Unterhaltung mit dem Ertränkten

Jan 15, 2009 11:44

Zu fortgeschrittener Stunde, in einer Gasse, die sonst niemand hätte freiwillig betreten, um etwas zu erzählen, ja geschweige denn sich zu treffen, befand sich ein einsamer Mann, mittleren Alters, dessen Haar schon grau gefärbt vom Kummer der ihn plagte und klagte, er jammerte, flehte, und klagte dabei alles an was ihn so zu Schaffen machte. Sein Hirn vernebelt vom süßlichen Duft der flüssigen Unvernunft sprach lauter als er sich selbst hören konnte und fühlte sich wohl, er fühlte sich wohl mit dem was er tat, aber über das Klagende vermochte er keine Sympathie zu empfinden. Eigentlich, so dachte er, geht es ja niemanden was an, aber heute, heute sollten alle erfahren, welch Ungerechtigkeit ihm wiederfur. Und so klagte er, er klagte laut in den dunklen Abendhimmel…

Sieh dich an, so ein netter Kerl, niemandem was getan und nun bist du gezwungen hier zu sitzen, in dieser Gasse, dieser endlosen Dunkelheit - das hast du nicht verdient, so dachte er zu sich und genehmigte sich noch einen Schluck aus der Flasche, die eigentlich schon seine Siebte war. Er konnte kaum noch sprechen, das vermochte er aber nicht mehr richtig beurteilen zu können und so klagte er, „Welch ungerechte Welt, wie kann man da an Gott glauben?“ Er stellte sich diese Frage nur rhetorisch, denn gläubig war er nicht. Sein schwarzer Filzmantel war verdreckt, er hatte im Laufe des Abends schon öfter versucht einige Unreinheiten zu beseitigen, dachte aber dann zu sich, das ihm diese Zeichnung doch ganz vortrefflich stehen müsste, so fühlte er sich ja auch. Gezeichnet von einer Schmach, die er beim Beseitigen ja doch immer wieder erfahren müsse und so beließ er es dabei. Er genehmigte sich noch einen Schluck und fing an seinen Abend zu rekonstruieren.

Pianist war er, hatte eine Vorführung in einem sehr ansehnlichen Lokal gehabt. Dort hatte er ein Stück vorgestellt, das so voller Hingabe war das er dachte ihm würden die Hörer zu Füßen liegen. Er hatte ein Spiel entwickelt das für ihn untypisch war, er hatte sich dazu herreisen lassen ein sehr persönliches Stück zu schreiben, sein tiefstes inneres zu Offenbaren. Mit so viel Gefühl hatte er das Stück vorgetragen. Und wirklich, es war wundervoll, es hatte die Nuancen, die Betonungen die man sich für das eigene Leben eigentlich wünschte. Es war gespickt mit Tempowechseln, so meinte er, die den wahren Lebensfluss repräsentierten. Er war stolz und nicht minder eitel über sein romantisches Spiel, doch die erwartete Ehre wurde ihm nicht zuteil. Niemand hatte ihm applaudiert. Nur eine Frau hatte ein leichtes Lächeln, das sich auf ihrem Gesicht abzeichnete. Ein seichtes, eher bemitleidendes Lächeln. Er suchte, in der Gasse, in der er nun war, seine Zigaretten. Er durchsuchte seinen verdreckten Filzmantel nach der Schachtel die ihm wenigstens jetzt ein klein wenig Trost spenden sollte. Aber er konnte sie nicht finden. In seinem Eifer des Zorns hatte er seine Zigaretten in genau diesem Lokal liegen lassen, wo er die Schande noch zu tragen wusste. Er war gegangen mit erklärenden Worten das er noch andere Treffen hinter sich zu bringen hätte. Das war freilich gelogen. Er wollte nur so schnell wie möglich aus dem Lokal um sich zu betrinken. Anders konnte er nicht mit dieser Frechheit fertig werden, so meinte er. „Wie konnten sie nur?“ Ja, wie konnten sie nur, wie konnten sie ihn so enttäuschen, so hatte er doch seine Empfindungen offen dar gelegt, sie auf einem Tablett serviert das so prachtvoll war, das man meinte es handle sich um etwas so Wertvolles das man es nicht auf dieser Erde finden könnte. Sein Stück, das ihm so wichtig war, wurde missachtet, ja schon fast genommen. Und so klagte er, „Meine einzigste Liebe ist die Musik, in der habe ich mich wieder gefunden und zeitgleich verloren. Der Verräter des Herzen ist der der ihm am nächsten steht. So soll es wohl bei mir und bei allen anderen sein.“

Mittlerweile kam es ihm zwar nicht mehr so recht in den Sinn warum er sich ausgerechnet an diesem Ort niedergelassen hatte, aber er vermochte schon nicht mehr aufstehen zu können und so blieb er. Das Stück das er mit so großer Hingabe gespielt hatte, hatte nun den bitteren Beigeschmack eines Fluchs. Eines Fluchs dem er sich nicht mehr entziehen könne. „Ich werde es immer wieder spielen, solang bis sich ein geeignetes Publikum findet.“ Sagte er ermunternd zu sich selbst und gönnte sich noch einen Schluck aus der Flasche, die er bei sich hatte und die sich langsam zu leeren begann. Sollte sich aber niemand finden der seine Darbietung gut hieß, so würde er das Pianistendasein aufgeben und, er überlegte einen Moment, Schriftsteller werden. In seiner ersten Geschichte, so dachte er, würde er das Erlebte verarbeiten. Er würde über diesen Tag schreiben, aber so gekonnt verschleiert, das er nicht in einer Gasse saß, sondern mit vielen Menschen, in einer Kneipe oder sonst wo, eine Unterredung hatte. Die Metaphern würden weitreichend sein und die Kunst, die er in der Musik so hingebungsvoll verbreitete, sollte nun in Worten neues Gehör erlangen.
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