Fandom: Death Note
Characters: Mello/ALLE, Mello/Near feat. Matt als “Stimme der Vernunft” (LOL)
Genre: Slash, humour
Warnings: Keine, bis auf das übliche wüste Gefluche =)
A/N: Basierend auf den zwei Thesen, dass A) eigentlich alle Menschen auf diesem Planeten mit Mello vögeln wollen und B) Near eigentlich eine Krankenschwester/einen Therapeuten/ein Ticket nach Legoland braucht und keinen Liebhaber.
“It ain´t how good I make it, baby, it´s how I make it good.”
The South Park Movie, Good Love
*****
“Und darum können wir beide uns leider nicht mehr treffen,” leierte Mello tonlos zum schätzungsweise achten Mal an diesem Morgen, über dem schätzungsweise zehnten Espresso.
Halle Lidners Augen wurden erst rund und dann ziemlich feucht. Oh, Scheiße. Aber Mello hatte sie absichtlich in die Frühstückslounge am Flughafen bestellt, weil er wusste, dass sie viel zu tough war, um in einem vollbesetzten Lokal zu flennen anzufangen. Taktisches Schlussmachen nannte man das. Er hatte Talent für sowas. Trotzdem, Spaß machte es nicht.
Er hätte noch einen Kaffee bestellt, aber das hätte bedeutet, ihr noch länger gegenüberzusitzen und sich diesen betrübten Blick reinzuziehen.
“Oh ...” hauchte sie. Sie hielt sich nicht schlecht, aber es hörte sich an, als würde ihr irgendwer sehr langsam einen Akkuschrauber in die Brust treiben. “Oh, ok ... ich ... verstehe.” Mit diesem Gesichtsausdruck, der verriet, dass sie so überhaupt nicht verstand, warum sie abgeschossen wurde. Sie verstanden es nie.
Mello holte vorsorglich noch ein paar Sätze aus dem Arsenal. Die Lidner war zwar tough, aber man wusste nie.
“Hör zu, es hat nichts mit dir zu tun. Du warst super, ok? Gib dir nicht die Schuld.”
“Ok.”
“ Es hat nur mit mir zu tun, ok? Mit meinem Leben und ... so.”
“Verstehe.”
Nein, das tat sie nicht. Wie auch. Mello verstand es selbst kaum. “Tut mir leid.”, schob er lauwarm hinterher.
Das einzige, was Mello leid tat, war, dieses beklemmende Gespräch führen zu müssen. Dachte sie denn, dass IHM das alles passte? Mello passte das alles überhaupt nicht. Er hatte überhaupt keine Zeit für sowas. Er hatte erwartet, dass es großartig werden würde, mit Near zusammen der neue L zu sein. Erhaben und großartig. Er wollte nun seine Zeit damit verbringen, Große Fälle zu lösen, sich Ruhm zu erarbeiten, seinen Namen unsterblich zu machen, eine Legende wie Lawliet zu werden ...
Stattdessen befand er sich auf dieser hochgradig peinlichen Schlussmach-Tour und musste all seine sorgsam gepflegten, nützlichen kleinen Affären in den Wind schießen, und das war mehr als ärgerlich. Und natürlich war es Nears Schuld. Oder vielleicht auch ein bisschen seine eigene, weil er dachte, auf ihre Zusammenarbeit zwei Flaschen Champagner zu leeren, obwohl sie beide nichts vertrugen, und sich dann gegenseitig total betrunken mit Schoko-Erdbeeren zu füttern sei irgendwie eine tolle Idee.
Und nun war es schon halb neun und Near wartete, und Halle war bei Weitem nicht die Letzte auf der Liste.
“Halle?”
“Mhm?”
“Guck mich nicht so an, das macht mich fertig.”
Höflich wandte sie den Blick ab und starrte statt dessen ihr halbverspeistes Hörnchen an. “Entschuldige, Mello. Es ist nur ... ich versteh´s nicht ... warum? Was ist passiert?”
Die Frage kam freundlich und fest, und keine Spur weinerlich. Halle Lidner war ein tolles Mädchen, keine Frage. Es war auch nicht so, dass Mello sie nicht mochte. Sie war tough und cool und liebenswert und eine Wucht im Bett (oder auf dem Badezimmerteppich, zum Bett waren sie nie gekommen), und sie hatte immer nützliche Infos von den amerikanischen Geheimdiensten für ihn. Und sie hatte mehr als einmal den Arsch für ihn hingehalten, in mehr als einer Hinsicht, und vielleicht hatte sie es auch verdient, dass man ihr die Wahrheit sagte.
Zu dumm, dass die Wahrheit aber auch sowas von peinlich war.
