Das Wort erhält ein Zeuge: Wieder Slawjasnk

Feb 19, 2015 03:47



Wie versprochen, veröffentliche ich mein Interview mit Michael Kowalenko, der in Noworossija die Zivilisten, Volkswehrangehörige und Nazgardisten rettete.

Am 15. Februar, in der Mitternacht soll das Blutvergießen in Noworossija beendet werden, zu derem bitteren Symbol für viele das unten abgebildete Foto geworden ist. Das Informationsanalytische Portal „NewsBalt“ konnte den auf dem Foto abgebildeten Mann, der in den Armen ein totes Mädchen trägt, finden und mit ihm sprechen. Michael Kowalenko ist Arzt vom Beruf, lebt jetzt in Russland, aber wir wollen die Region, wo er wohnt nicht nennen, denn die Banderas den Helden-Chirurgen suchen.

- Michael Georgiewitsch, das ist ein bekanntes Foto. In den ukrainischen Medien wurde gesagt, dass auf dem Foto ein Vater mit der Tochter von den Separatisten flieht. Sind Sie das auf dem Foto?

- Ja, das bin ich. Ich weiß nicht, woher das Foto stammt. Und die Granaten, die dieses Mädchen getötet haben, kamen von Karatschun. Dort war eine ukrainische Batterie, die regelmäßig die Stadt beschoss. Von dort wurde geschossen.

- Was für Ereignisse sind auf dem Foto dargestellt?

- Das passiete zu Ostern. Ich kam gerade mit meiner Frau aus der Kirche. Die Wasserversorgung in der Stadt hat schon nicht mehr funktioniert. In dem Stadtteil mit Privathäusern gab es einige Bohrbrunnen und alle Nachbarn holten dort Wasser. Die Volkswehr brachte einen Generator dorthin (Strom gab es auch schon keinen). Man hörte zwei Explosionen. Es wurde der Platz beschossen, wo die Menschen das Wasser holten. Es kam ein Volkswehrangehöriger mit einem Mädchen in den Armen angerannt. Jemand schrie: „Hier ist der Arzt!“ Der Soldat gab mir das Mädchen. Von meinem Haus bis zum Krankenhaus waren 500 Meter. Ich rannte dorthin. Als ich es auf den Operationstisch legte, habe ich verstanden, dass das Mädchen tot war. Ihre Hüfte, Unterleib, Kopf waren beschädigt. Später, als ich dieses Foto betrachtet habe, war mir klar, dass das Mädchen da schon tot war. Damals, in der Eile, habe ich das nicht gesehen.



- Wer hat geschossen?

- Über der Stadt herrscht ein Berg „Karatschun“. Der einzige Berg in unserer Gegend. Dort stand die ukrainische Batterie, die ständig die Stadt beschoss. Von dort wurde geschossen. Auch die Spuren zeigen genau, woher die Geschosse kamen. In Slawjansk hat die Volkswehr nie die Stadt beschossen, dafür lege ich meine Hand ins Feuer.

- Viele Ukrainer, die für ATO sind, glauben ,dass die Volkswehr sich selbst beschießt.

- Man kann einen Menschen viel glauben lassen. Ich musste selbst die unheilbar Kranke überzeugen, dass sie gesund werden. Sie glaubten.

- Wurden sie gesund?

- Nein. Sie starben. Aber sie glaubten.

- Michail Georgiewitsch, welche Eindrücke, Erinnerungen blieben über den Anfang des Krieges?

- Bis vor Ostern hatte ich den Eindruck, dass es sich alles noch regeln lässt. Es wurde der Stadtrand ein wenig beschossen, aber es gab nicht besonders viele Opfer. Das Grauen begann am 2.Mai. Genau am 2. Mai hat die Militärkolonne, die Karatschun besass, das Dorf Semenowka erschossen - das ist eine, nach Donezk Maßstäben, kleine Siedlung, ungefähr 200 Häuser. Die Einheimischen haben die Straße gesperrt, damit die Kolonne nicht zu Karatschun kommen kann. Sie haben mit dem Kommandeur der Einheit ausgemacht, dass die Soldaten in die Luft schießen und dann den Vorgesetzten reporten: wir haben alles leer geschossen und mussten zurück kehren. Und die Einheit der regulären ukrainischen Armee hat einige Schüsse in die Luft gemacht, und dann haben sie einfach angefanen die Menschen zu erschießen. An diesem Tag hatte ich gerade Dienst im Krankenhaus. Das war das erste echte Gemetzel. Es wurden 16 Menschen mit den Schussverletzungen zu uns gebracht. Solche Verletzungen, und dann noch in dieser Anzahl, war damals für uns, Ärzte, ungewöhnlich. Drei wurden in der Bauchgegend angeschossen. Einer - im Brustkorb. Wir haben ihn verloren. Die restlichen wurden an den Beinen verletzt. An diesem Tag verloren wir vier Menchen. Die restlichen haben überlebt. Nach diesem Gemetzel fluchtete ein Teil der Einwohner in die Stadt. Ein Teil blieb. Es entstand eine bestimmte Balance zwischen der Volkswehr und den ukrainischen Truppen. Die Volkswehr nahm die Stellung am Bergfuss. Die ukrainische Armee sass auf dem Berg.

