weile an seinem Rad zu befestigen versuchte, war wirklich eine Katastrophe. Morgen war der vierte Advent und am Tag darauf schon Heiligabend; die hübschen Weihnachtsbäume waren alle längst vergriffen, nur ein paar ganz große waren noch übrig gewesen, und eine schöne, ziemlich teure Tanne. Aber die konnte Thiel nicht bezahlen, soviel Bargeld hatte er nicht dabei. Also hatte er die letzte, einigermaßen kleine Fichte genommen. Die war augenscheinlich schon länger geschlagen, durch die vermehrten Abstürze hatte sie bereits einen Teil ihrer Nadeln eingebüßt. Der Rest, der noch festsaß, hatte ihm, trotz dass sie mit einem Netz umwickelt war, durch die Handschuhe hindurch die Hände zerstochen. Die harzigen Flecken in seiner Hose würde er wahrscheinlich nie wieder herausbekommen, und der Plan, das Rad als Transportmittel zu nehmen, war nun erst Recht eine Schnapsidee gewesen. Jetzt stand er hier und würde entweder zuerst das Rad oder zuerst den Baum heimbringen müssen; beides zusammen wollte einfach nicht gelingen.
Und in den überfüllten Supermarkt, auf dessen Parkplatz er gerade seinen bereits mächtig mitgenommenen Weihnachtsbaum erstanden hatte, musste er heute auch noch. Thiel seufzte. Was für ein Start in die Feiertage.
Aber Boerne ließ ihm keine Zeit, seinen gefrusteten Gedanken nachzuhängen. „Wir kennen uns nun schon so lange, und in all den Jahren haben Sie noch nie einen Weihnachtsbaum gekauft.“ Der Professor hatte inzwischen schaudernd seine Hände in die Manteltasche gesteckt und sah ihn mit schräggelegtem Kopf ein wenig neugierig an.
Thiel fuhr sich über die Stirn. „Ja, ich krieg‘ morgen Besuch. Meine Patentante kommt über die Feiertage und…“ Er brach ab, weil Boerne ihn nun ganz verwundert anstarrte. „Was? Wissen Sie nicht, was eine Patentante ist?“
Der Professor schob sich die Brille hoch, reagierte nicht auf seinen Kalauer. „Sie wollen allen Ernstes eine ältere Dame in bei sich unterbringen? Thiel, bei allem Respekt, aber ich glaube nicht, dass Sie so kurzfristig eine Entrümpelungsfirma finden, die Ihnen hilft, Ihre Wohnung noch vor Weihnachten in einen vorzeigbaren Zustand zu bringen.“ Da war wieder dies amüsierte, leise Lächeln, das seiner Unverschämtheit irgendwie die Spitze nahm.
Thiel überlegte noch, wie er reagieren sollte, als Boerne auf den Baum zeigte und schon weitersprach. „Warum haben Sie denn Ihren Vater nicht angerufen? Es kann doch kein Problem sein, dieses Ding in sein Taxi zu verfrachten. Die paarhundert Nadeln, die herunterrieseln, sollten in dem Wagen kaum auffallen.“
Thiel entschied, auf all die despektierlichen Bemerkungen gar nicht mehr einzugehen, sondern zuckte mit den Schultern. „Vaddern ist auf dem Weg nach Indien. Der hat mit Weihnachten nix am Hut.“
Boerne verdrehte einmal kurz die Augen in den Himmel. „Ist ja interessant. Und warum haben Sie mich nicht angerufen? Ich habe Ihnen doch gestern im Präsidium noch gesagt, dass ich heute hier letzte Besorgungen machen werde.“
Thiel starrte ihn verwundert an. „Haben Sie?“
Jetzt war es an Boerne, zu seufzen. „Ja, habe ich. Lang und breit. Aber so wie es aussieht, sind Sie während unseres Gesprächs mit Ihren Gedanken irgendwohin abgeschweift. Das ist eigentlich ziemlich unhöflich, Thiel.“
Der Kommissar schnaubte. Das war kein Gespräch gewesen, sondern ein Monolog. Und dass Boerne, der in jedem zweiten Satz mit irgendwelchen Unverfrorenheiten um sich feuerte, ihm Unhöflichkeit vorwarf, war schon mehr als Ironie. Aber erneut kam er nicht dazu, zu antworten, denn Boerne redete bereits weiter.