Mello klemmte sich eine blonde Strähne hinters Ohr und holte tief Luft. Ok, der Teil wurde nun unangenehm. “In meinem Leben hat sich sozusagen ne neue Situation aufgetan,” hörte er sich selbst schwafeln. Alles, um nur nicht das weiße Kind beim Namen nennen zu müssen. “Ich bin nun mehr oder weniger in einer festen ... in festen ... also ich hab nun was Festes.” Er machte eine Pause, weil ihn das selbst alles unendlich erschreckte. Halle Lidner musterte sein verzerrtes Gesicht mit einiger Besorgnis.
Für Mello war alles ziemlich schnell gegangen seit dieser einen Nacht vor einer Woche, als er und Near auf die dämliche Idee gekommen waren, ihre gemeinsame Zukunft als L zu begießen und dabei zu ignorieren, dass sie sich gegenseitig nicht ertrugen. Nach dem Champagner kamen diese blöden Schokoladen-Erdbeeren, nach den Erdbeeren kam wie in einem schlechten Film Nears Luxuscouch, auf die Couch folgte der Bereich am Boden zwischen Couch und Couchtisch, und irgendwo mittendrin mußte die Aussicht, auf Near draufzuliegen, Mello einen mehrere Stunden anhaltenden Adrenalinrausch verpasst haben, und vielleicht hatte Near auch all das vorher eingeplant, der Bastard, auf alle Fälle war es hinterher zu spät. Denn dass man mit Near nicht einfach fummeln konnte und dann so tun als wär nichts, das hätte ihm vorher klar sein müssen. Wie dem auch sei, vor zwei Tagen dann hatte Near in Mellos Telefon all die vielen Privatnummern und vielsagenden Dankes-SMS entdeckt, die Mello irgendwie zu dumm oder zu beschäftigt gewesen war zu löschen, und dann wurde alles sehr, sehr anstrengend.
Schließlich hatten sie sich darauf geeinigt, dass Mello sich dieser Tage von allen Verhältnissen loszusagen hatte, die nicht Near hießen, und im Gegenzug bekam er Near, und dieser verzichtete darauf, Mello bis ans Ende seiner Tage bei all seinen Affären hinterherzustalken und ihm das Leben zur Hölle zu machen.
Und aus irgendwelchen wahnsinnigen Gründen hatte Mello dem allen zugestimmt.
Wie er das alles vor Halle Lidner erklären sollte, ohne dabei rüberzukommen als habe er absolut keine Eier und außerdem keinen Geschmack, das wusste er nicht so wirklich.
“Mein ... also mein ... mein Partner hat mir nahegelegt, meinen bisherigen Lebensstil zu überdenken und ... so. Und ich meine, man muss Kompromisse machen, stimmt´s?” fügte er trotzig hinzu. Er knurrte. Es war so, wie er sich das auch immer vorgestellt hatte - Leute, die von ihrer festen Beziehung redeten, hörten sich wie totale Waschlappen an.
Halle Lidner schien sich soweit wieder eingekriegt zu haben. Sie rührte in ihrem Tee und lächelte leicht bekümmert. “Mello, ausgerechnet dich über Kompromisse reden hören, das ist ziemlich gruselig.”
Mello quälte sich ein Grinsen ab. “Du hast keinen Schimmer, WIE gruselig das alles ist.”
“Interessant.” Halle Lidner hob den Tee und nippte. Ihre Augen fixierten ihn über den Rand der Tasse. “Wer ist es?”
Die Frage war zu erwarten, traf Mello aber trotzdem wie ein Schuss in die Brust. Sein Grinsen fror ein. Er konnte, er wollte, und er würde dazu nichts sa --
Sein Telefon fiepte. Entnervt riss er es aus der Brusttasche seines Parkas und starrte drauf. Er wusste schon vorher, wer das sein würde, aber als er den Namen sah, spürte er seine Nerven klingeln.
“Moment,” sagte er zu Halle Lidner, und ging ran. “Was ist?” fragte er so lässig wie möglich.
“Mello,” raunte Near, wie immer vage verheißungsvoll und dann doch wieder total neben sich, “Ich esse momentan ein Hühnchensandwich.”
Mello merkte fast nicht, wie er sich an die Stirn fasste. Aha. Wahnsinn. Nur Near wusste, warum er solche Anrufe tätigte. Und nur Near wusste, was zum Geier er für eine Antwort auf sowas erwartete.
“Ok,” sagte Mello gedehnt. “Gut für dich.” Was sollte er auch dazu sagen? Was sollte denn bitte irgendwer zu sowas sagen?
