Ficathon:
Das WaisenhausFandom: Harry Potter
Prompt: [2588] Albus x Gellert | Where is your logic / Turn of the light, turn off the light / Who do you need / Turn off the light, turn off the light / And I say follow me follow me follow me down down down down / Where can you turn / 'Til you see all my dreams / Where is your logic / Not everything in this magical world is quite what it seems ["Turn off the light", Nelly Furtado]
Promptsteller*in: schmokschmok
Content Note: Tod, Angst
Bis es zu Ende geht
Als ein Windhauch die Blätter neben ihm aufwirbelt, unterdrückt Gellert ein Zittern und zieht seinen Umhang dichter um sich. Es bringt nichts, natürlich. Am liebsten würde er einen Wärmezauber und in dem Zuge auch gleich einen Lumos sprechen. Doch er muss nicht einmal nach seinem Zauberstab getastet haben, um zu wissen, dass das nicht funktionieren wird. Seine Hand verkrampft sich schon bei dem bloßen Gedanken und sein Magen zieht sich zusammen.
Seit einigen Tagen hat er keine Magie mehr benutzt. Eigentlich eine lächerlich kleine Zeitspanne, aber ihm kommt sie vor wie eine Ewigkeit. Jede Minute zieht sich in die Länge, jeder Atemzug scheint doppelt so lange zu dauern wie sonst. Nachts liegt er wach und zählt die Sekunden, seine Herzschläge, die Risse in der Wand neben seinem Bett. Es ist der schwache Versuch einer Ablenkung, von vorneherein zum Scheitern verurteilt.
Nur heute sitzt er hier statt in seinem Zimmer. Erschöpft dreht Gellert den Kopf und schaudert nun doch, während er sich enger an den großen Baumstumpf drückt. Er spürt die Kälte, die von dem Holz ausgeht und durch seinen Umhang sickert. Aber wenn er ehrlich ist, macht es eigentlich keinen großen Unterschied. Er hat die ganzen letzten Tage über gefroren. Kein Feuer im Kamin, keine Wolldecke hat ihn davor bewahren können. Nicht, seit Ariana auf den Wohnzimmerboden gefallen ist und sich nicht mehr geregt hat. Seit Aberforth ihn mit wütenden Flüchen aus dem Haus gejagt hat - seit Albus sich von ihm abschottet.
Gellert kann diese Bilder nicht abschütteln. Aberforth, der laut und grob gewesen wie immer. Genau so, wie Gellert ihn damals kennengelernt hat - ist das wirklich erst ein paar Wochen her? Es kommt ihm vor wie Jahre, wenn er jetzt zurückdenkt. Dann Ariana, die mit ausgestreckter Hand durch das Zimmer läuft, direkt in Richtung ihrer Brüder. Ihre vor Schreck geweiteten Augen - und trotzdem hat sie jede Warnung ignoriert, bis sie schließlich von einem orangenen Fluch getroffen zu Boden gesunken ist.
Er will sich nicht daran erinnern. Gellert schluckt, schließt die Augen und krümmt sich zusammen. Der Baumstumpf drückt unangenehm gegen seinen Rücken, aber das könnte ihm gleichgültiger nicht sein. So deutlich, als wäre es erst einen Augenblick her, sieht er Albus’ Miene vor sich, während sie alle drei wie erstarrt dagestanden haben. Das Unverständnis, den ungläubigen Schock.
Als Aberforth die ersten Flüche in Gellerts Richtung gesprochen hat, hat er auf Albus’ Eingreifen gehofft. Aber Albus ist nur auf die Knie gesunken, ohne sich um die anderen beiden zu kümmern. Und vielleicht stimmt es - vielleicht hätte Gellert sich selbst verteidigen müssen. Doch er hat es nicht über sich bringen können. Nicht nach dem, was nur Minuten zuvor passiert ist. Er hat den Mund geöffnet und einen einfachen Verteidigungszauber sprechen wollen, nur ein Schild erschaffen, mehr nicht, aber sein Widerwille ist zu stark gewesen. Und seitdem hat er keinen Zauberspruch mehr über die Lippen gebracht.
Nicht einmal jetzt, da er schlimmer friert als damals in seinem ersten Jahr in Durmstrang, kann er sich dazu überwinden. Aber wozu auch? Diese Kälte, da ist er sich sicher, kommt von innen. Er kann nichts gegen sie tun, kann nur zittern und hoffen und warten. So, wie in den dunkelsten Nächten während der Schulzeit.
