Der Deckenventilator wirbelte den Staub und das Licht träge durch den halb abgedunkelten Raum. Die versinkende Sonne fiel in Streifen durch die auf Halbmast gedrehten Jalousien wie eine Analogie zu irgendwas, wonach Churchland gerade nicht der Kopf stand. Die Sonnenstreifen rotierten gemächlich und tauchten die Gesichter der Anwesenden in ein nervtötendes Lichtspiel. Unter der zerfallenden Zimmerdecke hing der bitterliche Geruch, den mehr als zwei Menschen mit zu viel Aftershave nach ein paar Stunden unweigerlich hinterlassen. Businessatmosphäre.
Während er mit einem profanen Lächeln auf die sich bewegenden Lippen seines Gegenüber blickte und in geschäftigem Nicken den Kopf bewegte, zählte er innerlich die Stunden seit dem letzten Fix. Es war ja nicht so, dass er das Zeug brauchte; außer für seinen Lebensentwurf vielleicht. Er lehnte sich im Sessel zurück und wirbelte eine kleine Staubwolke auf, nur um keine halbe Minute später wieder eine schnurgerade Haltung anzunehmen. Mit einer Ermüdung, die von außen hoffentlich nach professioneller Observation aussah, wanderte sein Blick einige Zentimeter seitlich auf die verrostete Maschinenpistole. Die darauf ruhenden Fingernägel glitzerten in fünf verschiedenen Farben, die schon ein bisschen abgeblättert aussahen.
Die daran anschließenden Hände und Arme endeten in einer Armeeweste, die halb weiß, halb schwarz bemalt und mit kontrastierten Tränen verziert war. Die Gestalt, der Churchland entfernt sowas wie Weiblichkeit zuschrieb, hatte die Hüften gegen die Sessellehne seines Gesprächspartners gelehnt und spielte mit den Fingern an der Waffe herum wie andere Fingernägel kauen. Einzelschuss. Feuerstoß. Dauerfeuer. Feuerstoß. Einzelschuss. Wenigstens ließ sie die Finger von der Sicherung.
"Scheiß Clowns", dachte Churchland und lächelte ein bisschen mehr. Viereinhalb Stunden. Die Krawatte um seinen Hals fühlte sich mit jeder Minute mehr wie ein Strick an, doch sie zu lockern wäre gegen die Unternehmensphilosophie.
"Selbstverständlich haben wir die Kapazitäten, um für den Transport zu sorgen. Für ein paar Hülsen zusätzlich haben wir nicht einmal Ahnung, was in den Kisten steckt." Die Mundwinkel seines Gegenüber waren zu weit und verliehen seinem Gesicht den Ausdruck eines permanent breiten Grinsens. Selbst jetzt, wenn er einfach nur sprach. Der kosmetische Eingriff führte zusätzlich zu einem konstanten Nuschelton, in den Churchland mittlerweile am Liebsten reinschlagen wollte. Seitdem versuchte er sich auszumalen, wie der Andere einen Cheeseburger aß, um sich durch erheiternde Gedanken zu beruhigen. Er fixierte seinen Blick angestrengt auf das Narbengewebe an den spitz zulaufenden Mundwinkeln. “Nicht, dass ich euch Anzugwichsern irgendwelchen Drek unterstellen will, den wir nicht in unseren Trams sehen wollen.”
“Wie ich bereits erwähnte, findet sich eine Liste aller potenziellen Güter in Appendix 4 des von uns vorgelegten Vertrags”, sagte Churchland mit der geschäftsmännischen Begeisterung, die er sich für solche Momente antrainiert hatte. Verträge? Ich liebe Verträge! “Es handelt sich bei der Transportlinie weitestgehend um Rohstoffe, die am Zielort weiterverarbeitet werden sollen. Falls die vertragliche Sicherheit euch nicht genügt, bin ich berechtigt eine Begutachtung der Waren eurerseits für die ersten zwei Transporte zu gewähren.”
“Ach lass mal”, sagte das breite Grinsen und legte einen spitzen Schuh auf den klapprigen Cafétisch zwischen ihnen. Entweder war die Nase zu klein oder die Augen zu groß, vielleicht brachte auch der aufgeschnittene Mund das Gesicht durcheinander. Churchland bekam Kopfschmerzen von asymmetrischen Gesichtern und meistens keinen hoch. Was bei der Visagenlandschaft von Redrum die Dinge nicht immer einfacher, geschweige denn billiger machte. “Muss nicht noch ‘ne Seite Kleingedrucktes sehen. Wir sind uns einig?”