“Es ist aber ziemlich groß,” fuhr Near versunken fort. “Ich glaube, ich schaffe nur eine Hälfte. Wenn du herkommst, kannst du die andere Hälfte essen. Aber nur, wenn du in den nächsten 30 Minuten kommst. Sonst ist es ganz trocken und dann schmeckt es nicht mehr. Es schmeckt aber schon frisch nicht sehr gut,” Gab er fairerweise zu Bedenken.
Nears Stimme war warm. Mello machte eine Grimasse, als ihm klar wurde, dass das so eine Art Liebesanruf war. Das war Nears Art, verliebte Gesten zu machen. Kleine Mädchen schicken ihren Lovern SMS mit Herzchen und Kätzchen, Kavaliere schickten ihren Herzdamen Blumen, und Near wollte sein Pausenbrot mit ihm teilen.
Damals, als Mello noch mit diesem Autoschieber aus Minsk gebumst hatte, hatte er für ein Nümmerchen noch einen neuen Vergaser für sein Bike bekommen. Und nun DAS. In was war er da reingeschlittert?!
“Das kannst du vergessen,” erwiderte er pikiert. “Ich bin am Flughafen. Ich fahr doch nicht ne halbe Stunde in die Stadt rein, um deine Reste zu essen.” Mello merkte, dass er angefangen hatte, sich eine blonde Haarsträhne um den Finger zu wickeln, und hörte entsetzt damit auf. Neben allem anderen war der kleine Wicht auch noch ansteckend. “Ich meine, echt, was denkst du dir bei sowas!?”
“Oh,” hörte er am anderen Ende, als sei Near ernsthaft überrascht, dass Mello keine Lust hatte, durch die halbe Stadt zu kurven, um mit ihm ein Sandwich zu verspeisen. “Na, dann nicht. Ich wollte nur aufmerksam sein. Wie auch immer, du bist schon bei Agent Lidner, nicht wahr?”
Mello schielte zu der blonden Frau rüber, die versuchte, so auszusehen als lese sie die Speisekarte. Aber ihre kleinen klugen Agentenohren waren spitz.
“Genau.” sagte er kurz angebunden.
“Und? Ist Agent Lidner sehr traurig?” Near hörte sich vollkommen teilnahmslos an. Man hörte Legosteine im Hintergrund klappern.
Mello hustete. “Geht.”
“Wenn ich Agent Lidner wäre, wär ich wirklich SEHR traurig,” sagte Near schadenfroh, wie ein Kind, das den Hauptpreis beim Dosenschießen bekommen hatte und sich nun über die anderen Kinder lustig machte. Und GENAU so, Mello konnte sich das ausmalen, fand Near das auch.
Mello wusste aber auch, dass das so eine Art Kompliment war und dass das heißen sollte, dass Near Mello für so eine Art Hauptgewinn hielt oder sowas in der Art. “Danke,” knirschte er verlegen.
“Wenn du nun bei Agent Lidner bist, fehlen noch neun, nicht wahr, Mello?” Near hatte natürlich mitgezählt. “Ich bin dir sehr verbunden, dass du dir meinetwegen diese Umstände machst, Mello, ich weiß das sehr zu schätzen.” sagte er, ohne dabei weniger gelangweilt zu klingen als sonst. “Wenn du wiederkommst, habe ich ein Geschenk für dich.”
Mello machte eine Grimasse. So wie er Near kannte, hatte es schon wieder NICHTS mit Sex zu tun. Oder mit irgendwas anderem, das Mello toll fand.
Zu allem Überfluss war es nämlich auch so, dass Near zwar Sex mit Mello tendenziell positiv gegenüberstand, aber kategorisch alle Sachen im Bett ablehnte, die irgendwie potentiell schmerzhaft oder unpraktisch waren oder sonst ein Verletzungsrisiko bargen - also so ziemlich alles. Mit anderen Worten, nicht nur kein Sex mehr mit anderen - sondern auch kaum bis kein Sex mit Near.
Man konnte schon sagen, dass die Situation einigermaßen verfahren war.
Trotzdem kribbelte es seltsam angenehm, als Near etwas lebhafter fragte: “Du kannst doch das alles schnell erledigen und wieder hier sein, nicht wahr, kannst du?”
“Sicher,” sagte Mello etwas freundlicher. “Ich melde mich, wenn ich alle durch habe.”
“Du hast sie doch sowieso schon alle durch,” Er konnte hören, wie Near schmunzelte, und konnte vor sich sehen, wie sich eine weiße Locke spöttisch um einen feinen Finger drehte, “Das IST doch das Problem.”
“Du kannst mich mal.”
“Gern. Freust du dich auf dein Geschenk?”