Es gab bei der Anfangsetappe 4 Attacken. Es gab viele Verletzte bei den Zivilisten. Es gab auch verwundete Volkswehrangehörige. Auch die Nazgardisten wurden zu uns gebracht. Wir haben sie versorgt. Es gab sehr viele Beschüsse der Wohnbezirke. Auch mein Haus wurde zerbombt. Es macht große Angst, wenn du Explosionen hörst, während du einen Verwundeten operierst, und am Krankenhaus sind die Explosionen so stark, dass das Gebäude zittert. Die Militärmenschen bereiten sich irgendwie darauf vor. Sie wissen, wie sie sich verstecken, wie sie sich überhaupt verhalten. Wir wissen es nicht. Dreißig Meter von dem Krankenhaus entfernt starb meine Krankenschwester. Ein Haus wurde vom Flugzeug zerbombt. Jetzt bezog ich eine Wohnung in der Nähe des Flughafens. Erst halbes Jahr später habe ich aufgehört zusammenzufahren, wenn ich ein Flugzeug höre.

- Gab es viel Arbeit?

- Einige Zeit lang kam ich gar nicht aus dem Krankenhaus. Ständig wurde ein Chirurg benötigt, weil die Verwundeten am laufenden Band kamen. Wir haben die Menschen nicht geteilt auf die und jene. Wir haben alle operiert. Es passierte, dass auf einem Bett der Volkswehrangehörige lag und auf dem Nachbarsbett - der Nazgardist.

- Michail Georgiewitsch, wie kam der Beschluss nach Russland zu gehen?

- Am 17. Juni, als die Volkswehr die Stad verließ, fuhr ich auch weg. Drei oder vier Tage später. Zuerst nach Charkow, dann nach Russland. Wir erfuhren darüber, dass die Volkswehr geht, genau an dem Tag, als sie gingen. Sie kamen rein und sagten: „Ärzte, wir verlassen die Stadt genau jetzt. Wer will, kann gleich mitkommen. Steigt ein in die Autos“.

Wir haben alle Krankenakten verbrannt. In der Volkswehr in Slawjansk waren fast alle Einheimischen. Slawjansk ist nach Donezk Maßstäben eine kleine Stadt - 120 Tausend. Können sie sich vorstellen, was mit ihren Familien passiert wäre, wenn die ukrainische Armee über die Schussverletzungen erfahren hätte? Nachdem die Volkswehr ging, war es in der Stadt eine ganze Nacht ganz still. Absolute, helle Stille. Weder Menschen, noch ukrainische Soldaten. Ungefähr um zwölf erschienen die ersten ukrainischen Militärs in der Stadt. Die Menschen haben sich natürlich versteckt. Ich sass währenddessen im Krankenhaus und beobachtete, wie zwei Panzerfahrzeuge kamen, dann zurückfuhren. Nachts gingen sie weg. Nächsten Tag kamen sie am Tag wieder, nachts flohen sie. Erst am dritten-vierten Tag blieben sie in der Stadt. Sie richteten so eine Umrandung aus Panzerfahrzeugen und übernachteten dahinter.

- Warum haben sie beschlossen wegzufahren?

- Das ist persönlich. Man hat in mich persönlich geschossen. Aus Kanonen, aus Schießwaffen. Man kann so formulieren: die ukrainische Regierung hat alles gemacht, um mich persönlich umzubringen. Sie haben mich nicht umgebracht, weil ich geschickt bin. Nicht weil sie sich nicht genug Mühe gegeben haben - sie haben sich sehr bemüht - sondern weil ich Glück hatte und dem entkommen konnte. Und in einem Land zu leben, wo die Regierung persönlich in mich schießt, kann ich einfach nicht.

- Sie glaubten, dass sie sich auf dem feindlichen Territorium befinden? Hatten sie Angst?

