Puppentheater

Jun 21, 2011 15:40

Eine Passage aus dem NaNo vorletzten Jahres, auf die ich bei Rollenspielplanung wieder gestoßen bin und aufbereitet hab'. Flora ist mittlerweile eine dieser üblichen Verdächtigen auf der Protagonistenbühne in meinem Hirnskasten. Allerdings schreibe ich selten über sie, obwohl ihre aufbrausende Art (sprich, willkürliche und cholerische Moralkeule) ein angenehmer Perspektivenwechsel ist. I felt like sharing. Enjoy.

Flora seufzte und rieb sich eine Weile über den Handballen. Ihre Haut war nun wieder dunkel, glatt und einfach Haut. Mit vielen ungeschickten Handgriffen zog sie sich die Schutzmaske vom Kopf und schüttelte ihre zusammengebundenen Haare bis zur Hüfte hinab. Sie durchwanderte den Raum und ließ die Fingerspitzen über die kalten Hüllen der Maschinen schleifen.
Im Gegensatz zu vielen magiebegabten Wesen spürte sie nicht die Auren, Schwingungen oder Kräfte (kurz: das Übernatürliche) in ihrer Umgebung. Flora erkannte keine Verbindung zwischen sich und der Magie. Sie wusste durchaus, was es mit Magie und Zauberei auf sich hatte, sah jedoch keinen Bezug zu ihrem eigenen Wirken. Magie war für sie der Umgang mit dem Übernatürlichen. Wörter, ob ausgesprochen oder gedacht, waren so natürlich wie Atmen.
Sie würde vor den sauberen Metallplatten zurückweichen wie vor dem Gestank einer Kloake, sprünge auch nur ein Funke der Energie in ihre Wahrnehmung über, welche die Halle erfüllte. Doch Flora Alteisen begutachtete die Kontrollpulte und Relais der verschiedenen Apparaturen und roch weiterhin nichts.
Kommen wir zur Hauptattraktion des heutigen Abends, ging ihr durch den Kopf, als sie sich dem großen Zylinder am Ende der Maschinen näherte. Worauf sie alle gewartet haben, Damen und Herren!

Sie fand einen Verschluss auf der Ummantelung und zog daran. Das vordere Halbrund klappte an Schanieren zur Seite und gab den Blick auf eine gläserne Röhre frei. Ihr den Rücken zugewandt, saß ein Wesen zusammengesunken in der Röhre, das an eine übergroße Puppe erinnerte. Flora kamen Phrasen wie 'durchgeschnittene Fäden' oder 'seelenlose Marionette' in den Sinn und verflüchtigten sich sogleich wieder.
Die Puppe begann sich zu rühren und drückte ihren Rücken gegen die Glasfläche. Die Konturen des Rückgrats hoben sich wie die Hügellinie inmitten einer Ebene. Die blanken Kugelgelenke der Schultern bewegten sich, als sie die Hände auf den Boden stützte. An einer Hand fehlte der kleine Finger und die Teile lagen auf dem Boden herum wie Murmeln und Holzbausteine. Sie drehte sich im Aufstehen und sah Flora an.
Ihre Augen waren von Schlieren durchzogene Kugeln aus Licht. Kurze Haare in dunklem Ton, offensichtlich falsch, androgynes Gesicht. Es war von Kopf bis Fuß ein einziges Wechselspiel von glatten Körperteilen und Kugelelementen. Nur Rundungen kleiner Brüste, den Werken idealisierender Bildhauer gleich, am Oberkörper gaben Anzeichen, dass der Puppe ein Geschlecht zugedacht war.
Sie trat zum Glas als wolle sie Flora nahe sein. Als sie ihren Körper bei diesem Bestreben gegen die Scheibe drückte, gab die Haut nicht nach. Flora dachte an das Geräusch, welches kleine Steine machen, wenn man sie an eine Fensterscheibe warf, um einen Schlafenden zu wecken. Als sie nicht weiter vorwärts kam, legte die Puppe die Hand mit dem fehlenden Fingerglied an die Scheibe, dort wo sich Floras Gesicht befand.