“Geht so,” sagte Mello ehrlich. “Du hörst von mir, Near.”
Als er sein Telefon ausmachte, erkannte er, dass er einen Fehler begangen hatte. Halle Lidner hatte während der letzten Momente des Gesprächs vorgetäuscht, sich die Lippen nachzuziehen, aber nun starrte sie ihn entgeistert an, mit halb angemalten Lippen, den Stift reglos in der Luft.
“Near?!” fragte sie, und dann konnte Mello sehen, wie sie sich den Rest zusammen kombinierte. Manchmal wusste man einfach, wenn es Zeit wurde, zu Gehen. So schnell es ging, stand er auf und schmiss einen Haufen Geldscheine auf den Tisch.
“Ich, äh, werd dann mal abhauen. War nett mit dir.”
“Ab -“
“Tschau, Halle.”
*****
Das Knistern der silbrigen Folie und das Knacken der Schokolade zwischen seinen Zähnen besänftigte Mello irgendwie wieder ein Stück, als es wieder in seiner Tasche fiepte.
“Was muss ich hören, Mello?” fragte eine strenge Stimme in sein Ohr, die ihm heute noch eine wohligen Schauer über den Rücken schickte. “Du nimmst deinen Arsch vom Markt? Weißt du, was du damit anrichtest?! Wer soll denn die ... Lücke füllen, die du hinterlässt?”
Mello machte eine Faust um das Knisterpapier und zischte. “Tu nicht so, als wäre ich eine Hure oder sowas, Corrado, klar?”
Das kleine Mädchen und deren Mutter, die mit ihm Fahrstuhl fuhren, sahen ihn einigermaßen verstört an, aber es kümmerte ihn nicht.
Corrado Moltisanti, der Gangsterboss aus Palm Springs, vom dem Mello damals viele seiner Tricks erlernt hatte (und vor allem auch die, die man auf dem Rücken machen konnte), lachte. “Tu nicht so, als wärst du was sehr anderes. Egal, was du noch alles kannst, nackt bist du unschlagbar, also was soll der Unsinn?! Willst du etwa ehrbar werden?”
Mello wischte sich die Haare aus dem versehrten Gesicht und wurde wütend. “Alles, was ich gemacht habe, habe ich nur gemacht, weil ich Lust hatte, dass das klar ist!”
Das stimmte so natürlich nicht. Mello machte Sachen nicht, weil er Lust hatte (außer Schokolade essen, vielleicht), sondern weil er davon ausging, dass sie ihm Vorteile brachten. Mello war wirklich keine Hure, aber es war so lächerlich einfach, Leute auf diese Art zu kriegen. Es hatte ihn immer amüsiert, wie leicht das war.
Nur dieses eine Mal, dieses einzige Mal, nämlich mit Near, hatte er es nur gemacht, weil er Lust dazu gehabt hatte. Und man sah, was dabei rauskam.
Es hatte tatsächlich einige Aufregung gegeben, und Mello war wirklich überrascht, wie ernst viele Leute diese Fickerei nahmen, die er selber ziemlich banal fand. Er hatte heute einige erschütterte Gesichter erlebt ... und viel von diesem klebrigen Emotionsscheiß, den er am liebsten vermied. Ganz schlimm war der Drogenbaron aus Venezuela gewesen, der eine Stunde lang mit Selbstmord gedroht hatte. Mello hatte eine Weile freundlich auf ihn eingeredet, aber irgendwann hatte er dann keine Lust mehr gehabt und aufgelegt. Mello konnte nicht mit Leuten, die heulten.
“Keine Sorge, ist deine Sache,” sagte Moltisanti gutmütig. “Ich will dir nur ein bisschen die Eier langziehen. Aber verrat mir wenigstens, wer der Bastard ist, der dich von uns allen wegtreibt, damit ich ihm die Nüsse abschneiden lassen kann.”
“Es geht dich nichts an, und wenn du dich auch nur in die Nähe seiner Nüsse wagst, reiße ich dir den Kopf ab, Corrado, verlass dich drauf.”
“Wie heldenhaft. Du bist wirklich verliebt, oder?”
“Nein!”
“Ich hoffe, er ist es wenigstens wert.”
Mello lutschte Schokolade, wiegte nachdenklich den Kopf und mußte daran denken, dass Near wahrscheinlich in dieser Minute ein weiteres Streichholzhäuschen für ihn bastelte.
“....nein.” sagte er dann gequält. “Ich hab hier wirklich ne Menge am Hacken, Corrado, ok? Lass mich in Ruhe.”
Der Mafiaboss lachte noch, als Mello das Gespräch wegdrückte.