- Ja, sie haben immer noch Angst. Mein Freund erzählte mir. Nach 18-19 Uhr ist die Stadt leer. Niemand geht auf die Straße. Sie patrouillieren die Stadt. Mein Freund war spät unterwegs, er war auf dem Weg nach Hause vor dem Beginn der Sperrzeit. Und plötzlich, ungefähr 10 Meter von ihm entfernt, Schüsse aus dem Maschinengewehr. Ohne Vorwarnung. Er sprang zur Seite: „Was machen sie?“. Und sie: „Bieg ab und mache den Umweg“. Das heißt, wenn ein Zivilist sich ihnen annähert, haben sie Angst.

- Was haben sie über die Rachakten ohne Gerichtverhandlungen in Slawjansk gehört?

- Es sind Menschen verschwunden. Einer meiner Freunde ist verschwunden. Er war nicht bei der Volkswehr. Er war nur ein kleiner Geschäftmann. Die meisten kleinen Geschäftsleute finanzierten die Volkswehr. Im August hat seine Frau angerufen, weinend, sie erzählte, dass ihr Mann seit drei Tage nicht da ist und keiner kann ihn finden. Also, alleine unter meinen Bekannten gibt es zwei solche Fälle.

- Michail Georgiewitsch, hat Strelkow alle aufgebracht, oder ist das Volk doch selbst aufgestanden?

- Strelkow kam in die Stadt, die schon bereit war für einen Aufstand. Deswegen sind die „Strelkow-Leute“ alle Einheimische. Das war ein echter Volksaufstand. Zuerst waren die Menschen mit den Jagdgewehren bewaffnet, einige hatten deutsche Schmeisser ,PPS [Pistole]... Warum haben die Menschen sich bewaffnet? Es gab Massendemonstrationen. Und nach diesen Massenversammlungen begannen die Menschen zu verschwinden. Außerdem sahen alle die Bilder aus Korsun-Schwetschenkowa. Wie die Buse verbrannt wurden, die Menschen geschlagen und getötet wurden. Bis zuletzt war ich skeptisch gestimmt bezüglich diesen Maidan, nahm es eher mit Humor, wie den letzten, der 2004 war. Bis das echte Gemetzel begann. Plötzlich sprang wie Teufel aus der Schachtel der „Rechte Sektor“, „Trizub“ usw. Wir haben früher von solchen Organisationen nie gehört. Dann kriegte ich Angst. Zum ersten Mal.

- Der Grund für den Widerstand war vermutlich nicht, dass man sie zwang die Nachrichten auf Ukrainisch zu hören?

- Wir hörten viele Jahre aus Kiew, dass in Donbass nicht Menschen, sondern „Donbassjane“ leben, dass mit diesen „Donbassjane“ man nur in der Sprache der Gewalt reden kann, dass Lwow - die Kulturhauptstadt sei. Entschuldigen Sie, das alles während ihr Theater von den Österreichern gebaut wurde und sie nicht mal eine Truppe haben. Und das Akademische Theater von Donezk den „Fliegenden Holländer“ aufführte, und diese Aufführung in der ganzen Welt Furore machte. Das stand nirgendswo in der ukrainischen Presse. Dabei war ganz Europa begeistert von diesem „Fliegenden Holländer“. Das alles spielte seine Rolle auch. Es war uns klar, dass auf uns keine Rücksicht genommen wird. Wie sie sagten: „An die Macht in der Ukraine kam die Regierung der Sieger“. Nicht der ganzen Ukraine, sondern der Sieger.

Alles, was ich in der Ukraine beobachtete, ist vollständig bei Feuchtwanger beschrieben, bei Remark. Ich fühlte mich wie mal eine mal andere Person aus diesen Romanen. Nur, zum Beispiel in „Dem schwarzen Obelisken“, leben die Personen in der Situation, wenn die Junta schon verlor.

- Man kann sagen, dass sie Auge in Auge den Nazisten gegenüber standen, wenn auch den Verwundeten. Haben sie vielleicht ihre Meinung geändert, nachdem die die Ergebnisse ihrer „Heimatverteidigung“ sahen, nachdem sie über die tote Kinder, Zivilisten erfuhren, wenn die ukrainischen Fernsehkanäle nicht mehr da waren?

- Ich kann mich nicht erinnern, dass sie ihre Meinung änderten. Wissen sie, ich glaube, der Punkt ist nicht der Fernseher. Ich denke, das sind irgendwelche psychotropische Medikamente. Die Nazgardisten, die ich gesehen habe, erweckten den Eindruck, dass sie unter Einfluss irgendwelcher Präparate standen. Möglicherweise aus der Phenamingruppe. Vermutlich war das irgendeine Kampfpharmakologie. Sie erzeugte die Absenkung des Angstniveaus, Schwerzniveaus, Erhörung der Muskelspannung, Reaktionsgeschwindigkeit.

