Titel: Alle Jahre wieder
Autor: Elster
Fandom: Supernatural
Challenge: "Du hast dich überhaupt nicht verändert."
Warnungen: Depriness, thematisch uneinheitlich, Spoiler für die erste Folge (falls das gilt)
Alle Jahre wieder
Keine zwei Monate nach Jessicas Tod ist Weihnachten.
In den Fenstern brennen Lichter und auf dem Tresen des Motels steht ein verstaubter Christbaum aus Plastik. Er hat rote Kugeln mit silbernen Kratzern und spielt leiernd Silent Night, wenn jemand vorbeigeht.
Auch das Zimmer wurde dekoriert: eine Kerze in Form eines lachenden Schneemanns und ein Strohstern im Fenster. Es ist ein zum Scheitern verurteilter Versuch, dem Raum etwas Persönliches zu geben.
Sam lässt beide Gegenstände in einer Schublade verschwinden noch ehe er die Tasche abgestellt hat. Dann setzt er sich aufs Bett, den Laptop auf den Knien. Es gibt nichts zu recherchieren, wahrscheinlich hätte er hier nichtmal Internet, aber er will irgendetwas tun, zur Not die ganze Nacht Patience spielen.
Er will den Laptop gerade aufklappen, als ihm Deans Blick auffällt.
„Was?“
Dean hebt die Augenbrauen und zuckt mit den Schultern, als wäre ihm nicht klar, was Sam nun schon wieder hat. „Nichts“, sagt er lächelnd. Er hält Sams misstrauischem Blick stand, während er seine Tasche aufs freie Bett fallen lässt und sich dann daneben setzt, um sich die Schuhe auszuziehen. Erst als Sams Aufmerksamkeit sich wieder dem Computer zuwenden will, spricht er weiter: „Mir war nur nicht klar, dass dich Frosty nervös macht. Clowns - okay, ich hab’s verstanden, gruselige Gesellen. Aber Schneemänner?“
Sam kann ein genervtes Stöhnen nicht unterdrücken und Deans Grinsen verbreitert sich. „Lass mich in Ruhe, Mann. Das war einfach bescheuert.“
„Was, Sammy? Früher mochtest du Weihnachten.“
Früher war John mit ihnen essen gegangen und in Jims Gottesdienst, wenn sie gerade in der Gegend waren. Dann hatten sie irgendetwas zusammen gemacht, als Familie. Ins Kino gehen oder die ganze Nacht Poker spielen um Marshmellows und Schokolade, die auf geheimnisvolle weise immer weniger wurden.
Im Fernsehen war es anders, aber das hatte Sam damals nichts ausgemacht. Im Fernsehen war immer alles anders. Und wenn der Weihnachtsmann in manchen Jahren nicht zu ihnen kam, dann lag es vielleicht daran, dass er nicht mitbekommen hatte, wo sie grad wohnten oder dass sie keine Mutter hatten, die ihm Kekse backen konnte. Sam hatte früh gemerkt, dass die Welt ungerecht war.
„Jess mochte Weihnachten“, sagt er. Es überrascht ihn, weil er sich sicher war, gerade nicht an sie zu denken. „Sie hat schon im November angefangen, Plätzchen zu backen.“ Er weicht Deans aufmerksamem Blick aus. „Und im Dezember hat sie die Wohnung dekoriert und Kerzen aufgestellt. Alles hat nach Zimt und Orangen gerochen und sie hat ständig Weihnachtslieder gespielt.“
„Mann, das hört sich ätzend an.“
Sam liegt eine wütende Antwort auf der Zunge, aber als er aufsieht, sieht Dean ihn ernst an, nicht spöttisch. Nur ein ungeschickter Versuch, ihn zu trösten. Oder ihn abzulenken. Er versucht ein Lächeln, das vermutlich etwas schief gerät.
„Nein, es war…“ er überlegt einen Moment. „Es war schön. Ich kannte das noch nicht.“
Dean schweigt einen Moment. Vielleicht hat er wirklich damit gerechnet, dass Sam wütend wird und sie sich streiten können. „Du hast dich verändert“, sagt er schließlich.
Er sagt das nicht so, als wäre ihm das gerade erst aufgefallen, eher so als wolle er Sam darauf aufmerksam machen.
Und wer ist jetzt Captain Obvious? Es gibt Dinge, die haben es an sich, einen zu verändern. Ein Dämon, der dein Leben zerstört. Oder zwei Jahre Normalität nach einem Leben, in dem man mit Dämonen rechnete. Dann wird ihm klar, was Dean eigentlich sagen wollte: dass es okay ist, dass er es versteht. Dass er bei ihm ist und immer da war.
„Danke“, sagt Sam.
Dean sieht erst verwirrt, dann unangenehm berührt aus. „Freak“, murmelt er, steht auf und geht zu dem winzigen Kühlschrank rüber, der neben der Spüle steht.
Ihm ist aufgefallen, wie Chick Flick alles war und er wird jeden Moment einen Witz reißen. Vermutlich wird er sagen, dass aus Sam ein Mädchen geworden ist, etwas in die Richtung.
„Mein kleines Mädchen ist erwachsen geworden… - Bier?“
Sam muss grinsen. „Du hast dich überhaupt nicht verändert.“
Dean reicht ihm die zweite Flasche. „Man kann Perfektion nicht verbessern“, antwortet er mit einem Schulternzucken und einem Zwinkern.
Sam lacht und ihm wird erst viel später klar, dass das nicht stimmen kann. Weil es ihm wirklich vorkommt, als hätte sich Dean nie verändert. Weil der Junge, der ihm vor über fünfzehn Jahren bunt bedruckte Pflaster aufs aufgeschürfte Knie klebte, der gleiche Dean ist, der jetzt mit ihm Bier trinkt, um ihn von Jessica abzulenken, und sich Sorgen macht, ob Sam genug schläft.
Dean ist sarkastischer geworden, krimineller, schwerer zu erreichen, aber er ist nach wie vor derselbe. Sams nerviger, wunderbarer großer Bruder. Und Sam hat keine Ahnung, wer Dean in den letzten zwei Jahren war.
Es ist Weihnachten und es ist nach wie vor seltsam, weil die Welt der Winchesters nie unschuldig genug dafür war. Sam und Dean sitzen in einem schäbigen Motelzimmer auf verschlissenen Betten mit blass gewaschener Bettwäsche und trinken Bier. Es könnte drei Jahre früher sein, so wenig hat sich geändert und doch zweifeln sie, ob sie einander noch kennen.
Vielleicht spielen sie später Poker um Kartoffelchips.