Er ächzte. Er hatte wirklich keinen Bock mehr. Schließlich schrieb er den übrigen neun Schlussmachkandidaten einfach eine Rund-SMS, dass es aus war, das musste verdammt noch mal reichen. Aus dem Fahrstuhl raus, lehnte er sich gegen die nächste Wand und knurrte.
Nach all diesem weinerlichen Schlussmachmist sehnte er sich wirklich danach, irgendwo zu sein, wo es keine lästigen schmachtenden Blicke und keine hochkochenden Emotionen hatte. Er sehnte sich nach der Gesellschaft eines Menschen, der einfach mal GAR keine Gefühle an den Tag legte.
Er sehnte sich nach Near.
*****
“Mello,” sagte Near, ohne hinzusehen, als Mello seine Luxussuite betrat.
Unweigerlich mußte Mello lächeln. Er war dieser Sache mit ihnen beiden immer noch nicht wirklich auf die Schliche gekommen, aber das war eines dieser kleinen Dinge, die er an Near mochte - diese Art, seinen Namen immer so zu sagen, als sei er etwas sehr, sehr wichtiges, auch wenn überhaupt nichts war.
“Ich hab dir ein Lebkuchenhaus gemacht,” kam es monoton aus dem Stapel Würfel in der Ecke.
“Super,” stöhnte Mello und ließ sich in diese großartige Couch fallen und die Stiefel auf den Tisch krachen. Er durfte das. Er durfte hier eigentlich alles, außer Nears Spielsachen anfassen, was nicht weiter schlimm war, da die ihm eh am Arsch vorbeigingen.
Man mußte die Vorteile sehen. Sein neuer Liebhaber lief zwar den ganzen Tag über im Schlafanzug rum und roch nach Bastelkleber, aber die Unterbringung war deluxe.
Und tatsächlich. Dort standen sie aufgereiht. Mello stieg der angenehme Duft von würzigem Teig in die Nase. Sie waren letztens im Rahmen einer Ermittlung nach Europa geflogen, und da hatte Near diesen Irrsinn mit diesen verzierten Kekshäuschen aufgeschnappt, und das war voll seine Nummer. Er machte seit Tagen nichts anderes, außer Mello legte sich unbekleidet auf sein Bett und lenkte ihn ab.
Mello wusste sofort, welches Häuschen seins war. Es war der prachtvolle, prächtige Nachbau einer Kirche, der Kirche, die neben dem Waisenhaus stand, geschmackvoll in schwarzer Lakritze und Zartbitter-Schokolade gehalten und mit Akzenten knallroter Gummikirschen versehen. Near mußte da Stunden dran gesessen haben. Warum auch immer er das machte.
“Ich war mir nicht sicher, ob du vielleicht selber eins machen willst,” fuhr der Würfelturm in dem selben Tonfall fort, während ein Bediensteter Mello ein kühles Glas Soda in die Hand drückte, “Aber dann dachte ich mir, du fändest das sicher ätzend, also hab ich dir eins gemacht.”
Mello ließ als Antwort nur das Eis in seinem Glas klimpern, aber Near schien das ok zu finden.
Er schloss die Augen. Das war es also. Das war sein neues Liebesleben. Das war es, wofür er all die anderen aufgegeben hatte.
“Mello, ich habe eine Fingerpuppe von dir gemacht. Eigentlich drei. In wechselnden Outfits.”
“Mello, ich hab dir die Akropolis aus Streichhölzern nachgebaut.”
“Mello, ich habe eine dreidimensionale Papier-Replica des Louvre für dich. Sie ist begehbar. Für die Fingerpuppen.”
“Mello, ich habe heute morgen eine Eisskulptur von dir geschnitzt.”
Gaaaah.
Aber aus irgendeinem Grund, aus irgendeinem komischen Grund - und es war nicht Nettigkeit, denn Mello war nicht nett zu Near - brachte er es nicht über sich, diesen Krempel abzulehnen oder wegzuwerfen.
Und vielleicht war es, weil er wusste, dass Near, wenn er Stunden an diesem sinnlosen Kram rumwerkelte, dabei die ganze Zeit an ihn dachte, und dass er all diesen Müll speziell für ihn herstellte, und auch wenn es wirklich nutzlos war, es verschaffte ihm so ein komisches warmes Gefühl.
Er drehte das Gesicht, um durch den Würfelhaufen zu spähen, und sah den weißen Umriss dahinter geschäftig herumkrabbeln.
“Near,” maulte er, “Komm her zu mir.”
Es raschelte, es klapperte, und dann bewegte sich etwas, und dann kam sein Freund folgsam auf die Couch zugeschlurft, die Augen groß und ausdruckslos.