“Wir sind uns einig”, sagte Churchland mit einem mechanischen Nicken und Händeschütteln. Innerlich schwang er ein bisschen die Hüften und gab Fremden auf der Straße High-Five. Er kramte zwei identische Verträge aus seinem Aktenkoffer heraus und legte einen vor sich, einen vor das breite Grinsen.
“Nicht dass du lesen kannst, Hackfresse”, dachte er und zog vor seinem inneren Auge von Bar zu Bar seine Kreise durch die nächtlichen Straßen, während seine Hand auf dem klammen Recyclingpapier dasselbe tat. Sie tauschten die getackterten Papierstöße, lächelten und Churchland fragte sich wie immer, ob die Clowns sich danach einfach mit dem Kram den Hintern abwischten.
“Dann hätten wir das ja hinter uns. Also”, sagte das breite Grinsen und knallte ein bisschen zu fest den Stift auf die Tischplatte, “was darf es zur Feier sein?”
“Ach scheiße, nein. Wirklich jetzt?”, dachte er. Churchland musterte das Gesicht des Anderen sehr genau und blinzelte sogar einmal kurz zur Wache hoch. Das breite Grinsen zeigte noch ein bisschen mehr Zähnchen, als unausweichlich war. “Du willst jetzt wirklich die geschäftsmäßige Kneipentour mit mir fahren?”
“Ganja? Meskalin? Methamphetamin?” Das breite Grinsen legte ein bisschen den Kopf schief; wahrscheinlich um den Geschmack des Anzugwichers gegenüber zu bemessen. “Gespikter Moonshine? Weißes Zeug? Oder eher Fleischkram? Die Stadt hat eine Menge Scheiße auf dem Karren.”
“Weißes Zeug hört sich gut an.” Das Lächeln auf Churchlands Lippen hielt, aber viel weiter reichte es nicht. Kein Sinn eine Einladung zum Geschäftsessen abzulehnen. Das breite Grinsen kannte die regionale Küche vermutlich so oder so besser.
“Ich denke, da weiß ich was.”
Die Welt wackelte für ein paar Sekunden wie ein Polaroid, kurz bevor das Bild zum Vorschein kam, als Churchland wieder den Kopf hob. Es kribbelte auf seinen Unterarmen wie Stahlwolle, mit der aus dem Inneren die tote Haut abgehobelt wurde. Im Augenwinkel flackerte die Umgebung, kringelte sich und leckte vorsichtig über seine Augäpfel. Es fühlte sich alles wieder ein bisschen in Ordnung an.
“Versteh’ nicht, warum ihr Anzüge immer Scheine nehmen müsst”, sagte das Breite Grinsen neben ihm. Die grauen Augen leuchteten kurz ein wenig auf, als ein Maskenmann ein Bier auf der Tresen vor ihm abstellte. Es hatte die Beine angewinkelt in den Barhocker verschlungen und Churchland starrte für eine kurze Ewigkeit auf die monströsen Absätze der Stiefel. Tarnmuster, Stahlapplikationen, brennend rote Schnürsenkel.
“Prestige”, sagte Churchland irgendwo zwischen Frage und Antwort. Er war gerade ziemlich zufrieden mit sich und der Rest der Welt war auch verkraftbar. Zwei Gründe weniger für Fassade und ablenkende Antworten. Vorsichtig rollte er den 100-Franken-Schein wieder auseinander und schob ihn in die Innentasche seines Sakkos. “Das ist ziemlich guter Stoff.”
“Heimische Betriebe.” Breites Grinsen grinste, soweit das noch ansatzweise mehr möglich war, und nahm große Züge von seinem Bier. Mit jedem Schluck lief ein feines Rinnsal Flüssigkeit aus den spitzen Mundwinkeln, doch es schien ihn nicht im Geringsten zu kümmern. Als er absetzte, lachte er laut und kehlig. Kreissäge und ein bisschen verstimmte Gitarre im Abgang.