„Also, passen Sie auf. Ich nehme Ihre Errungenschaft im Wagen mit und Sie kommen mit dem Rad nach. Einverstanden? Sonst ist von dem Baum nichts mehr übrig, bis Sie daheim sind.“
Thiel blickte verwundert, aber auch dankbar auf. Damit wären seine Transportprobleme ja gelöst! „Ich muss aber noch etwas zu Essen einkaufen, sonst kriegt meine Patentante über die Feiertage nichts zwischen die Zähne.“
Erneut erschien ein amüsierter Ausdruck auf Boernes Gesicht, als er nickte. „Das wäre natürlich unentschuldbar. Na dann sehen Sie mal zu, dass Sie Ihren Kühlschrank wieder auffüllen.“ Er zog seine Lederhandschuhe an und nahm nun mit einem leicht skeptischen Ausdruck in den Augen den Baum in eine Hand. „Ich lasse mir dieses einzigartige Gewächs jetzt erst einmal in einen Plastiksack stecken, sonst ruiniert der harzige Stamm mir meine Kofferraummatte.“
Thiel zog verwundert die Augenbrauchen hoch. „Plastiksack? In der Länge? Sowas gibt’s?“ Wenn er das vorher gewusst hätte, dann hätte er sich nicht so die Hände zerstochen und seine Jeans versaut!
Boerne sah ihn nur ungläubig an. „Meine Güte, man merkt, dass Sie seit Ewigkeiten keinen Baum mehr gekauft haben.“ Kopfschüttelnd wandte er sich schon ab, drehte sich aber dann noch einmal zurück und verengte argwöhnisch die Augen. „Thiel, haben Sie denn alles, was Sie zum Schmücken benötigen? Kugeln, Lichterkette, Baumständer?“
„Äh…“ Thiel schluckte. Boerne hatte seinen Finger genau in die Wunde gelegt; er musste ja auch noch einen Baumständer anschaffen. Das wäre jetzt fast schiefgegangen! Er hatte noch ein paar Kugeln, die zwar farblich nicht so ganz zusammenpassten, aber seine Tante würde das wohl nicht so eng sehen - hoffte er. Eine Lichterkette wollte er gleich besorgen, die gab es ja hoffentlich noch. Aber an einen Ständer hätte er fast nicht mehr gedacht. Na, das wär’s ja noch gewesen, er hätte den Baum nicht mal aufstellen können! Aber wie zur Hölle sollte er neben den Einkaufstüten noch einen schweren Baumständer nach Hause transportieren? Verflixt, er hätte doch alles gründlicher planen müssen!
Boerne, der ihn nicht aus den Augen gelassen hatte, stellte die Fichte noch einmal ab, ignorierte die Nadeln, die dabei auf seine Schuhe rieselten und fragte nur ganz entspannt: „Was fehlt?“
Thiel zuckte mit den Schultern. „Ich muss noch einen Ständer kaufen. Und eine Lichterkette, aber die ist ja klein, die ist kein Problem. Den Ständer dagegen kriege ich auf dem Rad wohl nur schwer mit…“ Er traute sich kaum zu fragen. „Könnten Sie den vielleicht…?“ Boerne winkte energisch ab und Thiels Mut sank. Er sah sich bereits ein zweites Mal in den Supermarkt radeln, als sein Nachbar sagte: „Ich habe einen Baumständer für Sie, den brauchen Sie wirklich nicht extra anzuschaffen.“
Thiel konnte sein Glück kaum fassen. „Das ist ja prima!“
Boernes Mundwinkel zuckten erneut und er wies mit dem Kopf Richtung Supermarkt. „Na dann legen Sie mal los. Wir sehen uns später.“ Mit diesen Worten nahm er die Fichte und steuerte auf den Weihnachtsbaumverkäufer zu, der irgendwo zwischen den großen Tannen einen Kunden bediente.
Thiel sah ihm für einen Moment nach und lächelte dann selber. Boerne war irgendwie anders heute; ruhiger, und nicht so zynisch wie sonst. Vielleicht war die Jahreszeit der Auslöser dafür.
