Team: Aschenputtel
Prompt: „Ich kann wirklich nicht tanzen...“ (Romantik/Intimität - für mich)
Wörter: 807
Original: Uhrwerkträume
Charaktere: Sidean Feder, Emmit Unruh
Zeit/Ort: Silvester 1889, Blenstett
Kommentar: Die erste Begegnung muss immer ein bisschen awkward sein, wenn es eine Liebesgeschichte werden soll.
Emmit Unruh hat die Silvesterfeiern im Blenstetter Zunfthaus nie leiden können. Als Kind nicht, weil ihr Vater die ganze Nacht außer Hause verbrachte, während Emmit und ihr Bruder bei der Familie Schlag dazu verdammt waren, sich mit deren sechs Kindern - eins dümmer als das andere - abzugeben.
Als junges Mädchen nicht, weil ihr Vater sie damit beauftragte, ihren Bruder während der Feierlichkeit im Auge zu behalten und Emmit jedes Jahr aufs neue an dieser Aufgabe scheiterte.
Als ihr Bruder die Veranstaltungen im Zunfthaus nicht länger besuchen wollte (oder durfte), fand Emmit für eine kurze Zeit ein wenig Gefallen an den Abenden, an den Tänzen wenigstens. Trotzdem war sie nie länger als bis Mitternacht geblieben.
Am 31. Dezember 1889 ist Emmit noch am Abend fest davon überzeugt, dieses Jahr dem Zunfthaus ganz fern zu bleiben.
„Ich würde es dir nicht übel nehmen“, verspricht Luzie ihr, während sie ihre Haare zurecht steckt.
„Ich würde mit dir hier bleiben“, sagt sie, aber sie könne ihr Quintett nicht im Stich lassen. Nicht nur aus Pflichtgefühl. Sie alle bräuchten das Geld, und die Zunft habe ihnen eine recht großzügige Gage angeboten, wenn sie an diesem Silvesterabend zum Tanz aufspielten. Emmit weiß das.
Am Ende ist es Luzies Quintett, das sie dazu bewegt doch ihr Kleid zu wechseln und durch den Schnee zum Zunfthaus zu laufen. Luzie hatte so viel von den Proben erzählt, und von dem Vergnügen, das sie und ihre Kommilitonen an den einfachen Tänzen fanden; sich das Ergebnis der Arbeit nicht anzuhören scheint Emmit ein Verrat an ihrer Freundschaft.
Es ist kurz nach Zehn, als sie das Zunfthaus erreicht. Beim betreten der festlich geschmückten Halle zweifelt sie schon wieder an ihrem Beschluss. Ihr ist, als würde die ganze Gesellschaft inne halten, alle Augen richten sich auf sie und ein dickflüssiges Gemisch aus Mitleid und Abscheu schlägt ihr entgegen.
In Wahrheit tanzen die Blenstetter Uhrmacher unbeirrt weiter, plaudern und lachen, während Emmit sich unbemerkt an ihnen vorbei schiebt, zielsicher den Winkel zwischen Nordausgang und Kamin ansteuert und dort auf der Holzbank Platz nimmt.
Sie hält nach ihrem Vater Ausschau, aber kann ihn nicht entdecken. Vielleicht hätte sie besser ihn besuchen sollen, als hier her zu kommen, denkt Emmit. Sie schüttelt ihren Kopf. Sie beobachtet Luzie, die mit halb geschlossenen Augen und einem kaum merklichen Lächeln auf den Lippen ihre Bratsche spielt. Emmits rechte Fußspitze wippt im Takt mit.
Willem hätte die ganze Nacht auf diese Musik getanzt.
„Entschuldigung?“
Erschrocken fährt Emmit herum. Neben ihr steht ein junger Mann, mitte zwanzig mag er sein. Sein Anzug sieht ein wenig abgetragen aus, seine Haare schimmern rötlich unter der Pomade, an seinem Kragen trägt er das silberne Zahnrad eines Meisterschülers.
Er ist kein Blenstetter Uhrmacher. Emmit hat ihn noch nie hier gesehen, oder überhaupt irgendwo. Trotzdem scheint ihr sein etwas linkisches Lächeln seltsam vertraut.
„Tanzen Sie?“, fragt er, und muss zwei mal fragen, weil seine Stimme beim ersten Mal im lärmenden Treiben untergeht.
Emmit schüttelt ihren Kopf.
Der junge Uhrmacher gibt ein leises „Oh“ von sich. Drei Takte lang steht er regungslos vor Emmit.
„Sind Sie sicher?“, fragt er dann und schaut dabei auf Emmits Stiefel, der den Lauf der Musik noch immer mit kleinen, feinen Bewegungen begleitet.
„Ich kann nicht“, erklärt Emmit. Sie streift den schwarzen Stoff ihres Rocks glatt.
Der junge Uhrmacher beobachtet die Geste, zunächst mit gerunzelter Stirn, dann werden seine Augen groß. Er stammelt eine Entschuldigung, er hätte gar nicht erst fragen dürfen, er habe nur nicht gewusst, wie sonst ein Gespräch anfangen, bei solch einer Veranstaltung.
„Ich kenne ja niemanden hier und Sie sahen so aus als ob Sie auch-“
Emmit unterbricht ihn.
„Was machen Sie denn hier, wenn Sie niemanden kennen?“, fragt sie.
Der junge Uhrmacher fährt sich verlegen mit der Hand über den Kopf, dass die Haare, ihre glatt frisierte Fassung verlierend, in alle Richtungen abstehen.
„Ich wollte meine Schwester überraschen“, gibt er zu.
„Sie spielt-“
„Sie sind Luzies Bruder?“, fällt Emmit ihm erneut ins Wort.
In diesem Moment merkt der junge Uhrmacher, dass er sich noch gar nicht vorgestellt hat. Sein Gesicht verfärbt sich rot. Er entschuldigt sich noch einmal, noch umständlicher als zuvor, und hält Emmit seine Hand hin.
„Sidean Feder.“
Emmit erwidert die Geste mit einem Händedruck, der Feder sogleich in neue Verwirrung stürzt.
„Emmit Unruh“, stellt auch sie sich vor, und beobachtet mit großer Faszination wie sich in Feders Gesicht eine ganze Oper abspielt, von einfacher Überraschung, zum Schreck, zur Erleichterung.
„Ich dachte nicht, Sie hier zu treffen, nachdem…“, Feders Finger vergreifen sich erneut an seiner Frisur.
„Ich wollte Luzie spielen hören“, antwortet Emmit. Sie rückt ein Stück auf der Bank zur Seite, aber Feder bleibt stehen wo er ist.
Für eine Weile lauschen sie beide schweigend der Musik.
Mit dem nächsten Schlussakkord erhebt Emmit sich.
„Sie haben Recht“, sagt sie, „Ich sollte nicht hier sein.“
Und ohne ein weiteres Wort eilt sie hinaus.