Das Murderporn zählte zu der Art Bar, in die es Churchland allein nie verschlug, weil er Panik vor den Türstehern hatte und die Paranoia, rostige Nägel in seinen Drinks zu finden. Aber wenn das Koks in jeder Kneipe, die aus Büroruinen und Wellblech zusammengeschweißt aussah, so ins Hirn ging, dann sollte er sich bald diesen Segmenten seiner wohlgehüteten Ängste stellen. Neben der Theke und einer Menge um Tische arrangierter Kinosessel, stand das Murderporn voller Drahtkäfige, in denen sich nackte Gestalten räkelten. Irgendwie glaubte er eine Jazzband zu hören, doch das könnte bereits der Teil der Realität sein, der nur in seinem Kopf vorging.
“Ihr habt Amigos in der Gegend?”, fragte er und sah mit einer gewissen Fürsorglichkeit den kleinen weißen Hügel an, der noch vor ihm auf Butterbrotpapier lag. Er schacherte mit einer Kreditkarte darin herum, doch eigentlich rannte der erste Bergungstrupp in seinem Kopf noch Türen ein und suchte nach Überlebenden. Vielleicht würde es doch noch ein netter, entspannender Abend werden.
“Ach was, nicht nötig”, sagte das Breite Grinsen und winkte ab. Die Hand vor Churchlands Augen schwamm in nervösen Linien zum blechernen Henkel des Bier und setzte zu einer Trinkpause an. “Nur ein paar Brüder und Schwestern mit Maschinchen und Desinfektionsmittel, die nicht ganz auf den Kopf gefallen sind.”
“Darf ich dir eine persönliche Frage stellen?” Ganz sicher war er sich nicht, wie lange sie schon im Murderporn saßen. Churchland sah seinen Verstand von der formalen Geschäftsebene heruntersteigen, auch wenn sein Sprachzentrum viel, viel langsamer kletterte. Er grinste ein bisschen dämlich, um es auszugleichen.
“Schieß’ los, Krawatte.” Das Breite Grinsen hatte gerade mit der Barkeeper gesprochen, die in den Tiefen eines Kühlschranks verschwand. Es dreht sich ein paar Grad auf dem Barhocker und er meinte so etwas wie Interesse im abschätzenden Blick auszumachen.
“Dieser Kram.” Churchland fasste sich mit Daumen und Zeigefinger in den Mund und zog die Mundwinkel auseinander. Sehr subtil. Wirklich. Er versuchte ein bisschen durch die Grimasse zu grinsen. “Wie läuft das?”
“Mh”, war die erste Antwort und danach ein längerer Schluck mit ausgedehntem Mundabwischen. Die Barkeeper schob neben dem Breiten Grinsen eine kleine Medikamentendose auf den Tresen. Die Finger schlossen sich kurz um den Behälter, ließen ihn dann wieder los und ordeten die Hand etwas unbeholfen mit der anderen im Schoß zurecht. “Aufnahmeritual. Sie sagen dir vorher nicht, wo geschnitten wird.”
“Und dann gehen sie hin und jeder Typ, der sich zersäbeln lässt, darf mitmachen?”, fragte Churchland und lehnte das eckige Kinn in die Handfläche. Er beäugte das Breite Grinsen genau, die Finger nur ein paar Millimeter vom Auge entfernt und dieser Ich war mal ein Semester in Psychologie, bevor die ganze Scheiße den Bach runterging-Gewissheit. Erzählen Sie doch mal über ihr Leben mit dem Mann, der langsam anfängt in Schwarz-Weiß-Kontrasten zu sehen und sich fragt, wer sich in so einem Schuppen wohl von einem Anzugwichser vögeln lässt. Kokain ließ der Sache mit den Symmetrien ein paar Grad mehr Spielraum, aber das Murderporn war ein einziges Zugunglück für Churchlands zartbesaitete Ansprüche. Er kicherte innerlich, weil ihm dieses leichte Feuer durch die Kopfhaut bis in den Nacken ging. Oh, Breites Grinsen sah ihn mit eng zusammengezogenen Augenbrauen an.
“Nope. Dann sagst du Ja oder Nein - und wenn du Ja sagst, geben sie dir, womit du es dir machen darfst.” Das Gesicht glättete sich einen Deut. War da irgendwo Innuendo untergebracht? Es schmiss sich den Inhalt der Pillendose in den großen Mund. Dann folgte der Rest des Biers und die Barkeeper reichte direkt Nachschub nach. Breites Grinsen schaute Churchland ein bisschen versonnener an. “Wenn du Nadelstreifen mich noch einmal Typ nennst, kriegste außerdem in die Fresse wie dich noch keiner verprügelt hat.”