Dabei ist es nicht seine Schuld gewesen. Hat nicht Albus den Streit überhaupt angefangen und Aberforth den ersten Fluch gesprochen? Und Ariana ist es gewesen, die nicht gegangen ist, als ihre Brüder sie dazu aufgefordert haben. Das hat doch alles nichts mit ihm zu tun gehabt. Er hat seinen Zauberstab als Letzter gezogen und lediglich versucht, Albus zu unterstützen. Er hat einfach nur tun wollen, was jeder guter Freund tun würde, auch wenn er nicht genau gewusst hat, was das in einer solchen Situation ist.
Und wie es aussieht, hat er es falsch gemacht. So wie immer, wenn die Lage gefährlich zu werden droht und er unter Druck eine Entscheidung treffen muss. Er hat geglaubt, mit der Suspension von Durmstrang einen traurigen Höhepunkt erreicht zu haben, doch die letzten Tage haben ihn eines Besseren belehrt. Dabei hat seine Großtante ihm nicht ein Wort vorgeworfen. Aber Albus - sein einziger Freund, sein Vertrauter und seine Zukunft - schweigt, und das ist viel, viel schlimmer.
Der Gedanke setzt sich wie ein kalter Klumpen aus negativen Gefühlen in Gellerts Magen fest. Er lehnt den Kopf an den Baumstumpf. Die Augen geschlossen, die Hände zu Fäusten geballt. Alles in ihm schreit danach, aufzustehen und wieder nach Hause zu gehen, aber er kann nicht. Zu groß ist die Hoffnung, dass er nicht umsonst die ganze Nacht hier gewartet hat. Zu sehr wünscht er sich, im nächsten Moment Albus’ Stimme zu hören und seine Arme um sich zu spüren - endlich, endlich etwas Wärme.
Das ist etwas, das Gellert vermisst: Die Geborgenheit, die Albus bedeutet. Er hat nicht gewusst, wie sehr er sich an sie gewöhnt hat, bis sie ihm in den letzten Tagen von jetzt auf gleich entzogen worden ist. Gerade so, als sei es Gellerts Fluch gewesen, der Ariana getroffen hat. Als hätte er in Durmstrang nichts gelernt - nicht, wie man umsichtig zielt oder die Bahn eines Fluchs noch im letzten Bruchteil einer Sekunde verändert. Seine Zauber, da ist er sich sicher, haben niemanden getroffen. Sie sind wirkungslos an den Wänden verpufft.
Doch sie sind auch dunkel gewesen: schwarz, grau und tiefblau. Und oh, Gellert weiß, wie es aussehen wird. Es ist so einfach, ihm die Schuld zuzuschieben. Er ist ja derjenige mit den fremden Sprüchen, die hier in Großbritannien niemand kennt. Vielleicht würde er, wäre es anders herum, dasselbe tun - aber dann wieder: Nein. Dafür ist Gerechtigkeit zu wichtig. Dafür baut er zu sehr darauf, dass Wahrheiten ausgesprochen und gehört werden müssen.
Vor allem diese: Er hat Ariana Dumbledore nicht getötet. Er war es nicht. Da kann Aberforth noch so stur das Gegenteil behaupten und Albus noch so lange schweigen. Gellert hat Ariana vielleicht nicht gemocht, aber er hätte ihr niemals etwas getan. Und tief in seinem Herzen hofft er, dass Albus das erkennt. Denn so unbequem das sein mag - es sind Wahrheiten wie diese, unangenehm und eckig, die sie beide nächtelang diskutiert haben. Die sie auf kleine Zettel gekritzelt und an die Beine ihrer Eulen gebunden haben, wenn sie gerade nicht beieinander gewesen sind.
Der Gedanke frisst sich in Gellerts Herz. Nicht beieinander. Er hat nie geglaubt, dass das so bald wieder zum Dauerzustand werden würde. Irgendwann, wenn sie auf ihre Suche ziehen - ja. Logisch, eine Revolution kann man nicht von einem Fleck aus planen, wenn sie solche Größenordnungen wie die ihre erreichen soll. Man muss Menschen an verschiedensten Orten bewegen, immer unterwegs sein.
