Moskau: Schachweltmeister Kasparow schreibt wegen Putin an Heiko Maas

Aug 04, 2019 00:14


Offener Brief von Garri Kasparow an Heiko Maas „Ihr Geld finanziert direkt Putins Polizeistaat“
Ex-Schachweltmeister und Menschenrechtler fordert deutschen Außenminister zur Unterstützung der russischen Protest-Bewegung auf
03.08.2019


Außenminister Heiko Maas (52, SPD) und Schachweltmeister Garri Kasparow (56)
Foto: picture alliance / abaca, Gregor Fischer / dpa

Die Welt blickt nach Moskau. In Russland sind in den vergangenen Wochen Tausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die Streichung von Oppositionellen auf den Wahllisten zu demonstrieren - mehr als 1000 von ihnen wurden verhaftet! Für diesen Samstag sind neue Proteste angekündigt.

Trotz der schrecklichen Szenen aus Russland fordern Politiker von SPD und CDU den Abbau der Sanktionen, die nach der Krim-Annexion verhängt wurden. Mit einem offenen Brief hat sich nun der russische Ex-Schachweltmeister und Menschenrechtler Garri Kasparow (56) an Außenminister Heiko Maas (52, SPD) gewandt.

Darin fordert er Solidarität mit der russischen Zivilgesellschaft und klarere Kante gegenüber Russlands Präsident Wladimir Putin (66).

BILD veröffentlicht den Brief exklusiv:
Der Brief an Heiko Maas

„Am 25. Juni stellte der Europarat das russische Stimmrecht wieder her, das nach der illegalen Annexion der Krim im Jahr 2014 und der anschließenden Invasion der Ostukraine ausgesetzt worden war. Sie waren ein Befürworter des Vorhabens, eine wichtige Stütze angesichts des übergroßen Einflusses Deutschlands in Europa. Nachdem die Entscheidung bekannt gegeben wurde, sagten Sie: ,Das ist auch eine gute Nachricht für die russische Zivilgesellschaft. Die Russen müssen weiterhin die Möglichkeit haben, beim Europäischen Gerichtshof vor Gericht zu klagen.‘

Ich war schockiert und konnte Ihnen auf Twitter eine lästerliche Reaktion nicht vorenthalten, die für die vielen im Exil lebenden Mitglieder der russischen Zivilgesellschaft sprach, die gezwungen waren, Russland unter Androhung von Verfolgung und Gewalt zu verlassen, wie es so viele meiner Kollegen und Landsleute getan haben.“

Gemeint ist folgender Tweet: „Im Namen der russischen Zivilgesellschaft, die gezwungener Maßen im Ausland lebt, F*** dich. Einen Diktator beruhigen und Aggression belohnen wird die Dinge schlimmer machen, das hat es schon immer getan.“

On behalf of Russian civil society forced to live abroad, fuck you. Appeasing a dictator and rewarding aggression will make things worse, it always has. https://t.co/LIRLZio6BN
- Garry Kasparov (@Kasparov63) June 25, 2019

In seinem Brief schreibt Kasparow dazu:

„Während ich um Verständnis für meine harte Sprache bitte, bereue oder widerrufe ich sie nicht. Nach zwanzig Jahren der immer brutaleren Herrschaft von Wladimir Putin existiert die russische Zivilgesellschaft kaum noch. Sie als Vorwand zu benutzen, um Putin zu beruhigen, ist abscheulich.

Am 27. Juli, einen Monat nach Ihren Ausführungen, führten friedliche russische Proteste gegen die Entfernung von Oppositionskandidaten aus den bevorstehenden Wahllisten zu den größten Massenverhaftungen und polizeilicher Gewalt seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Viele Dutzend wurden von der Bereitschaftspolizei geschlagen, nur weil sie versucht hatten, zu marschieren. Über tausend Menschen wurden verhaftet, und Erklärungen der politischen und polizeilichen Führung Putins haben deutlich gemacht, dass sie es nicht für eine Überreaktion halten. Der Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin lobte die Polizei - deren Gewalt auf Video festgehalten wurde. Generalstaatsanwalt Juri Chaika ermahnte seine Bezirksanwälte, alles zu tun, um die ,öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten‘. Generalstaatsanwalt Alexander Bastrykin, Leiter des Untersuchungsausschusses, kündigte die Eröffnung eines Strafverfahrens wegen ,Massenstörung‘ mit Strafen bis zu 15 Jahren Gefängnis an. Es ist offensichtlich, dass die strengsten Maßnahmen ergriffen werden, um auch nur den Hinweis auf freie und faire Wahlen in Russland zu verhindern.