Ich operierte mal einen Kämpfer der Nazgarde, der eine tödliche Verletzung hatte. Er benahm sich äußerst unangemessen. Er war aufgeregt. Agressiv. Er fühte absolut keinen Schmerz. Er stand auf, setzte sich hin. Seinen Gesichtsausdruck kann man nicht beschreiben. Gläserne Augen, völlig unkritische Wahrnehmung der Umwelt... Vielleicht ist es subjektiv, vielleicht irre ich mich.

Ich denke, dass die Brutalität im Prozess entsteht. Jemand gibt sich hin, der andere nicht. Nehmen wir Chatyn. Wie sich jetzt herausstellt, haben das die Ukrainer gemacht. In der UdSSR wurde dieses Thema verschwiegen. Aber jetzt ist bekannt geworden, dass Chatyn - eine ukrainische „Errungenschaft“ ist. So ist es auch hier. Das sind die gleichen Menschen, mit dem gleichen Verhalten.

- Warum sind dann so wenig Menschen in der Anfangszeit in die Volkswehr gegangen?

- Man hat sie nicht genommen. Mein Bekannter ging zu dem Sammelpunkt. Mit einem Militärausweis, ein Offizier. Man hat ihn gefragt: „Hast du Kinder?“. Er sagte, er hätte zwei. Man hat ihn nicht genommen. Man hat junge, ledige genommen, die bei der Armee waren.

- Haben Sie davon gehört, dass die Krankenhäuser auf den Territorien, die von der Junta besetzt sind, voll mit den vergewaltigten Frauen sind und darunter sogar minderjährige Mädchen?

- Ich habe davon gehört. Ich habe das selbst nicht gesehen. Ich glaube das, weil ich diese Nazgardisten gesehen habe.

- Michail Georgiewitsch, kann man davon sprechen, dass die ukrainische Regierung den Genozid der Donbassbevölkerung durchführt?

- Wie schätzen sie das ein: eine friedliche Stadt, wo sich die Volkswehr aus den Einwohnern der Stadt befindet, wird von der Regierung einfach bombardiert? Anstatt mit den Einwohnern zu reden, einen Verhandler zu schicken? Warum wurde das nicht gemacht? Warum haben danach die Beschüsse angefangen?

Und die Phosphorbomben? Ich habe diese Verbrennungen gesehen. Sechs Personen mit solchen Verbrennungen wurden zu uns gebracht. Ich habe das alles gesehen und bin bereit unter Eid zu bestätigen.

Hat Poroschenko irgendeinen Verhandler geschickt? Um vielleicht mal zu fragen: „Was wollt ihr?“ Das Volk wollte sich als Volk fühlen. Mit uns hat niemand gesprochen. Und der Krieg begann.

- Wollten Sie, dass solche Artilleriebeschüsse, der selbe Krieg in der Zentral- und Westukraine begann? Damit sie fühlen das, was sie Ihre Landsleute fühlten? Damit sie verstehen, dass die Zivilisten zu töten - böse ist?

- Auf gar keinen Fall! Das, was jetzt in der Ukraine passiert - genau das ist der Faschismus. Verstehen Sie richtig. Donbass ist ein Ort, wo man Menschen nicht nach nationalem Merkmal unterschieden hat. Wo ein Russe, ein Ukrainer, ein Tatare, ein Armenier, ein Jude und ein Usbeke zusammen an einem Tisch Cognac getrunken haben. Wir haben gefeiert und über Religion diskutiert. Ein wunderbares Bild.

- Und wie läuft der Übergang zum friedlichen Leben?

- Meine Freunde aus Russland halfen mit dem Umzug. Als wir herkamen, hat sich herausgestellt, dass in dem Krankenhaus hier sowohl ein Chirurg als auch ein Allgemeinarzt gesucht wird. Ich und meine Frau wurden genommen. Wir passen uns langsam dem friedlichen Leben an. Ich persönlich habe erst seit ein Paar Wochen aufgehört nachts aufzuschrecken bei dem Hochzeitsfeuerwerk. ich möchte allen Frieden und ruhiges Leben wünschen.

Übersetzungen aus dem Russischen - http://anjamueller.livejournal.com/92379.html

Author of the article: Gespräch führte Andrej Omeltschenko.

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