“Ahm, und ich meine, das heißt?”, sagte er verwaschen. Businesston, Churchland. Businesston. Vielleicht wäre ein Drink jetzt nicht verkehrt. “Rasierklingen? Rostige Gabeln? Küchenreibe? Moment was?”
“Erkennst kein Mädel, wenn du eins vor dir hast?”, fragte Breites Grinsen eher feststellend. Es beugte sich nach Vorne, die Hände auf den Barhocker gestützt und war sehr, sehr nahe an Churchlands scharfkantiger Nase. Er sah vom Grau der Augen über den Lidstrich zu einer grünen Locke unter der roten Armeekappe zu der scharfkantigen Narben am Rand der violetten Lippen, auf den bleichweißen Zähnchen. Sein Hirn versuchte Informationen zu prozessieren, doch Neurotransmitter und Koks waren so eine Sache. Er erkannte gar nichts.
Churchland kam in dem Moment, in dem sie ihre Zunge in seinen Mund schob und an seinem Hemdkragen zog, nicht in seinen eigenen Kopf rein und sah sich nur einen breitmäuligen Frosch küssen. Er drückte eine, zwei Sekunden seine Hände gegen die Schultern des Breiten Grinsens, doch dann zog er sie näher an sich. Er spürte seine eigene Zunge die Zahnreihen bis zu den spitzen Winkeln entlangwandern, während sich zwischen seinen Rippen etwas zusammenzog und in den Unterleib wanderte. Scheiße. Scheiße. Er schlang beide Arme um ihre Hüften und hätte sich näher an sie herangedrückt, wäre er nicht aus der Balance gekommen und fast vom Barhocker gefallen.
Breites Grinsen lachte, kurz nachdem ihre Zahnreihen mit Churchlands Beißerchen aneinanderschlugen. Nichts Schlimmes, aber er glaubte den Geschmack von Kupfergeld auf der Zunge zu haben. Das konnte ebenso das Koks sein oder was auch immer in ihrem Mund so für Sachen abliefen. Ein bisschen verschüchtert raffte er sich wieder zurück auf seinen Platz und richtete sein Hemd. Er fühlte ein Beißen tief in seiner Magengrube und beobachtete seine Augen, wie sie unaufhörlich über ihren Körper wanderten. Breites Grinsen rieb sich die Lippen und rutschte vom Barhocker. Sie schwankte wie ein Windrad, doch hielt sich auf den Beinen. “Kommst du?”
“Ahm, also, ne. Ich meine, nicht von sowas, komm schon”, stückelte er Wörter zu Satzstrukturen zusammen, ohne zu wissen, was oder worüber er redete. Churchland wollte sie nochmal anfassen, mit seinen Händen, mit seinen Augen, mit jedem anderen Körperteil, das er auftreiben konnte. Seine Stimmbänder, sein Mund, sein Sprachzentrum produzierten hingegen nur Worte und es frustrierte ihn zutiefst. Er stolperte ebenfalls auf die Füße und legte vorsichtig einen Arm um Breites Grinsen.
“Ob du mitkommst”, sagte sie und streifte seinen Arm wieder ab. Sie deutete in Richtung Ausgang.
“Ah? Ah klar. Gibt’s hier Zimmer. Ich meine, lass mich kurz”, reihte Churchland Silben zu Wörtern zusammen, beugte sich kurz zum Tresen und zog ziemlich ungeschickt so viel wie möglich vom weißen Pulver durch die Nase. Der Großteil landete auf dem Boden oder auf seiner Backe, doch das ihm gerade ausnahmsweise relativ egal. “Du weißt, schon irgendwo, wo wir halbwegs ungestört sind.”
“Du glaubst ernsthaft, nach der Show will ich dich ficken, Schlinge?” Das Breite Grinsen schüttelte übertrieben den Kopf. “Ich geb’ dir die Chance mit mir die Straßen aufzumischen, weil du kein völliger Vollidiot bist.”
“Ach Scheiße. Was auch immer”, sagte und dachte Churchland, unsicher über die Bedeutung seiner eigenen Aussage. Er zerrte sein Jackett zurecht und stolperte in die Nacht der Stadt hinaus, hinter dem breiten Grinsen her.