Team: Aschenputtel
Prompt: Romantik-Joker (Wortlose Kommunikation, für mich)
Original: Uhrwerkträume
Charaktere: Vinzent Schlüssel, Luzie Feder
Wörter: 1.196
Kommentar: Als mir die Idee kam schien es mir ganz eindeutig, wie sie diesen Prompt erfüllt. Beim Gegenlesen weiß ich selbst nicht mehr so ganz, was ich mir dabei gedacht habe.
Quasi eine Fortsetzung von
diesem Gespräch zwischen Feder und Schlüssel
Chronomisches Institut, Herbst 1902
Vinzent Schlüssel hat nie gelernt an so etwas wie Liebe auf den ersten Blick zu glauben und doch könnte ihm keine bessere Beschreibung einfallen für das, was er empfindet, als er an einem Nachmittag im Herbst das Wohnzimmer des Uhrmachermeisters Feder betritt.
Es ist in der Woche um den Geburtstag von Kasimir Ennart herum, und zu diesem Anlass ist dessen Tante, Luzie, die Schwester des Uhrmachermeisters Feder, zu Besuch gekommen. Ein Besuch, der Schlüssel sehr einschüchtert, unterstreicht Luzie doch durch ihre bloße Anwesenheit die Familienbande, durch die alle im Hause Feder miteinander verbunden sind. Alle außer Vinzent Schlüssel.
Den Vormittag hatte Schlüssel allein in der Bibliothek zugebracht. Er hatte ein wenig an Statistiken aus ihrem letzten Versuchsaufbau herumgerechnet, allerdings bald vor einem dumpfen Kopfschmerz kapituliert. Wie meistens, wenn er sich solchen Arbeiten widmet.
Danach hatte er eine ganze Weile damit zugebracht das Feuer im Kamin wieder in Gang zu bringen, um dann, auf der Fensterbank sitzend, das trübe Wetter zu beobachten.
Als er gegen vier Uhr in die Wohnung des Uhrmachermeisters Feder zurück kehrt ist diese leer.
Ein Zettel auf dem Schuhschrank informiert in Feders verschlungenen Handschrift, dass man nach Grünwinter zum Wochenmarkt gegangen sei.
Schlüssel steckt den Zettel in seine Westentasche. Feders Nachricht ist gewiss nett gemeint, doch sie hinterlässt den bitteren Nachgeschmack, dass sich anscheinend niemand die Mühe gemacht hat ihn zu suchen.
In einem unbestimmten Gefühl der Einsamkeit betritt Schlüssel die Stube.
Da sieht er sie.
Sie liegt auf dem Klavier, mit nichts als einem dünnen Seidenschal bedeckt.
Ihr Anblick lässt Schlüssel erstarren. Das fürchterliche Bewusstsein, dass er sie gewiss nicht anfassen darf, schließt seine eisigen Finger um seinen Körper und verschlägt ihm den Atem.
Anfassen, berühren, sicher nicht, denkt er, aber ansehen, aus der Nähe, das darf er.
Mit bebenden Knien durchquert er die Stube. Er bleibt vor dem Klavier stehen.
Unter dem Tuch zeichnet sich die Form von Luzies Bratsche ganz deutlich ab. Der schmale Hals, der etwas plumpe Körper, die Saiten, wie sie über den Steg laufen.
Nur einen Blick will Schlüssel unter das Tuch werfen. Nicht mehr. Er hält den Atem an. In dem Glanz des polierten Holz' kann er verschwommen sein Spiegelbild erkennen. Das Tuch gleitet über die Saiten. Ein leises Seufzen ertönt, als würde das Instrument bitten: Spiel mich.
Vor lauter Schreck gleitet der Schal aus Schlüssels Händen.
Vielleicht, wenn er nur einmal-?
Er zupft ganz leicht an der tiefsten Saite, schließt seine Augen und lauscht ihrem Klang.
Ein angenehmer Schauder läuft ihm vom Scheitel den Nacken hinunter.
Er wirft einen verstohlenen Blick zur Tür. Dann hebt er die Bratsche von dem Klavier. Eine Weile lang hält er sie in seinen Armen, dann versucht er, sie zwischen Kinn und Schulter zu klemmen, so wie er es aus Zeichnungen und von der Bühne kennt.
Er findet den Bogen auf dem Notenbrett des Klaviers, fingert ein wenig damit herum, eher er ihm halbwegs angenehm in der Hand liegt.
Voller Ehrfurcht streicht er über eine einzelne Saite. Klein Klang ertönt, nichts bringt die Saite in Schwingung. Schlüssel versucht es einige Male, er will Instrument und Bogen schon beiseite legen, als er begreift, dass es dem Bogen an Spannung fehlt, um die Saiten anzusprechen.
