Mit Ungeduld warteten wir - welche Überraschung bereitet Russland auf die letzte Sanktionsrunde der EU. Nach einigen Wochen war man dann enttäuscht. Russland schien diesmal nur eingesteckt zu haben.
Es blieb dabei ein wichtiges Ereignis fast übersehen - einer der bedeutendsten russischen Oligarchen Wladimir Ewtuschenkow wurde unter Hausarrest gestellt. Die Situation rief bei vielen die Assoziationen mit dem Chodorkowski-Fall hervor. Ist es die erwartete Antwort? Wurde Putin wieder seinem Ruf gerecht, unberechenbar zu sein?
Ich übersetzte
die Meinung eines russischen Analysten Jurij Seliwanow über die Bedeutung der Verhaftung von Ewtuschenkow. Jurij Seliwanow veröffentlicht regelmäßig seine Analysen zu den Ereignissen in der Ukraine auf der Seite des Koordinationszentrums „Neues Russland“.
Quelle:
http://www.putin-today.ru/ Putin fand die Achillesferse des Westens
22 September 2014
Was steht hinter der Verhaftung von Wladimir Ewtuschenkow
In Juni wurde auf der Seite „Neues Russland“ ein Artikel „Große antioligarchische Revolution“ veröffentlicht, wo die Beziehungen zwischen dem russischen nationalen Führer Wladimir Putin und dem oligarchischen Kapital in Russland als antagonistisch qualifiziert werden, die einer Auflösung bedürfen.
In diesem Artikel wurde vorausgesagt, dass die Konfrontation der Oligarchen und dem Kreml fortgesetzt wird: „Putin wird früher oder später neue und recht harte Schritte in Richtung weiterer Einschränkung der oligarchischen Freiheiten einfach deswegen, weil man sonst alle seine Pläne des Wiederaufbaus Russlands ohne das begraben kann“.
Nicht mal drei Monate später bekamen „neue und recht harte Schritte Putins“ in Bezug auf die einheimische Oligarchie praktischen Inhalt. Die Kommentatoren, die das Thema der Verhaftung des Milliarders Wladimir Ewtuschenkow auf die Besprechung seiner Manipulationen mit „Baschneft“, machen sich was vor. Und zwar, sie hätten gerne, dass das Geschehene sich auf einen lokalen Fall beschränkt, und es soll bloss, um Gottes Willen, nicht zu einem beherrschenden Thema und Illustration einiger globaler Tendenzen werden.
Währenddessen, wie es aussieht, zog Wladimir Putin aber genau die globalen Schlüsse in Bezug auf nominal russisches Oligarchat und deren Basis wurde das Drama, das von der Ukraine erlebt wird. Dortige Wirtschaftsbosse des großen Business, die sich auf den Ruinen der Wirtschaft der ehemaligen UdSSR gemütlich gemacht haben und geschickt den Profit aus diesen Ruinen gezogen haben, führten ihr Land zu dem Westen in die wirtschaftliche Sklaverei. Und als der Westen beschloss einen endgültigen Punkt in dem geopolitischen Schicksal der Ukraine zu setzen, haben alles Oligarchen wie eine Eins sofort sowohl ihr Volk als auch ihre staatliche Selbsständigkeit verraten.
Bestimmt wurde diese Lehre zu einem der Schlüsselereignisse in der ukrainischen Erfahrung. Zusammen mit dem klaren Verständnis, dass die pseudorussischen Oligarchen keinesfalls besser sind als die pseudoukrainischen, und, wenn sie es brauchen, sie genauso ihre Heimat mit allen Innereien abgeben, motivierte das den Kreml zu den harten preventiven Reinigungsmaßnahmen der oligarchischen Wiese.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass mit genau denselben Gedanken der Kreml-Spitzen sich auch die Tatsache erklärt, dass das offizielle Moskau sich kein einziges Mal negativ gegenüber der vielen Initiativen der jungen Anführer von Noworossija zeigte, die mit aller Mühe den lokalen Aufstand in die Richtung der antioligarchischen Revolution drängten. Und diese Position ist durchaus logisch - wenn schon irgendwo ein totaler Krieg mit den Oligarchen gestartet werden soll, dann natürlich in der Ukraine, wo ihre Herrschaft schon zu der nationalen Katastrophe führte.