Kopfschüttelnd wandte er sich ab und stürzte sich in das Getümmel des Supermarktes.
Es kostete Thiel weit mehr als eine Stunde und noch einige Flüche - die Boernes vorherige, wenig charmante Bezeichnung durchaus untermauerten - bis er endlich, vollbepackt mit mehreren Einkaufstüten, zu Hause ankam.
Schnaufend schleppte er seine Taschen die Treppe hinauf und sah bereits von weitem den von einem weißen Plastiksack umhüllten Weihnachtsbaum neben seiner Tür lehnen. Das war ja nett von Boerne, er hat die Fichte schon aus dem Wagen mit nach oben gebracht.
Thiel beschloss, zuerst seine Einkäufe einzuräumen und dann aggressiv die Wohnung zu entrümpeln, bevor er sich um den Baum kümmern würde. Der stand dort ja erst einmal ganz gut.
Gerade, als er an seiner Tür ankam, wurde in der Nachbarwohnung Musik angestellt. Im ersten Moment wollte Thiel die Augen verdrehen, Götterdämmerung war nun wirklich nicht das, was ihn beim Aufräumen moralisch unterstützen würde. Doch die CD, die Boerne angeworfen hatte, kannte er gar nicht. Erfreulicherweise dröhnte ihm keine Orchestermusik um die Ohren, da spielte nur ein Klavier. Er verharrte er für einen Moment und lauschte. Die Musik war für Boernes Verhältnisse relativ leise; ziemlich berührend, fast ein wenig traurig. War das Weihnachtsmusik? Thiel war sich nicht sicher, er wusste nur, dass er dieses Stück nie gehört hatte. Aber es gefiel ihm.
Plötzlich wurde er sich der Tatsache bewusst, dass er nun schon eine ganze Weile mit seinen Tüten in der Hand im Flur stand und Boernes CD lauschte.
Während er seinen Ballast abstellte und seinen Schlüssel hervorkramte, schüttelte er den Kopf. Er selber tickte heute scheinbar auch irgendwie anders; wahrscheinlich war die Jahreszeit der Auslöser dafür.
Zwei Stunden später wischte sich Thiel den Schweiß von der Stirn, marschierte zu seinem ausnahmsweise wohlgefüllten Kühlschrank und nahm sich eine Flasche Bier heraus. Die hatte er sich wahrlich verdient! Seine Wohnung war so aufgeräumt wie seit Jahren nicht mehr und sogar ein wenig Staub gewischt hatte er. Die Arbeit war ihm erstaunlich leicht von der Hand gegangen, er war schwungvoll gewesen, hatte dabei die ganze Zeit mit einem Ohr der leisen Musik gelauscht, die aus der Nachbarwohnung drang.
Tatsächlich war aber nicht nur das Bier eine Belohnung für ihn, er freute sich jetzt tatsächlich darauf, den Weihnachtsbaum aufzustellen. Früher, mit Susanne und Lukas, hatte er das immer gemacht. Weihnachten ohne Baum, das gab es einfach nicht.
Aber seit er allein war, hatten Weihnachtsbäume und die Feiertage an sich für ihn ihren Reiz verloren. Viele Jahre lang; aber dieses Jahr war alles anders.
Jetzt erwartete er Besuch, und zum ersten Mal verspürte er wieder die Lust, seine Wohnung etwas zu dekorieren. Seine Patentante war neben seiner Mutter eine der wichtigsten Personen in seinem Leben gewesen, ihr inzwischen verstorbener Mann ein Vaterersatz für ihn. Sie war eine bodenständige, unkomplizierte Frau, die gerne lachte. Thiel freute sich darauf, sie endlich einmal wieder zu sehen, freute sich darauf, ihr Münster zu zeigen.
Beschwingt durchquerte er das Treppenhaus und klingelte bei seinem Nachbarn. Er hörte, wie drinnen die Musik abgestellt wurde und ein paar Sekunden später näherten sich Schritte und die Tür öffnete sich.
Boerne war schon präpariert, hielt ein rundes, grünes Plastikteil in der Hand, das Thiel dank seiner scharfen Kombinationsgabe als Weihnachtsbaumständer identifizierte; auch, wenn er solch einen modernen noch nie benutzt hatte.