Mello deutete auf seinen Schoß. “Hier.” Und Near machte, worum er gebeten wurde.
So sassen sie eine Weile, und Mello mußte daran denken, dass das alles wirklich Kindergarten war und dass sie echt beide viel cooler gewesen waren, als sie sich noch bekriegt hatten, aber das spielte nun keine Rolle mehr. Near sass auf ihm drauf und schmiegte sich an ihn und machte sonst nichts, aber das war nicht schlimm. Denn irgendwie war es besänftigend und nicht unangenehm, so hier zu sitzen, im Gegenteil. Irgendwo im Raum tutete ein Spielzeugzug.
Und auch, wenn er die meiste Zeit über den Boden rutschte und vollkommen daneben war und alle herkömmlichen Formen des Beischlafs ablehnte - Mello wusste, wenn Near erst mal auf Touren kam, und die Chance hatte, über mehrere Stunden verteilt an Mellos Körper rumzuschrauben wie er wollte, war er sowas wie ein kleiner weißer Tornado mit fünf Mündern und acht Armen, die überall gleichzeitig waren, und das, das mußte er zugeben, war schon enorm.
Er sah etwas an Nears schmalen Fingern funkeln und nahm probeweise einen davon in den Mund. Und er wusste, dass dieses träge Herz an seiner Brust nun für ein paar Sekunden aussetzte, und das war prima so.
“Mhm,” stellte er fest, “Zuckerguss. Finde ich besser als Bastelkleber.”
“Oh,” sagte Near und zitterte leicht mit der Stimme, “Dann solltest du die andere Hand vielleicht lieber nicht ablecken.”
“Danke für den Tip,” entgegnete Mello und schnupperte statt dessen an diesem wolligen Haar unter seinem Kinn, das heute nach diesem Lebkuchenzeugs roch. Und ein bisschen nach Kleber. Aber das kannte er nun schon. Eigentlich war der Geruch von Kleber gar nicht schlecht.
“Bist du sie alle losgeworden?” wollte Near wissen.
“Yep. Alle.” Mello seufzte. Es waren nicht unbedingt die Leute, die er vermissen würde. Aber ciao, Gratis-Vergaser, ciao, bezahlte Wochenenden in Luxushotels, ciao, Wagenladungen kostenloser Schokolade. Das mit dem schweizer Schokoladenlieferanten tat Mello besonders weh. Aber Near machte in dem Punkt keine Ausnahmen.
“Ich weiß, was du denkst,” sagte Near plötzlich ernst und sah ihn von unten mit diesen schwarzen Augen an und Mello wusste, dass er ertappt worden war.
“Aber lass dir eins gesagt sein.” Near hob den Finger. “Sie werden dir trotzdem noch hinterher rennen und alles umsonst geben, weil sie denken, du könntest vielleicht wieder mit ihnen schlafen. Bei Leuten wie dir reicht der Gedanke nämlich schon aus.”
Mello hob amüsiert die Augenbraue. “Leuten wie mir?”
“Wenn man so schön ist wie du, kann man alles bekommen. Obwohl es natürlich nicht wirklich andere Leute gibt, die so schön sind wie du,” schloss Near seine Ausführungen überzeugt.
Near hatte so eine seltsame, sachliche Art, von Mellos Schönheit zu reden, auf die er irgendwie abfuhr. Wenn er sich nicht irrte, hatte damit auch die Knutscherei zwischen den Schokoerdbeeren und dem Couchtisch angefangen. Near war in dem Punkt raffinierter, als man denken sollte.
“Aber natürlich wirst du nicht mit denen schlafen, weil du nur noch mit MIR schläfst,” frohlockte Near und setzte diese Triumphmiene auf, die Mello früher mal gehasst hatte, die aus dieser Perspektive aber eigentlich ganz niedlich wirkte, “Nun gibt es nur noch uns beide, nicht wahr?”
“Ich fürchte schon,” erwiderte Mello mit einer Grimasse. “Halten wir das aus?”
Near sagte nichts, sondern begann nur, ihm langsam, Finger für Finger, den schwarzen Handschuh auszuziehen.
Er kam allerdings nur bis zum Zeigefinger, dann flog die Tür auf, und ein ziemlich betreten blickender Butler wankte herein.
“Es tut mir wirklich furchtbar leid, aber hier draußen ist ein Gentleman, der Master Mello zu sprechen wünscht, und er ist wirklich sehr, sehr aufger - “
“Mello?! Mello, bist du da drin?! Was zum Geier ist denn los, mann?!”
Mello merkte, wie ihm all das Blut, das sein Körper enthielt, ins Gesicht schoss, während sich Nears Arme in sowas wie einen Schraubstock verwandelten.
