Philosophie der Faulheit

Jan 12, 2014 17:22


Hauptmangel der tätigen Menschen
Den Tätigen fehlt gewöhnlich die höhere Tätigkeit: ich meine die individuelle.
Ich glaube, dass jeder über jedes Ding, über welches Meinungen möglich sind, eine eigene Meinung haben muss, weil er selber ein eigenes, nur einmaliges Ding ist, das zu allen anderen Dingen eine neue, nie dagewesene Stellung einnimmt.
Aber die Faulheit, welche im Grunde der Seele des Tätigen liegt, behindert den Menschen, das Wasser aus seinem eigenen Brunnen zu schöpfen.
Die Tätigen sind daher als Beamte, Kaufleute, Gelehrte, das heißt als Gattungswesen tätig, aber nicht als ganz bestimmte einzelne und einzige Menschen; in dieser Hinsicht sind sie faul. - Es ist das Unglück der Tätigen, dass ihre Tätigkeit fast immer ein wenig unvernünftig ist. Man darf zum Beispiel bei dem geldsammelnden Bankier nach dem Zweck seiner rastlosen Tätigkeit nicht fragen: sie ist unvernünftig.
Die Tätigen rollen, wie der Stein rollt, gemäß der Dummheit der Mechanik. - Alle Menschen zerfallen, wie zu allen Zeiten so auch jetzt noch, in Sklaven und Freie; denn wer von seinem Tage nicht zwei Drittel für sich hat, ist ein Sklave, er sei übrigens wer er wolle: Staatsmann, Kaufmann, Beamter, Gelehrter.

- Friedrich Nietzsche -

aus: David Dilmaghani und Nassima Sahraoui (Hgg.): Kleine Philosophie der Faulheit. Frankfurt am Main 2012. S. 137f.

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