„Wieso bist du jetzt erst aufgestanden?“ Flora konnte sich Fragen wie 'Was bist du?' verkneifen. Ihre Zeit war knapp.
„Ich funktioniere durch Licht“, antwortete die Puppe mit sehr menschlichen Stimme.
„Wie lange funktionierst du schon?“
„Etwa sechs Tage.“
„Etwa?“ Flora rümpfte die Nase. Sie hatte sich von einer Maschine präzisere Angaben erhofft.
„Ja“, sagte die Puppe und als darauf Stille folgte: „Weshalb?“
Hitze kroch Floras Kehle hinauf und sie schluckte den aufkeimenden Ärger herunter.
„Ich habe keine Zeit für Geplauder. Wie viele gibt es noch von deiner Sorte?“
Die Puppe kratzte sich am Kopf. Sie wirkte nachdenklich.
„Ich stehe nicht in Verbindung zur Maschinerie, also weiß ich es nicht genau. Was definierst du genau als 'meine Sorte'?“
„Würdest du bitte aufhören zu philosophieren? Ich will wissen, wie viele von euch Menschmaschinen Splitter hier zusammengeschraubt hat!“ Floras Stimme hallte im Raum wieder und erinnerte sie daran das nächtliche Sabotage und Schreien nicht zusammenpassten.
Die Puppe öffnete ihren Mund zu einem geräuschlosen 'Ah' und antwortete: „In der Stadt gibt es etwa zwei Dutzend von 'meiner Sorte.'“
„Erfreulich, dass neben Ironie auch Kooperation mit dem Feind zu deinen Eigenschaften gehört.“
„Eigentlich sind meine eingeflößten Eigenschaften 'Unbekümmertheit' und 'Neugierde'. Wieso bist du mein Feind?“ Flora verspürte das Bedürfnis das Glas aufzubrechen, nur um der Puppe an die Gurgel zu gehen. Wenn es stimmt, was sie sagte, würde es ihr nicht einmal etwas ausmachen. Sie schritt vor der Röhre auf und ab, um sich zu beruhigen.
Es macht keinen Spaß die Gute zu sein, wenn man dabei ein schlechtes Gewissen haben muss.
„Weil ich - sobald wir uns unterhalten haben - alles hier in die Luft sprenge; und zwar so gründlich, dass deine Erbauer nicht einmal mehr Papierschnipsel finden.“
Großartig, schoss Flora durch den Kopf, jetzt wird sie mir gar nichts mehr erzählen.
Die Puppe war ein Stück zurückgetreten. Ihre Finger trommelten unruhig gegen das Glas; immer einen Schlag zu wenig. Nur der Mund verriet Unruhe, die der restliche Körper nicht zeigen konnte.
„Unbekümmert, mh?“, fragte Flora. „Sieht für mich anders aus.“
„Lebenserhaltung hat Priorität“, murmelte die Puppe und lächelte vorsichtig.
„Ich kann dich beruhigen: Du bist nicht am Leben.“ Flora fragte sich, was im Wesen ihr gegenüber vorging und schob den Gedanken sofort weit von sich weg.
„Nein?“ Die Puppe ließ ihre Arme wieder hinabhängen.
„Dein Leben ist wider die Natur“, erklärte sie langsam.
„Das macht mich nicht minder lebendig.“ Flora schnaubte und trat gegen den Sockel der Röhre, während die Puppe regungslos dastand.
„Was machst du, Flora? Keine Zeit und du diskutierst mit einer Maschine über ihre Daseinsberechtigung", murmelte sie zu sich selbst. Sie ging in die Knie und verbarg das Gesicht in ihren Händen.
„Ich bin keine Maschine“, verkündete die Stimme über ihr und klang zum ersten Mal sehr bestimmt. Flora sah nicht auf. In der Dunkelheit hinter ihren Augenlidern rasten die Gedanken.
„Sondern?“
„Ich bin ein künstliches Wesen, dessen mechanische Hülle und Konstruktion von einem magischen Bewusstseinskortex mit Persönlichkeitsnetzwerk angetrieben und gelenkt wird.“
„Das hast du schön nachgeplappert, Püppchen“, grollte Flora, während sie sich erhob. Das Glühen strahlte bis zum Ellenbogen hinauf durch den Stoff ihrer Kleidung. Rotes Licht flackerte auf den Wänden wie der Widerschein eines Feuers. Glühwürmchen kreisten in einem langsamen Sturm um ihren Körper.
Die Puppe hämmerte mit den Fäusten gegen ihr Glasgefängnis. Ihre Augenbälle waren rot vom Licht. Es kam ihr nicht in den Sinn nach Hilfe zu rufen.
Flora blinzelte. Sie bemerkte ihre eigene Reflexion im Glas und dahinter, ein Stück weit versetzt, die Puppe. Ihre Gesicht war verzerrt, die gebleckten Zähne zusammengebissen, und ihr Körper in der roten Dunkelheit ein Schatten seiner selbst. Die Puppe dahinter war bleich und sähe fast wie ein nackter Mensch aus, wenn mehr als der Mund ihre Angst preisgeben würde.
Wie ein Lichterspiel wechselte die Farbe von Rot zu Grün. Die im Wind wogenden Wiesen auf den Wänden und in den Augen der Puppe glätteten sich. Flora grüne linke Hand legte sich gegen das Glas und es wich davor zurück wie Staubkörnchen im Sonnenlicht. Es tanzte und schlängelte sich in merkwürdigen Bahnen und gab schließlich eine Öffnung in Menschengröße frei. Dann stand die Tür im Glas still als wäre sie schon immer dort gewesen.

Die Puppe stand keine Sekunde still und wartete ab, wie es ein Mensch getan hätte, sondern durchschritt sofort den ihr gebotenen Ausweg. Im Gegensatz zum Menschen war die Puppe ein zutiefst logisches Wesen.
Flora Alteisen schüttelte den Kopf. Sie würde sich - wie so oft - später Gedanken machen, wie mit ihren Entscheidungen zu verfahren sei.
„Wenn es nichts mehr zu reden gibt: ich habe eine Fabrik dem Erdboden gleich zu machen.“

steampunk, womöglich dystopisch, nebula, schnellschreiben, und dialoge muss ich auch üben, künstliche lebewesen und halbgare sachen, flora, nano, deplatzierte horrorelemente

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