Ein rötlicher Haarschopf tauchte neben dem Mann an der Tür auf, und Mello hörte, wie sich Nears weltfernes Raunen in ein giftiges Fauchen verwandelte. Die entrückten schwarzen Augen schienen plötzlich fies, rot und böse zu sein und die weichen feinen Hände stählern.
“Du hast es IHM nicht gesagt?!”
“Ähm.”
“Du hast es ALLEN gesagt, aber IHM nicht?!”
“Near.”
“Du h - “
Near fiel ziemlich unsanft von Mellos Schoss, als dieser ihn so elegant wie möglich abzuschütteln versuchte, während er parallel aufsprang.
Matt stand mitten im Raum und starrte sie an. Man konnte wie immer seine Augen nicht sehen, aber wahrscheinlich waren sie bestürzt.
“Was zum - “
Mello hatte versucht, das vor sich herzuschieben. Eigentlich hatte er versucht, das zu verdrängen. Es seinen Fickgeschichten zu sagen, war eine Sache. Aber es dem einzigen Menschen zu sagen, dessen Respekt ihm einigermaßen was bedeutete - das war das ultimative Eingeständnis seiner Niederlage.
Er konnte es nicht. Er konnte nicht Matt, dem er all seine Großen Pläne, Near zu vernichten, zugeraunt hatte, der sich nächtelang geduldig sein Gezeter über Near und alles, was er an Near haßte, angehört hatte, in die Augen sehen und sagen, dass sie ... dass sie was?! Er wusste noch nicht mal, was er ihm sagen sollte!
Aber Mello wusste, wann die Schonfrist abgelaufen war, und der Zeitpunkt war sofort.
“Matt. Du und ich. Balkon. Near. Mach ein Puzzle. Bis gleich.”
Near öffnete den Mund in Protest - für seine Verhältnisse sogar ziemlich lebhaft - aber Mello stieg über ihn rüber und riss Matt schnell am Arm auf Nears prachtvollen Balkon, bevor irgendwer irgendwas sagen oder fragen konnte.
*****
Matt war bei der dritten Zigarette angelangt und Mello bei der zweiten Tafel Schokolade, als sein bester Freund schließlich den Mund aufbekam. Oder besser, erst endlich wieder zu - und dann auf.
“Du und Near also, huh?”
“Wenn du es SO sagst, klingt es total krank!” rief Mello aufgebracht.
Eine skeptische Augenbraue erschien über der Brille. “Ich hab doch nichts besonderes gesagt.”
“Mach dich nicht über mich lustig! Siehst du, darum hab ich dir nichts gesagt! Du lachst mich aus!”
Matt wippte nachdenklich auf den Zehen. “Ich lach überhaupt nicht,” stellte er fest, aber Mello war zu rot, zu wütend und viel zu peinlich berührt, um das mitzubekommen.
“Natürlich lachst du! Es ist die Scheißbrille! Dahinter sieht man nie, was du treibst.”
Sein bester Freund kaute einen Moment überlegend an seiner Kippe, dann nahm er die Brille ab. “Ich lach nicht.”
Mello stutzte. Matt lachte tatsächlich nicht. Sein Blick war sogar nett, wenn auch unübersehbar verwirrt. “Davor hattest du Schiss?” fragte er. “Ich dachte schon, du wärst tot, mann. Darum schwindelst du rum, wo du steckst und alles, weil du denkst, ich lach dich aus, wenn ich höre, dass ihr beide es treibt?”
Mello riskierte einen Blick über die Schulter, durch die Balkontür. Near hatte sich tatsächlich ein Puzzle gegriffen, war aber mehr damit beschäftigt, sie anzustarren. Es sah aus, als würde er versuchen, ihre Lippen zu lesen. Mello drehte ihm den Rücken zu.
“Natürlich,” stöhnte er dann. “Es ist lächerlich, oder?”
“Hm.” Matt musterte den kleinen hellen Umriss durchs Fenster mit skeptischem Blick. “Weiß nicht. Ehrlich gesagt, nen kleinen Verdacht hatte ich schon, als plötzlich all die Streichholzhäuser bei dir in der Bude aufgetaucht sind. Und das Vogelhaus. Dieses Streichholzmodell vom Trump Tower ist übrigens ganz geil, kann ich das haben?”
Mello scharrte zerknirscht mit den Füßen. “Von mir aus.”
“Cool. Macht dein neuer Freund auch Schweißerarbeiten? Weil, ich hab da so´n CD-Regal, das ...”
“Nun machst du dich doch über mich lustig, du Arschloch!”