„Große Dinge werfen ihre Schatten voraus. Dass ich das noch erleben darf…“ Boerne hob eine Augenbraue und sah ihn über die Brille hinweg lächelnd an.
Thiel nahm ihm den Baumständer ab und drehte ihn ein wenig hilflos in den Händen hin und her. „Ähm, Boerne, wie funktioniert denn der Kram hier? Ich hatte immer nur so einen mit Schrauben.“
Boerne legte den Kopf etwas schräg und wirkte mit einem Mal ganz unternehmend. „Wissen Sie was, bevor ich hier lange erkläre, komme ich kurz mit rein. So einen Baum stellt man ohnehin besser zu zweit auf.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er an Thiel vorbei, schnappte sich die verpackte Fichte und rief über die Schulter: „Na kommen Sie schon! Oder wollten Sie mit ihrem Schmuckstück das Treppenhaus verzieren?“
Kopfschüttelnd folgte Thiel ihm nach.
Boerne war bereits zielstrebig mit dem Baum bis ins Wohnzimmer durchmarschiert, hatte ihn dort abgestellt und sah sich nun mit einem verwunderten Gesichtsausdruck um. „Ganz ehrlich, ich glaube, so aufgeräumt habe ich Ihre Wohnung noch nicht gesehen. Sie haben sich ja mächtig ins Zeug gelegt in der kurzen Zeit, das hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut.“
Für einen Moment überlegte Thiel, ob er beleidigt sein sollte, aber dann siegte seine Gutmütigkeit. „Joa, ist gut geworden, was?“, grinste er. „Aber die Tür vom Vorratsschrank darf man ohne Schutzhelm nicht mehr aufmachen.“
Boerne schob sichtbar amüsiert seine Brille hoch und wies dann auf den Baum. „So, wo soll er denn stehen?“
Thiel fuhr sich durch die Haare und deutete nach kurzer Überlegung neben das Sideboard. „Vielleicht da!“
Boerne warf ihm einen stirnrunzelnden Blick zu. „Dann können Sie die Schubladen nicht mehr öffnen, Thiel. Was halten Sie davon, wenn Sie das Sofa einen Meter verrücken, und wir platzieren den Baum dort in die Ecke? Da steht er weit weg von Fenster, Schrank und Fernseher.“
Thiel musste zugeben, dass die Idee nicht schlecht war. Mit einem „Klingt gut!“ stellte er den Baumständer ab und schob das Sofa ein wenig zur Seite.
Sein Kollege bedeutete ihm daraufhin, den Baum zu nehmen, griff nach dem Ständer und wies Thiel an, die Fichte ein Stück anzuheben. Mit wenigen Handgriffen dirigierte er den Stamm in die Halterung, spannte ihn ein und erhob sich dann.
„So, da steht das gute Stück. Und nun viel Erfolg beim Schmücken.“ Mit diesen Worten wandte er sich zum Gehen.
Thiel blickte etwas perplex hinter ihm her. „Wie jetzt, das war’s schon?“
Boerne drehte sich noch einmal zu ihm zurück. „Ja, was hatten Sie denn gedacht? Den Baum auspacken und so drehen, dass die schönste Seite nach vorne zeigt, werden Sie doch selber schaffen, oder?“
„Ja, klar. Ich hab mich nur gewundert, wie schnell das mit dem Aufstellen ging.“
Boerne lächelte nur und marschierte dann weiter Richtung Tür.
Thiel, der weiterhin den praktischen Ständer bewunderte, war aber noch nicht ganz fertig. „Sagen Sie, Boerne, wieso haben Sie eigentlich zwei von den Dingern? Das ist doch wirklich übertrieben.“
Boerne stoppte kurz vor der Tür. „Wie kommen Sie darauf, dass ich zwei davon habe?“ Er klang verwundert.