Aber er hat sie nie im Streit getrennt gesehen. Nicht so. Gellert hat sich nicht einmal auf Arianas Beerdigung getraut, weil er nicht gewusst hat, wie Albus darauf reagieren würde. Und soweit er weiß, hat Albus das Haus abgesehen davon nicht verlassen.
Es tut weh. Gellert hat nicht gewusst, wie schnell man sich an die Gegenwart eines anderen Menschen gewöhnen kann. Und er hat sich nicht vorstellen können, wie sehr es schmerzt, wenn sie schließlich fehlt. Manchmal ertappt er sich dabei, wie er einen Einfall hat und versucht, sich zu merken, dass er Albus davon erzählen muss. Dann fällt ihm alles wieder ein und es tut gleich doppelt weh: Weil Albus nicht da ist und weil sein eigener Verstand ihn betrügt - das Einzige, worauf er sich immer hat verlassen können.
Deswegen sitzt er hier und wartet. Selbst als die ersten Sonnenstrahlen seine Lichtung erreichen, gibt er nicht auf. Bis zum Morgen, hat er sich eigentlich geschworen. Aber er bleibt einfach sitzen - um herauszufinden, dass er sich nicht täuscht, sondern alles wieder gut werden kann. Um sich und der Welt zu beweisen, dass Albus noch immer der Freund ist, den Gellert während der letzten Wochen in ihm gesehen hat. Vertrauen, das ist ihm nie leicht gefallen. Aber jetzt, da er es einmal verschenkt hat, darf es nicht umsonst gewesen sein. Kein Fehler.
Sie haben einander schließlich Geheimnisse anvertraut, sich von ihren schwächsten Seiten gesehen. Das muss doch irgendetwas wert sein, richtig? Albus wird ihn nicht im Stich lassen. Er wird Gellerts Nachricht verstehen und irgendwann hier auftauchen. Bereit, mit ihm in die Welt hinauszuziehen und dieses Dorf mit all seinem Kummer hinter sich zu lassen. Es kann sich nur noch um Minuten handeln, nur um Minuten …
Aber die Minuten, die Gellert Albus hat geben wollen, sind schon lange verstrichen. Der Morgen färbt den Himmel grau und rot und orange, und Gellert findet immer neue Ausflüchte. Vielleicht hat Albus die Fenster über Nacht geschlossen und seine Eule noch gar nicht bekommen. Bestimmt hält Aberforth ihn außerdem auf. Möglicherweise hat diese Ratte sogar den Brief abgefangen und verhindert ganz gezielt, dass Albus sich ihm anschließen kann.
Einen Moment lang fragt Gellert sich sogar, ob es die Nachricht selbst sein könnte. Sie ist kurz. Er hat es zuvor unzählige Male versucht, hat Erklärungen, Bitten und Erinnerungen auf das Pergament gebannt. Aber am Ende hat sich nichts davon richtig angefühlt. Solche Dinge sollte er persönlich sagen, nicht wahr? Und da hat er sich entschieden. Ein einfaches: „Komm mit mir“, das musste reichen.
Doch vielleicht - und Angst greift mit kalten Klauen nach Gellerts Herz - tut es das nicht. Weiß Albus wirklich, dass der Brief noch viel mehr aussagt? Liest er Gellerts Angst vor Konfrontation und Ablehnung aus der Wortkargheit heraus? Findet er die Entschuldigung und das Versprechen einer Erklärung zwischen den Zeilen? Oder sieht er nur drei einsame Worte und entscheidet, dass sie seiner Aufmerksamkeit nicht wert sind? Dass Gellert es nicht wert ist?
Mehr schlecht als recht schüttelt Gellert diese Gedanken ab. Er kann sich so etwas nicht leisten. Und vor allem darf er nicht aufgeben. Deswegen zwingt er sich zu einer Zuversicht, die ihn dazu bringt, weiter an den Baumstumpf gelehnt sitzen zu bleiben. Nur fünf Minuten länger. Nur noch, bis die Sonne von seinem Platz aus ganz zu sehen ist. Wirklich nur noch, bis das nächste Mal die Glocken aus dem Dorf zu hören sind …
Er wartet und wartet. Und am Ende kann er nicht mehr sagen, ob er es noch aus Vertrauen oder aus Verzweiflung heraus tut - aus Verlorenheit und Angst vor einer einsamen, zu kurzen Zukunft.