Welche Änderungen veranlassten den Rat zu dem Schritt, das Putin-Regime wieder aufzunehmen? Hat Russland seine Aggression in der Ukraine eingestellt? Wurde die Krim zurückgegeben, wie von der internationalen Gemeinschaft gefordert? Wurden die 24 ukrainischen Matrosen, die in internationalen Gewässern entführt wurden, freigelassen? Hat sich das Putin-Regime intern liberalisiert, um den Anforderungen des Rates an die Menschenrechte und demokratischen Standards gerecht zu werden?

Nein, nein, nein, nein, nein, und nein. Die wahren Beweggründe des Rates bleiben also ein dunkles Geheimnis. Die Möglichkeit für einige wenige Russen, vor dem europäischen Gericht, Gerechtigkeit‘ zu suchen, ist ein grausamer Schwindel. Wie sieht es mit der Gerechtigkeit für Dutzende von Millionen Russen aus?

Sie werden keine Hoffnung haben, solange Putin das Sagen hat, und die Aktivitäten des Rates - und Erklärungen wie Ihre - stärken Putin noch weiter. Schlimmer noch, Sie geben ihm grünes Licht für weitere Missbräuche in Russland, weil er weiß, dass er Partner wie Sie hat, die seine Bitten trotzdem ausführen werden.

Für Putin ist entscheidend, die Glaubwürdigkeit der europäischen Institutionen zu zerstören. Die Präsenz Russlands verhöhnt die Menschenrechtsstandards des Rates, genau wie Putin es beabsichtigt. Sie entlarvt Europa als Heuchler, der nur solange von Gerechtigkeit und Demokratie spricht, bis eine neue Gasleitung kommt.




Moskau am 27. Juli: Polizisten halten einen Demonstranten fest
Foto: Alexander Zemlianichenko / AP Photo / dpa

Putin muss Loyalität kaufen und er hat willige Partner wie Sie in Deutschland und im übrigen Europa gefunden. Er nutzt sowohl politisches Kapital in Institutionen wie PACE als auch Sachkapital bei Projekten wie der Nord Stream 2 mit Deutschland. Ihr Geld finanziert direkt den Polizeistaat Putins sowie seine Kriegs- und Propagandamaschinen. Das politische und wirtschaftliche Engagement, das Sie als Ausrede für profitable Geschäfte mit Russland verwenden, modernisiert oder liberalisiert Russland nicht; es geht in die andere Richtung: Russlands größter Export ist nicht Gas oder Öl, es ist Korruption.

Der einzig wirksame Druck auf Putin bestünde darin, seinen Einfluss in Russland zu bedrohen. Die einzig wahre Reform wäre der Rückzug Putins.

Am 25. Juni habe ich mit Ihnen gesprochen, als Vertreter der russischen Zivilgesellschaft im Exil. Jetzt spricht auch die russische Zivilgesellschaft innerhalb Russlands zu Ihnen - aus tausend Gefängniszellen, die mit Ihrer Hilfe gebaut wurden. Oppositionsführer Alexej Navalny ist in einer davon gelandet und leidet in diesem Moment an einer plötzlichen ,Allergie‘, die ihn hinter Gefängnismauern heimsuchte.

Ich habe die milde Erklärung des Europarates zu den Protesten und Verhaftungen vor einer Woche gesehen - mehr Worte im Wind, jetzt, da sie Putin gegeben haben, was er wollte.
Herr Maas, in Ihrer Erklärung vom 25. Juni heißt es: ,Jetzt ist wichtig, dass wir einen Mechanismus erarbeiten, mit dem einzelne Staaten bei Fehlverhalten satzungskonform sanktioniert werden können.‘

Putin hat diesen Bluff durchschaut, wie er es immer tut. Er hat dies als gute Nachricht aufgenommen. Doch jetzt möchte ich von Ihnen hören.“

https://www.bild.de/politik/ausland/politik-ausland/moskau-schachweltmeister-kasparow-schreibt-wegen-putin-an-heiko-maas-63717996.bild.html?fbclid=IwAR2rWnQ6FFAdywUaZTclFDrIzhRGSY_0KAgC3fNUB1b7t9Jz3SobhA5EO3Y

ПАСЕ, Россия, Украина

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