Natürlich sind ihre Kollegen an der anderen Seite der Grenze nicht so kopflos und verstehen sehr gut, wer der Herr ist. Aber angesicht der heutigen fundamentalen Meinungsunterschiede Russlands und des Westens, ist es nur sehr beschränkt wichtig. Denn auch die hiesige Oligarchie, genau wie die ukrainische, ist in ihrem Wesen kompradorisch, programmiert, um Russland in das westliche Wirtschaftssytem als ein Ressourcenlieferant zu den besonders ungünstigen Bedingungen einzubauen, die das Land faktisch in die Sklaverei treiben. Geschweige denn, dass beide Oligarchien ineinander verflochten sind bis zu dem Zustand der völligen Unzertrennbarkeit.
Wie gut das persönliche Verhältnis, zumindest in der Öffentlichkeit, zwischen den Vertretern diesen Typus und Putin sein soll, wie viel Angst sie auch haben sollten, wird die objektive Logik sie unweigerlich zu dem Widerstand gegen die Macht führen. Und dieser wird desto härter werden, je mehr diese Macht das Ruder des russischen Staatsschiffes auf antiwestlichen Kurs bringen wird.
Übrigens, genau im September plante der Moskauer Oligarchat den ersten öffentlichen Auftritt gegen die Politik Putin in Form des vom Anatolij Tschuajs angeküdigten „Treffens der Führer des russischen Business“. Und, kann gut sein, dass die Verhaftung eines von diesen Führern genau darauf zielte, diese Pläne zu zerschlagen.
Und noch eins ist interessant. Gerade schmückten die russischen Machthaber den Ewtuschenkow mit den elektronischen Handschellen, folgte aus Amerika eine ungewöhnliche, besonders vor dem Hintergrund der heutigen antirussischen Hysterie, Erklärung. Deputy des Staatssekräters, ein Koordinator der amerikanischen Sanktionen gegen Russland Daniel Fried meinte, der Westen könnte die Sanktionen gegen Moskau auch ohne die Rückgabe von der Krim an die Ukraine aufweichen oder ganz zurücknehmen. Vor dem Hintergrund der heutigen Hauptrichtung der amerikanischen Politik, die ein direkt entgegengesetztes Ziel hat - Russland möglichst zurückzudrängen und ihm die Krim wegzunehmen, klingt diese Erklärung als eine echte Sensation. Und obwohl D.Fried diese Möglichkeit mit dem Fortschritt bei den Friedensverhandlungen in Minsk und anderen Nebensächlichkeiten erklärte, erscheint der Zeitpunkt dieses Vorschlags an Moskau, genau nach dem Arrest eines der bedeutendsten russischen Oligarchen kennzzeichnend.
Nicht mal die beeindruckenden militärischen Erfolge von Noworossija zwangen USA zum Verzicht auf ihren höchst harten Kurs in Bezug auf Russland. Aber sobald Putin einen der moskauer Kompradoren am Euter gezogen hat, hat man in Washington angefangen über die Möglichkeit der Anerkennung der russischen Krim. Es scheint, als hätte die Geschichte mit Ewtuschenkow und ihren Hintergründen die westliche Spitze mehr erschreckt als die Gefahr des kompletten Verlustes der ganzen Ukraine.
Putin zeigt ganz klar, dass in seiner Hand noch stärkere Argumente zur Fortsetzung der heutigen Diskussion mit dem Westen sind als die Verbote der Äpfel- und Tomatenlieferungen. Und zwar - komplette Demontage des kompradorischen Oligarchat als erste Etappe der antioligarchischen (gleichbedeutend mit antiwestlichen) Weltrevolution, die schon lange in dieser Welt reift. Die Welt, über die Notwendigkeit des entschlossenen Umbaus auf humaneren und gerechteren Basis welcher sogar der Papst spricht. Und Wladimir Putin, der sich mit dem Pontifex direkt nach seinem revolutionären Auftritt getroffen hat, ist heute der einzige Weltführer, der diesen Marsch für die Gerechtigkeit nicht nur anführen sondern auch bis zum logischen Ende bringen kann.
Deswegen kann die kleinste Drohung von Putin diesen Weg zu gehen - und genau so muss der tiefe Sinn der aktuellen Ereignisse verstanden werden - seine westlichen Gegenüber in den Zustand der völligen Irritation treiben. Denn im Westen ist man sich sehr wohl im Klaren, dass das dort gebaute System der finanz-oligarchschen Macht, wie mächtig das auch erscheinen mag, heute eher einem Kartenhaus gleicht, das vom kleinsten Stoß bereit ist zu fallen. Und es scheint, als hätte Kreml tatsächlich die Achillesferse gefunden, die er anfangen soll zu schlagen.
Besonders, weil das völlig den fundamentalen Interessen des russischen Staates und der Gesellschaft entspricht. Und zu diesen Interessen gehört nicht das Zuschauen während die westlichen Blutsauger und ihre hiesigen Diener das eigene Land weiter ausrauben.