Der Anfang einer Freundschaft

Aug 02, 2017 08:20

Team: Aschenputtel
Prompt: "Aber du kannst mich nicht mal leiden" (romantik- für mich)
Original: Uhrwerkträume
Charaktere: Ennart, Mirel
Wörter: 566
Kommentar: Erst mal wieder warm werden...


Regen, Juli 1907

Am Morgen des neunzehnten Julis 1907 erwacht Ennart auf einem fremden Sofa. Er ist sich dieses Umstandes nicht gleich bewusst, erst als er seine Beine strecken will und gegen etwas gepolstertes stößt beginnt er sich zu wundern.
Er lässt seinen Blick durch das Zimmer wandern. Eine bescheidene Stube, in der ein Reiseklavier und ein Bücherschrank schon allen Platz einnehmen. Auf dem Klavier stapeln sich Noten in Heften und lose Blätter.
Natürlich. Am Abend zuvor hatte er mit seiner Tante die Spielzeitabschlussfeier des Regener Theaterhaus besucht. Angestrengt versucht Ennart sich das Ende der Nacht wieder ins Gedächtnis zu rufen. Um halb zwei wollten ein paar der Sänger und Schauspieler das Theater verlassen um die Nacht anderswo fortzusetzen. Tojan Trachel, ein nicht mehr ganz junger Sänger des Opernhauses, hatte Ennart dazu überredet sich der Gruppe anzuschließen. Irgendwo in der Nähe des Bahnhofs waren sie in ein Kellerlokal gegangen. Alles was danach kam entzieht sich Ennarts Erinnerung.
Er setzt sich langsam auf. Ein dumpfer Kopfschmerz pocht hinter seinen Schläfen, ansonsten geht es ihm erstaunlich gut. Er sieht sich noch einmal in dem kleinen Zimmer um. Auf dem Fensterbrett drängen sich mehrere Orchideen in Blumentöpfen nebeneinander. Über dem Klavier hängen ein paar Fotografien.
Die einzige Tür steht einen Spalt breit offen und lässt die Dunkelheit eines fensterlosen Wohnungsflurs erkennen.
Bedacht seine Schritte wählend steht Ennart auf und nähert sich dem Dunkel.
Von dem Flur führen drei weitere Türen fort. Die eine steht offen und lässt ein verlassenes Schlafzimmer erkennen. Das Bett versinkt unter verschiedenen Blumenmustern, die sich auf Kissen und Decken eng umeinander schlingen.
Die zweite Tür lässt durch buntes Glas ein Treppenhaus erkennen.
Hinter der dritten Tür endlich findet Ennart eine kleine Küche und in dieser Küche, eine Zeitung auf dem Tisch ausgebreitet, eine dampfende Kaffeetasse in den Händen, sitzt Mirel Firn.
Mirel Firn ist eine junge Sängerin, die hin und wieder mit kleineren Parts auf der Bühne steht. Für tragende Rollen allerdings ist ihre Stimme zu tief und ihre Koloraturen zu eigenwillig. In den vergangenen drei Monaten hat Ennart sie ein einziges Mal als Solistin gehört und war ganz bezaubert. Privat allerdings war ihm Fräulein Firn vor allen Dingen als kühl und abweisend aufgefallen.
Auch jetzt ist der Blick, mit dem sie Ennart versieht, allerhöchstens gleichgültig.
„Sie sind wach“, stellt sie fest.
Ennart bleibt im Türrahmen stehen und sieht seine Gastgeberin verwirrt an. So weit er weiß, war sie am gestrigen Abend überhaupt gar nicht dabei gewesen.
„Was mache ich hier?“, fragt er.
Fräulein Firn blickt nicht einmal von ihrer Zeitung auf.
„Ich hab Sie vor meinem Nachbarn gerettet“, sagt sie trocken. Sie faltet ihre Zeitung zusammen und sucht im Küchenkabinett nach einer zweiten Tasse.
Zögernd nimmt Ennart am Küchentisch Platz und die Kaffeetasse, die Fräulein Firn ihm hin hält, entgegen.
„Als der Tracher Sie heute morgen angeschleppt hat, haben Sie nicht den Eindruck gemacht, als sei das wirklich in Ihrem Interesse…“, erklärt sie.
Für den Bruchteil einer Sekunde blitzt so etwas wie eine Erinnerung vor Ennarts Augen auf, aber kaum dass er versucht sie festzuhalten, ist sie schon wieder verschwunden.
„Aber Sie können mich nicht mal leiden“, sagt er nur, nachdem er eine ganze Weile wortlos in seine Kaffeetasse gestarrt hat.
„Ich kann die meisten Menschen nicht leiden“, gibt Fräulein Firn mit einem Schulterzucken zurück.
„Deswegen muss ich Ihnen ja nichts schlechtes gönnen.“

leni, original: uhrwerkträume, team: aschenputtel, inspiration

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