“Nur´n bisschen.” Matt versteckte seine Augen wieder hinter der Brille und schob seine Hände entschlossen in die Taschen. “Mello, ich find´s cool, dass du verliebt bist.”
“Was?!”
“Ich sagte: Ich find´s cool, dass du verliebt bist. Ich hab mich schon gefragt, ob ich das mal erlebe. Ich dachte mir schon, dass das lustig wird.“ Seine Lippen teilten sich zu seinem listigen Grinsen. “Aber dass es SO lustig wird, hätte ich nicht erwar -“
“Ich BIN nicht verliebt!” Mellos Gesicht kochte förmlich. Wie konnte man ihm so dermaßen in den Rücken fallen!?
Matt steckte sich die vierte Kippe an. “Mal sehen: bist du hinter Nears Geld her?”
“Nein, ich hab genug Geld, was soll das?!”
“Bist du hinter seinen Infos her? Willst du seine Leute abwerben?”
“Nein.”
Matt grinste. “Ist er wider Erwarten total tabulos und toll im Bett?”
“N-nein. Und du solltest sowas nicht fragen.”
Matt nickte zu allem nur. “Dachte ich mir. Und nun sieh ihn dir an. Wenn es nicht das Geld ist, und nicht der Sex, dann gibt es DAFÜR -“ Er deutete auf Near. Near merkte, dass mit dem Finger auf ihn gezeigt wurde, und schmollte.
“Nur EINE Erklärung, Mello: du bist total verliebt. Ich meine, DAS -“
Matt machte eine Geste in Richtung der Lebkuchenhäuser, der Würfelburg und des Spielzugzuges, der sich in einer Ecke drehte, “Gibt man sich doch nur, wenn man verliebt ist. Oder dringend die Staatsbürgerschaft braucht. Aber du hast schon die Staatsbürgerschaft. Also bist du verliebt in ihn.”
Mello fauchte und wollte protestieren. Das war keine Liebe, das war einfach nur ein einziger furchtbarer Irrtum alles, alles nur Nears teuflischer Plan, mit seinen verfluchten Komplimenten und Eisskulpturen und Lebkuchenhäusern und begnadeten Händen, aber Matt hob die Hand.
“Warte. Guck mal rüber. Findest du dieses kleine Schmollgesicht da irgendwie niedlich?”
Mürrisch wandte sich Mello um und merkte, dass er leider schon wieder lächeln wollte, als er dieses biestige, kleine runde Gesicht am Fenster sah. “Ich ...” Er stutzte. “... irgendwie schon.”
“Du bist SOWAS von verliebt, mann.”
“Es IST lächerlich, stimmt´s?” brummte Mello geschlagen.
Matt boxte ihn mitfühlend. “Stimmt, aber weißt du, ist ok, das ist sowas nämlich immer.”
“Aber ... aber ...” protestierte Mello, “Aber es ist alles so dämlich. Ich hätte sie alle haben können, und nun hab ich nur ihn , und wir reden nur umständlichen Blödsinn und er bastelt und klebt den ganzen Tag irgendeine Scheiße , und schenkt mir Mist den ich nicht brauche, und will nicht mit mir vögeln sondern nur auf mir draufsitzen und mich befummeln , und seh ich etwa glücklich aus?!”
Matt schob seine Fliegerbrille von der Nase, musterte seinen Freund mit Kennermiene und grinste dabei dreist. “Also um ehrlich zu sein, irgendwie schon.”
Mello erwägte kurz, Matt eine reinzuhauen, aber dann fiel ihm ein, dass das alles nicht Matts Schuld war. Dass es vielleicht sogar niemandes Schuld war.
Und irgendwie fand er das, was Matt sagte, akzeptabel. Wenn das so war - wenn das allen passieren konnte, und wenn man es sich wirklich nicht aussuchen und es nicht erklären konnte - dann konnte er auch nichts dafür. Dann war es nicht, weil er keine Eier hatte, oder ein Waschlappen war, oder auf irgendeinen teuflischen Trick von Near reingefallen. Dann war es eben einfach so.
Und es war zwar unlogisch und albern, aber er freute sich ein bisschen, da wieder reinzugehen und dieses erboste, bissige Gesicht zu küssen.
“Wenn wir nicht bald wieder reingehen, denkt er bestimmt noch, ich will mit dir durchbrennen,” sagte Matt schließlich fröstelnd. “Und dann, das schwöre ich dir, so wie der guckt, lässt er mich kaltmachen.”
Mello sah ein, dass das wohl stimmte. So war Near. Und auch wenn es krank war, er fand das irgendwie süß. “Ok. Gehen wir rein. Mal sehen, ob wir ein Lebkuchenhaus für dich kriegen können.”