Er sucht, wie er etwas daran ändern könnte, und je länger diese Suche geht, desto größer wird Schlüssels Wunsch der Bratsche einen einzigen richtigen Ton zu entlocken.
Endlich hat er den Knopf am Ende des Bogen gefunden, den es zu drehen gilt. Er dreht, und mit dem Rosshaar spannt sich auch in Schlüssels Brust etwas an. Er legt die Bratsche wieder an sein Kinn, atmet einmal tief ein, und streicht erneut über die Saite. Für einen kurzen Moment erfüllt ein warmer, satter Ton die Stube, dann rutscht der Klang in ein jämmerliches Quietschen ab.
Schlüssel verzieht das Gesicht. Aber er legt die Bratsche nicht wieder weg. Mit angehaltenem Atem und eng zusammen gekniffenen Augen beobachtet er, wie der Bogen über die Saite gleitet, und wann Misstöne erklingen.
Schon nach einigen Minuten klingen drei von fünf Strichen sauber genug, dass Schlüssel es wagt auch andere Saiten zu streichen. Hier ist es schwieriger. Immer wieder berührt der Bogen aus Versehen eine Nachbarsaite, aber auch das bessert sich, nach und nach. Bald ist Schlüssel mutig genug das Greifen zu probieren. Das Greifen scheint ihm sehr intuitiv. Auch wenn er freilich nicht weiß, ob die von ihm gewählten Griffe in ihrer Ausführung so richtig sind, fällt es ihm leicht, die Position auf dem Hals zu finden, die dem gewünschten Klang nahe kommt, und auch in welche Richtung es gilt den Ton zu korrigieren ist nichts worüber Schlüssel nachdenken muss.
Einzig, sein Körper setzt ihm eine Grenze, da die Saiten hart in seine weichen Fingerkuppen schneiden und sein Handgelenk ziehend über die ungewohnte Haltung klagt. So lange er kann versucht Schlüssel den Schmerz zu ignorieren, bis es ihm endlich nicht mehr möglich ist.
Wehmütig legt er die Bratsche zurück an ihren Platz, entspannt den Bogen und legt auch ihn wieder ab. Er bückt sich nach dem Seidenschal.
Da merkt er, dass er nicht mehr alleine ist. In der Tür zur Stube steht Luzie Feder.
Die Arme vor der Brust verschränkt, den Kopf auf die Seite gelegt, sieht sie Schlüssel an.
„Es tut mir leid“, beginnt der zu stammeln. Er habe geglaubt er sei allein. Er habe das Instrument überhaupt auch nur kurz angesehen. Er sei auch ganz vorsichtig gewesen. Nur habe ihn die Neugierde gepackt.
Luzie hebt eine Augenbraue.
„Hatten Sie so ein Instrument noch nie in der Hand?“, fragt sie.
Schlüssel schüttelt den Kopf.
Wenn er etwas kaputt gemacht habe, würde er das selbstredend ersetzen, verspricht er eilig.
„Oh, das ist gewiss kein Problem“, antwortet Luzie. Mit zwei Schritten hat sie die Stube durchquert. Sie legt eine Hand auf Schlüssels Schulter. Sie lächelt.
„Hätten Sie Lust, das Instrument richtig zu lernen?“
Schlüssel windet sich unter ihrem Blick. Er wiegt seinen Kopf hin und her. Er habe doch keine Zeit, er müsse so viel lernen, das sei eben so, wenn einem das Handwerk nicht so leicht von der Hand ginge.
„Außerdem habe ich ja gar kein Instrument“, fügt er hinzu.
„Na, das lassen Sie mal meine Sorge sein. Und ob Sie Zeit haben oder nicht, dass wird ihnen mein Bruder schon sagen. Ich habe Sie nur gefragt, ob sie es lernen wollen.“
Schlüssels Augen werden groß. Sein Gesicht blass. Er beißt auf seiner Lippe herum. Sein Blick wandert von Luzies Nase, zur Bratsche, zum Fenster, zur Tür (wo bleiben eigentlich die anderen?).
Nein, sagt eine Stimme in Schlüssel Kopf, das wäre Unsinn, das würde ihn nur ablenken. Wie soll er jemals ein ordentlicher Uhrmacher werden, wenn er seine Zeit mit musizieren vergeudet.
„Also?“, fragt Luzie Feder und hält Schlüssel mit ihrer freien Hand am Kinn fest, dass dem gar nichts anderes übrig bleibt als sie anzusehen.
„Ich weiß nicht, ich denke“, tausend Gründe für ein nein.
„Ja“, platzt es da aus ihm hervor. Sofort presst er eine Hand vor seinen Mund, so überrascht ist er selbst von dieser Antwort.
Luzie Feder lächelt.
„Wie schön“, sagt sie, „dann werde ich mit meinem Bruder sprechen und zusehen, dass wir noch ein Instrument für sie finden.“