Nun war es an Thiel, verdutzt aufzuschauen. „Ja, ich dachte, wenn Sie mir einen abgeben… Sie müssen Ihre Tanne doch auch irgendwo reinstellen?“
In dem Blick, mit dem Boerne ihn nun musterte, lag wieder der gleiche Ausdruck wie schon zuvor auf dem Parkplatz des Supermarktes. „Ach Thiel, ich habe seit Jahren keinen Baum mehr aufgestellt. Seit meine Mutter nicht mehr lebt, ist meine Schwester mit ihrer Familie dazu übergegangen, über die Festtage in den Süden zu fliegen. Ich selber habe Rufbereitschaft und es wird wie jedes Jahr ein paar Unglückliche geben, die sich während der einsamen Feiertage dazu entschließen, dieser Welt endgültig den Rücken zu kehren." Er war inzwischen an der Tür angekommen. "Ich werde voraussichtlich die Hälfte der Weihnachtszeit im Institut verbringen. Also, was soll ich da mit einem Baum.“
Thiel starrte ihm mit offenem Mund hinterher, aber bevor er eine halbwegs vernünftige Antwort parat hatte, fiel seine Eingangstür ins Schloss.
Boernes Tonfall… darin war etwas durchgeklungen, das Thiel ein wenig betroffen zurückgelassen hatte. Er stand noch für einen Moment unbeweglich, bevor er sich aus seiner Starre löste. Zeit, endlich Baum zu schmücken.
Sein nächster Weg führte ihn in die Küche, wo er eine Schere aus der Schublade nahm, um damit die Verpackung zerschneiden, die seine Fichte immer noch einhüllte. In einem Anflug von Pfiffigkeit, zu der er sich selbst gratulierte, nahm er gleich noch das Kehrblech mit. Es stand zu erwarten, dass der Baum während des Auspackens und Schmückens noch einige seiner Nadeln einbüßen würde.
Wieder im Wohnzimmer angekommen, machte er sich gleich ans Werk. Er schnitt Netz und Sack gleichzeitig auf und zog die Umhüllung dann mit Schwung ab, so dass sich der Baum in all seiner Pracht entfalten konnte.
Und wieder starrte Thiel mit offenem Mund. Der Baum war wirklich prachtvoll. Das war nicht die Fichte, die er ausgesucht hatte - das war die schöngewachsene Tanne, die er nicht hatte bezahlen können.
Für den Bruchteil einer Sekunde dachte er, dass Boerne ihre Weihnachtsbäume verwechselt haben musste, aber dann wurde ihm nochmals in aller Deutlichkeit klar, dass Boerne ja gar keinen Baum aufstellen würde.
Keine zehn Sekunden später klingelte er erneut bei seinem Nachbarn.
Kaum dass die Tür geöffnet wurde, legte Thiel los. „Was haben Sie sich dabei gedacht?“
Es wurde ihm erst bewusst, dass er aufgebracht geklungen haben musste, als sein Kollege einen Schritt zurückwich und fast unbeholfen murmelte: „Ich dachte, er würde Ihnen gefallen!“
Thiel hätte sich am liebsten vor den Kopf geschlagen. „Boerne, so habe ich das nicht gemeint! Der Baum ist wirklich toll! Aber… ich… der war so teuer, und…“
Er druckste, wusste gar nicht, wie er sich ausdrücken sollte. Doch Boerne erbarmte sich seiner und ließ ihn nicht weiterstottern. „Wenn Ihnen die Tanne gefällt, wo ist dann Ihr Problem? Sie bekommen Besuch über die Feiertage und ihre Tante wird sich bestimmt freuen, dass da ein Baum steht, der seine Nadeln nicht verliert, nur weil jemand in drei Metern Entfernung etwas zu kräftig auf den Boden tritt.“
Thiel schnaubte ein wenig. „Denken Sie nicht, dass Sie da etwas übertreiben? So schlimm war die Fichte nun auch nicht…“ Er konnte nicht verhindern, dass seine Mundwinkel zuckten.
Boerne, der erleichtert schien, dass Thiel wieder ganz entspannt war, nickte ergeben. „Wenn Sie meinen, Thiel… sagen wir, zwei Meter.“
Thiel steckte die Hände in die Hosentaschen und grinste. „Sie sind doch echt unverbesserlich.“
Boerne schmunzelte ebenfalls. „Nun, nachdem das jetzt erschöpfend geklärt ist, kann ich ja vielleicht zu den Nachrichten zurückkehren?“
Doch Thiel stoppte ihn, bevor er die Tür schließen konnte. „Augenblick noch, Boerne! Ich wollte Sie fragen, ob Sie Lust haben, Heiligabend zum Essen zu uns kommen. Meine Tante würde sich bestimmt freuen, Sie kennenzulernen.“
Im ersten Moment war Thiel ganz verblüfft über sich selbst; aber dann wurde ihm klar, dass die Idee sich schon seit Stunden unbewusst in seinem Hinterkopf breitgemacht und in diesem Augenblick mit Gewalt nach vorne gedrängt hatte. Noch heute Nachmittag hätte er sich nicht vorstellen können, Boerne so etwas freiwillig zu fragen, aber jetzt gerade schien es einfach das absolut Richtige zu sein.
Und wenn er noch leichte Zweifel gehabt hatte, wie sein Nachbar darauf reagieren würde, löschte das erfreute Lächeln, dass sich auf Boernes Zügen ausbreitete, diese vollständig aus. „Ich... ich komme sehr gerne, Thiel.“
Das war eine ungewöhnlich kurze Antwort für den sonst so redseligen Mann. Doch sein Gesichtsausdruck und die wenigen Worte reichten, eine Flut von ehrlichen Gefühlen zu transportieren - was ihm sonst oft Probleme bereitete.
Aber Boerne war heute ohnehin ganz anders als sonst. Genau wie Thiel selbst sich auch ganz anders fühlte. Vermutlich war wirklich die Jahreszeit der Auslöser dafür.
Thiel nickte noch einmal bekräftigend. „Sagen wir so gegen 19 Uhr. Es gibt Ente.“
„Oh, ein richtiger Festtagsbraten.“ Boerne rieb sich enthusiastisch die Hände. „Dazu habe ich einen ganz ausgezeichneten Rotwein im Keller.“
Thiel grinste. „Ich will Sie nicht enttäuschen, aber meine Tante ist Pilstrinkerin.“
Boerne winkte nur fröhlich ab. „Das macht nichts, dann bleibt umso mehr für mich.“
Lachend schüttelte Thiel den Kopf und wandte sich zum Gehen, aber dann fiel ihm noch etwas ein. „Ach, können Sie vielleicht die CD mitbringen, die bei Ihnen im Spieler liegt? Ich glaube, meine Tante steht nicht so auf AC/DC oder Alice Cooper.“
Jetzt runzelte Boerne die Stirn und lehnte sich an den Türrahmen. „Thiel, ihren verschrobenen Musikgeschmack in Ehren, aber Wagners Parsifal ist nun wirklich nicht die richtige musikalische Untermalung für ein Weihnachtsessen.“
„Wagner? Ich wusste gar nicht, dass der so schöne Klaviermusik geschrieben hat, ich kenne von dem nur diese grässlich bombastische Orchestermucke, die Sie mir sonst immer um die Ohren knallen.“
Boernes Augen weiteten sich in plötzlicher Erkenntnis. „Klavier? Oh, jetzt verstehe ich.“ Er fuhr sich durch die Haare und wirkte fast ein wenig verlegen. „Die Musik von heute Abend meinen Sie? Die kam von keiner CD. Ich habe gespielt.“
„Sowas!“ Thiel zog überrascht die Augenbrauen hoch und lächelte dann anerkennend. „Das klang nett. Warum spielen Sie nicht öfters?“
Boernes verlegener Gesichtsausdruck, der sich bei Thiels Lächeln wieder entspannt hatte, wich einer nachdenklichen Miene. Er zuckte mit den Schultern. „Lange Zeit hat es mir einfach keine Freude gemacht. Aber irgendwie hatte ich heute einmal wieder Lust, zu spielen… ich weiß selber nicht warum. Ich nehme an, die Jahreszeit ist der Auslöser dafür.“
Thiel nickte verständnisvoll; dass musste es sein.
Dann wandte er sich zum Gehen. „Ok, wir sehen uns spätestens Montagabend. Und danke nochmal, Boerne.“
Sein Nachbar lächelte ihn an. „Ich habe zu danken, Thiel. Bis dann!“
Thiel nickte und verschwand in seiner Wohnung. Der Baum würde sich nicht von allein schmücken, er hatte noch genug zu tun. Aber er freute sich darauf.
Jetzt noch mehr als vorher.
Die Grafik ist wieder von mir selbst und aus Google zusammengeklaut; soll also nur ein Späßle sein!